Sonntag, 4. April 2004
   
Startseite Konkret Hefte Konkret Texte Sonderhefte Shop Online Konkret Verlag

Das aktuelle Heft



Aboprämie



30 Jahre Konkret CD


Heft 04 2004

Herrschaftszeiten

Da staunt der Laie
    21. Januar, "Süddeutsche Zeitung":
Die späte Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ladislav Niznansky ist für den juristischen Laien erstaunlich. Fast sechs Jahrzehnte ist es her, daß der gebürtige Slowake, der jahrzehntelang in München lebte und 1996 eingebürgert wurde, an zwei Massakern beteiligt gewesen sein soll. In der damaligen Tschechoslowakei wurden die Morde der Spezialeinheit "Edelweiß", die nach der NS-Ideologie Juden automatisch als Partisanen behandelte und erschoß, 1962 und 1963 in zwei Prozessen aufgearbeitet. Niznansky wurde wegen seiner tragenden Rolle bei den Erschießungen von den slowakischen Richtern in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Wie viele andere Kollaborateure konnte er unbehelligt im Exil leben und - Ironie der Geschichte - für den US-Radiosender "Free Europe" als Journalist arbeiten.

Wer immer statt Schäuble nominiert wird, es wird wohl eine Frau sein, ob Annette Schavan oder Cornelia Schmalz-Jacobsen.

"Die Zeit" am Tag nach der Nominierung von Horst Köhler

Bandenwerbung
    27. Januar, "Hamburger Abendblatt":
Die FDP-Spitze wirbt in einem Faltblatt an 62.000 Parteimitglieder offen für die private Krankenversicherung DKV und empfiehlt den Liberalen sogar präzise den "Tarif EKV", der stelle "eine gesunde Lösung" dar. Das Faltblatt unter dem Titel "Gestalten Sie jetzt Ihre eigene Gesundheitsreform" ist dem Dreikönigsbrief von Guido Westerwelle beigelegt. FDP-Sprecher Martin Kothé kann daran nichts Ungewöhnliches finden. "Das sind Formen von Sponsoring, wie sie seit Jahren in der Politik üblich sind."

Asiatische Reproduktionsweise
    5. Februar, "Westdeutsche Allgemeine Zeitung":
Die Bochumer Polizei hat eine mutmaßliche Mörderbande ausgehoben. Acht Männer, vier davon in Herne lebend, sollen fünf Menschen erschossen haben. Der Hintergrund: Streitigkeiten auf dem Drogenmarkt. Die Morde, von denen die Polizei am Mittwoch berichtete, sind an Kaltblütigkeit kaum zu überbieten. Sie wirken wie Hinrichtungen. Alle Verbrechen ordnet die Polizei derselben Bande zu. Sie besteht aus acht Männern im Alter von 20 bis 40 Jahren: fünf deutsche Staatsbürger kasachischer Herkunft, ein Deutscher usbekischer Herkunft, ein Ukrainer und ein Türke. Der sichtlich über die Brutalität erschrockene Bochumer Polizeipräsident Thomas Wenner nannte die Morde "das Menetekel einer Entwicklung". Sie seien "das Ergebnis einer deutschtümelnden Einwanderungspolitik der Regierung Kohl". Und: "Irgendwann kommt das Faß zum Überlaufen." Wenner sprach von einer Gewaltbereitschaft, "die mehr asiatisch ist". "Eine geistig-moralische Wende" müsse her.

Nürnberger Zählweise
    6. Februar, "Frankfurter Allge-
meine":
Ein trüber Jahresauftakt: 4,597 Millionen Menschen in Deutschland waren im Januar erwerbslos gemeldet. Wer genauer hinsieht, stellt allerdings fest, daß diese Zahl die Lage noch beschönigt. Denn zu Jahresbeginn hat die Bundesagentur für Arbeit im Handstreich 80.000 Erwerbslose aus ihrem Zahlenwerk gestrichen. Die Agentur ist einer Gesetzesänderung nachgekommen, nach der Teilnehmer an kurzfristigen Trainingsmaßnahmen nicht mehr als arbeitslos gelten. Der umgekehrte Schritt wäre sinnvoller gewesen: Jeder, der keine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt hat, sollte als arbeitslos gezählt werden. Damit wären die Regelungen ebenfalls vereinheitlicht worden, aber mit ehrlichem Ergebnis, nämlich sechs Millionen Menschen auf Arbeitssuche.

Ausländer raus
    12. Februar, "Antirassistische Initiative e.V.":
Die Zahl der Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Asyl beantragten, war 2003 mit 50.564 die niedrigste seit 1984. Zugleich ist die Anerkennungsquote für politisches Asyl von 1,6 Prozent die niedrigste denn je. Das "kleine Asyl" (Abschiebeschutz aus politischen oder humanitären Gründen) erhielten nur noch 1,7 Prozent der Antragsteller. Diese "erfreuliche Entwicklung" (Bundesinnenminister Schily) ist das Ergebnis der immer restriktiver umgesetzten Asylgesetze zum einen und der geschlossenen Grenzen des Landes zum anderen. Die Dokumentation umfaßt den Zeitraum vom 1.1.1993 bis 31.12.2003:
145 Flüchtlinge starben auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen, davon allein 113 an den deutschen Ostgrenzen. 398 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 236 an den deutschen Ostgrenzen. 121 Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen. 493 Flüchtlinge haben sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder versuchten, sich umzubringen. Fünf Flüchtlinge starben während der Abschiebung und 234 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der Abschiebung verletzt. 21 Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland zu Tode und mindestens 361 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert, 57 Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos. Zehn Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen, 309 wurden durch Polizei oder Bewachungspersonal verletzt. 66 Menschen starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, 636 Flüchtlinge wurden z.T. erheblich verletzt, zwölf Menschen starben durch rassistische Angriffe auf der Straße.
Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen 302 Flüchtlinge ums Leben - durch rassistische Übergriffe starben 78 Flüchtlinge.

Wir beherbergen jetzt schon 89 Nationen in unseren Justizanstalten.

Dieter Böhmdörfer, österreichischer Justizminister

Woche der Brüderlekeit
    16. Februar, "Hamburger Morgenpost":
Mit massiven Forderungen an Langzeitarbeitslose machen jetzt die FDP und Unionspolitiker Schlagzeilen: Sozialhilfeempfänger müßten der Gesellschaft eine Gegenleistung erbringen, fordert FDP-Vizechef Rainer Brüderle. Er will die Arbeitslosen künftig zum Zivildienst heranziehen: "Der Staat unterstützt manche Sozialhilfeempfänger jahrelang. Im Gegenzug dürfen sich Langzeitarbeitslose zum Putzen, Waschen und Essenausfahren für alte oder kranke Menschen nicht zu schade sein."

Bundeswehrmacht
    16. Februar, "Der Spiegel":
Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) verweigert einem Projekt zur Erinnerung an die Opfer der Wehrmachtsjustiz jegliche finanzielle Unterstützung - trotz mehrerer schriftlicher Bitten seines Parteifreundes Wolfgang Thierse ... Das sieht Struck ganz anders: Die Unterstützung für das Vorhaben sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht eine der "Bundeswehr, die nicht in der Tradition der Wehrmacht steht".

Deutschland muß noch mehr aufwachen, Reformen durchzuführen.

Horst Köhler, Bewerber um die Lübke-Nachfolge

FreundInnen
    16. Februar, "Der Spiegel":
Helmut Kohl bedankte sich artig bei der Chefredakteurin der linken Tageszeitung "Taz". In der Jubiläumsausgabe "25 Jahre! Die ›Taz‹ feiert" im vergangenen September hatte die "Taz"- Chefin Bascha Mika den Altkanzler mit einem Interview, geführt von Kohl-Freund Kai Diekmann, Chefredakteur der "Bildzeitung", auftreten lassen. Zu sehen war auf der Titelseite die Zeile: "Heute gibt's Kohl" nebst einem Kohl-Porträt des Fotografen Daniel Biskup. Der "Taz"-Aufmacher gefiel dem Altkanzler offenbar so gut, daß er das Foto inzwischen auf seine Autogrammkarte gesetzt hat. Dies berichtet dieser Tage Diekmann der "Taz"-Chefredakteurin stolz in einem erläuternden Schreiben: "Und damit Sie, liebe Bascha, mir das auch wirklich glauben, habe ich Helmut Kohl bei meinem letzten Besuch gebeten, für Sie seine neue Autogrammkarte zu unterschreiben - der "Taz"-Chefin vom Altbundeskanzler persönlich gewidmet ... Voilà!" Beigelegt war eine von Kohl signierte Karte: "Für Bascha Mika - Helmut Kohl."

Für Steinbach, zum Glotzen
    26. Februar, DPA:
Der frühere tschechoslowakische Präsident Edvard Benesch ist vom tschechischen Abgeordnetenhaus mit einem eigenen Gesetz für seine "Verdienste um den Staat" gewürdigt worden. Die Formulierung gilt als besondere Ehre, da sie bisher nur dem Staatsgründer Tomás G. Masaryk zuteil geworden war.

Grüß Gott, Lenin
    28. Februar, DPA:
Die Stimmung in der ostdeutschen Bevölkerung ist so schlecht wie noch nie. Fast jeder Zweite (45 Prozent) beurteilt die eigene wirtschaftliche Situation schlechter als noch vor fünf Jahren. Nur ein Drittel (30 Prozent) ist mit der eigenen Lage zufrieden. Lediglich 20 Prozent geben an, sich als "richtige Bundesbürger" zu fühlen. Nur ein Prozent der Befragten sieht Ost und West als Einheit.

Die Doris 1
    3. März, "Bild":
Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf ist mächtig sauer auf die Dienstleistungsgwerkschaft Verdi. Der Grund: Rund 3.000 Postler hatten am Reihenendhaus des Kanzlers im Zooviertel von Hannover 20 Minuten lang gegen Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld demonstriert. Die Kanzlergattin verfolgte die Demo zeitweise am Fenster und mußte mitanhören, wie Verdi-Landeschef Wolfgang Denia die Menge durch ein Megaphon anfeuerte, "Kante gegen Schröders Politik" zu zeigen. In der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" empörte sich Doris Schröder-Köpf: "Das hat es meines Wissens bei Helmut Kohl in Oggersheim nicht gegeben."

Die Doris 2
    4. März, "Bild"-Rubrik "Leser schreiben in ›Bild‹":
Wirklich eine Frechheit, wenn die Armen so nah an der Villa vorbeiziehen. Leider kann nicht jeder Postler reich heiraten. Die große Dame hätte die Rolläden runterlassen sollen.
Robert Eucker
Ich würde sagen, die verehrte Kanzlergattin soll ihr Töchterlein und ihren Versager unter den Arm klemmen und dahin verschwinden, wo noch kein Mensch war.
Andrea Hentsch
Soso, die Kanzlerfrau ist lärmbelästigt? Zum Trost sei ihr gesagt, daß die Mehrzahl der Deutschen täglich durch die miese Politik ihres Göttergatten "belästigt" wird. Hans-Georg Müller

Der Doris ihr'n Mann
    4. März, DPA:
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) steht für Interviews mit der "Bildzeitung" nicht mehr zur Verfügung. Regierungssprecher Béla Anda kritisierte die Berichterstattung als "Mischung aus Häme, Hetze, Verächtlichmachung der Akteure, garniert mit Halbwahrheiten". Anda war mehrere Jahre lang "Bild"-Redakteur.

Steinbachs Lebensraum
    5. März, "Freitag":
Was für eine Art von Vertriebene ist die Vertriebenenpräsidentin denn eigentlich? Die "Süddeutsche Zeitung" behauptet, daß ihre "Familie am Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verlassen" mußte. Erika Steinbachs Eltern stammen nun allerdings aus Hanau und Bremen. Vertrieben wurden sie zusammen mit der 1945 zweijährigen Erika aus dem polnischen Rumia, wo ihr Vater als Besatzungssoldat seinen Wehrmachtsstandort hatte. Wenn alle in solche alte Heimat zurückkehren, die unter Hitler das "Generalgouvernement" besetzten und ihre Nachkommen dazu, dann darf sich Polen bei seinem Beitritt zur EU auf einiges gefaßt machen.

... und bei dem Satz bleibe ich: Das Einsatzgebiet der Bundeswehr ist grundsätzlich die gesamte Welt.

Peter Struck, Nachfolger

BPK schlägt sich, BPK verträgt sich
    6. März, "Hamburger Abendblatt":
Die Chefredakteure von sechs Zeitungen und Zeitschriften gehen gemeinsam gegen den Ausschluß von Journalisten von Auslandsreisen des Bundeskanzlers vor. In dem am Freitag veröffentlichten Schreiben an den Vorsitzenden der Bundespressekonferenz (BPK) in Berlin, Werner Gößling, bitten die Chefredakteure von "stern" (Thomas Osterkorn, Andreas Petzold, Hans-Ulrich Jörges), "Bild" (Kai Diekmann), "Tagesspiegel" (Giovanni di Lorenzo), "Berliner Zeitung" (Uwe Vorkötter), "Financial Times Deutschland" (Christoph Keese) und "Tageszeitung" (Bascha Mika), den Vorgang in der Bundespressekonferenz zu thematisieren und Regierungssprecher Béla Anda aufzufordern, "seine Boykottpolitik umgehend zu beenden". Andas Vorgehen sei ein "nicht ungefährliches Präjudiz". Was Journalisten von "stern" und "Bild" geschehen sei, könne "jedem anderen Journalisten im Falle mißliebiger Berichterstattung ebenfalls passieren". Anda wies die Kritik entschieden zurück.

KONKRET Text 37


KONKRET Text 36


Literatur Konkret Nr. 28