23. März 2002

Schwarze Kreuze am Potsdamer Platz 
Protest vorm Bundesrat gegen Flüchtlingspolitik 

Von Velten Schäfer 

Unbekannt, im Fahrwerkschacht eines Flugzeugs tot aufgefunden. Unbekannter, tot aufgefunden in der Neiße. Edgar J. (Angola), nach Abschiebung verhaftet und ›verschwunden‹. Thamidirasa Manikam, Selbstmord nach Abschiebebescheid.« Berlin, Leipziger/Ecke Stresemannstraße, Freitag, zehn Uhr: 379 Todesanzeigen mit schwarzen Kreuzen füllen das lange Transparent, das die Kreuzung in der Nähe des Bundesratsgebäudes säumt. Die Veranstalter – der Flüchtlingsrat Berlin, die Internationale Liga für Menschenrechte und die Initiative gegen Abschiebehaft – wollen so auf die Opfer der deutschen Ausländerpolitik seit dem »Asylkompromiss« von 1993 hinweisen. Während in der Länderkammer die Debatte über das Zuwanderungsgesetz beginnt, versammeln sich draußen etwa 150 Vertreter von Flüchtlingsorganisationen. 

Ungefähr 100 Tote, sagt eine Sprecherin der »Initiative gegen Abschiebehaft«, habe es in den vergangenen neun Jahren allein an der deutschen Ostgrenze gegeben: Ertrunken in Oder und Neiße, verunglückt auf der Flucht vorm Bundesgrenzschutz bei Unfällen. Aus Angst vor der Abschiebung nahmen sich weitere 100 Menschen das Leben. Dutzende Abgeschobene »verschwanden« nach der Ankunft in ihren Herkunftsländern, einige wurden nachweislich gefoltert und ermordet. Zuwanderungswillige würden nach rein ökonomischen Kriterien in »nützlich« und »wertlos« sortiert. Diese Ausrichtung des Gesetzes auf wirtschaftliche Interessen wird auch von anderen Organisationen wie dem Komitee für Grundrechte und Demokratie oder der Internationalen Liga für Menschenrechte kritisiert. 

Der Aufruf zur Kundgebung wendet sich auch gegen eine »Behinderung der Integration der hier lebenden Flüchtlinge und Migranten«: Durch neue Bestimmungen wie die obligatorische Sprach– und Staatsbürgerkundeprüfung oder die Vorleistung von 60 Rentenversicherungsbeiträgen werde der Erwerb einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis »teils noch schwieriger als die Einbürgerung«. Darüber hinaus protestieren die Aufrufer gegen die Antiterror-Gesetze, die Grundlagen für einen »Ausländerausweis« mit gespeicherten biometrischen Daten beinhalten. 

Der Berliner Flüchtlingsrat moniert den fortgesetzten Ausschluss minderjähriger Flüchtlinge vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. »Bestimmungen wie die ›Residenzpflicht‹ kriminalisieren einen ganz normalen Alltag«, sagt eine Rednerin. Die Senkung der Bezüge auf 60 Prozent der Sozialhilfe bei gleichzeitigem Arbeitsverbot dagegen treibe viele Asylbewerber tatsächlich in die Kriminalität. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl verteilt eine Stellungnahme, in der die Konstruktion eines besonderen Existenzminimums für Asylbewerber als »Politik vorsätzlicher Verelendung« angegriffen wird. 

Die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Fluchtgründe im neuen Gesetz sei zwar eine überfällige Anpassung an internationale Standards, erklärt die Initiative gegen Abschiebehaft. Konterkariert werde dieser kleine Fortschritt jedoch durch die Nichtanerkennung von »Nachfluchtgründen«. Darüber hinaus kritisiert die Organisation die Einführung einer zweiten Asylprüfung für anerkannte Flüchtlinge nach drei Jahren. 

Dass das Gesetz immer weiter an die Unionsforderungen angenähert wurde, hat Angela Marquardt zusammen mit Matthias Gärtner, Monty Schädel und Freke Over schon im Vorfeld der Bundesratsverhandlung deutlich ausgesprochen. Auch Nachbesserungen auf Länderebene könnten »den bundespolitischen Schaden nicht aufwiegen«, heißt es in einer Erklärung der jungen PDS-Abgeordneten. Marquardt ist übrigens die einzige Vertreterin der Politprominenz an diesem grauen Vormittag auf dem Potsdamer Platz. 

Etwas verloren wirkt die kleine Gruppe der Demonstranten ohnehin, und das Interesse der Passanten an der Kundgebung ist gering. »Typisch« findet das ein Demonstrant, an dessen Spruchband der Wind zerrt. »Es ist schon bezeichnend, dass der Bundesrat gerade heute dieses Gesetz beschließen will«, fügt er hinzu. Am Vortag war der »Internationale Tag gegen Rassendiskriminierung«. 

(ND23.03.02)