15.5.2006
 

„Vor Reisen in die Demokratische Republik Kongo wird gewarnt.“

Abschiebung in den Tod

Gute Gründe, so wird der Bundestag dieser Tage feststellen, lassen es angeraten scheinen, die Bundeswehr in der Demokratischen Republik Kongo einzusetzen. Man will helfen. Denn „der Kampf um den Rohstoffreichtum des Landes“, so wörtlich das Auswärtige Amt in einer Stellungnahme zum geplanten Einsatz, „hat die gesamte Region destabilisiert“.

Die Sicherheitslage sei so prekär, dass die geplanten Wahlen Ende Juli in einem Desaster enden könnten, würden nicht auswärtige Soldaten für Recht und Ordnung sorgen. Ein gefährlicher Auftrag für die Europäische Union und die Bundeswehr, mit Toten muss gerechnet werden.

Auch Reisende, so teilt das Auswärtige Amt auf seiner Homepage mit, seien gut beraten, bis auf weiteres auf einen Besuch des Kongo zu verzichten. Zitat: „Die Sicherheitslage im gesamten Land ist fragil.“ Das träfe besonders auf den Osten und den Norden des Landes zu, aber auch, Zitat, „in anderen Regionen des Landes kann es nicht vorhersehbar zu gewalttätigen Unruhen kommen.“

In Fettdruck schreibt das Auswärtige Amt: „Vor Reisen in die Demokratische Republik Kongo wird gewarnt.“

Ehe sich das Ministerium zu so einem drastischen Warnhinweis entschließt, muss viel passieren. Nicht einmal der kürzliche Anschlag in Ägypten mit über zwanzig toten Touristen führte zu einer ähnlichen Reisewarnung.

Wer dennoch reisen müsse, so das Auswärtige Amt weiter, solle sich, Zitat, „in die von der Botschaft geführte Deutschenliste eintragen“.

Tshiana Nguya hat sich nicht dort eingetragen. Sie konnte sich in eine „Deutschenliste“ auch gar nicht eintragen, sie war ja keine Deutsche. Und dass sie vor ihrer letzten Reise in den Kongo zehn Jahre in Deutschland gelebt hatte, machte diesen Mangel nicht wett. 

Tshiana Nguya war 1995 aus dem Kongo nach Deutschland geflohen und hatte ihre beiden Kinder mitgebracht, sechs und ein Jahr alt; ihr Mann war 14 Tage zuvor angekommen. Das Ehepaar beantragte Asyl.

Der Antrag wurde endgültig im Jahre 2004 abgelehnt. Nicht etwa, weil die Lage in der Demokratischen Republik Kongo damals erfreulicher gewesen wäre, als sie es heute ist. Eher im Gegenteil. Aber die Eltern Nguya, deren drittes Kind 2002 in Deutschland geboren wurde, konnten eine besonders herausgehobene politische Tätigkeit nicht nachweisen, aufgrund derer sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folter oder Tod bei ihrer Abschiebung würden erleiden müssen. Also: kein Asyl in Deutschland. Auch kein Abschiebeschutz wegen der elenden Lage im Kongo.

Als die Familie Anfang 2004 abgeschoben werden sollte, erlitt der Ehemann einen Zusammenbruch. Die Aktion musste abgebrochen werden. Beim zweiten Versuch gelang den Behörden die Abschiebung. Allerdings nur die des Ehemannes; seine Frau war mit zwei Kindern untergetaucht; der 15-jährige Älteste versuchte es fortan auf eigene Faust. Erst einige Monate später, im Sommer 2004, meldete sich Tshiana Nguya erneut bei ihrer zuständigen Ausländerbehörde, mit ihren beiden jüngsten Kindern. Sie benötigte ärztliche Hilfe, denn sie war schwanger. Sie wurde noch am selben Tag inhaftiert, ihre beiden Kinder anderweitig untergebracht. Nach zwei Monaten wurden alle drei abgeschoben – ohne Zwischenfälle, wie es hieß. Tshiana Nguya war zu diesem Zeitpunkt im 4. Monat. Eine Petition war zuvor noch beim Niedersächsischen Landtag eingereicht, aber noch nicht behandelt worden. Die Abschiebung sei unmenschlich, wurde argumentiert; in den Kongo eine Schwangere abzuschieben, die zudem gesundheitliche Probleme und überhaupt keine finanziellen Mittel habe, käme einem Todesurteil gleich. Die zuständige Ausländerbehörde wollte den Entscheid des Petitionsausschusses nicht abwarten.

Das Auswärtige Amt legt Deutschen „medizinische Hinweise“ für eine Reise in den Kongo ans Herz. Dort heißt es: „Die medizinische Versorgung im Lande ist vielfach technisch und apparativ problematisch, die hygienischen Standards sind grundsätzlich unzureichend, im Landesinneren katastrophal.“ Deutlicher wird der sogenannte „Lagebericht“ des Auswärtigen Amtes, der „nur für den Dienstgebrauch“ bestimmt ist und für Asylentscheidungen herangezogen wird. Zitat: „Das Gesundheitswesen ist in katastrophalem Zustand. Der Großteil der Bevölkerung kann nicht hinreichend medizinisch versorgt werden. Nur wenn – im seltenen Fall – die Geldmittel zur Verfügung stehen, können (...) Krankheiten diagnostiziert und mit Einschränkungen fachgerecht behandelt werden.“

Tshiana Nguya wurde im Wissen um diese katastrophale Situation abgeschoben. Mit zwei kleinen Kindern, schwanger und krank. Im Kongo wartete keine Familie, auch kein Ehemann auf sie – er befand sich bereits wieder auf der Flucht nach Europa. Auf sie warteten die Einreisebehörde und der Geheimdienst. Folter ist, so das Auswärtige Amt, im Kongo an der Tagesordnung. Tshiana Nguya wurde inhaftiert und gefoltert. So jedenfalls ein örtlicher Pfarrer, der aussagt, sie sei zwei Monate lang im Zentralgefängnis von Makala untergebracht worden. Sie sei vergewaltigt und bereits hochschwanger unmenschlich behandelt worden. Es gibt keine Bestätigung von amtlicher Seite für die Aussage des Pfarrers. Ob es jemals eine geben wird, darf bezweifelt werden. Das Auswärtige Amt hat jedenfalls nach eigenem Bekunden noch nie bestätigen können, dass aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge im Kongo drangsalisiert worden seien. Eine erstaunlich eindeutige Feststellung, anscheinend der einzige Lichtblick in der insgesamt desaströsen Lage im Land, die vom Auswärtigen Amt durchaus ungeschminkt dargestellt wird und die nun ja sogar deutsches Militär auf den Plan rufen wird.

Fest steht allerdings im Falle der Tshiana Nguya, denn dafür gibt es viele Zeugen, dass die 33-Jährige bei der Geburt ihres Kindes im Dezember 2004 gestorben ist. Das Neugeborene auch.

Im April 2006 schickte der Pfarrer, der die junge Frau bis zu ihrem Tod begleitet hat und sich nun um ihre Waisen kümmert, einen Brief nach Deutschland: der Tod von Mutter und Neugeborenem sei auf die Misshandlungen in der Haft zurückzuführen. Der Bericht liegt dem niedersächsischen Flüchtlingsrat vor, die niedersächsische Landesregierung hat das Auswärtige Amt um Aufklärung gebeten. Antwort von dort ist noch nicht eingegangen. Genauso wenig übrigens, wie die Petenten von Tshiana Nguya bis heute vom niedersächsischen Landtag eine Antwort haben. Ihre Petition ist bis heute nicht einmal behandelt worden.

Albrecht Kieser RHEINISCHES JOURNALISTinnEN BÜRO