zur Hauptseite                                                   Zusammenfassung  2005

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2005

 

1. Januar 05

 

Mettmann in Nordrhein-Westfalen. Um 0.21 Uhr wird die Feuerwehr Erkrath zu einem Brand im Flüchtlingsheim Thekhaus in Hochdahl gerufen. In dem Heim brennt ein Zimmer im Obergeschoß. Da der Bewohner des Zimmers zur Zeit des Brandes nicht Zuhause ist, das Oberlicht des Zimmerfensters auf Kipp steht und Reste einer Feuerwerksrakete gefunden werden, vermuten die Ermittlungsbehörden, daß der Brand durch eine verirrte Rakete entstanden ist.

    Der Gebäudetrakt ist nach dem Brand zunächst unbe-wohnbar, so daß zwölf afrikanische Flüchtlinge andernorts untergebracht werden müssen. Zwei Bewohner kommen ins Klinikum Niederberg.

Polizei Mettmann 2.1.05;

Yahoo!Nachrichten 2.1.05;

WZ 4.1.05

 

5. Januar 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der 45 Jahre alte Gefangene N. Z. mit ungeklärter Staatsangehörigkeit schneidet sich in der Nacht beide Unterarme auf. Nach einer medizinischen Versorgung der Wunden im Krankenhaus kommt er zurück ins Abschiebegefängnis.

BM 6.1.05; JWB 12.1.05;

 BT DS 16/9142

 

6. Januar 05

 

Bundesland Sachsen. Bei einem Brand im Flüchtlingsheim Porschendorf in der Sächsischen Schweiz erleiden drei Bewohner im Alter von 25, 31 und 34 Jahren und ein 42-jähriger Wachmann Rauchgasvergiftungen. Sie werden in die Klinik eingeliefert.

In einem unbenutzten Zimmer im ersten Stock des Gebäudes war das Feuer auf einer Liege entstanden und hatte sich über ein Nachbarzimmer ins Treppenhaus ausgebreitet. Der Sachschaden wird auf 120.000 Euro geschätzt.

Obwohl ein Spürhund Spuren eines Brandbeschleunigers findet, schließt die Polizei einen "ausländerfeindlichen Hintergrund" aus. Dies bestätigt auch die Staatsanwaltschaft im Dezember 2005, obwohl das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

SäZ 7.1.05; SäZ 8.1.05;

StA Dresden 19.12.05

 

7. Januar 05

 

Dessau in Sachsen-Anhalt. Die Polizei wird in die Turmstraße gerufen, weil Frauen der Stadtreinigung sich durch einen unentwegt auf sie einredenden alkoholisierten Mann gestört fühlen, der sie bittet, ihr Handy benutzen zu dürfen. Obwohl er sich ausweisen kann, muß er von den Polizisten erfahren, daß er vorläufig festgenommen ist – vorgeblich können sie seine Papiere nicht lesen. Es ist Oury Jalloh, abgelehnter Asylbewerber aus Sierra Leone.

    Um 8.30 Uhr treffen die Beamten mit ihm im Revier ein, wo ihm Hand- und Fußschellen angelegt werden. Zur Blutentnahme durch einen gerufenen Arzt wird er zusätzlich auf der Untersuchungsliege fixiert. Dann bringen die Beamten ihn in die im Keller gelegene Zelle 5 und befestigen die Arme und Beine mit Handschellen an Metallgriffen, die seitlich der Matratze in Wand und Boden eingelassen sind.

    Der Festgenommene sei zu seinem "eigenen Schutz" so fixiert worden, wird es später heißen. Da bei einem mit 2,68 ‰ im Blut (im Urin 3,42 ‰) stark betrunkenen und in Rückenlage fixierten Mann die Gefahr besteht, an Erbrochenem zu ersticken, stellt diese Fesselungsart eher eine Gefährdung als einen Schutz dar.

    Nach vorläufigen Untersuchungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Dessau stellt sich der Ablauf der nun eintretenden Geschehnisse folgendermaßen dar: Um 12.00 Uhr stellt der Dienstgruppenleiter Andreas S. die Wechselsprechanlage zur Zelle 5 leise, weil er sich durch Rufe aus der Zelle beim Telefonieren gestört fühlt. Eine Kollegin dreht den Schalter jedoch wieder auf "laut", so daß die akustische Verbindung zwischen Dienstzimmer und Zelle nur kurz unterbrochen ist. Zwischen 12.04 Uhr und 12.09 Uhr nehmen sowohl Andreas S. als auch seine Kollegin "plätschernde" Geräusche wahr und hören den Alarm vom Rauchmelder. Der Dienstgruppenleiter schaltet diesen Alarm aus. Das "plätschernde" Geräusch im Lautsprecher der Gegensprechanlage wird lauter, der Rauchmelder schlägt erneut an, und die Rufe von Oury Jalloh sind deutlich zu hören. Während der Dienststellenleiter den Alarmknopf zum zweiten Mal ausstellt, informiert seine Kollegin die Verwaltung über den Alarm. Erst als auch der Rauchmelder im Lüftungsschacht Alarm schlägt, verläßt Andreas S. sein Dienstzimmer, sucht sich im Pausenraum noch Kollegen und begibt sich dann in den Kellerbereich. Seine Kollegin, die an der Wechselsprechanlage bleibt, hört jetzt deutlich aus der Zelle die Rufe "Mach mich los, Feuer" und das klappernde Geräusch von Schlüsseln, die das Zellenschloß öffnen. Die Polizisten betreten die Zelle allerdings nicht, weil – wie sie später aussagen – die Rauchentwicklung zu stark war.

    Den Feuerwehrleuten, die durch den Notruf "Brand im Zellentrakt – eine Person vermißt" alarmiert wurden, wird weder die Zellennummer mitgeteilt noch wird ihnen gesagt, daß Oury Jalloh an die Pritsche gefesselt ist. Und so kommt es, daß sie nach intensiver minutenlanger Suche im schwarzen Qualm des Zellentraktes niemanden finden – und erst bei der wiederholten Suche den brennenden Leichnam Oury Jallohs ausmachen können – 15 Minuten nach dem Eintreffen.

 

Auszüge aus Telefonmitschnitten auf dem Polizeirevier

Dessau am 7. Januar 05:

Gespräch vom Dienststellenleiter Andreas S. und dem Arzt Dr. B.: "Pikste mal 'nen Schwarzafrikaner?" Antwort des Arztes: "Ach du Scheiße". "Da finde ich immer keine Vene bei den Dunkelhäutigen", Lachen. Der Polizist: "Na, bring doch 'ne Spezialkanüle mit." "Mach ich", sagt der Arzt.

Gespräch zwischen zwei Polizeibeamten, als bekannt ist, daß Feueralarm ausgelöst ist:

"Hat er sich aufgehangen, oder was?" "Nee, da brennt's." "Wieso?" "Weiß ich nicht. Die sind da runtergekommen, da war alles schwarzer Qualm." "Ja, ich hätte fast gesagt gut. Alles klar, schönes Wochenende, ciao, ciao."

 

    Oury Jalloh hatte als Asylbewerber in dem 5 km von Dessau entfernt liegenden Flüchtlingsheim in Roßlau gelebt. Er wurde Vater eines Sohnes, den er allerdings nur am Tag der Geburt in den Arm nehmen konnte, weil seine deutsche Freundin auf Druck der Eltern das Kind zur Adoption freigeben mußte. Seither hatte Oury Jalloh um sein Kind gekämpft. Ein Freund sagte gegenüber Journalisten: "Oury ist dreimal gestorben. Im Bürgerkrieg in Sierra Leone starb seine Vergangenheit. Als Asylbewerber in Deutschland starb seine Zukunft, und in einer Zelle in Dessau kam er ums Leben."

    Der Verbrennungstod des 24-jährigen Oury Jalloh wirft viele Fragen auf, und die Brandursache sowie die weiteren Umstände sind auch ein Jahr später nicht aufgeklärt. Die von Anfang an durch die Polizei proklamierte Selbsttötungstheorie wird durch viele auftretende Widersprüche zerrüttet. Oury Jalloh war von zwei Polizisten gründlich durchsucht worden – sie hatten ein Handy, eine Brieftasche und ein gebrauchtes Papiertaschentuch sichergestellt. Sie sagten auch aus, daß die Durchsuchung so gründlich war, daß sie ein Feuerzeug nicht hätten übersehen können. Ein Feuerzeug oder Reste davon, das in einer Asservatenliste am 11. Januar verzeichnet ist – in der Liste vom Vortag allerdings noch nicht. Dieses Feuerzeug, so die Polizei und Staatsanwaltschaft im Februar, soll der eng gefesselte und stark betrunkene Mann irgendwo aus seiner Kleidung gefingert haben, dann die mit feuerfestem Kunstleder überzogene Matratze angezündet, dann aufgerissen und die Innereien herausgeholt haben, um letztlich alles zu entflammen.

    Die Obduktion am 10. Januar durch das Institut für Rechtsmedizin in Halle ergibt, daß Oury Jalloh einem Hitzeschock erlegen ist: ein schlagartiger Atemstillstand infolge der Einatmung heißer Dämpfe mit anschließendem Herzstillstand, bei dem der Körper nach 2,5 Minuten auf bis zu 345 Grad Celsius erhitzt wurde. Anzeichen äußerer Verletzungen werden bei dieser Untersuchung nicht erkannt. Eine von den AnwältInnen geforderte Röntgenuntersuchung lehnt die Staatsanwaltschaft als "nicht erforderlich" ab.

    Eine zweite Obduktion, die von UnterstützerInnen und AnwältInnen der Familie in Auftrag gegeben wird, bestätigt die Todesursache. Jedoch wird hier – aufgrund röntgenologischer Untersuchungen – zudem ein Nasenbeinbruch bei Herrn Jalloh festgestellt.

    Am 22. Januar organisieren Freunde und Freundinnen von Oury Jalloh eine Trauerfeier und fordern durch eine Demonstration die restlose Aufklärung der Vorgänge des 7. Januar. Allein durch den andauernden öffentlichen Druck sieht sich die Staatsanwaltschaft genötigt, Widersprüche zuzugeben und die Untersuchungen fortzuführen. So geschieht es, daß erst vier Wochen nach dem Feuertod Jallohs bekannt wird, daß er in oben beschriebener Weise fixiert war.

    Bei einer Dienststellenbesprechung der Polizeidirektion von Halle im Februar kommentiert ein hochrangiger Beamter den Tod Oury Jallohs mit "Schwarze brennen eben mal länger". Ein einziger Kollege nimmt Anstoß an der Äußerung und meldet sie dem Polizeipräsidenten. Mit dem Ausspruch eines Verweises endet das eingeleitete Disziplinarverfahren gegen den Urheber des rassistischen Kommentars. Der Beamte, der den Vorfall meldete, sieht sich hingegen durch Kollegen und Kolleginnen derart heftigen Anfeindungen ausgesetzt, daß er seine Versetzung beantragt. Erst im Februar 2008 wird dieser Fall bekannt.

    Obwohl die Stadt Dessau die Kosten der Überführung des Leichnams nach Guinea übernimmt, damit Oury Jalloh in der Nähe der Eltern beigesetzt werden kann, erhebt die Staatsanwaltschaft plötzlich Zweifel an der wahren Elternschaft. Sollte diese nicht einwandfrei nachgewiesen werden können, dann wäre eine Nebenklage nicht zulässig und die RechtsanwältInnen vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Mouctar Bah, ein enger Freund Oury Jallohs, fliegt nach Guinea und sucht die Eltern auf, die – obwohl durch den Bürgerkrieg in

Sierra Leone vertrieben und in weit auseinander liegenden Dörfern getrennt lebend – die Geburtsurkunde Oury Jallohs finden und Mouctar Bah mitgeben können.

    Anfang Juni hat die Staatsanwaltschaft Dessau das gegen zwei am 7. Januar diensthabende Polizisten geführte Ermittlungsverfahren mit der Erhebung einer Anklageschrift wegen fahrlässiger Tötung, beziehungsweise Körperverletzung mit Todesfolge abgeschlossen. Im Oktober 2005 lehnt das Gericht jedoch den Prozeß-Start ab und fordert stichhaltigere Beweise für die Schuld der zwei Polizeibeamten.

    Die Staatsanwaltschaft gibt ein Brandgutachten beim Feuertechnischen Institut in Heyrothsberge bei Magdeburg in Auftrag. Dieses Gutachten, das am 30. Juli 2006 dem Landgericht Dessau vorgelegt wird, kommt zu dem Schluß, daß vom Ausbruch des Feuers bis zum Tod Oury Jallohs etwa sechs Minuten Zeit verstrichen. Genügend Zeit, das Leben des Gefangenen zu retten, wenn die Beamten richtig gehandelt hätten.

    Im November 2006 lehnt das Landgericht Dessau den Prozeß gegen die beiden Polizeibeamten wiederum ab. Begründung: fehlender hinreichender Tatverdacht. Bezüglich des Verfahrens gegen den Dienstgruppenführer sollen noch "ergänzende Fragen" durch die Brandgutachter beantwortet werden.

    Im Januar 2007, fast auf den Tag zwei Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh, läßt die 6. Strafkammer des Landgerichtes Dessau die Anklage gegen den 46-jährigen Dienstgruppenleiter schließlich zu. Ausschlaggebend dafür sind die Ergebnisse der Nachermittlungen der Staatsanwaltschaft.

    Am 27. März 07 wird der Prozeß gegen die beiden Beamten eröffnet. Während dem Dienstgruppenleiter Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen wird, sieht sich sein Kollege der Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegenüber, weil er bei der Durchsuchung Oury Jallohs das Feuerzeug übersehen haben soll.

    Die Polizistin, deren Aussage den Dienstgruppenleiter Andereas S. maßgeblich belastet hatte, wurde nach dem 7. Januar 2005 aus "Fürsorgepflicht" (psychische Probleme) zwangsversetzt. Vor Gericht relativiert sie nun ihre ursprüngliche Aussage. Ihrer Beschreibung nach sei ihr Kollege und Vorgesetzter nach dem ersten Alarm schon "auf dem Sprung" gewesen; beim zweiten Alarm habe sie ihn im Raum "definitiv nicht gesehen". Sie räumt allerdings ein, daß sie mit dem "Rücken zur Tür" gesessen habe und es "unmöglich zu sehen" gewesen sei, "wann er rein und raus gegangen ist". Gegen die Beamtin wird ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage eingeleitet.

    Am 10. Verhandlungstag äußert der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff deutliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen der BeamtInnen: Zumindest einer der ZeugInnen müsse bewußt falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten zu schützen. "Ich werde den Prozeß in Grund und Boden verhandeln, ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen."

    Ein Beamter, der sich bisher nicht erinnern konnte, macht daraufhin detailliertere Angaben, die im deutlichen Widerspruch zu den Aussagen des Hauptangeklagten stehen.

    Durch anhaltende Proteste, Demonstrationen, Info- und Gedenkveranstaltungen sind die Geschehnisse um den Tod von Oury Jalloh international bekannt geworden. Eine Gruppe von ProzeßbeobachterInnen aus verschiedenen Ländern begleitet das Verfahren.

    Nach 58 Verhandlungstagen ergeht am 8. Dezember 2008 ein Urteil, in dem die beiden angeklagten Polizeibeamten freigesprochen werden. "Trotz aller Bemühungen ist dieses Verfahren gescheitert", stellt der Vorsitzende Richter fest. Die Polizei von Dessau habe durch ihr Versteckspiel und ihre schlampigen Ermittlungen die Offenlegung der tatsächlichen Geschehnisse vom 7. Januar 05 unmöglich gemacht und "dem Rechtsstaat geschadet". Nach der Urteilsverkündung kommt es zu Tumulten im Gerichtssaal. Kurz darauf legen Staatsanwaltschaft und die Vertreter der Nebenklage Revision beim Bundesgerichtshof ein.

    Am 7. Januar 2010, dem fünften Todestag von Oury Jalloh, hebt der Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe das Dessauer Urteil auf und verweist das Verfahren zur Neuverhandlung an das Landgericht Magdeburg. Die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien mahnte im Wesentlichen vier Lücken und Ungereimtheiten an, die in einem neuen Verfahren aufzuklären seien. Neben den Fragen, wann der Rauchmelder Alarm schlug, warum die Schmerzensschreie von Oury Jalloh nicht gehört wurden, wann der Dienststellenleiter wirklich in den Kellertrakt hinuntergegangen ist, stellt das Gericht die wesentliche Frage, "ob und wie es Jalloh möglich gewesen sein soll, den Brand zu legen".

    Bemerkenswert ist das Verhalten der Dessauer Polizei Mouctar Bah, dem Freund Oury Jallohs, gegenüber. Dieser Mann hat sich seit dem 7. Januar 05 für die Aufklärung der Geschehnisse im Dessauer Polizeikeller eingesetzt und Gerechtigkeit und Entschädigung gefordert. Er hatte die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh mitgegründet und geriet zunehmend unter behördlichen Druck. Mehrere Ermittlungsverfahren wegen angeblicher Beleidigung wurden geführt und wieder eingestellt. Ende 2005 wurde ihm unter fadenscheinigen Gründen die Gewerbelizenz für seinen Telefonladen entzogen. Er konnte fortan nur noch als Angestellter in seinem eigenen Laden arbeiten. Am 21. Juli 09 muß er eine großangelegte Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Im Laden finden zunehmend häufiger Razzien und Kontrollen statt.

    So auch gezielt am 16. Dezember 09, als sich Herr Bah mit Freunden in Vorbereitung zur Fahrt nach Karlsruhe befindet, wo am nächsten Tag der Bundesgerichtshof über die Zulassung der Revision im Verfahren Oury Jalloh entscheiden soll. Gegen 14.00 Uhr stürmen Polizisten den Laden, kontrollieren die anwesenden Personen – auch alle Angestellten – durchsuchen vier Stunden lang ohne richterlichen Beschluß die Räumlichkeiten und verschwinden wieder, ohne ein Durchsuchungsprotokoll zu hinterlassen. Begründet wird diese Polizei-Aktion von einem der Beamten, der meint, daß nach dem neuen Polizeigesetz "verrufene und verruchte Orte" auch ohne richterlichen Beschluß durchsucht werden dürfen. Der Einsatzleiter war für Mouctar Bah nicht erreichbar – er saß in seiner Dienststelle. Federführend bei der Aktion war der Staatsanwalt Christian Preissner, der im Fall Oury Jalloh die Anklage erhoben hat und nur in Richtung Selbsttötung ermitteln ließ. Die Polizei läßt verlauten, daß die Durchsuchung des Ladens im Rahmen einer Aktion wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz stattgefunden habe.

    Drei Tage zuvor war Mouctar Bah von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille für sein couragiertes Handeln verliehen worden.

    Im Februar 2010 entschuldigt sich der Präsident der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost für die Razzia im Tele-Café, die er mittlerweile als rechtswidrig bezeichnet.

    Am 8. Oktober 10 werden zwei schwarze Aktivisten der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh unmittelbar nach einer Informationsveranstaltung in Magdeburg von der Polizei "kontrolliert". Das Auto, das sie zum Bahnhof bringt, wird gestoppt, und sie werden durch die Taschenlampen der Beamten ausgeleuchtet und in barschem Ton aufgefordert, sich auszuweisen. Die weiße Fahrerin des Wagens, die auch Mitglied in der Initiative ist, bleibt völlig unbehelligt. Im Hinblick auf den Oury-Jalloh-Prozeß äußern die beiden Beamten, daß ihre "beiden Kollegen" sowieso nie verurteilt würden. Als nach ihren Dienstnummern gefragt wird, lügen sie, indem sie behaupten, daß Beamte in der Bundesrepublik gar keine Dienstnummern hätten.

    Am 12. Januar 11 beginnt das Verfahren auf Weisung des Bundesgerichtshofes vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Magdeburg. 21 Verhandlungstage sind geplant.

    Während einer Demonstration von ca. 80 Personen im Anschluß an die Gerichtsverhandlung am 19. Mai 11 wird der Aktivist der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Komi E., von der Beifahrerin eines vorbeifahrenden Autos bespuckt. Gegen Ende der Demonstration wird eine Anzeige gegen die Täterin erstattet. (siehe auch 30. November 04)

    Am 11. August 11 kommt es im Gerichtssaal zu einer Festnahme von drei Prozeßbeobachtern – unter ihnen auch Mouctar Bah. Nach der Abspielung einer Videoaufnahme, auf der mit Mühen und Nachhelfen die "Selbstmordthese" nachgestellt wurde, haben die Drei spontane Unmutsbekundungen geäußert, so daß die Richterin umgehend und unter Polizeiverstärkung deren Personalien feststellen lassen will. Als diese sich weigern, werden sie mit Gewalt in Handschellen gelegt – Mouctar Bah von sechs bis acht Beamten zu Boden gedrückt – und festgenommen. Herr Bah erleidet durch das Gewicht der auf ihm knieenden Beamten eine schwere Prellung am Oberschenkel.

    Am Vorabend der Gedenk-Demonstration zum 7. Todestag Oury Jallohs erscheinen Polizeibeamte bei dem Anmelder der Demonstration, Mouctar Bah, und weisen ihn darauf hin, daß der Ausspruch "Oury Jalloh – Das war Mord" auf Transparenten nicht zugelassen sei. Unter diesem Vorwand werden am nächsten Tag ankommende DemonstrantInnen bereits am Bahnhof von den in Kampfmontur auftretenden Staatsdienern schikaniert, geschubst und geschlagen. Auch während der Demonstration, an der 250 Demonstrierende 200 Polizisten gegenüberstehen, versuchen die Beamten immer wieder mit Gewalt, Transparente mit angeblich verbotenen Parolen zu beschlagnahmen. Vor allem Sprecher der schwarzen Community sind Ziele der Gewaltattacken.

    Nach der Abschlußkundgebung am Dessauer Bahnhof versucht die Polizei erneut, Transparente zu beschlagnahmen, und geht dabei mit brutalen Methoden gegen die DemonstrationsteilnehmerInnen vor.

    Durch den beabsichtigten Kopfstoß eines behelmten Beamten und eine Pfefferspray-Attacke direkt ins Gesicht bricht Mouctar Bah bewußtlos zusammen. Auch Komi Edzo, ein Aktivist der Initiative zum Gedenken an Oury-Jalloh, wird durch das Reizgas in akute Atemnot versetzt und bewußtlos. Beide kommen mit Notarztwagen ins Krankenhaus. Insgesamt werden ca. 30 Verletzte gezählt – unter ihnen auch ein Arzt und ein Fotograf.

    Im Januar 2012 – nach über 40 Gerichtstagen – wird deutlich, daß auch diese Kammer die "Selbstentzündungshypothese" einseitig verfolgt, obwohl inzwischen nicht wenige Zeugenaussagen als Lügen nachgewiesen wurden, obwohl nachgewiesen ist, daß entscheidende Beweismittel vernichtet wurden, obwohl wichtige Dokumente, die die Staatsanwaltschaft hätte sichern müssen, unwiederbringlich verschwanden. So z.B. Protokolle der Vernehmung von Polizeibeamten des Dessauer Reviers, das Fahrtenbuch der Beamten, die Oury Jalloh festnahmen, Dienstbuch- und Journaleinträge, Video-Dokumentationen des toten Oury Jalloh und anderes.

    So öffnete der Hausmeister des Reviers widerrechtlich die von der Spurensicherung versiegelte Zelle Nr. 5, löste die Fessel, an der Oury Jalloh mit der rechten Hand fixiert war, mit einem Bolzenschneider von der Wand und entsorgte sie. Dabei handelte er auf Anweisung seines Vorgesetzten – dieser wurde aber zu diesem Vorgang nicht mehr vernommen.

    So ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß die ursprünglich luftdicht verschlossenen Aluminiumtüten mit Ascheresten wieder geöffnet wurden, so daß Reste eines möglichen Brandbeschleunigers nicht mehr zu finden sind.

    BelastungszeugInnen wurden ausgegrenzt, gemobbt, dienstlich versetzt oder öffentlich als unglaubwürdig erklärt. Es ist auch bekannt, daß Oberregierungsrat Georg Findeisen Polizeiangehörige vor Zeugenvernehmungen auf Versammlungen und bei Einzelberatungen auf ihre Aufgabe "vorbereitete".

    Als die Richterin Claudia Methling im März 2012 versucht, den Prozeß mit der Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflagen vorfristig zu beenden, stellt die Nebenklage wegen Untätigkeit und mangelnden Aufklärungswillens einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer. Dieser wird zwar abgelehnt, jedoch ein neues Brandschutz-Gutachten in Auftrag gegeben.

    Das Feuerzeug, mit dem sich Oury Jalloh angeblich selbst angezündet haben soll, wird auf DNA- und Textilspuren untersucht. Die Sachverständige Jana Schmechtig vom Landeskriminalamt (LKA) findet Spuren von Polyesterfasern, die weder mit der Kleidung von Oury Jalloh, noch mit denen der Matratze übereinstimmen. Zum wiederholten Male wird die Selbstmordthese selbst innerhalb des Gerichts in Frage gestellt.

    Zu diesem Zeitpunkt ist die Mutter von Oury Jalloh, Mariama Djombo Dialla, im Prozess anwesend. Besonders bemerkenswert ist der Auftritt der ehemaligen  Polizeipräsidentin der Dessauer Polizeidirektion Ost, Brigitte Scherber-Schmidt, als Zeugin der Nebenklage, die sich nicht erinnern kann oder sich nicht verantwortlich fühlt. Sie bestreitet auch ihre Verantwortung unter anderem für einen internen Brief an alle MitarbeiterInnen der Polizeistation kurz nach den Ereignissen am 7. Januar, der den chronologischen Ablauf des Tages als Selbstmord darstellte. Dieser Bericht war vor Veröffentlichung an ihre Faxadresse gesendet und abgezeichnet worden.

    Am letzten Prozeßtag, an dem Mariama Djombo Dialla teilnimmt, gibt sie eine Erklärung ab. In dieser vergleicht sie den Prozeß mit den bunten Perlen, die seinerzeit die weißen Kolonialisten den afrikanischen Menschen schenkten, um sie und ihr Land für ihre Interessen zu kaufen. Die Weißen hätten ihr Land genommen, den Krieg gebracht und jetzt ihren Sohn getötet. Sie aber möchte nicht Rache, sondern nicht mehr als die Wahrheit. Nur wenige Tage nach ihrer Rückkehr nach Guinea stirbt Mariama Djombo Dialla am 23. Juli 2013 an Herzversagen.

    Am 13. Dezember 2012 – nach 66 Verhandlungstagen und fast 2 Jahren Prozeßdauer – wird der damalige Dienstgruppenleiter Andreas Schubert vom Landgericht Magdeburg wegen fahrlässiger Tötung zu 120 Tagessätzen à 90 Euro verurteilt. Beide Seiten legen Revision ein.

    Damit sind die tatsächlichen Umstände des Todes von Oury Jalloh weiterhin nicht aufgeklärt.

    Am 10. Dezember 13 soll der Prozeß gegen Mouctar Bah wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte stattfinden. Es geht um die Beamten, die ihn auf der Demonstration vom 7. Januar 12 bewußtlos und krankenhausreif geschlagen hatten. Nach seinem Einspruch gegen den Strafbefehl über die Summe von 50 Tagessätzen sollte das Verfahren vor Gericht verhandelt werden. Das Amtsgericht Dessau vertagt auf unbestimmte Zeit, weil die von der Staatsanwaltschaft eingereichten Unterlagen völlig unzureichend sind, denn sie enthalten ausschließlich belastendes Material – obwohl ermittelnde Behörden natürlich selbstverständlich auch entlastende Belege einreichen müssen (z.B. Videoaufnahmen).

    Aufgrund eigenständiger Recherchearbeiten der Initiative ergeben sich schon im Frühjahr 2013 ganz konkrete Hinweise auf einen der Tatbeteiligten. Diese Informationen werden an eine Journalistin weitergegeben, die sich nach Rücksprache mit ihrem Anwalt im April 2013 dazu entscheidet, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einzuschalten. Doch die Bundesanwälte erklären sich abermals für nicht zuständig und übermittelten die neuen Anhaltspunkte an den Generalstaatsanwalt von Sachsen–Anhalt. Dieser wiederum informiert am 24. Oktober 2013 die Dessauer Staatsanwaltschaft und betraut sie mit weiteren Ermittlungsschritten. Was dann folgt ist mehr als fragwürdig: Nicht der mögliche Täter wird Ziel der staatsanwaltlichen Ermittlungen, sondern die Person, die auf den Täter zeigte. Der zuständige Oberstaatsanwalt Christian Preissner veranlaßt am 5. Dezember 2013 sogar eine Hausdurchsuchung bei dem Hinweisgeber und beschlagnahmt sämtliche Datenträger. Hingegen wird der Tatverdächtige selbst nicht einmal befragt. Ähnlich ergeht es einem Justizvollzugsbeamten aus Dessau, der sich Ende 2013 an die Anwälte der Familie von Oury Jalloh gewandt hat. Er sagt ihnen, daß in der Dessauer Polizei alle wissen würden, wer zu den Mördern von Oury Jalloh gehöre. Nachdem er sein Wissen auch den Dessauer Behörden mitgeteilt hat, wird er sofort vom Dienst suspendiert, ein Disziplinarverfahren wird gegen ihn eingeleitet, und letztlich wird er als alkoholkrank diffamiert.

    Da die Gerichte die bisherigen Brandgutachten immer sehr eng formuliert vorgegeben hatten (Fragestellung in etwa: "Wie war es möglich, daß Oury Jalloh sich selbst anzünden konnte?"), beschießt die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" ein umfassenderes und unabhängiges Brandgutachten erstellen zu lassen. Durch Spenden finanziert wird schließlich der Brandsachverständige und Thermophysiker Maksim Smirnou aus Waterford (Irland) beauftragt, Brandversuche nicht nur zur Brandentstehung, sondern vor allem auch zum Brandverlauf durchzuführen und die Ergebnisse mit dem Brandbild in der Dessauer Zelle zu vergleichen.

    Ein Polizeivideo, das kurz nach dem Feuer aufgenommen wurde, zeigt den Leichnam von Oury Jalloh auf dem Rücken liegend bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die weißen Kacheln der Zelle sind durch schwarzen Ruß dunkel gefärbt – eine Kachel ist geborsten.

    Die Fragestellung ist also: Was muß geschehen sein, damit ein menschlicher Körper und eine feuerfeste Matratze nach einem Feuer so aussehen wie auf dem dokumentierten Brandbild der Zelle 5 vom 7. Januar 2005?

    In einem Nachbau der Dessauer Zelle werden Schweinekadaver, die mit T-Shirts und Jeans bekleidet sind, auf einer Matratze mit feuerfester PVC-Hülle positioniert. Dann führt der Sachverständige Smirnou die unterschiedlichen Brandversuche durch.

    Der Thermophysiker kommt zu dem Ergebnis, daß ausschließlich unter der Verwendung von mindestens fünf Litern Benzin (Kanister?) und der großflächigen Entfernung der feuerfesten Matratzenoberseite eine derartig explosive Feuerentwicklung entstehen kann, die zu den schweren Verbrennungszeichen am Opfer und im Raum geführt hat.

    Diese Tatsache und die sonstigen massenhaften Manipulationen an den Beweismitteln, die gravierenden Ermittlungsfehler und Unterlassungen und die vielen Widersprüche bei den Aussagen der BeamtInnen veranlassen einige Einzelpersonen der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" und einige Einzelpersonen dazu, am 12. November eine Strafanzeige wegen Totschlags oder Mordes gegen unbekannte Polizeibeamte im Todesfall Oury Jalloh beim Generalbundesanwalt Harald Range zu stellen.

    In der Begründung heißt es unter anderem: "Wir wenden uns ..... an Sie, weil es sich im vorliegenden Fall um eine besonders schwere Straftat mit Bezug zur inneren Sicherheit und Verfaßtheit der Bundesrepublik Deutschland handelt, da die zu ermittelnden Täter notwendigerweise exekutive Amtsträger des Bundeslandes Sachsen-Anhalt sein müssen."

    Am 11. Februar 14 weist der Generalbundesanwalt die Anzeige wegen Nicht-Zuständigkeit an die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau zurück. Strafverfolgung sei Sache der Bundesländer – Ausnahmen bestünden nur, wenn die Tat den Bestand und die Sicherheit des Staates beeinträchtige.

    Am 29. April 14 muß sich Mbolo Yufanyi vor dem Dessauer Amtsgericht wegen angeblicher Körperverletzung gegen Polizeibeamte während der Demonstration am 7. Januar 12 verantworten. Er ist Mitglied von The Voice Refugee Forum of Germany und wurde auf der Demonstration selbst Opfer der Polizeigewalt. Der Staatsanwalt Blasczyk erklärt am ersten Prozeßtag, daß er das Verfahren auf keinen Fall einstellen wolle und kommentiert dieses Vorgehen mit den zynischen Worten: "Nicht, daß es hinterher heißt, wir hätten nicht alles für die Aufklärung getan."

    Im April 2014 teilt die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau mit, daß sich aufgrund des von der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh in Auftrag gegebenen Gutachtens weiterer "Klärungsbedarf" ergibt und beginnt ein gesondertes Tötungsermittlungsverfahren in Verbindung mit der Ursachenforschung zum Ausbruch des Feuers. Der Aufklärungsbedarf der Behörde umfaßt jetzt die Überprüfung der bereits vorliegenden Gutachten durch jene Sachverständigen, die diese Gutachten im Rahmen des Prozesses gegen Andreas Schubert selbst erstellt hatten. Sie sollen aber auch, diesmal unabhängig von der Selbsttötungsthese, Vorschläge für entsprechende Brandversuche machen, die in den Gerichtsverfahren von den NebenklagevertreterInnen zwar mehrfach beantragt, damals aber kategorisch abgelehnt worden waren.

    Am 19. August 14 bestätigt eine weitere Untersuchung des Feuerzeugs durch das LKA Baden-Württemberg, daß sich daran Fasern befinden, die nicht mit der Kleidung des Gestorbenen oder mit der Matratze übereinstimmen, daß also das Feuerzeug offensichtlich nie in der Nähe von Oury Jalloh lag. Zudem werden zwei Tierhaare an dem Plastikrest identifiziert.

    Am 5. September 14 lehnt der Bundesgerichtshof die Revisionsanträge im Prozeß gegen Andreas Schubert ab.

    Die Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh hatte nach der Oury-Jalloh-Gedenk-Demonstration 2012 eine Reihe von Anzeigen gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt, gegen den verantwortlichen Polizeipräsidenten Kurt Schnieder und den Justitiar der Polizei Georg Findeisen gestellt. Alle Anzeigen von seiten der Initiative werden von Staatsanwalt Blasczyk eingestellt, die Ermittlungen gegen die Demonstranten allerdings führen zur Anklageerhebung.

    So findet ab 27. November 14 ein weiterer Prozeß gegen zwei Mitglieder der Initiative vor dem Amtsgericht Dessau statt. Sowohl außerhalb als auch im Gerichtsgebäude sind die ca. 30 ProzeßbeobachterInnen unter ständiger Beobachtung und Überwachung durch die Polizei. Sie müssen durch ein Spalier von Uniformierten, um in den Saal 224 zu gelangen. Im Saal befinden sich auch zwei Personen vom Dessauer Staatsschutz, die mit dem Wissen des Richters heimlich Fotos von den Angeklagten und BeobachterInnen machen und die beide unter ihrer Zivilkleidung Pistolen tragen. Proteste gegen die Anwesenheit dieser Personen werden vom Richter mit der Androhung hoher Geld- bzw. Haftstrafen zum Verstummen gebracht.

Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh;

Antirassistische Initiative Berlin;

Staatsanwaltschaft Dessau; VM 20.2.06; BeZ 31.3.06;

MDZ 5.6.06; VM 19.7.06; MDZ 28.7.06; VM 29.7.06; VM 31.7.06;

VM 8.9.06; AP 10.11.06; VM 20.11.06; VM 3.1.07;

taz 3.1.07; LVZ 3.1.07; pr-inside.de 1.2.07; mdr.de 5.2.07;

jW 28.3.07; TS 29.7.07; WDR 28.8.07;

ap 31.10.07; ap 16.4.08; BM 29.5.08;

Spiegel 8.12.08; SZ 8.12.08; jW 10.12.08;

ddp 11.12.08; VM 13.12.08; MDZ 13.12.08;

ND 2.1.09; jW 8.1.09; jW 5.3.09;

jW 8.7.09; mdr 17.7.09; taz 19.7.09; ND 24.7.09;

MDZ 10.11.09; ddp 16.12.09; FR 17.12.09;

ndr 7.1.10; dw 7.1.10; Pro Asyl 7.1.10;

 VM 11.1.10; WSWS.org.de 14.1.10; jW 25.1.10;MDZ 16.2.10;

Pro Asyl März 2010; afp 5.10.10;

TS 7.1.11; MDZ 7.1.11; LVZ 11.1.11;

Spiegel 21.1.11; SD 21.1.11;

MDZ 11.2.11; MDZ 4.5.11; taz 4.5.11;

jW 13.8.11; MDZ 25.8.11; BeZ 4.9.11;

Newsletter No.3 Januar 2012; jW 9.1.12; dpa 9.1.12;

MDZ 10.1.12; Umbruch Bildarchiv 11.1.12;

ND 12.1.12; jW 16.1.12; GWR 384 Dez.2013;

jW 7.12.13; MDZ 10.12.13; jW 15.2.14;

StA Dessau-Roßlau 3.4.14; The Voice 22.4.14;

SZ 24.8.14; jW 27.8.14; Kritische Juristinnen 4.9.14;

 jW 15.10.14; jW 24.10.14; jW 25.10.14;

Internationale Liga für Menschenrechte;

Komitee für Grundrechte und Demokratie

 

7. Januar 05

 

Fröndenberg in Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft an der Wernher-von-Braun-Straße im Ortsteil Neimen entsteht um 5 Uhr morgens ein Brand in einem Badezimmer des Erdgeschosses. Die Feuerwehr bringt den Brand rechtzeitig unter Kontrolle, bevor das Feuer auf das gesamte Gebäude übergreifen kann. Eine Bewohnerin erleidet eine Rauchgasvergiftung und muß von Rettungskräften medizinisch behandelt werden. Als Ursache des Feuers wird ein durchgeschmortes Elektrogerät ermittelt.

WAZ 8.1.05

 

8. Januar 05

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In einem Magdeburger Linienbus wird ein 22 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso von zwei deutschen Jugendlichen zunächst rassistisch beleidigt und bedroht. Als der Mann sich zum Busfahrer begeben will, beginnen die Deutschen, ihn zu schlagen und zu treten.

    Als der Bus an der nächsten Haltestelle stoppt, steigen die Täter aus, können aber dann von der Polizei festgenommen werden. Sie sind der Polizei aufgrund von Eigentumsdelikten bekannt – einen "rechtsradikalen Hintergrund" schließt die Polizeisprecherin aus.

    Der angegriffene Afrikaner muß eine Platzwunde am Kopf im Krankenhaus versorgen lassen. Neben starken Kopfschmerzen leidet er in der Folgezeit auch unter Schlafstörungen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

10. Januar 05

 

Bundesland Sachsen. In der JVA Görlitz versuchen die Abschiebegefangenen P. S. und J. S. und R. S. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

10. Januar 05

 

Waren in Mecklenburg-Vorpommern. Ein 32 Jahre alter Flüchtling aus Togo wird auf dem Bahnhof von 14 Jugendlichen angegriffen. Auf dem Weg zum Zug beleidigen ihn Frauen wie Männer mit "Scheißnigger", und als er unbeirrt weitergeht, beginnen mindestens vier Männer, ihn zu schlagen und auf ihn einzutreten. Erst nach dem Eintreffen der Polizei lassen die Täter von ihm ab. Der Togoer bleibt verletzt zurück – er hat Prellungen am ganzen Körper.

    Drei der Täter kommen vor Gericht und werden für den rassistischen Angriff verurteilt.

taz 27.1.05; JWB 3.2.05;

LOBBI

 

14. Januar 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der Abschiebegefangene V. S. versucht sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

18. Januar 05

 

Außenstelle des Zentrums für Psychiatrie Weißenau in Baden-Württemberg. Dem 20 Jahre alten Albaner Fatmir Krasniqi, Flüchtling aus dem Kosovo, werden morgens um 1.00 Uhr in seinem Krankenzimmer Handschellen angelegt, und er wird über Reutlingen (Asyl-Bezirksstelle) nach Frankfurt am Main gebracht. Um 9.45 Uhr hebt die Maschine in Richtung Norwegen ab.

    Mit im Flugzeug ist eine "Sicherheits- und ärztliche Begleitung", sagt Wolfgang Wenzel, Pressesprecher vom Regierungspräsidium in Tübingen. "Alles ist rechtlich korrekt und perfekt gelaufen." Zudem sei Fatmir Krasniqi in "entsprechender Obhut". Was genau das bedeutet, kann er nicht sagen. Drei Tage nach der Rückführung fehlt von ihm immer noch jede Spur. Später erfährt die Familie über Kontakte, die die Psychologen aufbauen, daß Fatmir Krasniqi vorübergehend in einer Flüchtlingsunterkunft in Sanvika lebte, aus der er im Februar spurlos verschwand. Auch ein Jahr später – im Februar 2006 – hat seine Familie kein Lebenszeichen von ihm. Sein Handy ist ausgeschaltet.

    Im Januar 2004 war Fatmir Krasniqi in die BRD eingereist und hatte Asyl beantragt. Da allerdings festgestellt wurde, daß er gleiches bereits in Norwegen getan hatte, wurde Ende August 2004 seine "Rückführung" nach Norwegen entschieden.

    Aufgrund des Miterlebens von Massakern gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo leidet Fatmir Krasniqi unter einer schweren post-traumatischen Belastungsstörung. Er ist "wie ein kleines Kind und nicht mehr in der Lage, seine Sachen selber zu ordnen", sagt seine 16-jährige, selbst traumatisierte Schwester. Sie kümmerte sich um ihn, dolmetschte und organisierte seine Behandlung.

    Im Januar 2003 (Niederlande), Juli 2004 und Dezember 2004 hatte Fatmir Krasniqi versucht, sich das Leben zu nehmen. (siehe hierzu Juli 04 und 16. Dezember 04)

SchwZ 21.1.05;

 AK Asyl BaWü 9.3.05;

AK für Asylbewerber Wangen;

Petra Brennenstuhl-Haug – Rechtsanwältin

 

19. Januar 05

 

Leichingen im Bundesland Nordrhein-Westfalen. In den frühen Abendstunden steckt ein 14-jähriger Deutscher einen Kinderwagen im Flüchtlingsheim an. Das Feuer geht auf die Haustür und auf die Starkstromverkabelung an der Decke über, bis es von den BewohnerInnen gelöscht werden kann.

GA Bonn 8.8.06;

RP 16.3.07;

VS-Bericht NRW 2005

 

19. Januar 05

 

Neuruppin in Brandenburg. Die 30 Jahre alte Jubiline G. aus Kamerun steht vor dem Amtsgericht Neuruppin, weil sie im Sommer letzten Jahres bei einem gewaltsamen Abschiebeversuch in ihrer Angst einen der Beamten gebissen hatte. Das Gericht hält die HIV-Infizierte aufgrund einer paranoiden Schizophrenie für schuldunfähig und spricht sie frei.

    Im gleichen Moment schlägt allerdings die Ausländerbehörde Ostprignitz-Ruppin zu. Es erfolgt noch im Gerichtssaal ihre Festnahme, und sie kommt in Abschiebehaft.

MAZ 20.1.05;

BM 20.1.05

 

22. Januar 05

 

Stadtallendorf in Hessen. Als die Polizisten um 7.30 Uhr ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft an der Niederrheinischen Straße betreten, springt ein Mann aus dem Fenster auf den fünf Meter tiefer gelegenen Hof, verletzt sich dabei und wird von einem Wachmann festgehalten.

    Es stellt sich heraus, daß die Beamten eine andere Person zur Abschiebung festnehmen wollten, dieser Mann aber, ein 33 Jahre alter Algerier, durch die Ausländerbehörde Schwalmstedt ebenfalls zur Abschiebung gesucht wird. Nach der richterlichen Vorführung kommt er in stationäre Behandlung in die Universitätsklinik Marburg. Am nächsten Tag erfolgt seine Überführung in die Krankenabteilung der JVA Kassel.

Polizei Mittelhessen 24.1.05;

MNZ 25.1.05

 

22. Januar 05

 

Bundesland Bayern. Der Kurde Dr. Remzi Kartal wird in Würzburg festgenommen und in Auslieferungshaft genommen. Der frühere Abgeordnete der Demokratiepartei (DEP) war 1994 wegen politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen und hatte Anfang 1995 in Belgien Asyl bekommen.

    Die Richter des Oberlandesgerichtes Bamberg werten die von der Türkei vorgelegten Auslieferungsunterlagen als "in einem solchen Maße unzureichend und widersprüchlich", daß sie der Auslieferung nicht zustimmen. Dr. R. Kartal wird am 1. März aus der Haft entlassen.

Anerkannte Flüchtlinge in Auslieferungshaft – AZADI

 

23. Januar 05

 

Schwedt in Brandenburg. Der 25 Jahre alte Peter Lawson, Flüchtling aus Sierra Leone, ein Freund aus Afghanistan und der Nigerianer Joseph O. verlassen gegen vier Uhr morgens die Gaststätte "Appelboom", in der sie die Geburt des Kindes von Joseph O. gefeiert haben. Draußen auf der Straße werden sie von zwei Nazi-Rockern angeschrieen: "Hey, Nigger, hau ab!" und "Hey Nigger, willst du dich schlagen?" Dann schlägt ein Angreifer Joseph O. ins Gesicht. Als Peter Lawson dazwischengeht, erhält er einen heftigen Schlag gegen den Kiefer, so daß er bewußtlos zu Boden geht. Auch jetzt treten die Rassisten noch auf ihn und Joseph O. ein.

Trotz des schweren Angriffs können ihre Prellungen, Schürf-und Platzwunden ambulant behandelt werden.

    Die Täter flüchten zunächst, einer von ihnen kann aber fünf Tage später festgenommen werden. Der 27-Jährige ist der Polizei durch verschiedene Körperverletzungsdelikte bereits bekannt.

    Für Peter Lawson ist dies nicht der erste rassistische Überfall. Er wohnt seit vier Jahren in einer ehemaligen russischen Kaserne im Wald bei Crussow. Nach Angermünde sind es zehn Kilometer durch den Wald. Er wurde schon öfter in Angermünde und in Schwedt von deutschen Rassisten beleidigt, bedroht und verfolgt, so daß er sich nicht mehr traute, allein in die größeren Ortschaften zu gehen.

    Die medizinische Behandlung von Peter Lawson wird nach der ersten Versorgung im Krankenhaus von einem Hausarzt und dann von einem Neurologen fortgesetzt. Monate nach diesem vorerst letzten Überfall leidet er weiter unter anhaltenden Kopfschmerzen und einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Sein Antrag auf Umzug nach Prenzlau wird von der Ausländerbehörde Uckermark abgelehnt.

    Auch im Januar 2006 hat Peter Lawson noch keine psychotherapeutische Behandlung bewilligt bekommen.

e110 24.1.05; BM 25.1.05; MAZ 25.1.05; e110 29.1.05;

BZ 29.1.05; JWB 3.2.05; Schattenberichte April 2005;

taz 25.6.05; jW 5.9.05; Opferperspektive

 

24. Januar 05

 

Höxter in Niedersachsen. In einem Zimmer am Eingangsbereich der Flüchlingsunterkunft, Grüne Mühle 1, entsteht am Abend ein Brand. Aufgrund der dunklen Rauchschwaden, die durch das langgezogene Gebäude ziehen, muß die Feuerwehr mit schwerem Atemschutz in das Haus eindringen. Von den 31 hier gemeldeten BewohnerInnen befinden sich zur Zeit des Brandes 15 im Gebäude. Sie kommen alle unverletzt ins Freie. Der Sachschaden wird auf 70.000 Euro geschätzt.

    Stromleitungen, die zu einem Herd und einem Boiler führten, hatten das Feuer verursacht. Hinweise auf ein menschliches Verschulden werden nicht festgestellt.

NW 26.1.05; Polizei Höxter;

Höxtersche Ztg 13.9.05

 

24. Januar 05

 

Ravensburg in Baden-Württemberg. Morgens um neun Uhr klettert Ümit Ceren, ein abgelehnter Asylbewerber aus der Türkei, in der Schützenstraße auf einen Strommast. Der 26-Jährige hat ein Messer dabei und droht, sich zu töten. Nachdem die Feuerwehr mehrere Sprungpolster ausgelegt hat, kann der Mann von seinem Vorhaben abgebracht werden und klettert wieder herunter. Er wird in die Psychiatrie eingeliefert. (siehe auch: 8. März 05)

SchwZ 9.3.05

 

3. Februar 05

 

Ganderkesee in Niedersachsen. Morgens um drei Uhr erscheint im Ortsteil Heide im Hermann-Allmers-Weg ein großes Aufgebot an Polizei und Ordnungskräften, um die achtköpfige Familie Kadrija zur Abschiebung abzuholen. Dabei bricht die Mutter der sechs Töchter zusammen, so daß sie in ein Krankenhaus eingeliefert werden muß.

    Die Abschiebung der Familie – unter anderem mit den Schülerinnen Liridona (10 Jahre alt) und Skurthe (7 Jahre alt) – erfolgt unverzüglich über den Flughafen Düsseldorf nach Prishtina.

    Frau Kadrija, die vor 13 Jahren in die BRD geflohen war, wird ins Haftkrankenhaus verlegt, von wo aus einige Tage später auch ihre "freiwillige" Ausreise erfolgt.

DKB 5,2,05; DKB 10.2.05, FRat NieSa

 

4. Februar 05

 

Kurz nach Mitternacht klingelt es um 1.30 Uhr an der Wohnungstür der Familie S. in Hamburg-Harburg. "Ein Stoßtrupp der Behörde mit Unterstützung einer Sicherheitsfirma" (so der Anwalt) dringt in die Wohnung ein, um die Familie nach 13-jährigem Aufenthalt in der BRD – davon 12 Jahre lang mit dem Status einer Duldung – nach Lettland abzuschieben.

    In der Küche schneidet sich Frau Julia S. die Pulsadern auf und muß von den Beamten ins Krankenhaus gebracht werden. Ihr Mann Stephan S. wehrt sich heftig, schlägt sich den Kopf blutig und wird von den Beamten vor der Wohnungstür am Boden fixiert. Er kommt in Abschiebehaft.

    Weil die Mutter im Krankenhaus ist, darf der jüngere, noch minderjährige Sohn nicht abgeschoben werden, so daß die Beamten schließlich nur den 18-jährigen Wadim S. in polizeilicher Begleitung nach Frankfurt am Main fahren, von wo aus er um 7.00 Uhr mit einer Lufthansa-Maschine nach Riga ausgeflogen wird.

    Wadim S. ist völlig schockiert und verwirrt und meldet sich in Riga bei der Deutschen Botschaft, deren MitarbeiterInnen ihn zunächst für einen Deutschen halten, der Probleme hat. Als sie seine Geschichte hören, weisen sie ihn hinaus – ein Angestellter gibt ihm die Adresse einer Obdachlosenun-terkunft. Wadim S. versteht die Sprache nicht, ist völlig ver-zweifelt, weint und schreit, so daß die Sozialarbeiterin der Obdachlosenunterkunft eine Ärztin ruft, die ihm Beruhigungsmittel gibt. Erst einer anderen Medizinerin, die mit ihm Englisch spricht, gelingt es etwas, ihn zu beruhigen.

    Wadim hat nur 10 Euro mitnehmen können und fährt am nächsten Tag zum Flughafen, um sein Gepäck zu holen und vor allem, um auf seine Familie zu warten. Erst nach 6-stündigem Warten begreift er, daß er alleine abgeschoben wurde. Von dem Rest der 10 Euro kauft er sich eine Telefonkarte und ruft seine Mutter an.

    Die Eheleute S. waren mit ihren Kindern im Herbst 1992 aus Lettland in die BRD gekommen, wo sie als sowjetische StaatsbürgerInnen gelebt hatten und nach der Unabhängigkeit des Landes als "verhaßte Unterdrücker" immer mehr isoliert und diskriminiert wurden. Ihr Asylantrag war von den deutschen Behörden 1995 endgültig abgewiesen worden.

(siehe auch: 20. Januar 10)

ndr-info 12.3.10;

Die Linke – LV Hamburg 17.4.10;

Spiegel 20.4.10; Spiegel 13.12.11;

Dokumentarfilm "Wadim" 2011

 

6. Februar 05

 

Im Bereich der Bundespolizei Pirna, nahe der sächsisch-tschechischen Grenze, wird eine tote Frau aus Moldawien aufgefunden. Sie starb an Unterkühlung.

    Es stellt sich heraus, daß die Tote, eine 47 Jahre alte Moldawierin, zusammen mit einem Mann und einer Frau die Grenze bereits überwunden hatte und dann auf einem Feld nahe Zittau zurückgelassen wurde.

    Die Staatsanwaltschaft Görlitz erhebt Anklage gegen die beiden Überlebenden wegen Mord durch Unterlassen. Während die angeklagte Frau untertaucht, erscheint der Moldawier Maxim L. zum Prozeß. Er wird schließlich wegen illegaler Einreise und unerlaubten Aufenthaltes in der BRD zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

BT-Drucksache 16/3768;
SäZ 16.5.07

 

8. Februar 05

 

Nach einer Woche Abschiebehaft in Berlin-Köpenick wird die 35 Jahre alte Romni Hanusa Vasić ohne ihre vier Kinder nach Sarajewo abgeschoben. Die Kinder der Alleinerziehenden, Dusko (7), Angelina (10), Milan (12) und Dajana (14), bleiben allein in Berlin zurück und werden von ihrem Großvater betreut und versorgt.

    Damit hat die Ausländerbehörde weder auf die Familiensituation noch auf die Gesundheit von Hanusa Vasić Rücksicht genommen. Frau Vasić leidet an Schizophrenie , war deshalb schon mehrmals stationär in Behandlung und ist permanent auf Medikamente angewiesen. Medikamente, die sie in Sarajewo nicht kostenlos erhalten kann.

    Auf die Vorhaltungen des Anwalts Hartmut Beseler und des Flüchtlingsrates Berlin, daß eine Trennung der Familie gegen das Grundgesetz und die Menschenrechtskonvention verstoße und daß eine alleinerziehende Mutter nicht inhaftiert werden dürfe, antwortet eine Sprecherin des Innensenators:

"Alleinerziehende dürfen nicht inhaftiert werden, wenn die Kinder mindestens sieben Jahre alt sind."

    Hanusa Vasić lebte – mit einer zweijährigen Unterbrechung – seit 1991 in Berlin. Zwei der Kinder wurden in Deutschland geboren. Die Heirat mit ihrem deutschen Verlobten scheiterte, weil die Ausländerbehörde eine "Scheinpartnerschaft" unterstellte.

    Nach der Abschiebung erreicht ihren Schwiegervater und ihre Kinder ein Fax aus Sarajewo, daß Hanusa Vasić in Bosnien-Herzegowina angekommen ist. Dies ist das letzte Lebenszeichen von ihr – auch eineinhalb Jahre nach der Abschiebung ist es ihrer Familie in Deutschland nicht gelungen, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Sie ist verschwunden. (siehe auch: 18. April 06)

    Im August 2006 bestätigt der Berliner Senator für Inneres das positive Votum der Härtefallkommission, die sich für ein Bleiberecht der vier Kinder ausgesprochen hat.

FRat Berlin 18.2.05;

taz 19.2.05; TS 19.2.05;

JWB 2.3.05;

taz 23.8.06

 

9. Februar 05

 

Abschiebegefängnis JVA Büren in Nordrhein-Westfalen. Der 30 Jahre alte kurdische Gefangene Dogan Güven versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Mitgefangene finden ihn und können Schlimmeres verhindern. Die Schnittverletzungen müssen genäht werden, und Dogan Güven wird in eine Einzelzelle verlegt.

    Dies geschieht einen Tag vor einer angekündigten Zwangsvorführung beim Türkischen Konsulat, wo ihm zur Vorbereitung seiner Abschiebung Paßersatzpapiere ausgestellt werden sollten.

    Dogan Güven, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, befindet sich seit 27. Dezember 2004 in Abschiebehaft und hatte am 1. Januar einen Hungerstreik aus Protest gegen seine geplante Abschiebung begonnen.

    Bei einer Abschiebung drohen dem Kurden wegen seiner journalistischen Tätigkeit insgesamt 15 Jahre Haft. Er hatte sich in der Zeitung "Alintermiz" für ein autonomes kurdisches Gebiet innerhalb der Türkei ausgesprochen. Er war in der Türkei festgenommen und schwer gefoltert worden (Elektroschocks, Schläge, Kreuzigungen).

    Nach seiner Flucht aus der Türkei hatte er bereits im Jahre 1995 einen Asylantrag gestellt, der als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden war.
(siehe auch: 16. März 05)

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren 20.2.05;

NW 22.2.05; WebWecker Bielefeld 23.2.05;

Frat NRW 7.4.05

 

9. Februar 05

 

Paderborn in Nordrhein-Westfalen. Der 34 Jahre alte Mekhman Ramazonov, abgelehnter Asylbewerber aus Aserbaidschan, erscheint mit seinem Bruder Akif in der Ausländerbehörde. Bereits bei seinen Besuchen zuvor hatte er einmal eine Rasierklinge, ein anderes Mal ein Messer dabei und gedroht, sich bei einer Festnahme umzubringen.

    Als er jetzt festgenommen werden soll, zieht Mekhman Ramazonov ein Küchenmesser, hält es sich an die Kehle und droht, sich umzubringen. Dann verläßt der beidseitig beinamputierte Sportler seinen Rollstuhl, entwindet sich den fünf Beamten und zwei Männern des Sicherheitsdienstes, zieht eine Rasierklinge, verschanzt sich im Nebenzimmer und droht immer wieder, sich zu töten. Ein Sondereinsatzkommando, psychologisch geschulte BeamtInnen, Krankenwagen und Feuerwehr treffen ein. Nach zwei Stunden und 15 Minuten gelingt es einer Ärztin des Gesundheitsamtes, den Verzweifelten zur Aufgabe zu bewegen. Er kommt ins Abschiebegefängnis Stöckerbusch bei Büren.

    Mekhman Ramazonov ist ein international bekannter Sportler. Er hatte bei den Paralympics 2000 eine Goldmedaille beim Gewichtheben gewonnen und auch in der BRD mehrere sportliche Auszeichnungen erworben. Sein Anwalt Gerhard Bauer prangert die Anwendung von zweierlei Maß im Sport an, wenn es um die Einbürgerung in der BRD geht. Während nicht-behinderte Profi-Fußball- oder Eishockey-Spieler quasi "über Nacht" eingebürgert werden, ist das beim Behindertensport nicht der Fall.

    Am 16. Februar wird Mekhman Ramazonov aus dem Abschiebegefängnis Büren abgeholt und von Frankfurt aus abgeschoben.

Radio Hochstift 9.2.05; WDR-Nachrichten 9.2.05;

WDR-Nachrichten 10.2.05; NW 10.2.05; WV 10.2.05;

NW 15.2.05; WV 15.2.05; NW 16.2.05; WV 16.2.05;

NW 17.2.05; WV 21.2.05

 

10. Februar 05

 

Landkreis Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Vor dem Flüchtlingsheim von Calbe hält morgens um 2.20 Uhr ein weißer Pkw, aus dem vier maskierte Personen aussteigen. Sie schlagen eine Glasscheibe ein und verschaffen sich so Zugang in das Innere des Gebäudes. Hier nehmen sie einen Feuerlöscher aus der Halterung und versprühen den Inhalt in einem Flur. Dann flüchten sie.

Polizei Magdeburg 10.2.05; taz 11.2.05

 

10. Februar 05

 

Flughafen Frankfurt am Main. Die 24 Jahre alte Iranerin Zahra Kameli aus Goslar soll abgeschoben werden. Sie wehrt sich verzweifelt und kollabiert dann infolge eines Nervenzusammenbruchs. Der Pilot der Lufthansa-Maschine weigert sich daraufhin, Zahra Kameli mitzunehmen.

    Zahra Kameli, die laut Gutachten suizidgefährdet ist, kommt in ein Krankenhaus und muß dort – haft- und transportunfähig – vorerst einige Wochen behandelt werden.

    Am 8. Februar hat das Landgericht Braunschweig den Haftbefehl der in Abschiebehaft sitzenden Frau wegen eines Formfehlers aufgehoben – unmittelbar danach wurde vom Landkreis Goslar jedoch ein neuer Haftantrag gestellt, so daß Frau Kameli gar nicht erst das Abschiebegefängnis Hannover-Langenhagen verlassen kann.

    Zahra Kameli, die als 16-Jährige zwangsverheiratet worden war, hatte sich in Niedersachsen von ihrem Mann getrennt und einen neuen Partner gefunden. Weil ihr Freund christlichen Glaubens ist, konvertierte auch sie zum Christentum. Aufgrund dieser Tatsache und aufgrund des Ehebruchs droht ihr im Iran der Tod durch Steinigung. Zudem

droht ihr die Verfolgung und die Gewalt ihres Noch-Ehemannes, der im Mai 2004 mit der gemeinsamen Tochter in den Iran zurückgekehrt war.

    Auf dem Flughafen-Terminal demonstrieren während der geplanten Abschiebung über 200 Menschen unter dem Motto "Abschiebemaschinerie stoppen!" Fluggäste und Crew werden über das Schicksal der Iranerin informiert und aufgefordert, die Abschiebung nicht zuzulassen.

    Nach dem Abbruch der Abschiebung jagen Bereitschaftspolizisten Menschen durch den Flughafen, schlagen, treten und fesseln Protestierende. Sie kesseln über 60 DemonstrantInnen ein, die über Nacht in Gewahrsam genommen werden. Die Gefangenen werden erkennungsdienstlich behandelt und gezwungen – obwohl sie höchstens gegen Hausrecht ver

stoßen haben – Speichelproben für DNA-Analysen abzuzugeben. Auch Minderjährige sind festgenommen; einer alleinerziehenden Mutter wird ein Telefonat mit dem Babysitter verweigert.

    Unter den Betroffenen waren viele iranische Menschen im Exil, die zusätzlich mit Ordnungsgeldern wegen des Verstoßes gegen die Residenzpflicht zu rechnen haben.

    Flüchtlinge, Bekannte und FreundInnen von Zahra Kameli aus dem Landkreis Goslar erhalten zwei Wochen später Briefe von der Ausländerbehörde Goslar, in denen ihnen Bußgeld angedroht wird, weil sie sich – ohne behördliche Erlaubnis – zu einer Protestkundgebung gegen die Abschiebung Zahra Kamelis in Braunschweig aufgehalten haben.

    Während Zahra Kameli selbst noch im Frankfurter Krankenhaus liegt und sich nicht von dem neuen Trauma der versuchten Abschiebung erholen kann, entwickelt sich ein Zuständigkeits-Gerangel innerhalb der Landespolitik und auch zwischen dem Bundesinnenminister und seinem niedersächsischen Kollegen.

    Am 23. Februar verabschiedet der Niedersächsische Landtag mit den Stimmen aller Fraktionen eine Empfehlung an den Innenminister, Zahra Kameli ein dauerhaftes Bleiberecht einzuräumen. Damit wird erstmals in Niedersachsen die sogenannte Härtefallregelung nach § 25.4 ZuwG angewandt. Eine zunächst auf drei Monate befristete Aufenthaltsgenehmigung soll dann durch ein dauerhaftes Bleiberecht gefestigt werden.

    Die Entscheidung basiert nicht auf der Anerkennung der frauenspezifischen Verfolgung, sondern auf der aktuellen Erkrankung von Zahra Kameli. Da die CDU/FDP-Mehrheit im Petitionsausschuß der Härtefallregelung nur unter der Bedingung zustimmen wollte, daß für das Land Niedersachsen keine Unterhaltskosten entstehen, hat Zahra Kameli fortan dauerhaft keinen Anspruch auf soziale Rechte.

GoZ 5.2.05; FR 8.2.05; HAZ 10.2.05; BrZ 10.2.05;

HAZ 11.2.05;FNP 12.2.05; HAZ 15.2.05; taz 15.2.05;

AK Asyl Göttingen 16.2.05; taz 16.2.05; AK Asyl Göttingen 18.2.05;

FR 19.2.05; taz 19.2.05; jW 21.2.05; ddp 21.2.05; taz 21.2.05;

taz 23.2.05; ddp23.2.05; AK Asyl Göttingen 24.2.05;

Kehrwieder am Sonntag 8.3.09;

taz 25.2.05; WtzK 1.3.05

 

10. Februar 05

 

Die 24 Jahre alte Gazale Salame aus Niedersachsen wird zusammen mit ihrer 1-jährigen Tochter Schams unter dem Namen Gasali Önder in die Türkei abgeschoben. Gazale Salame, die im dritten Monat schwanger ist, wird damit gewaltsam von ihrem Mann Ahmed Siala und ihren sieben- und 8-jährigen Töchtern Amine und Nura getrennt, die in Deutschland bleiben dürfen. Gazale Salame spricht aus-

schließlich Arabisch und Deutsch, denn sie war als 7-Jährige, also vor 17 Jahren, mit ihrer Familie während des libanesischen Bürgerkrieges in die BRD gekommen.

    Die Familie Salame/Siala gehört der arabischen Minderheit der Mahalmi im Libanon an, die in den 20er Jahren aus der Türkei übergesiedelt waren. Diese Menschen haben in der Regel keine libanesischen Papiere, können also nicht in den Libanon abgeschoben werden. Aufgrund des türkischen Staatsbürgerrechts sind sie jedoch in der Türkei registriert, so daß die deutschen Behörden sich bemühen, für die libanesischen Flüchtlinge türkische Papiere zu beschaffen, um sie dann in die Türkei abzuschieben.

    Nach der Abschiebung wird Gazale Salame von einer arabisch sprechenden Familie aufgenommen. Sie leben unter ärmlichsten Bedingungen im Armenviertel von Izmir. Die Wände sind voller Schimmel, und es gibt nur einen beheizbaren Raum, der aus Kostengründen nur ab und zu gewärmt wird. Eine eigene Matratze in dem Schlafzimmer der Frauen hat sie nicht, und durch die schimmeligen Wände verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Tochter. Sie bekommt Asthma.

    Da Gazale Salame kein Türkisch spricht und zudem als alleinstehende Mutter in einer traditionell streng patriarchalen Gesellschaft leben muß, ist es für sie nicht möglich, ihr Leben selbständig zu organisieren. Sie ist auf die Gastfamilie, die sie sozusagen als "Tochter" aufgenommen hat, absolut angewiesen.

    Als ihr Geld zu Ende geht, kann sie keine Medikamente für die Tochter und für ihre eigene Schilddrüsenerkrankung mehr kaufen. Zudem leidet Gazale Salame sehr unter der Trennung von ihren Kindern und ihrem Mann. Sie hat Schwindelanfälle, chronische Kopfschmerzen, starke Depressionen und Halluzinationen.

    Ende August wird ihr kleiner Sohn geboren. Im September bekommt Frau Salame Besuch von FreundInnen aus Deutschland. Diese finden sie in einer psychisch schlechten Verfassung vor – auch ihre Lebensumstände sind eher schlechter geworden. Sie hat immer noch keine Yesil-Card (Grüne Karte), mit der sie wenigstens medizinische Untersuchungen kostenfrei bekommen würde.

    Am 21. Juli 2006 erklärt das Verwaltungsgericht Hannover die vom Landkreis Hildesheim erhobenen Vorwürfe

gegen die Familie Siala bezüglich der Angabe eines falschen Herkunftslandes für unbegründet. Damit wird auch die geplante Abschiebung des Vaters mit den beiden Kindern gestoppt und vor allem eine Wiedereinreise von Gazale Salame und ihren Kindern möglich.

    Ahmed Siala war 1985 – also vor über 20 Jahren – als 6-Jähriger mit seinen Eltern als Bürgerkriegsflüchting in die BRD eingereist. 1990 hatte er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, die jetzt wieder mit dem Hinweis, es gebe Hinweise auf türkische Vorfahren, aberkannt worden war. Obwohl seine Familie bereits vor 1958, also fast zwanzig Jahre vor seiner Geburt, im Libanon registriert worden war, sollte Ahmed Siala jetzt in die Türkei abgeschoben werden.

    Aufgrund des für die Familie Salame/Siala positiven Urteils weist das niedersächsische Innenministerium den Landkreis Hildesheim an, Rechtsmittel gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einzulegen.

    Im Januar 2007 verneint das Oberverwaltungsgericht Lüneburg das Recht auf Wiedereinreise der vor zwei Jahren abgeschobenen Gazale Salame und ihrer Kinder mit der Begründung, daß ihr Mann und die beiden hier lebenden Kinder keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben.

    Damit wird das Leiden der Abgeschobenen durch politischen Druck wieder einmal verlängert. Eine Rückkehr und damit eine Familienzusammenführung ist weiter unsicher.

    Ein Besuch von Herrn Siala bei seiner Frau und den Kindern in der Türkei ist nicht möglich, weil die BRD ihn nicht wieder einreisen lassen würde. Die Erteilung eines Besuchsvisums für Frau Salame durch die deutsche Botschaft in der Türkei wird vom Landkreis Hildesheim systematisch blokkiert.

    Eine Entscheidung über eine Kürzung der vierjährigen Wiedereinreisesperre, die der Landkreis fällen könnte, wird an das Innenministerium verwiesen und damit verzögert. Die vom Landkreis erhobenen Abschiebekosten in Höhe von 1878,47 Euro werden von UnterstützerInnen gesammelt und an die ZAAB Braunschweig überwiesen. Daraufhin erfolgt eine neuerliche Geldforderung in Höhe von 2485,04 Euro für die Kosten der Begleitung durch zwei Bundespolizisten während der Abschiebung.

    Am 21. Dezember 2007 schreiben der evangelische Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt und das katholische Dekanat Hildesheim eine Petition an den Niedersächsischen Landtag, in der sie um die Rückkehr von Gazale Salame mit ihren Kindern bitten.

    Am 2. Januar 2008 beginnt Andreas Vasterling, Mitglied der Flüchtlingsinitiative "Menschen für Menschen", einen Hungerstreik, wodurch die Situation der Familie noch einmal in die Öffentlichkeit kommt und Forderungen nach der sofortigen Rückkehr von Gazale Salame unterstützt werden. Ende Februar beendet er diese Protestaktion.

    Mit Bescheid vom 30. Juli 2008 hat der Landkreis Hildesheim die Wiedereinreise für Gazale Salame auf vier Jahre bis zum 10. Februar 2009 festgelegt.

    Im Januar 2009 hebt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg auf, das zuvor entschieden hatte, daß Ahmed Siala die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nicht erfülle. Dem Lüneburger Gericht wird die Prüfung auferlegt, ob nicht doch ein Bleiberecht im Hinblick auf humanitäre Gründe in Frage kommen könnte. Einem von der Richterin vorgeschlagenen Vergleich wird von dem Vertreter des Landkreises nicht zugestimmt, so daß sich aufenthaltsrechtliche Entscheidungen weiter verzögern.

    Ein von Gazale Salame gestellter Antrag auf ein Einreisevisum lehnt das Generalkonsulat der BRD in Izmir unter anderem mit folgender Begründung ab: "Die von Ihnen vorgelegten Unterlagen erlauben keine positiven Rückschlüsse auf das Vorhandensein einer gesicherten Existenzgrundlage in der Türkei."

    Auch im Februar 2011 hat sich an der prekären Situation von Gazale Salame, ihrer Tochter Schams und ihrem mittlerweile 5-jährigen Sohn Gazi nichts geändert. Sie lebt in einem Armenviertel am Rande von Izmir, und ihr wird notdürftig durch Spenden aus ihrem Unterstützungskreis geholfen.

    Indem Ahmed Siala auf weitere Rechtsmittel gegen den Entzug seiner Aufenthaltsgenehmigung aus dem Jahre 2001 verzichtet, wird ihm vom Innenministerium die Möglichkeit angezeigt, die Härtefallkommission anzurufen. Dies ist das Ergebnis der Verabredung zwischen dem Rechtsanwalt und dem Ministerium, um im günstigsten Falle die Rückkehr von Gazale Salame und den kleinen Kindern zu erreichen.

    Aber auch im Herbst 2011 hat sich die Situation der Familie nicht geändert, und der Landkreis Hildesheim unterstreicht seine unnachgiebige Haltung in einer Pressemitteilung vom 20. Oktober 11, die gespickt ist mit Halb- und Unwahrheiten.

    Weiterhin organisiert der UnterstützerInnen-Kreis Kundgebungen und Demonstrationen unter dem Thema "Für eine Rückkehr von Gazale Salame".

    Am 7. Dezember 12 spricht sich der Niedersächsische Landtag einstimmig für eine Rückkehr von Gazale Salame und ihrer Kindern aus. Damit haben die Regierungsfraktionen CDU und FDP in der letzten Plenarsitzung vor der Landtagswahl eine Wende in der jetzt acht Jahre währenden Familientrennung eingeleitet. Über die Möglichkeit, daß die älteste Tochter Nura das Bleiberecht für sogenannte gut integrierte Jugendliche erhält, kann dann auch für die Mutter eine Aufenthaltsgenehmigung beantragt werden, sofern sie sich ohne Sozialleistungen finanzieren kann.

    Diesem Plan steht die bittere Erfahrung des Unterstützungskreises und der Betroffenen entgegen, daß auch zwei Monate nach der einstimmig verabschiedeten Landtagsresolution nichts Positives geschehen ist. Stattdessen stagniert der Vorgang durch unterschiedliche Strategien von Innenministerium und Auswärtigem Amt. Während das Innenministerium von der deutschen Botschaft die Ausstellung eines Touristenvisums fordert, weist die Botschaft darauf hin, daß kein vorübergehender Aufenthalt geplant sei und benennt § 22 Aufenthaltsgesetz, nach dem das Ministerium feststellen muß, daß eine Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen erforderlich ist. Diese Feststellung verweigert das Niedersächsische Innenministerium im Februar 2013 weiterhin.

    Am 27. Februar 13 stellt das deutsche Konsulat in Izmir Gazale Salame ein Visum für die Rückkehr in die Bundesrepublik aus. Nach über acht Jahren Familientrennung kann sie am 3. März um 1.35 Uhr auf dem Flughafen Hannover ihre inzwischen 14-jährige Tochter Amina und die 16 Jahre alte Nura in die Arme schließen. Ihr Mann Ahmed trifft seine

9-jährige Tochter Schams, die ihm als 1-Jährige entrissen worden war, seinen sieben Jahre alten Sohn Gazi sieht er zum ersten Mal persönlich.

    Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltsrechts von Ahmed Siala wird am 20. November 13 von der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover negativ entschieden. Damit hat der seit 30 Jahren in der Bundesrepublik lebende Mann weiterhin nur eine Duldung. Er solle sich mal "zusammenreißen", sagt dazu noch die Richterin und meint die "Straffälligkeit" von Herrn Siala. Dabei geht es um drei Vorkommnisse: Während seiner Tätigkeit auf einem kleinen Schlachthof hatte Herr Siala Schafe nicht dem deutschem Recht entsprechend geschlachtet; dann bekam er einen Strafbefehl wegen Bedrohung, weil er im Streit mit einer Lehrerin seiner Tochter laut geworden war und schließlich habe er jüngst gesagt, daß er das Haus und seine Familie "anzünden" werde.

    Seine Frau Gazale Salame ist inzwischen in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.

AK Asyl Göttingen 13.3.05; jW 22.3.05; IPPNW 3.10.05;

HiZ 22.6.06; HiZ 24.6.06; HAZ 18.8.06; FRat NieSa 25.8.06;

FRat NieSa 30.11.06; jW 6.12.06;

Bernd Waldmann-Stocker – Rechtsanwalt;

Landkreis Hildesheim 19.6.07;

Silke Schäfer – Rechtsanwältin 22.6.07;

Menschen für Menschen;

Petition 21.12.07; ND 24.1.08; jW 28.1.08;

 taz 1.2.08; FRat NieSa 18.8.08; FRat NieSa 23.1.09;

jW 26.1.09; taz 28.1.09; HiZ 28.1.09;

ND 10.2.09; FRat NieSa 9.2.10;

HAZ 10.2.11; jW 10.2.11;

Kehrwieder am Sonntag 13.2.11;

Gisela Penteker – Ärztin;

FRat NieSa 8.9.11; FRat NieSa 21.10.11;

SZ 18.6.12; BeZ 11.9.12;

Heft der Flüchtlingsräte 2012;

FRat NieSa 3.12.12; taz 7.12.12;

FRat NieSa 7.2.13; FRat NieSa 27.2.13;

SZ 11.7.13, FRat NieSa 4.3.13; ndr 20.9.13;

FRat NieSa 18.11.13; ndr 20.11.13;

FRat NieSa 23.11.13; TS 24.11.13

 

16. Februar 05

 

Bundesland Sachsen. In einem Chemnitzer Geschäft bezichtigt der Verkäufer einen tschetschenischer Flüchtling des Diebstahls, versperrt ihm den Ausgang und ruft die Polizei. Der Tschetschene, der nach eigenen Angaben leicht angetrunken aber ruhig wartet, spürt plötzlich einen heftigen Schlag im Brustbereich und kommt erst wieder zu sich, als er mit Handschellen auf dem Rücken über den Boden geschleift wird. Er bekommt keine Luft, hat heftige Schmerzen im Brustbereich und Verletzungen im Gesicht. Die Handschellen werden trotzdem nicht abgenommen.

    Auf der Polizeiwache wird ihm eine Blutprobe entnommen und die Beamten, die ihn festnahmen, nehmen ihn wieder mit und drängen ihn 50 bis 100 Meter vom Flüchtlingsheim entfernt aus dem Wagen. Mit größten Schwierigkeiten gelingt es ihm, das Heim zu erreichen.

    Die anwesende Ärztin ruft den Notarztwagen, der den Verletzten ins Krankenhaus bringt. Hier werden Rippenbrüche und ein Hämatom am Brustkorb festgestellt. Aufgrund der Verletzungen muß eine Thorax-Drainage gelegt werden.

    Auf eigenen Wunsch kann der Mann das Krankenhaus erst nach sieben Tagen wieder verlassen. Der Flüchtling, der in Tschetschenien verhaftet und gefoltert wurde, fühlt sich in dem Krankenhaus nicht sicher.

    Die Polizisten begründen später die Fixierung mit Handschellen damit, daß der Mann sich mit Schlägen und Fußtritten gegen seine Durchsuchung zur Wehr gesetzt habe.

 "Täter unbekannt" ai Juli 2010

 

20. Februar 05

 

Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Ein 29 Jahre alter Flüchtling aus Togo steht in der Innenstadt vor einem Geschäft, als er von zwei Deutschen mit "Scheiß Neger!" und anderen rassistischen Sprüchen beleidigt wird. Als sich eine ältere Passantin einmischt und die Deutschen zur Rede stellen will, wird auch sie beleidigt.

    Der Togoer läuft weg, wird jedoch von den Verfolgern eingeholt. Einer der Angreifer tritt ihm mit Stiefeln in den Bauch und gegen ein Knie – der andere schlägt ihm eine volle Cola-Flasche auf den Kopf. Der Verletzte versucht, die Polizei zu rufen, wird jedoch immer wieder geschlagen und getreten. Erst nachdem ihm erneut die Flucht gelingt, kann er die Polizei rufen. Als diese eintrifft, flüchten die Gewalttäter.

    Die zahlreichen Verletzungen des Afrikaners müssen ärztlich behandelt werden. Schwerer als die körperliche Schädigung leidet er jedoch psychisch unter dem Angriff: "Warum hat mir niemand geholfen? Es haben doch so viele gesehen."

LOBBI 25.2.05; JWB 2.3.05

 

22. Februar 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der Abschiebegefangene L. S. aus Aserbaidschan fügt sich Schnittverletzungen am Unterarm zu. Er wird ins Krankenhaus gebracht und anschließend in die Abschiebehaft zurückverlegt. Nachdem er Anfang März einen erneuten Suizidversuch unternimmt, wird er Ende März schließlich in die Psychiatrie verlegt.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

BT DS 16/9142

 

24. Februar 05

 

Zentrum für Soziale Psychiatrie Bergstraße in Heppenheim im Bundesland Hessen. Gegen 7 Uhr fährt ein Polizeiauto bei der Mutter-und-Kind-Station vor. Dort befindet sich eine traumatisierte Serbin mit ihrem knapp 3-jährigen Sohn seit Herbst 2004 in stationärer Behandlung. Eine Polizeibeamtin, ein Polizeibeamter und ein Polizeiarzt zeigen der diensthabenden Krankenschwester einen Beschluß des Amtsgerichts Bensheim mit der Anordnung, Frau A. in Polizeigewahrsam zu nehmen. Sie fordern die Patientin auf, ihre Sachen zu packen und mitzukommen.

    Die schwer kranke und suizidale Frau erklärt auf diese Aufforderung, "wenn sie abgeschoben werden solle, brauche sie ihre Sachen nicht zu packen, wenn nur ihr Kind versorgt würde". Eine Krankenschwester schließt sich mit Frau A. ein, andere teilen den BeamtInnen mit, daß die Patientin schwer krank sei und nicht mitgehen könne; Mitglieder der Arbeitsgruppe Asyl kommen dazu – der Rechtsanwalt stellt einen Eilantrag. Die Auseinandersetzungen ziehen sich über zwei Stunden hin. Schließlich teilt der Polizeibeamte mit, daß die Festnahme nicht mehr durchgeführt wird, weil er für den Transport nach Düsseldorf nicht die Verantwortung übernehmen könne.

    Die Zuständigkeiten sind unklar, und die Ausländerbehörde teilt mit, daß Frau A. nach dem mißglückten Abschiebeversuch in die forensische Klinik nach Kassel gebracht werden solle (Unterbringung von psychisch kranken StraftäterInnen). Deshalb empfehlen die Mitglieder der Arbeitsgruppe Asyl der Kranken ein Kirchenasyl in der Christuskirche in Heppenheim. Am nächsten Tag haben ihr Rechtsanwalt und der Direktor der Klinik dahingehende Zusagen, daß die Patientin mit ihrem Kind in die Psychiatrie zurückgebracht werden kann.

    Nach der Abweisung einer Klage im Asylfolgeverfahren wird ein weiterer Asylfolgeantrag mit umfangreichen medizinischen Gutachten gestellt. Dieser Antrag wird am 25. August 06 abgelehnt, jedoch wird ein Abschiebeschutz für Frau A. ausgesprochen. Damit ist knapp eineinhalb Jahre nach dem gescheiterten Abschiebeversuch ein Aufenthaltsrecht erstritten.

    Danach verbessert sich der Gesundheitszustand von Frau A. langsam. Mehrere Anträge auf Arbeitserlaubnis werden abgelehnt, doch nach einer Bescheinigung des behandelnden Arztes, daß Frau A. eine Arbeitstherapie benötige, erhält sie eine Arbeitserlaubnis. Anfang 2008 hat Frau A. zwei gesicherte Arbeitsplätze und verdient den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind überwiegend selbst. Kriegstraumata und Ängste sind weiterhin latent vorhanden, aber nicht mehr dominierend. Das Kind besucht einen Ganztagskindergarten und kommt dieses Jahr zur Schule.

Gegenwehr Heft 1/2005;

Arbeitsgruppe Asyl der Christuskirchengemeinde Heppenheim

 

25. Februar 05

 

Berliner Bezirk Kreuzberg. Ramazan Kaya raucht morgens um vier Uhr eine Zigarette, verabschiedet sich von seiner im

Bett liegenden Mutter und wirft sich geräuschlos aus dem Fenster. Nach dem Sturz aus dem dritten Stock und dem Aufprall auf dem Asphalt lebt er noch – die Notoperationen im Urban-Krankenhaus können ihn jedoch nicht mehr retten. Ramazan Kaya stirbt mit 26 Jahren.

    Familie Kaya war vor über 14 Jahren aus dem anatolischen Samsun nach Berlin gekommen und lebt jetzt seit über zehn Jahren ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Die aufenthaltsrechtliche Unsicherheit und die immer wieder fehlgeschlagenen Versuche der Kinder, berufliche Ausbildungen behördlicherseits gestattet zu bekommen, haben die Familie erschüttert und traumatisiert. Fast allen Familienmitgliedern bescheinigen mittlerweile ärztliche Atteste verschiedenste psychische Störungen zu haben.

    Ramazan Kaya selbst war zuletzt am 12. Februar wegen akuter schwerer Depressionen im Urban-Krankenhaus behandelt worden.

taz 5.3.05

 

26. Februar 05

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Ein 33 Jahre alter Flüchtling aus Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) wird in einer Straßenbahn von zwei deutschen Männern mit dem "Hitler-Gruß" provoziert, dann rassistisch beleidigt und mit einer leeren Bierflasche und Fußtritten angegriffen. Er erleidet Prellungen am Kopf und Brustkorb, wird durch den Angriff aber vor allem psychisch verletzt.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

3. März 05

 

Offenburg in Baden-Württemberg. Der 41 Jahre alte Celal Mutlutürk, abgelehnter kurdischer Asylbewerber, wird morgens um 4.15 Uhr unter Protest der Ärzte aus der Klinik an der Lindenhöhe (Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik) von vier Polizisten abgeholt und um 11.05 Uhr – in Begleitung eines Arztes – nach Istanbul ausgeflogen.

    Celal Mutlutürk leidet unter einer schweren chronifizierten Posttraumatischen Belastungsstörung, schweren depressiven Episoden und akuter Suizidgefahr. Er ist schwer krank. Von Februar bis Oktober 2004 befand er sich in stationärer Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik – danach wurde die Behandlung ambulant weitergeführt.

    Celal Mutlutürk war als 16-Jähriger verfolgt, festgenommen und gefoltert worden. Ein gegen ihn verhängtes Todesurteil wurde zunächst ausgesetzt, weil er noch keine 18 Jahre alt war. Ihm gelang die Flucht, und 1990 stellte er in der BRD einen Asylantrag. Nachdem dieser abgelehnt worden war, wurde er 1998 in die Türkei abgeschoben. In der Türkei lebte er als Illegaler, bis ihm 2003 erneut die Flucht in die BRD gelang.

    Nach seiner Abschiebung geht es ihm erneut extrem schlecht. Er hat bereits dreimal versucht, sich umzubringen. Er lebt bei seiner Familie, die ihn intensiv beobachtet aus Angst, daß er sich wieder etwas antut.

AK Asyl BaWü 9.3.05;

AK Asyl Ravensburg-Weingarten

 

4. März 05

 

Neuwied in Rheinland-Pfalz. Um 13.04 Uhr geht bei der Polizeiinspektion ein Notruf ein, der Rauchentwicklung in einem Gebäude des Flüchtlingsheim-Komplexes in der Hafenstraße meldet. Durch das schnelle Eingreifen der Feuerwehr kann ein Zimmerbrand im ersten Obergeschoß des Gebäudes 3 frühzeitig unter Kontrolle gebracht werden. Von den 50 BewohnerInnen müssen 20 Personen evakuiert werden. Drei Personen kommen mit leichteren Rauchgasvergiftungen ins Krankenhaus. Ein Mann erleidet eine schwere Rauchgasvergiftung.

Polizei Koblenz 4.3.05

 

5. März 05

 

Brandenburg an der Havel im Bundesland Brandenburg. In der Diskothek "Manhattan" wird ein 20 Jahre alter Flüchtling aus Kamerun von einer Frau und einem Mann rassistisch

beschimpft, ins Gesicht geschlagen und mit einem Glas am linken Auge verletzt.

    Prellungen an der Nasenwurzel und der linken Wange werden ambulant behandelt – wegen eines abgebrochenen oberen Backenzahns muß sich der Kameruner in zahnärztliche Behandlung begeben.

Opferperspektive

 

7. März 05

 

Der 29 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber Jiang Renzheng wird – zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern – aus der Unterkunft bei Würzburg abgeholt und nach China abgeschoben. Jiang ist ein Anhänger der in China verfolgten Falun-Gong-Bewegung, gilt allerdings bei deutschen Behörden und Gerichten als unglaubwürdig.

    Unmittelbar nach der Ankunft besucht ihn die Staatssicherheit, und einen Monat später erfolgt seine Festnahme – er verschwindet in einem Arbeits- und Umerziehungslager. Was Jiang Renzheng dort in Benxi in der nordchinesischen Provinz Liaoning persönlich passiert, ist nicht bekannt. Die Erfahrungen der Falun Gong Human Rights Working Group zeigen, daß Falun-Gong-Anhänger in den Umerziehungslagern Psychoterror und einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Stundenlanges Hocken, Schlafentzug, erzwungene Reueerklärungen, zwangsweise Vorführung von Videofilmen, stundenlanges Einreden durch Gefängnispersonal oder zu diesem Zwecke engagierte Mitgefangene sollen die Menschen brechen.

    Nach der Festnahme ihres Mannes übergibt Frau Jiang die 1- und 2-jährigen Kinder den Großeltern und taucht unter. Aber auch die Großeltern werden von der Staatssicherheit bedroht. Im August befindet sich Jiang Renzheng immer noch in einer Drei-Mann-Zelle in dem Arbeitslager

    Neun Monate nach der Abschiebung wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Zirndorf durch das Urteil des Verwaltungsgerichtes Würzburg vom 26.10.05 verpflichtet, Jiang Renzheng als Asylberechtigten anzuerkennen.

    Damit könnte er mit seiner Familie theoretisch wieder nach Deutschland einreisen. Jiang Renzheng, der inzwischen ohne jegliches Gerichtsverfahren zu drei Jahren Zwangsarbeit in Benxi verurteilt ist, muß aufgrund einer schweren Lebererkrankung frühzeitig aus dem Arbeitslager entlassen werden. Er steht allerdings unter behördlich verordnetem Hausarrest und wird somit an der Ausreise gehindert.

FrT 10.8.05; br 28.11.05; AZM 29.11.05; MDZ 29.11.05;

Marin Scheid – Rechtsanwalt

http://clearharmony.net

 

8. März 05

 

Ravensburg in Baden-Württemberg. Der 26 Jahre alte Ümit Ceren aus der Türkei betritt gegen 13.30 Uhr den Weingartener Hof, in dessen zweitem Obergeschoß sich das Ausländeramt befindet. Die Büros haben geschlossen,und der Mann hat keinen Gesprächstermin.

    Der abgelehnte Asylbewerber setzt sich im Flur auf den Boden, holt aus einer Plastik-Tragetasche einen Kanister heraus und übergießt sich mit Benzin. Als die Polizei eintrifft, hat der Mann in der einen Hand den Benzinkanister, in der anderen ein Feuerzeug und droht, sich in Brand zu setzen.

    Nach langem verbalen Einwirken auf den Mann gibt er um 14.45 Uhr auf und läßt sich ins Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Weißenau bringen. (siehe auch: 24. Januar 05)

    Am 14. April wird der unter starken Psychopharmaka stehende Ümit Ceren morgens um 6.30 Uhr von Angehörigen der "Bezirksstelle für Asyl" in der Klinik aufgesucht, gefesselt und in die Türkei abgeschoben. Ein Brief der behandelnden ÄrztInnen, die vor Retraumatisierung, Eigen- und Fremdgefährdung im Falle einer Abschiebung warnen, wird ignoriert – im Gegenteil, die Behörde äußert öffentlich, daß "Diese abschiebbaren Ausländer .... in enger Abstimmung und Zustimmung des ärztlichen Dienstes des ZfP abgeschoben" werden. Die Abschiebung hätten die Ärzte als "medizinisch verantwortbar" betrachtet, so die Behörde.

SchwZ 9.3.05; SchwZ 10.3.05;

SchwZ 21.5.05;

AK Asyl Ravensburg-Weingarten

 

14. März 05

 

Fürstenwalde in Brandenburg. An einer Telefonzelle in der Jahnstraße wird ein 28 Jahre alter Flüchtling aus Kamerun mittags um 14.40 Uhr von einem Rechtsradikalen rassistisch beleidigt und bedroht, und ihm wird mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen.

Opferperspektive (Internetwache 15.3.05)

 

15. März 05

 

Essen in Nordrhein-Westfalen. Um 0.10 Uhr entdeckt ein 44 Jahre alter Bewohner des Flüchtlingsheimes an der Altendorfer Straße Ecke Wüstenhöferstraße ein Feuer an der Außenfront an einem der zwei Gebäudekomplexe. Es gelingt ihm, mit einem Eimer Wasser das Feuer zu löschen.

    Polizisten finden später Reste eines Molotow-Cocktails und finden auch eine zweite Flasche mit Brandbeschleuniger, an der nur die Lunte verbrannt ist. Der Sachschaden an der Außenwand ist gering, und die 24 BewohnerInnen kommen mit dem Schrecken davon. Der Staatsschutz übernimmt die Ermittlungen, weil von einer "gezielten Aktion gegen das Heim oder dessen Bewohner" ausgegangen wird.

    Täter dieser versuchten Brandstiftung können – trotz Öffentlichkeitsfahndung – nicht ermittelt werden.

Polizei Essen 15.3.05; taz 16.3.05;

JWB 23.3.05; Polizei Essen 23.1.06

 

16. März 05

 

Abschiebegefängnis JVA Büren in Nordrhein-Westfalen. Der 30 Jahre alte kurdische Gefangene Dogan Güven wird nach 75 Tagen Hungerstreik aus der Haft entlassen, weil das Verwaltungsgericht – aufgrund eines noch nicht entschiedenen Asylfolgeantrags – die geplante Abschiebung stoppt. Es gelang Herrn Güven, Beweise dafür vorzulegen, daß er "aufgrund politischer Äußerungen in Zeitschriften (in der Türkei, ARI) mit Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung zu rechnen hat".

    Der durch den langen Hungerstreik gesundheitlich schwer angeschlagene Dogan Güven kommt umgehend in ein Krankenhaus. (siehe auch: 9. Februar 05)

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren 22.3.05;
Frat NRW 7.4.05

 

22. März 05

 

Abschiebelager Bramsche-Hesepe bei Osnabrück in Niedersachsen. Am frühen Morgen brennt es in einem auf dem Gelände befindlichen Bürogebäude (Ausländerbehörde), wodurch ein Sachschaden von 50.000 Euro entsteht. Ein zweiter Brand, der kurze Zeit später in einer Bürohalle des

Bundesverwaltungsamtes entsteht, wird frühzeitig entdeckt und kann schnell gelöscht werden.

    Die Flüchtlinge aus Aserbaidschan, die traditionell zu dieser Zeit jeden Dienstag bis zum Neujahrsfest im Rahmen einer kleinen – auch genehmigten – Feier ein Feuer machen, stehen augenblicklich unter Generalverdacht als potentielle Brandstifter. Die Gruppe der AserbaidschanerInnen wird geschlossen zur Sozialbehörde bestellt, und den Menschen

wird gesagt, daß – wenn sich der oder die Täter melden würden – keine Anzeige erstattet werden würde.

    Die Kripo erscheint und nimmt einen 15-jährigen Flüchtling fest und wenig später auch einen 25-jährigen Aserbaidschaner, die beide nach Aussagen vieler Menschen bei dem Fest anwesend waren und somit die Feuer nicht gelegt haben können. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück erläßt Haftbefehle, und die beiden Flüchtlinge kommen in Untersuchungshaft.

 Bericht des Betroffenen 25.3.05; NOZ 25.3.05

 

22. März 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Auf der Etage 3.1 wird eine Razzia mit einer Hundestaffel durchgeführt. Offenbar besteht der Verdacht, daß sich Drogen auf der Etage befinden. Ein Häftling aus Moldawien beschreibt den Zustand der Zellen nach dem Einsatz als “einen Schweinestall”. Außerdem hätten nach der Durchsuchung 40 Euro, die er in seinem Spind aufbewahrte, gefehlt.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

28. März 05

 

Northeim in Niedersachsen. An diesem Ostermontag bricht in einem Wohnhaus in der Innenstadt ein Feuer aus. 16 Personen, darunter elf Kinder, können wegen der starken Rauchentwicklung das Gebäude nicht mehr rechtzeitig verlassen und müssen von der Feuerwehr über eine Drehleiter und Fluchthauben in Sicherheit gebracht werden. Zwei 31-jährige Frauen kommen mit dem Verdacht auf Rauchvergiftung stationär ins Northeimer Krankenhaus.

    Die Polizei geht von vorsätzlicher Brandstiftung aus, hält andererseits einen ausländerfeindlichen Hintergrund für "eher unwahrscheinlich". In dem Haus sind fünf Staatenlose aus dem Libanon, fünf Armenier und vier Personen türkischer Herkunft gemeldet – dazu zählen elf Kinder von ein bis zehn Jahren.

Polizei Niedersachsen 29.3.05; BrZ 30.3.05

 

31. März 05

 

Mühlhausen in Thüringen. Ein 25 Jahre alter irakischer Flüchtling übergießt sich im Flüchtlingsheim mit Brennspiritus und zündet sich an. Mitbewohner finden um 20 Uhr den brennenden Mann auf seinem Gebetsteppich und versuchen, mit Decken und Feuerlöschern die Flammen zu ersticken. Mit schweren Brandverletzungen wird der Iraker in eine Spezialklinik nach Halle geflogen.

    Dem Iraker war am Tag vor seiner Verzweiflungstat in der Ausländerbehörde mitgeteilt worden, daß ihm aufgrund seines abgelehnten Asylantrages keine Arbeitserlaubnis zustehe. Er hatte dann geäußert, daß er sich selbst und das Flüchtlingsheim in Brand stecken würde.

    Nach einer langwierigen Behandlung seiner schweren Brandverletzungen werden mehrere Anträge von ihm, zu seinen Verwandten nach Stuttgart ziehen zu können abgelehnt. Die Betreuung durch seine Familie wäre auch aus medizinischer Sicht wichtig für ihn gewesen. So müssen die großflächigen Narben seiner Haut mehrmals täglich eingecremt werden, was er alleine nicht bewerkstelligen kann.

TA 2.4.05; TLZ 2.4.05;

Antirassistische Initiative Berlin

 

März 05

 

Eisenhüttenstadt in Brandenburg. An einer Bushaltestelle erscheinen Polizeibeamte und beginnen damit, ausschließlich vier schwarzen Personen zu kontrollieren. Als diese nach dem Grund fragen, weshalb nicht auch die weißen Wartenden kontrolliert würden, bekommen sie zur Antwort: "... weil Ihr illegal ausseht". Die Betroffenen bezeichnen dieses als eine rassistische Maßnahme und fragen nach den Namen der Beamten – bekommen aber keine Antworten.

    Es erscheinen jetzt noch mehr Beamte, es sind schließlich 16 – die Situation eskaliert, als den Flüchtlingen die Busfahrt verweigert wird.

    Zwei Männern werden die Hände gefesselt, ein 32 Jahre alter Kameruner bekommt Pfefferspray in die Augen. Er kann nichts mehr sehen. Als er spürt, daß ein Beamter seinen Mund öffnen will, versucht er instinktiv, diesen zu schließen. Er bekommt einen Schlag mit einem Walkie-Talkie. Er hat große Angst, denn er versteht die ganze Aktion nicht. Alle vier Personen müssen sich ausziehen und werden dann vorläufig mitgenommen. Der Kameruner wird acht Stunden lang festgehalten und in dieser Zeit weder verarztet noch bekommt er Wasser, um die Augen zu spülen.

    Der HIV-positive Mann muß sich später wegen Widerstands gegen Polizeibeamte und gefährliche Körperverletzung vor Gericht verantworten, denn ihm wird vorgeworfen, einen Beamten gebissen zu haben (siehe oben). Am 11. Oktober 07 wird das Verfahren gegen ihn vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt eingestellt. Er erhält die Auflage, 100 Arbeitsstunden zu leisten.

 TS 17.10.10;

FRat Brbg 16.10.07

 

2. April 05

 

Cottbus in Brandenburg. Ein 16 Jahre alter Flüchtling aus Afghanistan wird in einem Nachtbus von vier Männern beschimpft und dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er erleidet eine Prellung des rechten Auges und eine schwere Prellung des Nasenbeines, die ihm auch Wochen nach dem Angriff noch Schmerzen bereitet.

Opferperspektive (ap 4.4.05);

jW 5.4.05; taz 5.4.05

 

4. April 05

 

Der Flüchtling Momodou Barrow aus Gambia tritt eine dreimonatige Haftstrafe in der JVA Rottenburg an. Sein "Vergehen": er hat mehrmals die Residenzpflicht verletzt. Das heißt, er hat mehrmals den ihm zugewiesenen Landkreis ohne Erlaubnis der Ausländerbehörde verlassen – das ist eine Ordnungswidrigkeit, die bei Nicht-Zahlung der Geldstrafen in Haftstrafen umgewandelt wird.

indymedia 6.4.05

 

6. April 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der Abschiebegefangene E. K. versucht sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

12. April 05

 

Ennepetal in Nordrhein-Westfalen. Der 50 Jahre alte iranische Flüchtling Noureddin T. entführt vier Mädchen im Alter von 11 bis 16 Jahren aus einem Bus. Dann verschanzt er sich mit den Geiseln im Keller eines Wohnhauses im Stadtteil Voerde. Bei der Befreiung der Mädchen durch ein Sondereinsatzkommando der Polizei erleiden das 16-jährige Mädchen und der Täter leichte Schnittverletzungen.

    Mit dieser Tat will Noureddin T. auf die Tatsache aufmerksam machen, daß er seit zehn Jahren in der BRD ist und seine Frau und seine Kinder nicht nachkommen dürfen.

    Die Situation der etwa 1000 Flüchtlinge, die in NRW kein Asyl bekommen, sei unerträglich, sagt Mojtaba Sahikibapour vom Verein für politische Flüchtlinge in Münster. Er wolle nicht die Tat des Geiselnehmers rechtfertigen, "aber der Nervenkrieg macht die Menschen kaputt".

    Auch Noureddin T. hat eine psychiatrische Therapie hinter sich. Bei seiner Vernehmung nach der Festnahme weist er immer wieder auf den Streß mit deutschen Behörden und der Bürokratie hin und betont, daß er mit seiner Tat den Behörden zeigen wollte, wie es ist, von seinen Kindern getrennt zu sein.

    Wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung steht Noureddin T. im Dezember 2005 vor dem Landgericht Hagen. Nachdem Gutachter eine verminderte Schuldfähigkeit attestieren, wird der Mann freigesprochen und kommt umgehend in die geschlossene Psychiatrie. Die Aufenthaltsdauer in der Klinik wird jährlich überprüft und entsprechend dem Gesundheitszustand entschieden werden.

taz 13.4.05; taz 14.4.05;

Bocholter-Borkener Volksblatt 19.12.05;

RP 19.12.05; e 110 21.12.05;

FAZ 23.12.05; Pressestelle LG Hagen

 

14. April 05

 

Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Zwei Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien, Vater (46) und Sohn (19), werden beim Einkaufen von einem rechtsradikalen Mann rassistisch beleidigt. Vor dem Supermarkt werden sie dann von vier Männern, unter ihnen erkennen sie den Mann von vorher, angegriffen. Die Täter schlagen auf sie ein und werfen Flaschen auf sie. Als der 19-jährige Flüchtling zu entkommen versucht, schießt der Deutsche zweimal mit einer Schreckschußpistole auf sie.

    Der 19-Jährige wird dabei leicht verletzt. Während die körperlichen Verletzungen ausheilen, bleiben die psychischen Schäden dieses Angriffs, die sich in Schlafstörungen und Ängsten zeigen.

    Die Polizei nimmt die Täter vorläufig fest und ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

15. April 05

 

Winterberg in Nordrhein-Westfalen. In der Nacht wird eine mit Schießpulver und Metallteilen gefüllte Flasche durch die Fensterscheibe der Flüchtlingsunterkunft geworfen. Die Flasche explodiert nicht – niemand wird verletzt.

VS-Bericht NRW 2005

 

16. April 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin – Haus II in der 6. Etage. Ohne Vorankündigung verschließen Wachleute morgens um 9.30 Uhr die Zellen einiger Häftlinge, um eine Ver-legung "reibungslos" durchführen zu können. Der Palästinenser M. Q., Flüchtling aus dem Libanon, erwacht auf seiner Pritsche, fragt, was los sei, und bittet die Beamten, sich das Gesicht waschen zu dürfen. Eine Waschgelegenheit gibt es nur außerhalb der Zelle. Daraufhin öffnet ein Wärter die Tür, zieht Herrn Q. auf den Flur, dreht ihm die Hand auf den Rükken und stößt ihn mit dem Kopf gegen die Zellentür. Dann wird er auf den Boden geworfen und weiter mit Tritten traktiert. Anschließend legen die Beamten ihn in Handschellen, obwohl die verletzte Hand stark schmerzt.

    Im DRK-Krankenhaus Köpenick müssen eine 2 cm lange Wunde am Kopf, die Verletzung der rechten Hand und ein verletzter Fuß medizinisch versorgt werden.

    Am 27. April wird Herr Q. nach sechsmonatiger Gefangenschaft aus der Haft entlassen. Von den sieben Augenzeugen der Mißhandlung sind kurze Zeit später bereits zwei Männer abgeschoben.

Antirassistische Initiative Berlin;

Pfarrer D. Ziebarth

 

17. April 05

 

Hildesheim in Niedersachsen. Die 17-jährige G. Ismaillat vergiftet sich in Selbsttötungsabsicht mit einer großen Menge verschiedenartiger Tabletten. Sie wird ohnmächtig ins Krankenhaus eingeliefert und nach einer Notfallbehandlung erfolgt

die stationäre Behandlung für die nächsten fünf Wochen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Krankenhauses Hildesheim.

    G. Ismaillat und ihre Familie gehören der Ethnie Mahalmi im Libanon an und ihnen droht nach 15 Jahren Deutschland-Aufenthalt seit langem die Abschiebung in die Türkei. Nach einer erneuten Ankündigung der Abschiebung wird G. wegen schwerer Depressionen und Suizidalität am 23. Juni erneut ins Landeskrankenhaus eingeliefert. Die Abschiebung ihrer Mutter und ihrer Geschwister in die Türkei erfolgt am
28. Juni. (siehe dort)

FRat NieSa

 

17. April 05

 

Bundesland Bayern. Der abgelehnte Asylbewerber Alemayehu Lemma Tulu aus Äthiopien tötet sich selbst in seiner Unterkunft, einem Heim bei Uffenheim. Nach zehnjährigem Deutschland-Aufenthalt sind seine Kräfte und Hoffnungen erschöpft, und er hat den Kampf um ein sicheres Leben aufgegeben. Er tötet sich durch Erhängen.

    Er hatte in Moskau studiert und ein Diplom als Eisenbahningenieur, als er wegen zunehmender Fremdenfeindlichkeit Rußland verlassen mußte und aufgrund des Krieges in Äthiopien beschloß, nicht zurück in sein Her

kunftsland, sondern nach Deutschland zu gehen. Da sein Asylantrag von Anfang an abgelehnt worden war (Drittstaaten-Regelung), mußte er mit einer Duldung leben, zunächst in der Zentralen Aufnahmestelle Zirndorf (ZASt), später in einem Heim in Marktbergel bei Neustadt an der Aisch.

    Nach fünf Jahren der Depression bekam Alemayehu Lemma Tulu eine Arbeitserlaubnis, begann eine Arbeit am Schlachthof Uffenheim und zog in eine eigene Wohnung.

    Als ihm dann aber nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes und Änderungen der Zuständigkeit vom Arbeitsamt zur Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis wegen "fehlender Mitwirkung" entzogen wurde, er wieder auf Sozialhilfe angewiesen war, mit 40 Euro Taschengeld auskommen mußte und in ein Sieben-Bett-Zimmer in eine Flüchtlingsunterkunft ziehen mußte, sah er für sich keine Zukunft mehr. Alemayehu Lemma Tulu wurde 36 Jahre alt.

Karawane – Nürnberg

 

17. April 05

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. An einer Straßenbahn-Haltestelle wird ein 22-jähriger Flüchtling aus Eritrea von einem alkoholisierten Deutschen als "Nigger" beleidigt und dann mit einem Faustschlag aufs Auge und Fußtritten angegriffen. Der Flüchtling trägt leichte Verletzungen davon.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

18. April 05

 

Flüchtlingsheim Freienbessingen in Thüringen. Als eine Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo am Abend erfährt, daß sie unmittelbar abgeschoben werden soll, bricht die Mutter der drei Kinder ohnmächtig zusammen. Eine Notärztin leistet erste Hilfe, die Abschiebung wird vorerst gestoppt.

TA 23.4.05

 

21. April 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein kurdischer Gefangener, dem die Abschiebung in die Türkei droht, verletzt sich durch Einschnitte an den Armen und Beinen. Er kommt zur medizinischen Versorgung ins DRK-Krankenhaus Köpenick – danach zurück in die Abschiebehaft.

Antirassistische Initiative Berlin:

Pfarrer D. Ziebarth

 

21. April 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein Gefangener aus dem Libanon verletzt sich durch Schnitte und verschluckt einen Gegenstand.

Antirassistische Initiative Berlin;

Pfarrer D. Ziebarth

 

21. April 05

 

Bundesland Brandenburg. Das Schöffengericht in Fürstenwalde eröffnet die Hauptverhandlung gegen einen Kreisinspektor des Landkreises Oder-Spree. Dem Angeklagten wird schwere Freiheitsberaubung und Vollstreckung gegen Unschuldige vorgeworfen. Aufgrund schriftlicher Manipulation des Beamten in den Akten eines Vietnamesen und mehrmals bei gerichtlichen Anhörungen geäußerten falschen Tatsachenbehauptungen hatte Anfang 2002 ein Amtsrichter die Abschiebehaft gegen den 44-jährigen Betroffenen angeordnet. Der Vietnamese war erst nach siebenwöchiger Haft und aufgrund des Nachweises der Fälschungen wieder entlassen worden.

    Das Gericht wertet die Angaben des Beamten der Ausländerbehörde dahingehend, daß ihm wohl kein Vorsatz bezüglich der (schweren) Freiheitsberaubung nachgewiesen werden

könne. Seine (angebliche) Unbedarftheit und die rechtlich mindestens zweifelhafte Behördenpraxis wirken bezüglich des angeklagten Verbrechens quasi strafbefreiend.

    Als alleiniges strafrechtlich relevantes Delikt sah die Staatsanwaltschaft letztlich nur noch die stattgefundene "Spontanfestnahme" (ohne vorherige richterliche Anordnung) des Vietnamesen, die die Freiheitsberaubung eingeleitet hatte. Da dies aber "übliche Behördenpraxis" war, wäre es unangemessen, den Beamten zu bestrafen. Das Verfahren wurde wegen geringer Schuld des Angeklagten und fehlenden öffentlichen Interesses eingestellt.

Anja Lederer – Rechtsanwältin

 

26. April 05

 

Als die 34 Jahre alte Libanesin Sawsan B. in der Berliner Ausländerbehörde vorspricht, wird sie umgehend festgenommen und ins Abschiebegefängnis gebracht. Die drei Kinder der Alleinerziehenden im Alter von drei, fünf und sieben Jahren werden sofort von ihr getrennt und zum Kindernotdienst gebracht. Erst nach achttägiger Trennung sehen sich die Mutter und ihre total verunsicherten und verstörten Kinder wieder.

    Frau B. ist auf der Flucht vor ihrem geschiedenen Mann, der gewalttätig ist, ihr die Kinder wegnehmen und von seiner Familie erziehen lassen will.

    Auch drei Wochen später befindet sie sich noch im Abschiebegefängnis Köpenick, obwohl laut Weisungslage in Berlin Alleinerziehende mit Rücksicht auf das Kindeswohl in der Regel nicht inhaftiert werden sollen.

    Die Kinder von Frau B. leiden sehr unter der Trennung. Der 5-jährige Ali läuft orientierungslos in der Einrichtung herum, und seine Stimmung ist sehr gedrückt, so der Kindernotdienst. Aber auch als der an Asthma leidende Junge Mitte Mai erheblich erkrankt und unter anderem aufgrund sehr hohen Fiebers in die Notaufnahme des St.-Joseph-Krankenhauses gebracht werden muß, entscheiden Amtsgericht und Ausländerbehörde gegen eine Haftentlassung der Mutter.

    Nach sechs Wochen Abschiebehaft wird Sawsan B. mit ihren Kindern – im Rahmen der Schengenregelung – nach London abgeschoben.

FRat Berlin 13.5.05;

BM 14.5.5; taz 15.5.05;

taz 25.5.05; BM 27.5.05;

Christoph van Planta – Rechtsanwalt

 

26. April 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der Übergriff von den Bewachern auf einen Mitgefangenen (16. April) und die alltäglichen Demütigungen – gepaart mit der Rechtlosigkeit der Gefangenen und der Unsicherheit über die Dauer der Inhaftierung – waren der Anlaß, am 18. April einen Hungerstreik zu beginnen. Zur Zeit streiken 16 Männer – vor allem arabische und kurdische Gefangene. Auf der Etage 3/1 wird von 20.00 Uhr bis 22.30 Uhr ein Exempel statuiert. Ein Trupp von 15 Bewachern erscheint und fordert die 35 Gefangenen auf, die Zellen zu verlassen und in den Aufenthaltsort oder in die Küche zu gehen, wo die Männer eingeschlossen werden. Während die nicht am Hungerstreik Beteiligten und nicht arabisch sprechenden Männer kurz durchgetastet werden, müssen sich alle arabisch sprechenden und die hungerstreikenden Männer nackt ausziehen und werden untersucht – auch und speziell die Körperöffnungen – mit der Begründung, es werde nach Gegenständen gesucht, mit denen Selbstverlet-zungen durchgeführt werden könnten. Vor allem die Tatsache, daß auch ein 57-Jähriger nicht verschont wird, empört die Gefangenen besonders ("Keine Ehrfurcht vor niemand", "Was ist das für ein Land").

    Als die Männer dann einzeln in die Zellen zurückkommen, finden sie diese total verwüstet vor. Bettbezüge sind abgezogen und auf den Boden geworfen, private Bilder von den Wänden gerissen, persönliche Gegenstände auf den Boden geworfen – auf Lebensmittel wurde Duschgel ausgegossen.

    Ein Gefangener ruft über sein Handy die Nummer 110 – woraufhin die externen Polizisten auch tatsächlich erscheinen und den Tatbestand protokollieren.

    Ein anderer Gefangener nimmt eine Rasierklinge in den Mund und sagt zu den Bewachern, daß er sie schlucken würde, wenn sie nicht gehen würden. Mitgefangenen gelingt es dann, ihn zu überreden, die Klinge herauszugeben. Die Bedingung, daß er anschließend nicht geschlagen werde, sicherte ihm der anwesende Leiter des Abschiebegefängnisses zu. Trotzdem schleppten sie ihn in den Keller, schubsten ihn heftig hin und her – wohl in der Absicht, ihn zu provozieren. Ein Mitgefangener, dem es gelingt mitzugehen, erlebt ähnliches.

    Nachdem der Mitgefangene in den Zellentrakt zurückgebracht wird, bleibt der psychisch schwer Angeschlagene in einer Einzelzelle im Keller. Hinter offener Zellentür – von drei Beamten bewacht.

Antirassistische Initiative Berlin

 

26. April 05

 

Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern. Ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Algerien wird von einem Deutschen unter "Heil Hitler"-Rufen getreten und dabei leicht verletzt.

LOBBI

 

30. April 05

 

Am Ortseingang des brandenburgischen Waßmannsdorf wird ein algerischer Flüchtling morgens um 4.30 Uhr von drei jungen Deutschen angehalten und nach Zigaretten gefragt. Nachdem der Mann dem dritten Deutschen keine Zigarette mehr geben will, wird er vom Fahrrad gestoßen und auf dem

Boden liegend zusammengetreten.

    Mit einem Schädelhirntrauma und Rippenprellungen kommt er ins Krankenhaus, wo er stationär behandelt werden muß.

Opferperspektive

 

April 05

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft in Löhne zetteln drei Deutsche einen Streit mit anschließender Schlägerei an. Dabei erleidet Hasan K. schwere Verletzungen am Hinterkopf und im Mundbereich. Er muß sich mehrere Wochen lang stationär im Krankenhaus behandeln lassen.

    Die Täter werden strafrechtlich verfolgt und müssen sich zudem wegen weiterer Taten vor Gericht verantworten.

LöN 1.6.06

 

Frühjahr 05

 

Abschiebehaft in der JVA Ingelheim in Rheinland-Pfalz. Bei einem Abschiebeversuch fügt sich die Asylbewerberin Frau A. mit einer Rasierklinge mehrere Schnittverletzungen am Unterarm und an den Beinen zu. Dies ist bereits der dritte Abschiebeversuch, der abgebrochen werden muß, und Frau A. kommt in eine psychiatrische Klinik.

    Die abgelehnte Asylbewerberin hat vier Monate Abschiebehaft hinter sich. Zunächst saß sie drei Monate in der JVA Zweibrücken und seit vier Wochen in Ingelheim.

    Ein vorheriger Versuch, Frau A. abzuschieben, war gescheitert, weil sie zu dem Termin akut erkrankt war. Das

nächste Mal hatte sie vor Panik so geschrien, daß sie nicht ausgeflogen wurde.

    Nach der heutigen Selbstverletzung stellt ihre Rechtsanwältin einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebehindernissen gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 7.

    Im Klageverfahren stellt dann das VG Mainz fest, daß ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Frau A. erhält deshalb eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG.

Bündnis Abschiebehaft Ingelheim;

Demo-Vorbereitungsgruppe Ingelheim

 

4. Mai 05

n

Bundesland Bayern. In der JVA München-Stadelheim nimmt sich der Abschiebegefangene K. P. das Leben.

BT DS 16/9142

 

5. Mai 05

 

Bundesland Sachsen-Anhalt – sogenannter Herrentag. Der 36 Jahre alte liberianische Flüchtling James Billey wird am späten Nachmittag am Halberstädter Bahnhof von einer Horde stark angetrunkener glatzköpfiger Rechter angegriffen. James Billey flieht und versucht, sich zunächst bei einem Dönerstand und dann bei einem Taxifahrer in Sicherheit zu bringen. Beide weisen ihn ab, obwohl inzwischen eine Meute von ca. zehn Kurzgeschorenen hinter ihm her ist. Sie traktieren ihn mit Faustschlägen, reißen ihn zu Boden und schlagen ihm Bierflaschen auf den Kopf. Der BGS-Beamte Dennis Bohnstedt, der auf dem Weg zur Arbeit ist, greift jetzt ein, stellt sich zwischen Angreifer und Opfer und versucht, die Situation verbal zu deeskalieren. Jetzt wird der Beamte mit Faustschlägen attackiert, zu Boden gerissen, getreten und mit Bier- und Sektflaschen gezielt auf den Kopf geschlagen. Auch sein Diensthund wird durch Tritte gegen die Rippen verletzt – sogar sein Auto wird demoliert.

    Minutenlang stehen Schaulustige dabei, und erst nach "energischen Aufforderungen" des uniformierten Dennis Bohnstedt wird die Polizei gerufen. Nicht sie, sondern hinzukommende Straßenbahn-Passagiere greifen dann tätlich ein und halten drei der Kahlgeschorenen fest, bis die Polizei eintrifft. Bei den drei Gewalttätern handelt es sich um polizeibekannte Rechtsextremisten im Alter von 24, 27 und 29 Jahren aus der Gegend. Einer von ihnen ist am gleichen Tag wieder auf freiem Fuß. Gegen zwei Schläger wird Haftbefehl erlassen. Fünf Tätern gelang beim Eintreffen der Polizei die Flucht.

    Die beiden Verletzten müssen mit Platzwunden am Kopf und zahlreichen Prellungen medizinisch behandelt werden. Dem BGS-Beamten wurden zwei Schneidezähne ausgeschlagen.

    Am 5. Februar 2006 müssen sich drei Täter vor dem Schöffengericht in Halberstadt wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. Sie können sich angeblich an die Hetzjagd auf den Liberianer nicht mehr erinnern.

    Ein 26 Jahre alter Angeklagter wird zu einer Haftstrafe von 3 Jahren verurteilt – die zwei Mittäter (29 und 31 Jahre alt) bekommen Haftstrafen von zwei Jahren mit dreijährigen Bewährungsfristen. Während der Richter den Überfall hier noch als "ganz normale Herrentagstour" verharmlost, spricht der Vorsitzende des Landgerichtes Magdeburg in der Berufungsverhandlung am 6. Juli 2007 von einer "eindeutig ras

sistisch und zielgerichteten" Tat und erhöht die Urteile auf dreieinhalb Jahre Gefängnis für den 26-Jährigen und auf zweieinhalb Jahre ohne Bewährung für seine rechtsradikalen Kumpane.

Yahoo!Nachrichten 6.5.05;

ap 7.5.05; MDZ 7.5.05; JWB 13.5.05; VM 15.7.05;

MDZ 3.2.06; mdr 6.2.06; MDZ 6.2.06; MVZ 6.2.06;

FR 7.2.06; JWB 15.2.06; VM 30.5.06; VM 13.6.06;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

ad-hoc-news.de 15.6.07; dpa 15.6.07;

ad-hoc-news.de 6.7.07;

mut-gegen-rechte-gewalt.de 6.7.07

 

5. Mai 05

 

Bundesland Brandenburg. Am Hauptstrand des Helenesees bei Frankfurt (Oder) geraten fünf Asylbewerber im Alter zwischen 13 und 22 Jahren in eine tätliche Auseinandersetzung mit einer Gruppe von 15 bis 20 Deutschen. Bei dieser Prügelei erleidet einer der Deutschen eine Stichverletzung im Brustbereich und muß ins Krankenhaus.

    Strafverfahren werden sowohl gegen zwei Iraker, zwei Rumänen und einen 13-jährigen Afghanen wegen gefährlicher Körperverletzung als auch gegen die Deutschen eingeleitet. Letztendlich soll eine DNA-Analyse bei der Suche nach dem Messerstecher weiterhelfen. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) sind im Februar 2006 die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen und ein Ende der Verfahren nicht absehbar. Am 6. Dezember 2006 teilt die Staatsanwaltschaft mit, daß die Verfahren gegen alle Beteiligten eingestellt wurden, weil der Tatverdächtige (Tatwerkzeug: Messer) nicht ermittelt werden konnte.

Polizei Frankfurt (Oder) 5.5.05;

StA Frankfurt (Oder)

 

7. Mai 05

 

Bundesland Brandenburg. Im Bereich des Bundespolizeiamtes Frankfurt / Oder wird ein ertrunkener vietnamesischer Staatsbürger aufgefunden.

BT-Drucksache 16/3768

 

13. Mai 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Eine 37 Jahre alte Gefangene aus Nigeria wird mitten in der Nacht von der Polizei abgeholt und nach Bremen gefahren. Sie ist von ihrem deutschen Freund schwanger – jetzt im sechsten Monat – und hat die letzten drei Monate im Abschiebegefängnis verbringen müssen. Ihr Asylfolgeantrag ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

    Als sie sich auf dem Bremer Flughafen zu wehren beginnt, wird sie an Händen und Füßen gefesselt und von neun Polizisten gewaltsam ins Flugzeug gebracht. Sie wird geschlagen und ihr Kopf wird gegen die Tür des Flugzeugs gestoßen. Während des gesamten Fluges bleibt sie gefesselt. Erst als ihr schwindelig wird, werden ihre Fesseln an den Füßen etwas gelockert.

    Nach der Ankunft in Lagos kann sie aufgrund der Verletzungen durch die Fesselung nicht mehr laufen. Sie muß ihre Wunden an den Füßen und am Kopf und die Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper vier Tage lang im Krankenhaus behandeln lassen. Sie steht auch hier noch unter Schock.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

13. Mai 05

 

Braunschweig in Niedersachsen. Kurz nach Mitternacht wird ein 23 Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone in der Friedrich-Wilhelm-Straße liegend aufgefunden. Er kommt mit einer lebensgefährlichen Stichverletzung im Brustkorb im Bereich des Herzens ins Krankenhaus und kann durch eine Notoperation gerettet werden.

    Zwei Wochen später wird ein 26 Jahre alter Tatverdächtiger in seiner Wohnung verhaftet und gesteht die Tat. Im Zusammenhang mit Drogenhandel hatte er im Streit auf den Afrikaner eingestochen.

Polizei Braunschweig 13.5.05;

JWB 18.5.05;

Polizei Braunschweig 26.5.05; BrZ 26.5.05

 

19. Mai 05

 

Neustadt in Rheinland-Pfalz. Die Ablehnung der Asylfolgeanträge der in Ludwigshafen lebenden kurdischen Familie Y. soll vor dem Verwaltungsgericht verhandelt werden.

    Seit längerer Zeit liegen mehrere fachärztliche und klinische Gutachten vor – unter anderem vom Zentrum für Folteropfer Ulm, Außenstelle Karlsruhe –, die eine schwere Traumatisierung von Herrn Y. belegen. Herr Y. ist inzwischen acht Monate lang in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen und muß auch weiterhin ärztlich behandelt werden.

    Schon nach dem ersten Satz bei der Beschreibung der erlittenen Folter durch sogenannte Antiterror-Einheiten in der Türkei sagt Herr Y., daß er nichts mehr sehen kann, rennt in Panik vor die Tür und bricht auf dem Flur zusammen. Er erleidet eine schwere Retraumatisierung. Der an Diabetes leidende Mann hat zudem eine akute Überzuckerung und kommt nach einer Notfall-Behandlung für die nächsten zwei Tage ins Krankenhaus.

    Auch die 28 Jahre alte Tochter H. ist krank und war bereits vier Wochen lang in stationärer Behandlung. Sie leidet unter einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung, deren Behandelbarkeit in der Türkei nicht sichergestellt ist.    Die Familie war vor neun Jahren in die BRD geflohen, und bereits vor zwei Jahren hatten Unterstützerinnen und Unterstützer mit Unterschriften-Sammlungen ein Bleiberecht gefordert, um der Familie die Fortdauer der Angst vor der Abschiebung nicht länger zuzumuten.

    Während Herr Y. und seine Tochter im August 2005 Bleiberecht erhalten, ist der heute 24-jährige Sohn im Februar 2006 akut von Abschiebung bedroht.

(siehe auch: Januar 97 und 27. März 03)

Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim 22.5.05

 

20. Mai 05

 

Nachdem der 22 Jahre alte Afghane Daved M. – zusammen mit seinem Anwalt – einen Asylfolgeantrag gestellt hat, wird er unerwartet vor der Hamburger Ausländerbehörde in der Amsinckstraße festgenommen. Dann bricht er zusammen. Notarztwagen und Rettungshubschrauber werden vor die Behörde geordert. Im Notarztwagen zittert er heftig am ganzen Körper, Kopf und Arme fliegen hin und her, das Gesicht ist verzerrt. Er kommt in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Harburg.

    Als seine Mutter, die im Flur der Ausländerbehörde auf ihn wartet, von seiner Festnahme erfährt, fällt sie in Ohnmacht, schreit nach dem Erwachen und ist nicht zu beruhigen. Der Notarztwagen bringt auch sie in ein Krankenhaus.

    Noch am nächsten Tag hat Daved M. Weinkrämpfe, er gestikuliert mit einem Arm ununterbrochen, hat die Augen zusammengekniffen – er ist nicht ansprechbar. "Helf mir, helf mir!" ruft er leise – und immer wieder die gleichen Worte: "Ich bin gestorben, ich bin gestorben, ich bin tot."

    Doch auch der Schutzraum Krankenhaus gilt für die Behörden nicht mehr. An zwei aufeinander folgenden Tagen  dringt die Polizei in sein Krankenzimmer ein, nur "um zu gucken, ob der Mann noch da ist", sagt ein Sprecher der Ausländerbehörde. Daved M. erlebt diese Kontrollen als akute Bedrohung, weil er davon ausgeht, daß er umgehend festgenommen werden soll.

    Daved M. hat in Afghanistan Morddrohungen bekommen; bei einer Rückkehr fürchtet er den Tod. "Lieber mach ich es selbst." Anfang Juni wird bekannt, daß er nach einem Spaziergang nicht mehr ins Krankenhaus zurückgekehrt ist.

    Monate später wird er in Oslo festgenommen und über Hamburg – entsprechend dem Dublin-II-Abkommen – direkt nach Kabul abgeschoben.

    Inzwischen hat die Ausländerbehörde Hamburg die bundesweit erste Abschiebung nach Afghanistan vollzogen.

Berichte von AugenzeugInnen 20.5.05 und 21.5.05;

FRat HH; taz 26.5.05;

Café Exil 2.6.05; HA 3.6.05; Café Exil 3.6.05; taz 4.6.05;

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen 13.6.05;

Report Psychologie 7/8/2005;

Antirassistische Initiative Berlin

 

22. Mai 05

 

Chemnitz in Sachsen. In der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im Adalbert-Stifter-Weg zünden Unbekannte um 14.15 Uhr eine Matratze und Bettwäsche an.

    Aufgrund der starken Verrußung müssen 50 Personen vorübergehend evakuiert werden. Die Kriminalpolizei nimmt Ermittlungen wegen des Verdachtes der Brandstiftung auf.

Polizei Chemnitz 23.5.05;

Sachsen Fernsehen 23.5.05

 

25. Mai 05

 

Norderstedt in Schleswig-Holstein. Morgens um 4.00 Uhr dringen Vertreter der Ausländerbehörde und Polizeibeamte in die Flüchtlingsunterkunft am Buchenweg ein, wecken die Familie Özdemir und kündigen die Abschiebung an.

    Die 40-jährige Kurdin Besime Özdemir erleidet einen Nervenzusammenbruch – der gerufene Notarzt verabreicht Beruhigungsmittel. Ihr 16-jähriger Sohn Hadin ergreift die Flucht. Ihr Ehemann Akif leistet heftigen Widerstand, verbarrikadiert sich mit einem Messer in einem Zimmer. Einer inzwischen eingetroffenen Betreuerin von der Migrationsberatung der Diakonie verweigert die Polizei das Gespräch mit Akif Özdemir. Stattdessen kommt ein Sondereinsatzkommando, nimmt den 40-Jährigen fest und bringt ihn ins Abschiebegefängnis nach Rendsburg.

    Frau Özdemir wird mit ihren noch anwesenden Kindern, den Töchtern Tulay (4 Jahre), Canan (15 Jahre ) und dem 10-jährigen Sohn Asil zum Flughafen Düsseldorf gebracht. Einige von ihnen tragen noch Hausschuhe – Geld haben sie nicht dabei; Gepäck sinnvoll zu packen, dazu war Frau Özdemir nicht in der Lage gewesen. Auf Bitte von UnterstützerInnen bekommt sie vom Flughafensozialdienst ein Handgeld, damit sie nicht vollkommen mittellos in Istanbul ankommt.

    Die Özdemirs, die in Türkisch-Kurdistan von der Viehzucht gelebt hatten, hatten ihren Ort verlassen müssen, nachdem sie als potentielle PKK-KämpferInnen unter Druck gesetzt, bedroht, geschlagen und mißhandelt worden waren. 1999 flohen sie in die BRD und stellten Anträge auf Asyl.

    Besime Özdemir ist aufgrund von Folter und Vergewaltigung in türkischer Gefangenschaft psychisch schwer traumatisiert. In Folge der Posttraumatischen Belastungsstörung mußte sie mehrmals ins Krankenhaus. Ihre Panikattacken, Krampf- und Ohnmachtsanfälle, die in Streßsituationen auftreten und auf die sie keinen Einfluß hat, wurden nicht weniger.

    Trotz der schweren Symptomatik bereitet die Ausländerbehörde die Abschiebung der Familie vor. Durch eine Zwangsvorführung im türkischen Konsulat in Hamburg wird eine nachhaltige Retraumatisierung eingeleitet und Frau Özdemir muß sich wieder im Krankenhaus behandeln lassen.

    Ihre Abschiebung erfolgt während der laufenden Behandlung. Da sie viele Gutachten vorlegen kann, die ihre schwere Erkrankung belegen und in denen vor einer Retraumatisierung nach einer Abschiebung gewarnt wird, erfolgt die Abschiebung in Begleitung eines Amtsarztes. Doch entgegen der Ankündigungen der Ausländerbehörde, dieser Arzt würde für eine fachärztliche Weiterbehandlung in der Türkei sorgen und sie in die Obhut eines Arztes übergeben, wird Besime Özdemir noch auf dem Flughafen Istanbul von Militärs abgeführt und neun Stunden lang verhört – dann nachts um 2.00 Uhr frei gelassen.

    Sie kommt für die nächsten Tage bei einer Cousine unter. Nicht nur durch die Unterbrechung der Therapie, auch durch den abrupten Entzug der Medikamente besteht jetzt die Gefahr einer Lebensgefährdung durch Dekompensation. 12 Tage später untersucht sie Dr. Ülgen, Arzt und Koordinator einer Stiftung für Gesellschafts- und Rechtsstudien mit einer Abteilung für Trauma-Rehabilitätion. Er kritisiert das Verhalten der deutschen Behörden als unverantwortlich, weil die Behandlung abgebrochen wurde und Frau Özdemir keine Medikamente mitbekam. Die Therapie könne nur in Istanbul fortgesetzt werden, was aber nicht möglich ist, weil die Familie aus finanziellen Gründen bei ihren Verwandten in Elazig in der Ost-Türkei unterkommen müsse.

    Der während der Abschiebung geflohene Sohn Hadin wird zur Fahndung ausgeschrieben, erhält dann aber doch eine kurzfristige Duldungsverlängerung. Herr Özdemir sitzt in Abschiebehaft, ist nach Aussage des Anstaltsarztes "suizidal und bedarf dringend einer fachärztlichen Behandlung". Die Abschiebung von Akif und Hadin erfolgt am 24. Juni.

    Die Geburtsurkunde der in Deutschland geborenen Tochter wird nicht anerkannt, so daß sie nicht angemeldet werden kann. Der Antrag auf eine Yesil-Card, die ihnen eine medizinische Grundversorgung ermöglicht hätte, wird abgelehnt. Als KurdInnen, die im Verdacht stehen, die PKK unterstützt zu haben, haben sie keine Chance.

    Im Jahre 2007 ist Frau Özedmir wieder schwanger und es geht ihr körperlich und seelisch sehr schlecht. Die Psychotherapie hat sie bisher nicht fortsetzen können.

FRat SH 27.5.05; jW 28.5.05;

FRat SH 8.6.05; NoZ 14.6.05;

jW 27.6.05; NoZ 28.6.05;

LN 5.7.05; taz 11.7.05;

Der Schlepper Nr. 40/41 Oktober 2007

 

25. Mai 05

 

Massenabschiebung von kurdischen Flüchtlingen über den Flughafen Düsseldorf. Unter den 15 Familien und einigen alleinstehenden KurdInnen, die aus verschiedensten Orten des gesamten Bundesgebietes abgeholt wurden, befindet sich eine Frau, die liegend transportiert wird. Sie sollte eigentlich an diesem Tag operiert werden.

kmii 29.5.05

 

25. Mai 05

 

Wahlstedt in Schleswig-Holstein. Der 24 Jahre alte Nigerianer Robert Nwanna kommt vom Einkaufen und ist auf dem Weg zu der Wohnung seiner Verlobten in den Sudetenweg 9. Ca. 50 Meter vor dem Wohnhaus muß er an einer Gruppe alkoholisierter Jugendlicher vorbei. Sie haben kurze Haare oder Glatzen - einer hält einen Golfschläger in der Hand, ein anderer ein Messer und ein dritter eine Kehrschaufel. Zwei Brüder haben ihre Kampfhunde, einen Bullmastiff und einen Pitbull, dabei.

    Als Robert Nwanna an ihnen vorbei gehen will, wird er von einer Frau als "Scheißneger" und "Nigger" beleidigt, und ihr Kumpane rammt ihm seine rechte Faust ins Gesicht, was lautes Gejohle in der Gruppe hervorruft. In Panik flieht der Angegriffene, verfolgt von drei Männern. Seine Verlobte öffnet ihm die Tür der im Erdgeschoß liegenden Wohnung. Ihre eineinhalb Jahre alte Tochter ist durch den Krach vor der Haustür völlig verstört und schreit. Dann treten die Verfolger die Wohnungstür ein - Robert Nwanna springt mit einem Messer in der Hand aus dem Fenster.

    Draußen sieht er sich einer Gruppe von inzwischen zehn Menschen gegenüber. Der Mann, der ihn schon zuvor geschlagen hat, hält jetzt ein Messer in der Hand. Mit den Worten "Das Ding ist viel zu kurz" wirft er es weg und läßt sich von seinem Kumpanen den Golfschläger geben. Mit diesem Sportgerät aus Metall schlägt er zu und trifft Robert Nwanna am Oberkörper. Dieser sticht jetzt mit seinem Messer zu und trifft den 30-jährigen Angreifer an der linken Halsseite. Die

dadurch entstehende heftige Blutung kommt zum Stehen – der Verletzte kommt ins Krankenhaus, das er nach zwei Tagen wieder verlassen kann.

    Robert Nwanna, der an der Stirn und auf seiner Brust Prellungen, Blutergüsse und blutende Wunden hat, wird von der gerufenen Polizei in Handschellen gelegt und zur Wache nach Bad Segeberg mitgenommen. Dort bleibt er bis zum nächsten Morgen in einer Zelle.

    Die polizeilichen Ermittlungen richten sich von Anfang an gegen ihn, und die Beweisführung und –sicherung ist entsprechend einseitig. Die AngreiferInnen werden keinerlei Blutuntersuchung unterzogen, um ihre Glaubwürdigkeit einzuschätzen – ihre Tatwerkzeuge, das Messer und der Golfschläger, werden nicht sichergestellt und bleiben verschwunden. Auch finden sich bezeichnende Eintragungen im polizeilichen Protokoll: so wird festgehalten, daß Robert Nwanna in Begleitung seiner "Verlobten" (in Anführungsstrichen) gewesen sei, und ihre gemeinsame Tochter wird als "augenscheinlich Mulattin" bezeichnet.

    Erst nach einer Anzeige der Rechtsanwältin von Robert Nwanna wird gegen sechs Gruppenmitglieder wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Alle Verfahren werden eingestellt, weil die Staatsanwältin Silke Füßinger bei ihnen kein strafbares Verhalten erkennen kann.

    Stattdessen ermittelt sie gegen das Opfer des rassistischen Angriffs. Im Juni 2008 klagt sie Robert Nwanna an, "mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung eine andere Person körperlich mißhandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben". Da sich das Amtsgericht Bad Segeberg jedoch weigert, das Verfahren zu eröffnen, weil es von einer Notwehrsituation des Angeschuldigten ausgeht, verzögert sich die Prozeßeröffnung noch um ein Jahr.

    Am 24. Juni 2009 wird Robert Nwanna nach vier Prozeßtagen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Richter Wüllenkemper rät dem Angeklagten am Ende der Urteilsbegründung, doch besser Deutsch zu lernen, damit er sich besser integrieren könne. Und weiter: Auch wenn es schwer falle, sich "in die Lebenswirklichkeit eines Menschen mit schwarzer Hautfarbe zu versetzen", so gebe es in Deutschland doch eigentlich nur sehr wenige Rassisten, so sein Resumee.

Spiegel 30.6.08;

 infoarchiv-norderstedt.org 5.7.08;

JuSe 25.6.09; Gegenwind Nr. 251 – August 2009

 

27. Mai 05

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In der Ortschaft Krugsdorf werden zwei Flüchtlinge von vier Männern und zwei Frauen unter anderem mit Sprüchen wie "Scheiß Ausländer!" beleidigt. Dann zieht einer der Deutschen einen Schraubenzieher und sticht einem Flüchtling in den Oberschenkel und dem anderen in die Hüfte.

    Nach ambulanter Behandlung können die Verletzten das Krankenhaus wieder verlassen.

LOBBI

 

28. Mai 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin – Haus 3/1. Der 27 Jahre alte Algerier Boutouchent A. leidet am Abend unter zunehmend stärker werdenden Schmerzen im Brustbereich. Als die Mitgefangenen das Wachpersonal darauf aufmerksam machen, bekommen sie zur Antwort: "Ihr seid doch alle krank!" – dann essen die Wachmänner weiter. Der zunehmend schlechter werdende Gesundheitszustand des Algeriers veranlaßt die Mitgefangenen immer wieder, sich beim Wachper-sonal zu melden und Druck zu machen. Zwei Stunden später –um 22 Uhr – wird der Kranke dann nach unten in den Sanitätsbereich gebracht. Ärzte sind am Wochenende nicht im Dienst, und es wird auch keiner wegen dieses Notfalls geru-fen. Ein Sanitäter vermutet, da es an diesem Tag sehr heiß ist, daß Boutouchent A. eventuell an einem Hitzschlag leidet – er solle viel trinken. Der Gefangene bekommt eine Tablette und muß dann zurück in den Zellentrakt.

    Dem Patienten geht es immer schlechter, er wird dann ein zweites Mal in den Sanitätsbereich gebracht. Dieses Mal im Rollstuhl, weil er vor Schmerzen fast nicht mehr laufen kann. Offensichtlich aufgrund eines Verdachtes versucht der zuständige Sanitäter, ein Elektrokardiogramm anzufertigen. Weil das EKG-Gerät nicht funktioniert, probiert er es mit dem Defribrillator, doch auch dies klappt nicht. Der Sanitäter gibt dem Kranken eine Magnesium Tablette und schickt ihn zurück in die Zelle. Mitgefangene helfen ihm, sich auf die Pritsche zu legen. Als sein Gesicht blau anläuft, rufen die Mitgefangenen um Hilfe und trommeln gegen die Zellentüren. Erst als sie drohen, "Probleme" zu machen, wenn niemand helfen würde, erklärt sich einer der Bewacher bereit, einen Krankenwagen zu ordern. Ein Krankenwagen kommt nicht, stattdessen wird der Kranke mit Handschellen gefesselt und um 0.30 Uhr – vier Stunden nach der ersten Meldung – mit einem Polizeitransporter ins DRK-Krankenhaus Köpenick gefahren.

    Die Ärzte stellen bei Boutouchent A. einen akuten Herzinfarkt fest und führen umgehend eine zweistündige Herzkatheter-Behandlung durch. Er habe großes Glück, daß er überlebte, sagt ihm später einer der behandelnden Ärzte.

    Von den sechs Zeugen dieses Vorfalles wird ein Gefangener abgeschoben, zwei Gefangene werden entlassen,und einem Mann droht die Abschiebung in die Türkei, wo er von Folter bedroht ist. Die Abschiebung von Boutouchent A. ist vorerst ausgesetzt, und nach Beendigung des Krankenhausaufenthaltes wird ihm ein Platz im Asylerstaufnahmelager in der Motardstrasse in Berlin-Spandau zugewiesen. Dieses Heim wird von der Senatsverwaltung faktisch als Ausreisezentrum für Flüchtlinge genutzt. Die BewohnerInnen bekommen hier statt der üblichen abgesenkten Geldleistungen lediglich Unterkunft und Vollverpflegung mangelnder Qualität. Unter diesen Lebensumständen ist eine Heilung des schwer herzkranken Boutouchent A. schlichtweg ausgeschlossen

    Boutouchent A., der erst im Februar in die BRD eingereist war und zwei Wochen später ohne jegliche Papiere festge-nommen und inhaftiert wurde, bekommt aufgrund seiner schweren Erkrankung zunächst eine Duldung.

    Die Strafanzeige, die Herr A. gegen den Sanitäter und das Wachpersonal wegen unterlassener Hilfeleistung stellt, wird von der Staatsanwaltschaft nach kurzer Zeit eingestellt. Erst auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes hin wird das Ermittlungsverfahren wieder aufgenommen.

    Durch die Presse erfahren Herr A. und sein Rechtsanwalt, daß der Sanitäter wegen Fehlverhaltens einen Strafbefehl über 900 Euro bekommen hat und eine Anklage gegen das Wachpersonal noch nicht erhoben ist. Auf den Antrag des Rechtsanwaltes auf Akteneinsicht ist auch im Februar 2006 noch nicht eingegangen worden

    Am 9. November steht Boutouchent A. selbst wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts über einen Zeitraum von 14 Tagen vor dem Amtsgericht Moabit. Mit Hinweis auf das, was dem Angeklagten im Abschiebegefängnis widerfahren ist, urteilt der Richter "ausgesprochen milde" und verhängt eine "symbolische Strafe", indem er den Algerier verwarnt. Sollte dieser allerdings wieder straffällig (!) werden, dann müsse er 150 Euro Geldstrafe zahlen.

    Der Prozeß gegen den Polizeisanitäter vor dem Amtsgericht Tiergarten endet am 21. November 2007 mit der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen fahrlässiger Körperverletzung. Damit ist der Polizeiangestellte, der im Februar 2008 altersbedingt den Dienst beendet, nicht vorbestraft und behält seine volle Pension. Das Urteil gründet sich auf der Tatsache, daß der Sanitäter den Gefangenen mit den typischen Herzinfarkt-Symptomen in die Zelle zurückgeschickt hatte, weil das EKG-Gerät nicht funktionierte.

    Anfang des Jahres 2008 ist es Boutouchentr A. immer noch nicht erlaubt worden, in eine private Wohnung zu ziehen – er befindet sich weiterhin in der Motardstraße. Seine Herzleistung ist inzwischen auf 50% reduziert.

Berichte der Mitgefangenen 29.5.05; Pfarrer D. Ziebarth;

Polizei Berlin 31.5.05; BeZ 1.6.05; taz 3.6.05; jW 8.6.05;

FRat Berlin 12.10.05; BeZ 5.11.05; BeZ 10.11.05;

Welt 23.11.07; FRat Berlin 28.11.07; Freitag 15.2.08,

Rüdiger Jung – Rechtsanwalt

 

Mai 05

 

Bundesland Thüringen. Ein ca. 30 Jahre altes Ehepaar aus Ghana bringt seinen 3-monatigen Säugling ins Krankenhaus, weil das kleine Mädchen seit Tagen nichts mehr zu sich nehmen will und krank ist. Auf die Frage, was dem Kind zu Trinken gegeben wurde, geht der Vater ins Heim zurück und bringt eine leere Packung Milch, die dem Kind gegeben wurde. Die Ärztin stellt fest, daß das Verfallsdatum der Milch vor acht Monaten abgelaufen ist. Die Familie lebt mit Heimverpflegung in der  Erstaufnahmeeinrichtung Eisenberg in Thüringen.

The VOICE Jena

 

2. Juni 05

 

Mohammad A., ein ca. 20 Jahre alter  Flüchtling und abgelehnter Asylbewerber aus Afghanistan, wird auf der Straße unweit der Hamburger S-Bahnstation Rübenkamp blutüberströmt und bewußtlos aufgefunden. Neben ihm liegt ein Messer.

    In seiner Tasche befindet sich die Vorladung der Ausländerbehörde, sich heute zwecks Abschiebung am folgenden Tag mit maximal 24 kg Gepäck in der Behörde Amsinckstraße einzufinden.

    Nach notärztlicher Versorgung kommt er in das Krankenhaus Rissen und wird später von dort aus in die Psychiatrie ins Klinikum Nord verlegt.

FRat HH; Café Exil 3.6.05; taz 4.6.05

 

2. Juni 05

 

Hamburg. Der 22-jährige Feridun Z., Flüchtling aus Afghanistan und abgelehnter Asylbewerber, wird in der Hamburger Ausländerbehörde wegen angeblicher Fluchtgefahr festgenommen. Seine Mutter, die ihn begleitet, bricht im Schock zusammen und kommt zur stationären Behandlung ins Krankenhaus.

    Feridun Z. lebt seit zwei Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder in Hamburg. Auch der Bruder hat bereits eine Abschiebeankündigung erhalten. Am Nachmittag wird er nach Frankfurt am Main gebracht – um 23.59 Uhr des nächsten Tages startet die Maschine über Islamabad nach Kabul. Feridun Z. kommt in ein Land zurück, mit dem er ausschließlich Mord und Elend verbindet. Angehörige hat er hier nicht – sein Vater wurde vor zwei Jahren im afghanischen Herat ermordet.

FRat HH;

Café Exil 3.6.05;

taz 4.6.05

 

8. Juni 05

 

Sachsen-Anhalt. Aus dem Zimmer eines türkischen Bewohners des Flüchtlingsheimes in Weferlingen dringt starker Brandgeruch. Als die von innen verschlossene Tür von der Feuerwehr aufgebrochen ist, kann der 33-Jährige ohnmächtig geborgen werden. Er kommt mit einer Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.

    Es stellt sich heraus, daß der Mann mit einer in einer Zimmerecke ausgegossenen brennbaren Flüssigkeit den Brand wahrscheinlich selber gelegt hat. Die Brandlegung wird als Verzweiflungstat eingeschätzt. Im Januar 2006 befindet sich der Mann in einer psychiatrischen Klinik.

ddp 9.6.05;

Polizei Haldensleben

 

8. Juni 05

 

Ossenfeld bei Göttingen in Niedersachsen. In der Göttinger Straße fahren Polizeiautos vor, und zwölf Beamte verschaffen sich ohne Hausdurchsuchungsbefehl Zugang zu den Wohnräumen der libanesischen Familie Saado. Unter dem Vorwand, nach einer gestohlenen Kamera in seinem Auto suchen zu wollen, nötigen die Beamten einen Sohn der Familie, zu seinem Auto zu gehen, und durchsuchen dann die Wohnung gezielt nach dem Vater. Der 43 Jahre alte Ahmed Saado, Vater von sieben Kindern, ist suizidgefährdet und schwer herzkrank. Er verschanzt sich im Schlafzimmer, hält sich ein Messer an den Hals und droht, sich zu töten, wenn die Polizei das Haus nicht verlassen würde.

    Dem massiven Drängen der Söhne geben die Beamten schießlich nach, verlassen das Haus und belagern es nun von außen. Ein Sondereinsatzkommando trifft ein und droht, das Haus zu stürmen. Aber es kommen auch ca. 70 UnterstützerInnen, die einen Abbruch der Festnahme von Ahmed Saado und Bleiberecht für die Familie fordern. Inzwischen ist das ganze Dorf für den Verkehr gesperrt. Nach der angeblich gestohlenen Kamera wird nie gesucht. Daß sie der eigentliche Grund für den Polizeieinsatz sein soll, dagegen spricht alleine der Personaleinsatz an Beamten.

    Als ein 3-jähriger Enkel Saados durch die Absperrung zu dem Gebäude läuft, seine Mutter ihm folgt und die beiden dann von der Polizei festgehalten werden, gehen zwei Söhne von Ahmed Saado dazwischen. Bei der sich entwickelnden körperlichen Auseinandersetzung werden sowohl Polizisten als auch Familienangehörige verletzt.

    Nach stundenlangem Nervenkrieg legt Ahmed Saado das Messer aus der Hand und begibt sich in die Hände der Polizei.

    Ohne seine gesundheitliche Situation zu berücksichtigen, wird beim Haftprüfungstermin Abschiebehaft angeordnet. Danach bricht Ahmed Saado auf der Polizeiwache Groner Landstraße zusammen, so daß er ins Universitätsklinikum gebracht werden muß. Hier wird eine Selbst- und Fremdgefährdung (PsychKG) festgestellt. Wegen Platzmangel im Klinikum kommt Saado dann in das Landeskrankenhaus, wo am nächsten Tag weitere Untersuchungen stattfinden sollen. Diese werden nicht abgewartet, und die Polizei holt den Kranken ab und bringt ihn in das Abschiebehaftgefängnis nach Hannover-Langenhagen.

    Am 15. Juni, morgens um 6.30 Uhr, erscheint abermals ein Großaufgebot der Polizei vor dem Haus in Ossenfeld, bricht die Haustür auf und nimmt – ohne weitere Erklärungen – fünf Söhne fest. Sie werden gefesselt und geschlagen. Einrichtungsgegenstände werden zerstört. Zeitgleich wird ein weiterer Sohn in seiner Wohnung in Göttingen festgenommen.

    Frau Saado erleidet einen Zusammenbruch und muß mit dem Rettungswagen in das Klinikum Göttingen gebracht werden. Ein Sohn zieht sich eine Beinverletzung zu, als er aus dem Fenster des ersten Obergeschosses springt, um einer vermuteten Abschiebung zu entgehen.

    Der zuständige JVA-Arzt in Hannover-Langenhagen stellt bei Ahmed Saado eine Suizidgefährung fest und rät von einer Abschiebung ab. Die Ausländerbehörde reagiert auf die Diagnosen mit der Ankündigung, für die Abschiebung mit ärztlicher und "Sicherheits"-Begleitung zu sorgen. Der Suizidgefährdung will die Behörde mit der Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Anstalt in der Türkei (!) begegnen.

    Am 29. Juni beginnt Ahmed Saado mit einem Hungerstreik, um gegen seine drohende Abschiebung zu protestieren. Auch öffentliche Proteste und Demonstrationen – von einem breiten UnterstützerInnenspektrum getragen – helfen ihm nicht.

    Seine Abschiebung nach Istanbul erfolgt am 24. August in einer Maschine mit ca. 120 weiteren Flüchtlingen vom Flughafen Düsseldorf. In Deutschland zurück bleiben seine Frau, seine sieben Kinder und Enkelkinder. Weil weder sie noch der Anwalt von den Behörden über die Abschiebung informiert worden waren, konnten sie sich nicht von Ahmed Saado verabschieden.

    Ahmed Saado, der in der Türkei geboren wurde und als Kleinkind und Vollwaise im Libanon adoptiert worden war, war 1985 mit seinen Adoptiveltern vor den Kriegshandlungen im Libanon in die BRD geflüchtet. Er hat dann 20 (!) Jahre lang in der BRD gelebt und spricht nur Arabisch und Deutsch. (siehe auch: Sommer 04).

    In der Türkei wird er zum Militär eingezogen. Um die Altersgrenze einzuhalten, machen ihn die Behörden kurzerhand um sieben Jahre jünger.

    Im Februar 2006 verurteilt die Jugendstrafkammer des Amtsgerichtes Hannoversch Münden die beiden Söhne von Ahmed Saado wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Der 19-jährige Kodor Saado bekommt drei Wochen Jugendarrest und 80 Stunden gemeinnützige Arbeit, sein ein Jahr jüngerer Bruder Mahmoud eine Woche Arrest und 50 Sozialstunden.

AK Asyl Göttingen;

Polizei Göttingen 8.6.05; GT 27.6.05;

FRat NieSa 4.7.05; taz 9.2.06

 

9. Juni 05

 

Zwei Asylbewerber aus Jugoslawien und der Türkei befinden sich in Dortmund-Wickede auf dem Heimweg zu ihrer Unterkunft, als sie in von zwei kahlgeschorenen Deutschen zunächst verbal attackiert werden. Als sich die Flüchtlinge zu wehren beginnen, hantiert plötzlich einer der Deutschen mit einem Baseballschläger. Als sein Begleiter ein Messer zieht, flüchten die Angegriffenen – die Deutschen hinterher.

    Der 22-jährige Jugoslawe und sein türkischer Begleiter laufen zu ihrer Unterkunft in der Gudrunstraße in Unna. Hier

kommen zu ihrer Unterstützung einige BewohnerInnen heraus und versuchen, mit Knüppeln, einem Besenstiel und einer Lampe die Angreifer abzuwehren. Dabei wird sowohl ein Bewohner, aber auch einer der Angreifer leicht verletzt.

Polizei Dortmund 9.6.05;

Polizei Dortmund 10.6.05;

BKZ 10.6.05; OffP 10.6.05; Standard 13.6.05

 

11. Juni 05

 

Bundesland Bayern. Die 39 Jahre alte Eljheme Avdija, die aufgrund ihrer Verfolgungsgeschichte schwer traumatisiert ist, bekommt nach einem Besuch ihres in Abschiebehaft sitzenden Mannes einen schweren Anfall, starke Erregungszustände und Wahnvorstellungen. Sie greift ihre Tochter tätlich an und will sich anschließend aus dem Fenster stürzen, "um zu ihrem Mann zu gehen". Nur mit Mühe können andere Flüchtlinge der Unterkunft die Frau festhalten. Mit dem Krankenwagen wird sie ins Bezirkskrankenhaus Erlangen eingeliefert und kommt dort in die geschlossene Station der Psychiatrie.

    Zwei Tage zuvor waren ihr Mann Aziz und dessen 19-jähriger Bruder vor ihren Augen und in Gegenwart der vier minderjährigen Kinder in Handschellen abgeführt und in die JVA Nürnberg gebracht worden.

    Nach der Einlieferung der Mutter ins Krankenhaus bleiben die Kinder Lumruije (9 Jahre), Florim (11 Jahre), Idriz (14 Jahre) und Zehnepe (16 Jahre) in Zirndorf zunächst sich selbst überlassen, bis das Jugendamt nach zwei Tagen eine Einweisung in die Clearingstelle in Nürnberg veranlaßt.

    Der psychische Gesundheitszustand von Frau Avdija ist auch nach Wochen stationärer Behandlung instabil. Am 27. Juni erfolgt ihre Entlassung aus dem Krankenhaus, und schon auf der Rückfahrt nach Zirndorf fällt sie in eine kurze Bewußtlosigkeit. Als Frau Avdija erfährt, daß die Abschiebung der Familie für den 1. Juli vorgesehen ist, bricht sie erneut zusammen, unternimmt einen zweiten Selbsttötungsversuch und kommt erneut in die Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses Erlangen. Die behandelnde Ärztin schreibt in einer Stellungnahme zur drohenden Abschiebung: "Eine ärztliche Begleitung während des Transportes ist unabdingbar. Bei Auftreten eines Erregungszustandes ist das Eingreifen von mehreren Hilfspersonen zum Festhalten notwendig, sowie eine ärztliche Intervention (Gabe einer massiv sedierenden

Medikation). Es ist auch dringend dafür Sorge zu tragen, daß die Patientin in Slowenien in eine ärztliche Weiterbehandlung übergeben wird."     

    Am 1. Juli morgens um ca. 4.00 Uhr wird Frau Avdija von der Polizei aus dem Krankenhaus herausgeholt und Richtung München gefahren. An der Autobahnraststätte Allersdorf darf sie in den Wagen umsteigen, in dem sich ihre Kinder und ihr Mann befinden.

    Als Frau Avdija auf dem Flughafen München erneut einen kollapsartigen Zusammenbruch erleidet, weigert sich der Pilot der Adria Airways, die Familie auf seinem Linienflug mitzunehmen, weil er das Sicherheitsrisiko nicht auf sich und die Verantwortung nicht übernehmen will.

    Die Behörden chartern daraufhin ein Flugzeug in Ingolstadt, so daß Familie Avdija noch am selben Abend nach Slowenien ausgeflogen wird. Ein von den Behörden abgestellter Arzt begleitet sie nach Ljubljana und übergibt sie den dortigen Behörden.

    Da Frau Avdija sich geweigert hatte, die Chartermaschine zu besteigen, mußte "unmittelbarer Zwang" angewendet werden. Dabei wurde ihr ein Arm von einem Polizisten so schwer verletzt, daß er nach ihrer Ankunft in Slowenien geschient und in Gips gelegt werden muß.

    Nach zunehmenden Übergriffen von albanischen Nationalisten war die Ashkali-Familie erst im Februar dieses Jahres aus dem Kosovo nach Slowenien geflohen und hatte dort Asyl beantragt. In dem Flüchtlingslager, in dem sie zusammen mit albanischen Asylsuchenden untergebracht waren, verschärfte sich die Stimmung gegen die Familie erneut, so daß sie – wiederum aus Angst vor Diskriminierung und Unterdrückung – weitergeflohen waren. Auf ihrem Weg nach Norwegen waren sie dann in der BRD aufgrund ungültiger Papiere festgenommen worden.

    Nach ihrer Abschiebung aus Ingolstadt kommt die ganze Familie für fünf Tage in die Strafanstalt in Postojna, einem ehemaligen Militärgelände in dem Dorf Veliki Otok, bis sie in einem Heim bei Ljubljana unterkommen. Hier leben sie – zusammen mit einer anderen fünfköpfigen Familie – in einem Zimmer. Frau Avdija muß wegen ihres verletzten Armes weiter im Krankenhaus behandelt werden. Ihr im Februar 2006 gestellter Antrag auf Asyl ist inzwischen abgelehnt worden.

    Im Mai 2007 ist es der Familie gelungen, eine kleine Dachgeschoß-Wohnung zu mieten. Da Herr Avdija allerdings keine Arbeitserlaubnis bekommt und sämtliche Zahlungen von Seiten des Staates eingestellt sind, lebt die Familie von Essenpaketen der Caritas und ist mehrere Monate mit der Miete im Rückstand. Wenn sie die Wohnung wieder verlieren, dann besteht auch die Gefahr, daß sie keinen Platz mehr im Asylzentrum bekommen.

    Im Jahre 2010 erhält der bayerische Flüchtlingsrat die Nachricht, daß die Familie überraschend eine Anerkennung und einen Aufenthalt bekommen haben.

FRat Bayern; JWB 26.6.05; FüN 27.6.05; NN 30.6.05;

jW 2.7.05; MM 2.7.05; FrT 2.7.05;

NN 5.7.05; JWB 6.7.05; FüN 6.7.05;

Asylgruppe St. Rochus Zirndorf 12.7.05;

FüN 13.7.05; Hinterland Mai 2007;

Heft der Flüchtlingsräte 2012

 

14. Juni 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 40 Jahre alter Gefangener aus Serbien-Montenegro versucht, sich gegen 18 Uhr durch Erhängen das Leben zu nehmen. Aus einem Laken hatte er eine Schlinge geknüpft und an einem Balken der Toilettentür befestigt. Mitgefangene finden den Aufgehängten, alarmieren das Wachpersonal, das mit einem Messer die Schlinge öffnet, so daß er rechtzeitig gerettet werden kann.

    Der gerufene Notarzt entscheidet, daß eine Verlegung in ein Krankenhaus aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, so daß der Mann in den Isolationstrakt verlegt wird, wo er dem sozialpsychiatrischen Dienst vorgestellt wird.

Polizei Berlin 16.6.05; BeZ 17.6.05;

JWB 26.6.05; taz 5.7.05

 

16. Juni 05

 

Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen. Im Rahmen einer Polizeiaktion gegen Drogenhändler im Bereich Kölner Straße und Leopoldstraße soll ein 18-jähriger Asylbewerber aus Nigeria festgenommen werden. Dieser wehrt sich heftig und verschluckt einige mit Drogen gefüllte Plastikpäckchen. Dann kollabiert er.

    Noch vor Ort gelingt es einem Notarzt, den Mann zu reanimieren, so daß er ins Krankenhaus gebracht werden kann. Im Magen des 18-Jährigen werden etwa 20 Päckchen Rauschmittel ("Bubbles") gefunden, von denen einige geplatzt sind. Die durch die Überdosis entstandenen Hirnschäden sind so groß, daß der junge Mann dauerhaft pflegebedürftig bleiben wird und in einem Pflegeheim versorgt werden muß.

AaZ 10.6.05;

StA Düsseldorf

 

16. Juni 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Um 11.15 Uhr versucht sich ein Mann aus Serbien-Montenegro mit einem Bettlaken an einem Holm der Toilettentür zu erhängen. Wachmänner können den Mann rechtzeitig aus der Schlinge befreien. Nach medizinischer Erstversorgung durch eine Ärztin kommt er in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses. Noch am selben Tag erfolgt die Rückverlegung ins Gefängnis, wo er "zur Beobachtung" vorerst in den Isolationstrakt kommt.

Polizei Berlin 16.6.05

 

16. Juni 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der kurdische Gefangene S. U., der seit 50 Tagen im Hungerstreik aus Protest gegen seine drohende Abschiebung ist, wird aufgrund

einer plötzlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in das Haftkrankenhaus der JVA Moabit verlegt. Nach 14 Tagen weiteren Hungerstreiks, während der der Gefangene gegebenenfalls Infusionen zuließ, erfolgt seine Rückverlegung nach Köpenick. Zwei Tage später bricht er dann allerdings den Hungerstreik ab. Damit ist Herr U. derjenige, der den am 18. April begonnenen kollektiven Hungerstreik am längsten durchgehalten hat. An diesem Hungerstreik hatten sich bis zu 14 arabische und kurdische Gefangene beteiligt. (siehe auch: 26. April 05)

    Anfang Juli erfolgt seine Abschiebung in die Türkei, wo er schon am Flughafen festgenommen wird. Nur durch gute Beziehungen seiner Familie zu verantwortlichen Leuten kam er nach fünf Tagen frei. Die Verhöre, denen er unterzogen wurde, drehten sich vor allem um Unterstützung der PKK. Herr U. erzählt später, daß die Menschen, die ihn verhörten, offensichtlich sehr gut über ihn informiert waren.

Pfarrer D. Ziebarth;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

taz 17.6.05

 

21. Juni 05

 

Ellwangen in Baden-Württemberg. Mitten in der Nacht werden Frau Neziri, ihre 14 und 15 Jahre alten Töchter und ihr 17-jähriger Sohn aus ihrer Wohnung abgeholt und nach Heilbronn verfrachtet. Sie sollen in den Kosovo abgeschoben werden. Nach 15 Jahren Jahrzehnten Deutschland-Aufenthalt bekommen sie nur wenig Zeit, um zwei Koffer zu packen. Da der Mann und Vater nicht anwesend ist, ist die Familie jetzt getrennt.

    Mutter und Kinder kommen nach Heilbronn, wo im Laufe des Tages in einem abgeschlossenen Raum immer mehr Flüchtlinge aus verschiedenen Orten versammelt werden. Die 14-jährige Minire Neziri beschreibt den Vorgang der erkennungsdienstlichen Maßnahmen und vor allem die Aufforderung, sich vor einer Beamtin nackt auszuziehen, auch 9 Jahre später noch als unerträglich demütigend.

    Nach Stunden werden die Menschen mit  Bussen zum Flughafen Baden-Baden gebracht. Hier hört Minire Neziri die Schilderung einer Frau, die beschreibt, daß sie von Beamten an den Haaren aus der Wohnung geschleift wurde – und sie sieht die blutigen Schürfverletzungen an deren Knie.

    Mit einer Chartermaschine erfolgt die Massenabschiebung in den Kosovo.

    Familie Neziri kommt zunächst bei Verwandtschaft in der Nähe von Pej unter.

    Herr Neziri folgt seiner Familie eine Woche später in einem LKW, in dem er die Habe der Familie aus Deutschland mitbringt.

Bericht von Minire Nezir;i

Pro Asyl News 25.11.14

 

22. Juni 05

 

Wesel in Nordrhein-Westfalen. Die 31 Jahre alte Kurdin Sabahat Erkil hat gerade eine von der Stadt angeordnete Untersuchung auf Reisefähigkeit beim Kreisgesundheitsamt hinter sich, als sie im Fernsehen einen Bericht über türkische Soldaten sieht, die in der Nähe ihres Heimatortes in eine Menschenmenge schießen. Sabahat Erkil versucht, sich mit 15 bis 20 Tabletten unterschiedlichster Art das Leben zu nehmen. Allein durch die schnelle Reaktion ihrer Angehörigen kommt sie frühzeitig ins Krankenhaus, wird dort notärztlich behandelt und anschließend intensiv-medizinisch überwacht. Am nächsten Tag erfolgt ihre Überweisung in die psychiatrische Abteilung des St.-Vinzenz-Hospitals in Dinslaken. Frau Erkil hat bereits in der Vergangenheit mehrere Selbsttötungsversuche unternommen.

    Aufgrund der jahrelangen Verfolgungs- und Kriegserlebnisse in Nusaybin in Türkisch-Kurdistan leidet Frau Erkil unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Mitte der 90er Jahre war sie mit ihrem Mann Mehmet Emin und zwei ihrer Kinder in die BRD geflohen. Seit Oktober 2004 droht der inzwischen sechsköpfigen Familie, die Kinder sind zwischen sechs und dreizehn Jahre alt, die Abschiebung.

    Bemerkenswert ist der amtsärztliche Bericht über den Gesundheitszustand und die Reisefähigkeit von Frau Erkil. Die Amtsärztin zweifelt nicht an den zuvor gestellten Diagnosen, die eine Posttraumatische Belastungsstörung, eine Somatisierungsstörung und eine depressive Symptomatik beschreiben. Sie schreibt zudem, daß im Falle einer Rückführung mit einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen ist, die mit ernst zu nehmenden Suizidalhandlungen ("mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit") einhergehen. Aus diesem Grund äußert sie sich bezüglich einer Abschiebung wie folgt: "... bei der Betroffenen besteht insofern Flugtauglichkeit, daß ein mehrstündiger Flug unbeschadet überstanden werden kann. Das Abschiebeverfahren muß ab Ankündigung in Begleitung stattfinden, welche beruhigend auf Frau E. einwirken und einen Suizidversuch verhindern kann."

    Dem Ehemann Mehmet Emin Erkil, der in Wesel als Vorsitzender des lokalen "Kurdischen Kulturvereins Wesel e.V." politisch aktiv ist, droht bei einer Abschiebung abermals Verfolgung, Gefangenschaft und Folter.

    Die Entscheidung der Härtefallkommission zur Familie Erkil steht im Januar 2006 noch aus.

Initiativkreis "Bleiberecht für Familie Erkil";

Initiativ e.V. 1.12.04;

jW 20.12.04;

 jW 15.1.05; jW 28.6.05;

Sezgin Isimer – Rechtsanwalt

 

24. Juni 05

 

Bundsland Baden-Württemberg. Am Abend wird Sittara Tabassum mit ihren minderjährigen Kindern nach 14-jährigem Deutschland-Aufenthalt nach Pakistan abgeschoben. Damit ist die Familie getrennt, denn der Ehemann, der von der Polizei zum Zeitpunkt der Abholung nicht angetroffen wurde, bleibt vorerst in Deutschland.

    Die Kinder, die alle in Deutschland geboren wurden, sprechen vor allem Deutsch. Aufgrund ihrer fehlenden Sprachkenntnisse (Urdu) wird ihnen in Pakistan die Aufnahme in Schulen verweigert.

Xclusiv nr.2

 

26. Juni 05

 

Meschede in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 2.20 Uhr klopft es an der Tür eines Containers der Flüchtlingsunterkunft in der Rosenstraße. Als die Tür geöffnet wird, dringen fünf Männer ein und schlagen auf einen 16 Jahre alten und einen 17 Jahre alten Bewohner aus Guinea ein. Die Angreifer sind bewaffnet mit Schlagstöcken, Baseballschlägern und zwei ziehen Messer aus der Tasche. Ein 31-jähriger Iraker, der bei den beiden Jugendlichen zu Besuch ist, flieht aus dem Fenster und verletzt sich dabei leicht. Auch die Angreifer verschwinden nach der Attacke – ihre Opfer bleiben verletzt zurück.

    Wie einfach aus Opfern Täter werden, belegt eine Äußerung des Polizei-Pressesprechers Udo Heppe. "Vielleicht ergibt sich ein Anhaltspunkt, vielleicht gibt es jemand, den die beiden besonders verärgert haben", und schließt damit ein rassistisches Tatmotiv aus.

WP 28.6.05;

Polizei Hochsauerlandkreis – Meschede

 

27. Juni 05

 

Neuss in Nordrhein-Westfalen. Es ist ein sonniger Tag, als auf dem Marktplatz zwischen Café Oebel und dem Eiscafé Roma ein iranischer Asylbewerber Benzin aus drei 1,5-Liter-Cola-Flaschen über sich selbst – aber auch über seine 33-jährige Frau und seinen 8-jährigen Sohn gießt. PassantInnen werden aufmerksam, und einem Mann gelingt es, ihm ein Feuerzeug aus der Hand zu nehmen.

    Der 34 Jahre alte Iraner hatte am Vormittag in der Ausländerbehörde erfahren, daß sein Antrag auf eine Arbeitserlaubnis abgelehnt sei. Nach seiner Verzweiflungstat kommt er ins Neusser St.-Alexius-Krankenhaus für Psychiatrie und Psy-chotherapie. Seine Frau und sein Sohn werden nach einigen Stunden psychologischer Beobachtung aus einem Krankenhaus wieder entlassen.

    Die Kriminalpolizei ermittelt wegen eines versuchten Tötungsdeliktes.

taz 28.6.05; NGZ 28.6.05; Aachener Ztg 28.6.05;

WZ 28.6.05; Polizei Neuss 18.7.05

 

28. Juni 05

 

Hildesheim in Niedersachsen. Nach 17 Jahren Deutschland-Aufenthalt wird die libanesische Familie Ismaillat aus Schellerten durch die Abschiebung von Seyri Ismaillat mit ihren drei Kindern Isidin (9), Ali (14) und Liebhaniehe (21) ausein-ander gerissen. Ohne Terminankündigung werden sie nachts um 2.00 Uhr zur Abschiebung aus der Wohnung geholt. Dies geschieht aufgrund der Festlegung der Ausländerbehörde, daß sie als Angehörige der im Libanon lebenden Ethnie der Mahalmi türkische Staatsangehörige mit Namen Ökmen sind.

    Sie werden zum Flughafen Düsseldorf gebracht und mit einem Charterflug im Rahmen einer bundesweiten Massenabschiebung von kurdischen Flüchtlingen um 8.45 Uhr in die Türkei ausgeflogen.

    Zurück bleibt Kidir Ismaillat, der aufgrund seiner multiplen Erkrankungen nicht ohne die Hilfe seiner Frau leben kann, und zurück bleibt ihre 17-jährige Tochter Warde, die wegen akuter Suizidalität in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie eingewiesen wurde. Die Tochter hat bereits einmal versucht, sich das Leben zu nehmen.

(siehe auch: 17. April 05)

    Vater und Tochter erhalten nach einigen Tagen Besuch von Angestellten der Ausländerbehörde, die ihnen ihre ausweglose Situation deutlich machen und damit Unterschriften zur ihrer "freiwilligen Ausreise" erwirken. Die beiden werden dann am 11. Juli ebenfalls in die Türkei ausgeflogen.

    Im September 2004 war noch zum Schutz der Familie Ismaillat eine Petition mit 670 Unterschriften an den Niedersächsischen Landtag eingereicht worden.

FRat NieSa 28.6.05; jW 15.7.05; FRat NRW 15.7.05;

FRat NieSa Heft 113 März 2006

 

28. Juni 05

 

Bestwig im nordrhein-westfälischen Hochsauerlandkreis. Als Mitarbeiter der Ausländerbehörde und der Polizei die kurdischen Eheleute E. und ihre drei Kinder im Flüchtlingsheim Bestwig nachts zur Abschiebung abholen wollen, finden sie nur den 31 Jahre alten Herrn E. vor. Dieser flieht in Panik und Verzweiflung auf den Balkon und klettert über die Brüstung. Als eine Polizistin nach ihm greifen will, läßt er sich fallen, stürzt vier Meter herunter und bleibt bewußtlos und schwer verletzt liegen. Er kommt ins Walpurga-Krankenhaus Meschede, das er erst nach drei Wochen verlassen kann.

    Aufgrund ihrer politischen Arbeit in der Türkei sind die Eheleute dort verfolgt und gefoltert worden. Noch vor ihrer Flucht in die BRD vor zwölf Jahren unternahm Frau E. einen Selbsttötungsversuch.

    In der BRD muß sie sich wegen des schweren Folter- und Verfolgungstraumas immer wieder in ambulante und stationäre Behandlung begeben.

    Die drei Kinder des Ehepaares im Alter von einem, drei und fünf Jahren sind alle in Deutschland geboren, und Herr E. hat jetzt seit fünf Jahren eine feste Arbeit.

    Ein Antrag bei der Härtefallkommission wird negativ entschieden. Am 1. August 2006 beschließt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, daß Frau E. aufgrund ihrer Erkrankung nicht abgeschoben werden darf. Da die Familie nicht sozialhilfeabhängig ist, ist damit auch der Aufenthalt von Herrn E. gesichert. Damit endet der jahrelange und krankmachende Nervenkrieg für die Familie um ein Bleiberecht in der BRD.

WR 29.6.05; taz 6.7.05; WP 6.7.05; WR 6.7.05;

taz 9.7.05; taz 11.7.05; FRat NRW 15.7.05;

taz 19.9.05; FRat NRW;

Radio Sauerland 1.8.06; WDR-nachrichten Siegen 2.8.06;

WR Arnsberg 2.8.06; taz 3.8.06;

kirchenkreis-arnsberg.de

 

28. Juni 05

 

Lotte im Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen. Die kurdische Familie T. soll abgeschoben werden. Herr T., der sich massiv zur Wehr setzt, wird von vier SEK-Beamten überwältigt und – zusammen mit den drei Kindern – hinausgeführt. Frau T. erleidet einen Nervenzusammenbruch. Die anwesende Ärztin gibt ihr eine Valium-Injektion, entscheidet, daß sie jetzt nicht reisefähig ist, und veranlaßt die Einweisung in die Psychiatrie in Lengerich. Die dort behandelnde Kollegin stellt schon eine halbe Stunde später eine Abschiebung im Liegen in Aussicht. Da im gebuchten Flugzeug jedoch keine entsprechenden Plätze zur Verfügung stehen, wird von der Möglichkeit der "Liegendabschiebung" Abstand genommen.

    Um 5.00 Uhr morgens kommen Herr T. und die Kinder in getrennten Bussen am Flughafen Düsseldorf an. Herr T. ist barfuß und trägt nur ein Unterhemd und eine Hose. Er ist so stark gefesselt, daß er beim Abnehmen der Handschellen vor Schmerzen schreit. Die Handfesseln hinterlassen tiefe Einschnitte an den Gelenken. Seine Augenbraue ist verletzt. Ihm wird erlaubt, sich aus den am Morgen in seiner Wohnung von den Angehörigen der Ausländerbehörde gepackten Taschen einige Kleidungsstücke herauszunehmen und anzuziehen.

    Als er um 8.00 Uhr erfährt, daß seine Frau nicht mitfliegen wird, beginnt er, sich zu wehren, und schreit, daß er nicht ohne sie und die Kinder nicht ohne ihre Mutter gehen werden. Er wird erneut von Beamten überwältigt und gefesselt und dann ins Flugzeug gebracht.

    Im Rahmen einer bundesweiten Massenabschiebung wird er mit den Kindern in die Türkei ausgeflogen.

    Frau T. hatte im Vorfeld der Abschiebung eine Selbsttötungsabsicht geäußert, und ihr Mann hatte gedroht, den Kindern "etwas anzutun". Aus diesem Grunde habe der Landkreis ein Sondereinsatzkommando (!) der Polizei eingeschaltet, das sehr "umsichtig und professionell" vorgegangen sei, so der Ordnungsdezernent des Kreises Steinfurt, Dr. Martin Sommer.

    Frau T. hatte sich erst sehr spät in Deutschland in psychotherapeutische Behandlung begeben. Hier berichtete sie detailliert über massive Gewaltübergriffe, die sie durch türkische Polzeikräfte erleiden mußte. Das Zentrum für Folteropfer "Exilio" sprach sich in einem 25-Seiten-Gutachten für eine Aussetzung der Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit aus.

    Der Rechtsanwalt der Familie wurde morgens um 8.00 Uhr von der Abschiebung informiert. Als er um 8.30 Uhr seinen Antrag auf Rechtsschutz gestellt hat, ist es bereits zu spät; Herr T. sitzt mit den Kindern bereits im Flugzeug.

    Am 6. Juli wird Frau T. aus dem Landeskrankenhaus entlassen, und am 15. Juli erfolgt ihre "freiwillige" Ausreise in Begleitung einer Verwandten. Die Kosten der "Ausreise" hat die Ausländerbehörde übernommen. Für den Weiterflug von Istanbul nach Adana hat Frau T. ein Handgeld in Höhe von 50 Euro bekommen. Darüber hinaus bekommt Frau T. einen Drei-Monats-Vorrat des vom Krankenhaus empfohlenen Medikamentes zur Behandlung der psychischen Erkrankung.

WN 29.6.05; MüZ 1.7.05; FRat NRW 15.7.05;

taz NRW 25.8.05;

Abschiebungsbeobachtung am Düsseldorfer Flughafen 31.8.05

 

28. Juni 05

 

Unna in Nordrhein-Westfalen. Morgens zwischen 2.00 und 4.00 Uhr klopft es bei der kurdischen Familie S. an der Wohnungstür. Da die Familie eine Woche zuvor einen Überfall von Neonazis erleben mußte, bei dem Herr S. verletzt wurde, öffnet Frau S. die Tür aus Angst jetzt nicht.

    Es wird jetzt lauter gegen die Tür gehämmert, und schließlich dringen sechs bis sieben Polizeibeamte über den Balkon in die Wohnung ein. Sie legen Herrn S. umgehend in Handschellen und reißen die zehn Kinder im Alter von zwei bis 21 Jahren aus den Betten. Ohne Schuhe, ohne Wäsche werden sie alle zur Abschiebung abtransportiert. Nicht einmal Windeln darf Frau S. für ihr Kleinkind mitnehmen.

    Über den Flughafen Düsseldorf wird die Familie im Rahmen einer bundesweiten Massenabschiebung in die Türkei geflogen. Auf dem Flughafen Istanbul erfolgt die umgehende Verhaftung des ältesten Sohnes, weil er seinen Militärdienst in der türkischen Armee ableisten muß.

    Vor ihrer Flucht in die BRD waren die Eheleute S. in der Türkei auf schlimmste Weise gefoltert worden. Vor allem der heute 42 Jahre alte Herr S. wurde dabei schwer verletzt und hat unter den psychischen Folgen der Mißhandlungen sehr zu leiden. Seine seelische Gesundheit verschlechterte sich dramatisch, als er erfuhr, daß sein Bruder am 16. Januar in Cizre erschossen wurde, weil dieser sich geweigert hatte, für türkische Behörden zu arbeiten.

FRat NRW 15.7.05

 

28. Juni 05

 

Psychiatrische Klinik in Rickling in Schleswig-Holstein. Nachts erscheinen Polizisten, Beamte des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten aus Neumünster und eine Begleitärztin, um den 32 Jahre alten Kurden Murat Savas zur Abschiebung abzuholen. Durch den heftigen Protest der diensthabenden Stationsärztin kann die Abschiebung leicht verzögert, aber nicht verhindert werden.

    Um 8.40 Uhr sitzt Murat Savas zusammen mit weiteren 70 kurdischen Flüchtlingen in einer Chartermaschine, die in die Türkei fliegt.

    Murat Savas leidet aufgrund von schwerer Folter in der Türkei unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Er befand sich jetzt vier Wochen in der Klinik. Klinikleitung und ÄrztInnen hatten sich aus gesundheitlichen Gründen mehrmals entschieden gegen eine Abschiebung ausgesprochen. Obwohl sie sich einer "rechtmäßigen" Abschiebung nicht entgegenstellen können, waren sie doch davon ausgegangen, daß ihr medizinisches Votum einen Aufschub der Abschiebung herbeiführen könnte: "Wir haben klar gemacht, daß der Mann in stationärer Behandlung bleiben sollte; wir wollten uns nicht an Maßnahmen der Abschiebung beteiligen."

    Zurück bleiben seine Frau Nurten Savas und seine beiden Kinder Nurullah und Rojhat, die hier in der BRD geboren wurden. Ihre Duldung wird nicht mehr verlängert, so daß sie sich fortan auch nicht mehr nach Hause trauen.

    Murat Savas war vor 15 Jahren nach Deutschland geflohen, hatte mehrere Jahre lang eine Vollzeitstelle, die er dann allerdings verlor, als sein Asylantrag abgelehnt worden war. Als er am 20. Juni in Abschiebehaft genommen werden sollte, beurteilten der Haftrichter und ein herbeigezogener Amtsarzt den offensichtlich schwerkranken Mann als haftunfähig. Danach hatte sich Murat Savas ins Ricklinger Krankenhaus begeben.

FRat SH 15.6.05; FRat SH 1.7.05 LN 5.7.05; SeZ 6.7.05;

NoZ (HA) 8.7.05; taz 11.7.05

 

28. Juni 05

 

Herne in Nordrhein-Westfalen. Nachts gegen 3.00 Uhr klopfen Beamte an die Tür des kurdischen Ehepaares, um es abzuschieben. Nachbarn, die dem Ehepaar helfen wollen, werden weggedrängt. Als Frau B. die Situation begreift, beginnt sie laut und ununterbrochen zu schreien. Daraufhin wird ihr von einem Arzt ein Beruhigungsmittel in den Oberschenkel injiziert. Die Beamten überwältigen ihren Mann und stoßen ihn zu Boden. Dabei erleidet er Verletzungen im Gesicht und an der Schulter. Dann legen ihn die Beamten in Fuß- und Handschellen.

    Im Transportbus – im Wartebereich des Flughafen Düsseldorf – wird Frau B. gezwungen, eine Beruhigungs-

tablette zu schlucken – und auch ihr Mann schaut durch seine am Flughafen anwesende Rechtsanwältin schlichtweg "hindurch".

    Frau B. ist psychisch krank. Obwohl die vorgelegten Gutachten ausdrücklich auf eine Verschlechterung des psychischen Zustandes und auf eine Erhöhung des Risikos autoaggressiver Handlungen mit tödlichem Ausgang bei einer Zwangsabschiebung hinweisen, wird keine amtsärztliche Untersuchung durchgeführt. Auch ein Antrag an die Härtefallkommission wird schlichtweg ignoriert. Der Amtsleiter selbst entscheidet nach Aktenlage, daß Frau B. in Begleitung "flugtauglich" sei, "da den Attesten nicht zu entnehmen sei, daß Frau B. nicht in der Lage sein soll, eine mehrstündige Flugreise zu unternehmen".

    Auch am Flughafen Düsseldorf ignoriert der dort verantwortliche Arzt Herr K. sämtliche Atteste und Gutachten über Frau B.'s psychologische Situation. Die medizinische Untersuchung am Flughafen Düsseldorf umfaßt eine Blutdruckmessung und die Frage des Arztes, ob Frau B. denn Verwandte in der Türkei hat.

    Dann werden die Eheleute zusammen mit 70 weiteren Flüchtlingen nach Istanbul ausgeflogen.

FRat NRW 15.7.05;

Abschiebungsbeobachtung am Düsseldorfer Flughafen 31.8.05

 

28. Juni 05

 

Sammelabschiebung von ca. 70 kurdischen und libanesischen Flüchtlingen morgens um 9 Uhr über den Flughafen Düsseldorf. Viele Fahrzeuge mit Behördenzeichen, Reisebusse, Wagen der Bundespolizei und Streifenwagen stauen sich vor der Flughafen-Zufahrt. Sie werden einzeln auf das Gelände gelassen. Danach dauert es mehr als drei Stunden, bis die Flüchtlinge – Männer, Frauen, Kinder und alte Menschen – ausgeladen sind. Eine Rechtsanwältin, die die Szene vor Ort beobachtet: "... zum Teil wie Gepäckstücke aus den Autos gezogen....". Aus einem Krankenwagen heraus wird direkt an dem Flugzeug eine Person umgeladen.

    Viele Menschen tragen Handschellen, einige sind zusätzlich an den Füße gebunden. Kinder sind von ihren Eltern getrennt, einige sind in Decken gehüllt – andere weinen. Eine Frau betreut sie.

    Später wird bekannt, daß die erwachsenen Flüchtlinge in den Fahrzeugen gezwungen worden waren, Psychopharmaka zu schlucken.

    Die kurdischen Flüchtlinge, von denen viele seit Jahren in der BRD leben, einige sogar seit 15 Jahren, müssen nach ihrer Abschiebung mit Gefängnis oder sogar Folter rechnen.

jW 30.6.05;  taz 12.7.05

 

Juni 05

 

Schleswig-Holstein. Die Ausländerbehörde in Rendsburg will die Abschiebung der Familie Landu in den Kongo durchset

zen, weil zwei Tage später der Mutterschutz für Frau Landu beginnen würde. Dies bedeutet für die hochschwangere

37-Jährige einen Schock. Es kommt zu einem Zusammenbruch und zu einer Frühgeburt, wodurch das Kind fast gestorben wäre.

    Nach diesem Abschiebeversuch und mit einem Attest der Ärzte, daß Frau Landu wegen einer Thrombose für die Zeit von zwei Jahren nicht flugfähig ist, erteilt die Ausländerbehörde der Familie unter Auflagen eine Aufenthaltserlaubnis.

    Frau Landu war im März 1995 vom Kongo über Angola in die BRD geflüchtet, nachdem sie ihre beiden 1988 und 1989 geborenen Töchter Verwandten anvertraut hatte. 1995 heiratete sie einen 30-jährigen Kongolesen, den sie im Lübek-ker Flüchtlingsheim kennengelernt hat. Nach der Heirat erfolgte eine Umverteilung des Paares nach Rendsburg. Die Anträge auf die Erteilung von Visa für die beiden Töchter in Afrika wurden abgelehnt.

    UnterstützerInnen der Familie gelang es dann 1997, die Kinder zu ihrer Mutter zu bringen. Im Jahre 2000 wurde ein gemeinsames Kind geboren.

    Jahrelang drohte die Ausländerbehörde mit der Abschiebung, die wegen fehlender Papiere jedoch noch nicht voll-zogen werden konnte. Als Frau Landu im Jahre 2005 wieder schwanger war, wurde die Härtefallkommission angerufen. Diese lehnte einen Aufenthaltstitel ab, plädierte jedoch für die Aussetzung einer Abschiebung wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft.

    Als der Ausländerbehörde die erforderlichen Papiere vorlagen, kam es zu der Entscheidung, die Abschiebung durchzusetzen.

Reinhard Pohl – Journalist;

Der Schlepper Nr. 36 Herbst 2006

 

Juni 05

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick befanden sich ab 1. Januar 66 Minderjährige in Haft. davon 65 unter 18 Jahren und eine Person unter 16 Jahren. 35 der 66 Minderjährigen befanden sich länger als 24 Stunden in Haft.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 15/12584

 

1. Juli 05

 

In der Zufahrt zum Lkw-Parkplatz der Firma MAN in Ludwigsfeld bei München legen Unbekannte einen leblosen Körper ab. Am Morgen darauf wird ein 41 Jahre alter Kurde aus dem Irak im schwedischen Malmö angerufen. Eine ihm unbekannte Stimme teilt ihm mit, daß sein Sohn die Fahrt durch Deutschland nicht überlebt habe. Ihm wird auch gesagt, wo die Leiche sich befindet.

    Die Polizei findet den Toten mithilfe von Wärmebildkameras. Die Obduktion ergibt, daß der 22-Jährige offensichtlich durch die Einwirkung großer Hitze zu Tode gekommen ist.

    Er hatte sich, um zu seinem in Schweden lebenden Vater zu gelangen, für 5000 US-Dollar in die Hände von Fluchthelfern begeben, weil ihm eine legale Einreise nicht gestattet wurde.

SZ 4.7.05

 

1. Juli 05

 

Dessau in Sachsen-Anhalt. Nachdem ein 28 Jahre alter Flüchtling aus Äthiopien in der Unterführung zum Hauptbahnhof von rechtsextremistischen Schlägern angegriffen wird, gelingt ihm die Flucht in den Bereich des Bahnhofskiosks, wo er lautstark auf den Überfall aufmerksam macht. Als ein anderer Flüchtling versucht, in den Bistrobereich zu gehen, um sich über den Vorfall zu informieren, stellt sich ihm einer der Angreifer in den Weg, beleidigt ihn mit rassistischen Sprüchen und wirft eine Flasche nach dem Afrikaner, die allerdings ihr Ziel verfehlt. Der Angegriffene wehrt sich jetzt mit Reizgas und rettet sich so aus der Situation.

    Da der Angreifer gegen sein Opfer eine Strafanzeige wegen gefährlicher Körperverletzungen stellt, ermittelt die Polizei zunächst gegen den Flüchtling.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

4. Juli 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Um 2.50 Uhr schneidet sich ein 23 Jahre alter Gefangener aus Tunesien den linken Arm auf. Mitgefangene entdecken die Verletzungen und verständigen das Anstaltspersonal. Nach medizinischer Versorgung der Wunden im DRK-Krankenhaus kommt der Gefangene in den Isolationstrakt des Abschiebegefängnisses. (siehe auch: 9. September 05)

Polizei Berlin 4.7.05;

taz 5.7.05; BM 5.7.05

 

4. Juli 05

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Krankenabteilung der JVA Büren versucht der Abschiebegefangene D. M. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

7. Juli 05

 

Kamen in Nordrhein-Westfalen. Aus Angst vor einer Rückführung nach Polen rammt sich die 39 Jahre alte Frau A. ein Brotmesser in den Bauch. Sie kommt in die Westfälischen Kliniken Dortmund, wo ihre Bauchverletzungen und auch ihr seelisches Leiden behandelt werden.

    Frau A., die erst seit dem 1. Mai dieses Jahres in Deutschland ist, war aus Angst vor "Blutrache" mit ihrem Mann und drei Kindern aus Tschetschenien geflohen. Sie leidet unter massiven psychischen Problemen. Die Ärzte diagnostizieren eine "schwere depressive Episode" und eine "andauernde schwere Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung". Als sie nach drei Wochen das Krankenhaus verlassen kann und beim Sozialamt einen Krankenschein abholen will, erfolgt ihre Festnahme.

    Mit der Begründung "Fluchtgefahr", denn Frau A. hätte durch den "Suizidversuch versucht, die Abschiebung zu verhindern" und es bestände weiterhin der begründete Verdacht, daß Frau A. "sich erneut selbst verletzt, um sich der Abschiebung nach Polen zu entziehen", unterschreibt der zuständige Richter des Amtsgerichts Kamen den Haftbefehl, ohne die Frau gesehen zu haben und ohne eine Haftfähigkeit prüfen zu lassen. Frau A. kommt in das Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg.

    Am 17. August entscheidet das Landgericht Dortmund, daß sowohl der Haftantrag der Ausländerbehörde Kreis Unna als auch der Beschluß des Amtsgerichts Kamen offensichtlich rechtswidrig waren. Frau A. kommt nach 18 Tagen Gefangenschaft frei. Der für Ende August geplante Flug nach Polen wird zunächst storniert.

Pro Asyl 10.8.05; taz NRW 12.8.05;

FR 15.8.05;HeA 16.8.05;  Pro Asyl 17.8.05;

HeA 18.8.05; FR 19.8.05

 

9. Juli 05

 

Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Ein 16 Jahre alter Flüchtling aus Niger wird auf einem Stadtfest von drei deutschen Männern rassistisch beleidigt und bedroht. Sie schubsen und sto-ßen ihn schließlich mit dem Kopf gegen eine Wand und schlagen auf ihn ein. Der Jugendliche verliert das Bewußtsein und kommt erst im Krankenhaus wieder zu sich.

    Seit diesem Angriff leidet er unter Sehstörungen, Schlafstörungen und Albträumen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

13. Juli 05

 

Berlin. Branislav Sain wird in seiner Wohnung festgenommen und in das Abschiebegefängnis Köpenick eingeliefert. Er ist Rom und hat eine serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeit. Die beabsichtigte Abschiebung nach Belgrad kann nur durch die Stellung eines Asylantrages gestoppt werden.

    Herr Sain lebt seit über zwei Jahren mit Frau Emina F. und der gemeinsamen Tochter Jovanka zusammen. Sie sind

 dringend auf seine Unterstützung angewiesen, denn der Vater kann sich als Einziger intensiv um die 2-Jährige kümmern. Frau F. ist schwer nierenkrank und muß dreimal in der Woche für jeweils 3 – 6 Stunden zur Dialyse.

    Nach seiner Inhaftierung verschlechtert sich der Gesundheitszustand von Frau F. dramatisch, so daß sie sich in stationäre Behandlung begeben muß. Das Kind wird auf Anweisung des Jugendamtes in einer Pflegefamilie untergebracht. Die Familie ist jetzt völlig auseinandergerissen.

    Die Berliner Ausländerbehörde behandelt die Betroffenen nicht als Familie und beruft sich dabei auf die nicht vorliegende Anerkennung der Vaterschaft. Dies kann jedoch Herrn Sain nicht angelastet werden, denn mit Billigung der Senatsverwaltung für Inneres verweigern Berliner Standesämter die Ausstellung einer Geburtsurkunde, wenn die Eltern ihre Identität nicht nachweisen können. Dann ist das Kind für die Ausländerbehörde faktisch nicht vorhanden und eine offizielle Anerkennung der Vaterschaft nicht ermöglicht.

    Vor dem Verwaltungsgericht gelingt es, einen gerichtlichen Vergleich zu schließen, daß bis zu der abschließenden Klärung der Vaterschaft keine Abschiebung erfolgt. Daraufhin zieht die Ausländerbehörde den Haftverlängerungsantrag am 12.08.05 zurück und entläßt Herrn Sain. Das Amtsgericht Schöneberg verpflichtet schließlich das Standesamt, eine Geburtsurkunde auszustellen.

taz 23.7.05; ND 23./24.7.05;

Flüchtlingsrat Berlin 1.8.05;

Sven Hasse – Rechtsanwalt

 

21. Juli 05

 

Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg. Bei einer Razzia gegen das Flüchtlingsheim in der Obereschacher Straße 11 sind 210 Beamte beteiligt. Nach großräumiger Absperrung des Geländes stürmen Beamte mit Sturmhauben und schußsicheren Westen um 4 Uhr das vierstöckige Haus.

    Von den 74 gemeldeten BewohnerInnen sind 39 Personen anwesend. Eine Frau erleidet einen Kreislaufzusammenbruch – auch eine Hochschwangere wird vorsorglich ins Krankenhaus gebracht.

SK 22.7.05

 

21. Juli 05

 

Nordrhein-Westfalen. Im Flüchtlingsheim der Ortschaft Plettenberg in der Ohler Straße 100 verschanzt sich ein 23 Jahre alter Iraner in einem kleinen Büro der Stadtverwaltung und protestiert laut gegen die Streichung seiner Sozialhilfe. Dann nimmt er ein Rasiermesser und versucht, sich die Pulsadern auf zu schneiden. Die Klinge ist jedoch zu stumpf, so daß der Iraner in seiner Verzweiflung seinen Kopf mehrmals gegen eine Wand schlägt. Gerufene Polizei, Rettungskräfte und Notarzt versorgen ihn notdürftig und bringen ihn dann ins Evangelische Krankenhaus.

    Der Mann habe sich, so heißt es von Seiten des Sozialamtes, nicht überwiegend in Plettenberg aufgehalten, wozu er als Asylbewerber aber verpflichtet sei. Aus diesem Grunde sei ihm die Zahlung von Sozialhilfe verweigert worden.

WR 22.7.05;

PR 23.7.05; PSS 23.7.05

 

22. Juli 05

 

Im brandenburgischen Lübben wird zwei afrikanischen Flüchtlingen in einem Waldstück der Weg von zwei jungen Männern versperrt. Als einer der Bedrohten mit seinem Handy die Polizei rufen will, wird ihm das Telefon aus der Hand getreten.

Opferperspektive

 

23. Juli 05

 

Sachsen-Anhalt. Ein vietnamesischer Asylbewerber springt aus dem obersten Stockwerk des Asylbewerberwohnheims in Möhlau, wo das kommerzielle Unternehmen "European Homecare" bis zu 550 Flüchtlinge unterbringt. Der Vietna-mese ist schwer verletzt und wird nach Auskunft der Polizei mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus gebracht.

Polizei Dessau 9.1.07

 

24. Juli 05

 

Möhlau in Sachsen-Anhalt. Aus dem dritten oder vierten Stock des Asylbewerberwohnheims springt ein junger Flüchtling aus Mali, der schon länger psychisch krank war. Er erleidet nur Prellungen, wird aber vom Sozialpsychologischen Dienst in die Bosse-Klinik, ein Krankenhaus in Wittenberg, eingeliefert. Dort wird eine paranoide Schizophrenie festgestellt. Daraufhin bestellt das Amtsgericht Halle einen Betreuer für ihn, der die Unterbringung in einer Einrichtung des Betreuten Wohnens veranlaßt. Dort ist der Flüchtling nicht angekommen, sondern nach der Krankenhausentlassung verschwunden.

Diakonisches Werk Wittenberg

 

24. Juli 05

 

Im thüringischen Gera werden der 19 Jahre alte türkische Asylbewerber Mehmet Ocakci und der Betreiber des Cafés des Türkischen Kulturvereins, Baskari Yildiray Koncan

(31 Jahre alt), von mindestens sechs stadtbekannten betrunkenen Neonazis mit Bierflaschen und Zaunlatten angegriffen und zusammengeschlagen. Die großen blutenden Platzwunden an ihren Köpfen müssen im Krankenhaus Gera genäht werden. Gegen den Rat der Ärzte verlassen sie dann aus Angst vor weiterer Verfolgung am nächsten bzw. übernächsten Tag vorzeitig das Krankenhaus. Noch Monate später leiden sie unter Kopfschmerzen und Schwindelanfällen.

    Obwohl mehrere AugenzeugInnen aussagen, obwohl in direkter Nähe eine Neonazi-Party stattgefunden hat, obwohl kurz vorher in dem zwei Häuser weiter liegenden Afro-Shop die Scheiben zum wiederholten Male eingeworfen wurden und das Personal rassistisch bedroht wurde ("Du bist dran. Viele Grüße an deine schwarzen Freunde"), leugnet die Polizei mehrmals einen rassistisch motivierten Überfall. Erst als die Staatsanwaltschaft gegen sechs mutmaßliche Täter Haftbefehle erlassen hat, räumt die Polizei fünf Tage nach der Tat einen "ausländerfeindlichen Hintergrund" ein.

TA 2.8.05; JWB 10.8.05;

THO; "Netz"

 

25. Juli 05

 

Henningsdorf in Brandenburg. Nachts wird ein afrikanischer Flüchtling von mindestens drei Deutschen verfolgt, beleidigt und bedroht ("Wir bringen Dich um!"). Der Afrikaner ergreift die Flucht, als er bemerkt, daß ihn zusätzlich ein PKW verfolgt. Es gelingt ihm, sich in den Eingangsbereich seiner Unterkunft zu retten und das dortige Wachpersonal um Unterstützung zu bitten.

Opferperspektive

 

26. Juli 05

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Um 13.30 Uhr wird ein 27-jähriger Mann aus Guinea in einer Filiale von Peek & Cloppenburg in der Leipziger Straße von einem Ladendetektiv gebeten, mit ins Büro zu kommen, weil er ihn beim Diebstahl von Kleidung beobachtet habe.

    Als hier die Personalien überprüft werden sollen, springt der Asylbewerber auf, läuft zum Fenster und stürzt sich hin-unter. Aus dem zweiten Stock fällt der Körper zunächst auf ein Vordach und schlägt dann auf dem Pflaster des Gehweges auf. Mit schwersten, lebensgefährlichen Kopfverletzungen und vielen Knochenbrüchen kommt der Mann ins Elisabeth-Krankenhaus.

MDZ 26.7.05

 

26. Juli 05

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Togo wird in Ribnitz-Damgarten von einem Deutschen beschimpft und mit einer Pistole bedroht. Dem Togoer gelingt die Flucht, und er ruft die Polizei. Der Täter kann nicht ermittelt werden.

LOBBI

 

28. Juli 05

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die 36 Jahre alte Ana Maria Domingo wird aus der Abschiebehaft der JVA Frankfurt II abgeholt und mit einem extra gecharterten Kleinflugzeug über den Flughafen Düsseldorf nach Angola abgeschoben.

    Ihre 2-jährige Tochter Ernestina Jemima sollte eigentlich auch abgeschoben werden, war aber für die Abschiebekräfte nicht greifbar. Bemerkenswert ist, daß die zentrale Abschiebebehörde in Karlsruhe die geforderte Mitarbeit bei der Überführung der Tochter zum Flughafen verweigert hatte und auf die Strafbarkeit wegen Kindesentziehung bei Wegnahme des Kindes vom Vater hingewiesen hatte. Außerdem erfolgte der Rat, von der Abschiebung abzusehen.

    An Händen und Füßen gefesselt, wird Frau Domingo in Luanda der dortigen Polizei übergeben.

    Bereits am 1. Februar 05 hatte die Stadt Dorsten versucht, Mutter und Kind abzuschieben. Dabei fühlte sich Frau Domingo durch die anwesenden Beamten dermaßen in die Enge getrieben, daß sie versucht hatte, sich gemeinsam mit ihrer Tochter aus dem Fenster zu stürzen. Nur mit Gewalt konnte sie davon abgehalten werden. Über den Flughafen Frankfurt wurden die beiden dann ausgeflogen. Bei einer Zwischenlandung in Lissabon jedoch entledigte sich Ana Maria Domingo ihrer Kleidung, zerriß ihre Reisedokumente und weigerte sich vehement, den Weiterflug nach Angola anzutreten. Die portugiesischen Grenzbeamten schickten sie nach Frankfurt zurück.

    Ein zweiter Abschiebeversuch am 18. Mai 05, bei dem Frau Domingo zunächst die Tochter weggenommen und ihr erst auf dem Flughafen Frankfurt wiedergegeben wurde, endete mit der Einweisung der Angolanerin in die Universitätsklinik Frankfurt. Von dort aus wurde sie in die psychiatrische Klinik nach Frankfurt-Höchst verlegt. Schon gegen die Festnahme zur Abschiebung – einige Stunden zuvor - hatte sich Frau Domingo heftig gewehrt, so daß diese erst durch "Hinzuziehung eines Krankentransportwagens und eines verstärkten Polizeiaufgebotes gelang". Auch in den folgenden Stunden auf den Transporten in den Polizeigewahrsam und zum Flughafen und auf dem Flughafengelände wehrte Frau Domingo sich weiterhin heftig. Es gelang ihr mehrmals, die Hand- und Fußfesseln wieder abzustreifen, sie schrie ununterbrochen und fiel mehrmals in Ohnmacht.

    Ihre Tochter wurde zunächst einer Nachbarin in Dorsten übergeben und danach dem leiblichen Vater in Pforzheim.

    Noch während ihres stationären Aufenthaltes in der Psychiatrie wurde Abschiebehaft beantragt und angeordnet. Frau Domingo wurde dann in die JVA Frankfurt II verlegt von wo aus jetzt die Abschiebung erfolgte.

    In Luanda wird Frau Domingo noch auf dem Flughafen festgenommen und kommt – ohne Anklage, Anhörung oder

Prozeß – für die nächsten drei Jahre in das Justizgefängnis "D.N.C." in Luanda. Sie wird hier öfter geschlagen, wenn sie die ihr aufgetragene Arbeit nicht zur Zufriedenheit der Wächter erledigt und auch, wenn sie den sexuellen Forderungen des Bewachungspersonals nicht nachgeben will.

    Im Jahre 2008 gelingt es Ana Maria Domingo erneut, in die Bundesrepublik einzureisen. Die Ausländerbehörde Dorsten fordert von ihr jetzt die Rückzahlung eines Teils der Abschiebekosten in Höhe von 32.361,23 Euro (tatsächliche Kosten incl. Begleitung von sechs Bundespolizisten und eines Arztes: 102.000 Euro).

    Im November 2010 bezeichnet die 11. Kammer des Verwaltungsgerichtes Gelsenkirchen die Abschiebung der Mutter als "eklatant rechtswidrig" und als Verstoß gegen den Art. 6 des Grundgesetzes und die Europäische Menschenrechts-Konvention. Für die Tochter bestand Abschiebestop, weil ihr in Angola, dem Land mit der zweithöchsten Kindersterblichkeitsrate der Welt, "Gefahr für Leib und Leben" gedroht hätte. Weil das Kind nicht abgeschoben werden durfte, galt Gleiches für die Mutter. Die Abschiebekosten sind somit nicht von Frau Domingo zurückzuzahlen.

    Ihr Tübinger Rechtsanwalt Karl Joachim Hemeyer macht gegenüber der Stadt Dorsten Schmerzensgeld-Anspüche geltend.

    Nachdem ein ehemaliger Verwaltungsrichter im Auftrag der Stadt ein Gutachten über den Fall erstellt hat, wird ein Disziplinarverfahren gegen zwei städtische Mitarbeiterinnen eingeleitet.

    Nach Einstellung des Verfahrens im Oktober 2011 bleiben beide Beamtinnen weiterhin in der Ausländerbehörde beschäftigt. Die Begründung: Die Beamtinnen seien fachlich sehr gut, und für eine Versetzung fehle das Personal.

WAZ 13.11.10;

WAZ 17.11.10; DoZ 17.11.10;

 WAZ 18.11.10; Bild 18.11.10;

WAZ 13.2.11; derwesten.de 25.3.11;

MARLlaktuell 5.4.11;

radio vest 6.4.11; DoZ 6.4.11;

Karl Joachim Hemeyer – Rechtsanwalt;

radiovest.de 13.10.11

 

28. Juli 05

 

Seit sechs Tagen befindet sich der 22 Jahre alte Farjad Sadavieyeh aus Protest gegen die geplante Abschiebung im Hungerstreik, als er morgens um 5 Uhr aus der Abschiebehaft in Chemnitz geholt und zum Flughafen Frankfurt am Main transportiert wird. Weder seine Schwester noch FreundInnen bekommen hier die Erlaubnis, sich von ihm zu verabschieden – geschweige denn, ihm etwas Geld zu übermitteln. Am frühen Abend wird er – an Händen und Füßen gefesselt und in eine Decke eingehüllt – von drei Bundespolizisten in eine Maschine der russischen Gesellschaft Transaero airlines geschleppt und nach Moskau ausgeflogen. Hier bekommt er seinen Paß ausgehändigt und ein Flugticket über Aserbaidschan (Baku) in den Iran.

    Farjad Sadavieyeh hatte aufgrund seiner politischen Aktivitäten den Iran verlassen müssen. Der Antrag auf Asyl war mit der Begründung abgelehnt worden, da er mit einem Visum, also legal (!) in die BRD eingereist sei, habe er bei einer Abschiebung in den Iran nichts zu befürchten.

Karawane – Hamburg 29.7.05

 

31. Juli 05

 

Tanja Pulovic, die seit 1989 in Berlin lebt, wird zusammen mit ihren Kindern, der 7-jährigen Tijana und der 15-jährigen Jasmina (Sacipovic), festgenommen und in den Polizeigewahrsam Tempelhofer Damm gebracht. Dem deutschen Lebensgefährten von Frau Pulovic gelingt es, die Kinder aus der Haft herauszubekommen; doch seine Frau wird in das Abschiebegefängnis Köpenick gebracht. Am 8. September wird sie nach Serbien abgeschoben.

    Die Kinder, die beide in Berlin geboren und aufgewachsen sind, müssen jetzt versteckt werden, und der Freund der Mutter muß paradoxerweise Asylanträge für sie stellen.

    Obwohl Frau Pulovic ihren Freund am 3. Juli 2006 in Serbien heiratet und Anträge auf ein Visum gestellt sind, wird die Abschiebung der Kinder weiter vorangetrieben. Diese ist für den 13. August 2007 geplant.

Bericht des Lebensgefährten

 

Juli 05

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Hals über Kopf wird die Roma-Familie Jahirovic aus dem Kreis Steinfurt abgeschoben. Vier der sieben Kinder sind in Deutschland geboren.

    Nach einem abenteuerlichen Weg wird die Familie im "Camp Osterode", einer ehemaligen Kaserne französischer KFOR am Rande von Nord-Mitrovica, einquartiert. Dieses Lager haben die Vereinten Nationen errichtet, und es war eigentlich nur für Internally Displaced Persons (IDP) gedacht. Es befindet sich auf den Halden einer ehemaligen Bleimine. Der deutsche Umweltmediziner Dr. Klaus-Dietrich Runow nimmt  Haarproben von den BewohnerInnen und stellt Bleiwerte tausendfach über der Norm fest.

    Auch von Familie Jahirovic, die erst einige Monate dort lebt, werden Proben genommen, und bei fast allen Familienmitgliedern wird eine behandlungsbedürftige Vergiftung festgestellt. Zudem leidet Frau Jahirovic an einer Darmerkrankung, die dringend operiert werden müßte.

zdf – Mona Lisa 30.4.06;

Kosovo Oktober 2009

 

3. August 05

 

Kreuztal-Littfeld in Nordrhein-Westfalen. Um 13.30 Uhr halten sich auf dem Heimweg von ihrer Arbeit drei nigerianische Flüchtlinge aus Siegen an einer Bushaltestelle in der Hagener Straße auf, als sie von zwei Skinheads verbal beleidigt und beschimpft werden. Ein 20-jähriger Deutscher hebt sogar den Arm zum sogenannten Hitlergruß.

    Als der Bus kommt, steigen die Flüchtlinge zunächst ein, besinnen sich aber und steigen wieder aus. Ein weiterer Nigerianer hat sich ihnen angeschlossen, denn sie wollen sich die Provokation nicht gefallen lassen. Sie gehen über die Straße und fordern die inzwischen in einem Haus verschwundenen Deutschen auf herauszukommen.

    Draußen entwickelt sich ein Handgemenge, in dessen Verlauf der 20-Jährige einen Nigerianer anspuckt und dann versucht die vier mit einem Multi-Tool (einer Art Schweizer Messer) anzugreifen. Als es den Afrikanern gelingt, ihm das Messer abzunehmen, zieht er eine Nagelschere aus der Tasche und sticht damit in ihre Richtung. Dabei trifft er einen 28 Jahre alten Flüchtling am Arm und fügt ihm eine stark blutende Fleischwunde zu.

    Der Verletzte kommt ins Krankenhaus, das er allerdings nach Behandlung seiner Wunden noch am selben Tag wieder verlassen kann.

    Gegen die 19 und 20 Jahre alten Täter werden Strafverfahren wegen Volksverhetzung, gefährlicher Körperverletzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Beleidigung eingeleitet. Dann kommen sie wieder auf freien Fuß.

Polizei Hagen 3.8.05; WP 4.8.05; WR 4.8.05;

Polizei Hagen 4.8.05; SiZ 5.8.05; taz 5.8.05

 

5. August 05

 

Gera in Thüringen. In der Nacht werden zwei türkische Männer – einer von ihnen ist Asylbewerber – von zwei deutschen Männern beschimpft und dann ins Gesicht geschlagen. Einer der Angegriffenen wird dadurch verletzt.

taz 6.8.05;

Ausländerbeauftragte der Stadt Gera

 

6. August 05

 

Potsdam-Nedlitz in Brandenburg. Gegen 22.00 Uhr werden drei Flüchtlinge aus Kamerun, eine Frau aus Bosnien und eine Deutsche an einer Bushaltestelle vor dem Flüchtlingsheim am Lerchensteig aus einer Gruppe von Deutschen heraus rassistisch und sexistisch beleidigt. "Ficke nicht mir Niggern, fick lieber einen Deutschen", wird der deutschen Freundin gesagt. Um Schlimmerem auszuweichen, gehen die Flüchtlinge auf das Gelände ihrer Unterkunft zurück, doch die Provokateure verfolgen sie. Als Sarutin T. sich schützend vor die Deutsche stellt, schlagen ihn die Rassisten zu Boden und treten ihn mit Füßen. Er versucht sich zu erheben und wird weiter geschlagen. Eine Bierflasche fliegt in die Richtung der Flüchtlinge – zerschellt aber am Boden.

    Der gerufene Wachmann des Wohnheimes hört noch die Drohung: "Nur ein toter Neger ist ein guter Neger!", bevor die fünf Männer und die Frau unter den Rufen: "Scheiß Nigger!" in einen Bus der Linie 691 steigen. Die Polizei stoppt den Bus und nimmt die gesuchten Personen fest.

    Sarutin T. kommt mit Verletzungen an Schulter und Ellenbogen ins Krankenhaus.

    Nach vorläufiger Freilassung der Täter und der Täterin werden einige Tage später Haftbefehle gegen einen 26-jährigen und einen 33 Jahre alten Mann erlassen. Sie sind beide vorbestraft und werden festgenommen. Der jüngere der Täter verbüßt zur Zeit eine Bewährungsstrafe und bleibt in Haft. Der ältere Angreifer kommt unter Auflagen wieder frei.

    Einer der angegriffenen Flüchtlinge muß sich aufgrund der lang anhaltenden schockierenden Wirkung des Überfalls in psychotherapeutische Behandlung begeben.

    Am 29. Mai 2006 verurteilt das Amtsgericht Potsdam die Täter zu Haftstrafen von einem Jahr und 10 Monaten bzw. einem Jahr und zwei Monaten und einem Jahr.

Deutschlandradio 8.8.05;

rbb Nachrichten 8.8.05; MAZ 8.8.05;

BM 9.8.05; FR 9.8.05; MAZ 10.8.05;

e110 11.8.05; MAZ 11.8.05; Opferperspektive;

BeZ 28.4.06; PNN 5.5.06; taz 31.5.06

8. August 05

 

Großbrand in Berlin-Moabit. Nachdem um 23.07 Uhr der Notruf bei der Berliner Feuerwehr eingegangen ist, und fünf Minuten später die ersten Rettungskräfte vor der Ufnaustraße 8 eintreffen, ist noch nicht absehbar, zu welcher Katastrophe sich der Brand entwickeln wird. Letztlich sind 150 Feuerwehrleute, 25 Rettungswagen und sechs Notärzte im Einsatz.

    Acht Menschen sterben durch Brand und Rauch; von den 15 Schwerverletzten, die in Krankenhäuser kommen, haben sich einige durch Sprünge aus den Fenstern die Knochen gebrochen. Zwei Tage später erliegt die 34 Jahre alte Ferdane L. aus dem Kosovo ihren Brandverletzungen. Ihre Tochter Shkurte liegt zur gleichen Zeit mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Sie war – vor Eintreffen der Feuerwehr – aus einem Fenster des Treppenhauses gesprungen.

    Der polnische Vater Marek F. (35) und seine drei Kinder Anita (17), Nicole (11) und Alberto (7) sterben, und aus einer Flüchtlingsfamilie (Kosovo) kommen das Ehepaar Bekim (28) und Violetta Q. (25), ihr 5-jähriger Sohn Besjan und die 2-jährige Lema um. Einziger Überlebender dieser Familie ist der 7-jährige Besart, der mit einem Rauchgasinhalationstrauma und schweren Hautverbrennungen, die über 45% seiner Körperoberfläche betreffen, auf die Kinderintensiv-Station des Virchow-Klinikums kommt und ins künstliche Koma gelegt werden muß.

    Schon bald nach dem Brand mehren sich die kritischen Stimmen zum Rettungseinsatz von Feuerwehr und Polizei. Die Feuerwehr war zwar ca. fünf Minuten nach dem Notruf vor Ort, das Feuer soll nach ca. 20 Minuten gelöscht gewesen sein, aber es dauerte ein bis eineinhalb Stunden, bis einige Menschen aus ihren Wohnungen geholt wurden. Es waren weder Sprungtücher noch Drehleitern vor Ort. Die Menschen im brennenden Haus haben zum Teil sehr lange auf den Balkonen gestanden, um Hilfe geschrien und gestikuliert. Einige warfen in ihrer Not vom vierten Stock Blumenkübel, Flaschen und andere Gegenstände auf die Straße, weil sie sich von den Rettungskräften völlig ignoriert fühlten. Andere Menschen sprangen aus den Fenstern und verletzten sich dabei schwer. Durchsagen über Lautsprecher oder Megaphone haben sie zu keiner Zeit wahrgenommen.

    Die Erklärungen des Leiters der Berliner Feuerwehr, Albert Broemme, haben aufgrund ihrer diskriminierenden und rassistischen Grundaussage dann auch eher Rechtfertigungscharakter. So doziert Herr Broemme der Presse gegenüber: "Sprach- und Mentalitätsprobleme" in dem unter anderem von Albanern, Portugiesen, Arabern und Polen bewohnten Haus hätten zu der ungewöhnlichen hohen Opferzahl geführt. Wären alle Bewohner den Anweisungen der Feuerwehr gefolgt, "hätte niemand sterben müssen". Aber offenbar seien einige der Opfer des Deutschen kaum mächtig gewesen. Broemme weiter: "Es gab mit Sicherheit ein krasses Fehlverhalten der Hausbewohner, weil sie die Sprache nicht verstanden haben ... Einige Hausbewohner sind in ihr Verderben gerannt. Die Flucht ins Treppenhaus war die Flucht in den Tod." Und weiter: ".... an dem Einsatz sei nichts zu beanstanden".

    Der CDU–Kreisverband von Berlin-Mitte, Ortsverein Beusselstraße (incl. Ufnaustraße), erweitert die fragwürdigen Äußerungen und gibt zwölf Stunden nach dem Brand folgende Fax-Mitteilung heraus: "Diese Katastrophe ist allerdings auch der tragische Beweis dafür, wie wichtig das Erlernen deutscher Sprachkenntnisse für hier lebende Ausländer ist ..... Es muß der Grundsatz verwirklicht werden: Wer nicht bereit ist, die Sprache des Landes zu lernen, in dem er sich auf Dauer aufhält, hat auch kein Anrecht, andere, materielle Hilfe dieses Staates zu erhalten."

    Nicht nur die Betroffenen selbst oder die NachbarInnen aus der Straße, auch die Eigentümer des Brandhauses, Herr und Frau Brenning, widersprechen Broemmes Äußerungen zu den fehlenden Deutschkenntnissen. Frau Brenning: "Alle beherrschten genügend Deutsch, um kurze, präzise Anweisungen der Feuerwehr zu verstehen. Zumindest die Kinder in den Familien sprachen perfekt Deutsch, oft auch der Mann." Auch der Dezernatsleiter für Branddelikte, Michael Havemann, schließt mangelnde Deutschkenntnisse als Grund für die hohe Opferzahl aus, denn er berichtet, daß noch in der Nacht die Kripo mit allen BewohnerInnen deutsch kommuniziert habe.

    Übereinstimmend berichten Überlebende und NachbarInnen, daß sie keinerlei Warnungen gehört hätten. Einige hätten beobachtet, wie kleine Haustiere (Kaninchen, Hund) von Feuerwehrleuten aus dem Haus getragen worden wären – gleichzeitig auf die panisch um Hilfe Rufenden aber nicht reagiert wurde.

    Am 16. August hat die Kripo den geständigen Brandstifter ermittelt. Es ist ein 12-jähriger Junge aus dem Hinterhaus, der mit Papier gekokelt hat, und als dadurch ein im Treppenhaus abgestellter Kinderwagen Feuer fing, weggelaufen ist. Vier von den Todesopfern des Brandes sind enge Verwandte von ihm.

    Besonders unsensibel verhält sich die Berliner Ausländerbehörde in der Angelegenheit des durch denBrand schwerst verletzten 7-jährigen Besart Q. Der Junge hat seine Eltern und seine beiden Geschwister durch den Brand verloren. Deren Leichen werden in den Kosovo überführt, damit ihre Verwandten sie begraben können. Besart liegt noch in der Charité im künstlichen Koma, als sein nächster Verwandter, der Bruder seines Vaters, nach Berlin reist, um auch ihn abzuholen. Hier wird jedoch schnell deutlich, daß daran nicht zu denken ist. Nach Angaben der behandelnden ÄrztInnen muß Besart noch mindestens bis zum Sommer 2006 stationär behandelt werden. Er braucht intensive medizinische und – nach seinem "Erwachen" – auch psychologische Betreuung. Noch während Besart im Koma liegt, erteilt die Berliner Ausländerbehörde ihm zwar eine Aufenthaltserlaubnis wegen eines "vorübergehenden" Abschiebehindernisses, lehnt aber gleichzeitig die Verlängerung des Visums seines Onkel ab. Diese sei nicht gerechtfertigt, weil der Onkel einen längeren Aufenthalt beabsichtige, "um (seinen) Neffen hier in Deutschland zu pflegen". "Humanitäre und schwerwiegende persönliche Gründe" lägen somit nicht vor. Der Onkel bleibt, ist Besarts einzige Bezugsperson und kümmert sich kontinuierlich und verantwortungsbewußt um den Jungen, was im Krankenhaus sehr geschätzt wird. Seit Besarts "Erwachen" aus dem Koma Ende Oktober wohnt der Onkel dann Tag und Nacht bei ihm in der Charité. Von der Ausländerbehörde erhält der Onkel erst im Dezember eine "Duldung", um den Jungen in eine Rehabilitätsklinik in Geesthacht begleiten zu können. Das Sozialamt gewährt dem Onkel 40 Euro Taschengeld im Monat, weil er im Krankenhaus wohnt und dort verpflegt werden kann.

    Die Berliner Härtefallkommission lehnt es im Januar 2006 ab, den Innensenator um ein Bleiberecht für den Onkel (und damit auch für den Jungen) zu ersuchen. Empfohlen wird lediglich eine "vorübergehende" Aufenthaltserlaubnis, die auch erteilt wird. Der Onkel bleibt auch während der Rehabilitation von Besart bei ihm im Krankenhaus. In Attesten wird er als "Ersatzvater" des Waisenkindes bezeichnet. Nach der Entlassung aus der Klinik im Mai 2006 sind beide obdachlos. Sie müssen für einige Monate in ein Wohnheim. Besart kommt, weil seine geistige Leistungsfähigkeit sich seit dem Brand vermindert hat, in eine Behindertenschule in Berlin-Zehlendorf, in der auch eine physiotherapeutische Versorgung erfolgt. Die Wohnungssuche ist erschwert, weil der gerichtlich bestellte Vormund für Besart (AWO Landesverband Berlin) weder einen Mietvertrag unterschreibt noch eine Kaution oder Bürgschaft übernimmt.

    Im Oktober 2006 bestätigt die Charité, daß Besart noch weitere fünf Jahre eine intensive medizinische Behandlung braucht. Die Betreuung durch den Onkel sei dabei "zwingend notwendig". Dieser muß unter anderem darauf achten, daß Besart wegen der großflächigen Hautvernarbungen ständig seine Gesichtsmaske und die Kompressionskleidung trägt.

    Im Dezember 2006 teilt die Ausländerbehörde mit, für beide stehe die gemeinsame Ausreise (bzw. Abschiebung) an, sobald die ärztliche Behandlung in Deutschland abgeschlossen sei. Sie hat bereits das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration mit der Prüfung beauftragt, ob überhaupt noch eine Behandlung in der BRD erforderlich ist.

    Im Januar 2007 erfährt der Onkel, daß der Lebensunterhalt seiner Ehefrau und der vier gemeinsamen Kinder im Kosovo äußerst gefährdet ist, weil seine Arbeitskraft in einer kleinen Familienbäckerei nicht länger ersetzt werden kann. Von Berlin aus kann er sie nicht unterstützen, weil er keine Arbeitserlaubnis erhält.

rbb-online 9.8.05; Welt 9.8.05; FR 9.8.05; TS 9.8.05;

BeZ 10.8.05; BM 10.8.05; taz 10.8.05; BZ 10.8.05;

rbb-online 11.8.05; BM 11.8.05; Welt 11.8.05;

BeZ 11.8.05; BeZ 12.8.05; taz 17.8.05;

SOS Human Rights Berlin

 

9. August 05

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In der JVA Bützow versucht der Abschiebegefangene M. R. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

12. August 05

 

Lübben in Brandenburg. Ein Flüchtling aus Kamerun wird auf dem Weg zu seiner Flüchtlingsunterkunft in einem Waldstück von sieben Personen an der Weiterfahrt mit seinem Fahrrad gehindert. Er bremst, und als er zum Stehen kommt, beleidigen ihn die Deutschen mit den Worten "Scheiß Neger" und "Was machst Du hier?" Dann wird er durch einen Schlag auf das rechte Auge verletzt.

MAZ 16.8.05;

Opferperspektive

 

15. August 05

 

Der nigerianische Flüchtling Sunny Pius Ebuleye befindet sich im Zug von München nach Ulm, als ihm eine Fahrkartenkontrolle zum Verhängnis wird. Der Schaffner behauptet, daß sein Bayernticket nicht gültig sei, zieht es – zusammen mit Personalpapieren – ein, verlangt von Herrn Ebuleye eine Geldstrafe und verweist ihn des Zuges. Als dieser sich weigert, ruft der Kontrolleur die Polizei. Der Zug hält in Burgau und zwei Polizisten erscheinen. Sie schlagen ihn auf den Rücken und gegen den Oberkörper, werfen ihn zu Boden und legen ihm Handschellen so fest an, daß diese schmerzhaft und tief einschneiden. Seine Brille geht dabei kaputt. Er wird in die Polizeistation gebracht und dort in einer Zelle – immer noch in Handschellen – von 19.00 bis 21.00 Uhr festgehalten. Als seine Verlobte übers Handy anruft, bittet Herr Ebuleye sie zu intervenieren. Ihr wird von der Polizei mitgeteilt, daß ihr Verlobter bereits entlassen sei. Aber erst eine halbe Stunde später wird Herr Ebuleye vor die Tür gestoßen. Seine Bitten, ihm zu helfen, weil er jetzt weder Geld noch Bahnticket noch Papiere hat, werden von den Polizisten ignoriert.

    Herr Ebuleye besteigt den Zug in Richtung Augsburg und erklärt dem Ticket-Kontrolleur seine Situation. Dieser telefoniert mit der Polizei in Augsburg, die den von Herrn Ebuleye geschilderten Sachverhalt bestätigt. Trotzdem erhält Herr Ebuleye auch von diesem Kontrolleur eine Geldstrafe wegen Fahrens ohne gültigen Fahrschein.

    Erst von der Augsburger Polizei bekommt Herr Ebuleye eine Kopie seiner Fahrkarte und ein Freiticket, damit er die Fahrt fortsetzen kann. Die Polizisten raten ihm zudem, sich an einen Anwalt zu wenden, weil auch sie offensichtlich die Behandlung des Flüchtlings durch ihre Kollegen und durch Bahnangestellte nicht in Ordnung finden.

    Kurze Zeit später "erläßt" die Deutsche Bahn Herrn Ebuleye die Bezahlung der von den Schaffnern geforderten Bußgelder.

    Ein Jahr später stellt die Staatsanwaltschaft Memmingen das Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen die Burgauer Polizisten ein. Der Flüchtling selbst kommt allerdings wegen Beleidigung (Rassismusvorwurf) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht, weil er gegen einen Strafbefehl von 50 Tagessätzen (750 Euro und Kosten des Verfahrens) Einspruch einlegte.

    Im Oktober 2006 verurteilt das Amtsgericht München den Flüchtling. Der Richter sieht die Mißhandlung in der Arrestzelle als mildernd an und setzt die ursprünglich von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe auf 40 Tagessätze zu je 5 Euro herab, die Herr Ebuleye vom monatlichen Taschengeld von 40 Euro bezahlen muß. Zudem fordert die Deutsche Bahn wegen der Verzögerung der Zugfahrt in Burgau Schadens-ersatz in Höhe von 162,72 Euro. Kommentar von Herrn Ebuleye: "Ich soll dafür bezahlen, daß ich entwürdigt und diskriminiert wurde, das ist doch nicht fair."

 Bericht des Betroffenen;

Rechtsanwalt Hasko Linnartz – München;

jW 11.10.06

 

17. August 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. Als Herr D. von der Polizei zur Abschiebung nach Bosnien aus der Wohnung geholt wird, bricht seine Frau zusammen und muß vom Notarzt ins Krankenhaus eingewiesen werden.

    Die Eheleute, die vor 14 bzw. 13 Jahren in die BRD geflohen waren, haben eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Frau A. ist Romni aus dem Kosovo und Herr D. Rom aus Bosnien, und einen gemeinsamen Aufenthaltsort mit ihren vier in Deutschland geborenen Kindern scheint es in Europa nicht zu geben. (siehe vor allem auch 3. April 03)

    Einem noch in der Nacht gestellten Eilantrag an das Verwaltungsgericht wird stattgegeben, so daß Herr D. zehn Minuten vor Abflug der Maschine am Flughafen Frankfurt seinen Sitzgurt wieder lösen und die Maschine verlassen

kann. Eine Entscheidung des Petitionsausschusses des Baden-Württembergischen Landtages steht zu diesem Zeitpunkt noch aus.

Xclusiv nr.2

 

22. August 05

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Zwei Gefangene, die sich seit sieben Wochen im Hungerstreik befinden und vor einigen Tagen zusätzlich in den Durststreik getreten sind, werden morgens um 10.00 Uhr aus den Zellen geholt und dann per Charterflug von Bremen aus nach Nigeria abgeschoben. Sie haben keinerlei gültige Papiere, wurden auch nie der nigerianischen Botschaft vorgeführt.

    Einer von ihnen erstattete Anzeige gegen die Botschaft und die zuständige Behörde, weil er schon einmal ohne Papiere abgeschoben worden war.

    Obwohl die zwei Gefangenen seit Tagen extrem geschwächt und ausgetrocknet sind, bescheinigte ein Mediziner der Bundespolizei den beiden "Transport- und Abschiebetauglichkeit". Bei Besuchen von Freunden in den letzten Tagen waren sie abwesend, irritiert und sehr müde. Einer erlitt nach einem Besuchstermin einen Ohnmachtsanfall in seiner Zelle.

indymedia 27.8.05

 

22. August 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene N. D. sich zu töten

BT DS 16/9142

 

23. August 05

 

Derschen im Kreis Altenkirchen in Rheinland-Pfalz. Morgens um 4.00 Uhr erscheinen sechs Nazis vor dem Flüchtlings-heim, brüllen rassistische Parolen und attackieren es mit Plastersteinen und Kanthölzern, so daß 16 Fensterscheiben zu Bruch gehen. Im Heim leben derzeit sieben Flüchtlinge im Alter von 19 bis 40 Jahren. Die beiden bei dem Angriff anwesenden Bewohner kommen mit dem Schrecken davon – verletzt wird niemand.

    Im Westerwald sei zwar eine rechtsextreme Kameradschaft aktiv, heißt es, im Moment gebe es aber keine Anhaltspunkte, daß sie mit der Tat in Verbindung stehe.

    Bereits im März war es zu ähnlichen Angriffen in zwei aufeinanderfolgenden Nächten gekommen. Auch damals wurde das Haus mit Steinen geworfen – von den Tätern, damals wie heute, fehlt jede Spur.

    Im September richten sich die Ermittlungen gegen mehrere Tatverdächtige aus der rechtsextremen Szene.

swr-Nachrichten 23.8.05;

indymedia 24.8.05;

e110 24.8.05;

LT Rheinland-Pfalz DS 14/4524

 

23. August 05

 

Meschede in Nordrhein-Westfalen. Als Herr K. nach der Arbeit gegen 17.30 Uhr nach Hause kommt, erwarten ihn bereits zwei Polizisten in Uniform und einer in Zivil, der allerdings auch eine Schußwaffe bei sich trägt. Das bereits vorbereitete Essen muß er stehen lassen – stattdessen bietet ihm einer der zwei anwesenden Ärzte Beruhigungstabletten an. Er lehnt sie ab.

    Das Ehepaar hatte bereits vor zwei Jahren versucht, sich nach einer Abschiebeankündigung gemeinsam das Leben zu nehmen. Seither befand es sich in psychiatrischer Behandlung.

    Nach 14 Jahren Deutschland-Aufenthalt erfolgt jetzt ihre Abschiebung im Rahmen einer bundesweiten Massenabschiebung über Düsseldorf und Istanbul nach Sri Lanka. (siehe nächsten Abschnitt).

FRat NRW 26.8.05;

Karawane – Hamburg 29.4.06

 

24. August 05

 

120 tamilische Flüchtlinge aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein werden in der Nacht zur Abschiebung nach Düsseldorf und Frankfurt gebracht. Das Einchecken beginnt um 4.00 Uhr – die zwei gecharterten Maschinen starten gegen 8.00 Uhr und fliegen mit Zwischenlandung in Istanbul nach Sri Lanka.

    Dabei spielen sich erschütternde Szenen ab. Zum Beispiel wird eine Familie über Düsseldorf abgeschoben, während sich die junge Tochter auf einem Schulausflug befindet, und ein Mann wird direkt aus einem Krankenhaus geholt und in das Flugzeug gesetzt.

    Diese Massenabschiebung wird genau zu dem Zeitpunkt durchgeführt, an dem Massenverhaftungen von TamilInnen in Sri Lanka stattfinden – aufgrund einer nach der Ermordung des srilankischen Außenministers erneut eingeführten Notstandsverordnung (ER). Begleitet von rassistischer Propaganda der beiden singhalesisch-extremistischen Parteien JVP (Janatha Vimukti Peramuna) und JHU (Jathika Hela Urumaya), die das Waffenstillstandsabkommen und den von Norwegen initiierten Friedensprozeß strikt ablehnen, haben die willkürlichen Verhaftungen und Mißhandlungen von TamilInnen bereits vor der Verhängung des Notstandes beunruhigende Ausmaße angenommen. Nach einer Pressemitteilung des North East Secretariat for Human Rights

vom 22. 08. 05 sind seit Anfang Juli 3000 TamilInnen aufgrund des "Prevention of Terrorism Act" (PTA) im Süden der Insel verhaftet worden.

IMRV 30.8.05

 

24. August 05

 

Meschede in Nordrhein-Westfalen. Als die Tür der Flüchtlingsfamilie V. mitten in der Nacht nicht geöffnet wird, läßt man sie durch einen Schlüsseldienst öffnen. Acht Beamte gehen ins Schlafzimmer, wecken Frau V. und ihre beiden Kinder und fordern sie auf, die Koffer zu packen.

    Die drei werden zum Flughafen Düsseldorf gefahren und dann – zusammen mit ca. 117 anderen Flüchtlingen – über Istanbul (63 Abzuschiebende) nach Sri Lanka (57 Abgeschobene) abgeschoben.

    Frau V. war vor 10 Jahren in die BRD gekommen. Eines ihrer Kinder ist schwer geistig behindert. Ein Antrag an die Härtefallkommission ist noch nicht entschieden.

    Als ihr Mann von der Spätschicht nach Hause kommt, findet er die Wohnung leer vor.

FRat NRW 26.8.05;

Karawane 29.4.06

 

24. August 05

 

Stuttgart. Das Ehepaar Vasanthakumaran wird festgenommen, nach Frankfurt gebracht und nach Sri Lanka abgeschoben. Weil die beiden Söhne Vitusan (17 Jahre alt) und Janesan (12 Jahre alt) beim Sport und die Tochter Niruyala (16 Jahre alt) auf einer Feier sind, entgehen die Kinder der Abschiebung – allerdings unter dem bitteren Verlust der Eltern.

    Die Familie Vasanthakumaran reiste 1992 in die Bundesrepublik ein und stellte Asylanträge, die mittlerweile abgewiesen wurden.

    Der Sohn Janesan ist hier geboren, die beiden älteren Kinder waren bei ihrer Einreise noch Kleinkinder. Vasanthakumarans hatten über ein Jahrzehnt in Stuttgart gelebt und waren gut integriert.

    Der Vater hat jahrelang geputzt und damit die Familie ernährt; die rheumakranke Mutter hat sich um die Kinder gekümmert.

    Die gewaltsame Trennung der Eltern von den Kindern geschieht einige Wochen vor der Einrichtung einer Härtefallkommission. Durch diese Kommission hätte die Familie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Chance auf ein gemeinsames Leben in Deutschland gehabt.

(siehe auch: 28.April 06)

IMRV Bremen;

StZ 9.05.06

 

25. August 05

 

Im brandenburgischen Zeuthen wird eine Vietnamesin auf dem Parkplatz vor dem Schleckermarkt – Forstallee – von einem Mann geschlagen.

Opferperspektive (MAZ 26.8.05)

 

28. August 05

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Nachdem sie mit Pöbeleien bereits eine Frau aus der Straßenbahn der Linie 3 vertrieben haben, beginnen fünf deutsche Nazis, einen 31 Jahre alten Flüchtling aus Benin rassistisch zu beleidigen und zu bedrohen. Einer der Angreifer zeigt dem Afrikaner ein auf seinen Arm tätowiertes Hakenkreuz und ruft "Deutschland den Deutschen!".

    Als der Flüchtling die Beleidigungen zurückweist, beginnen die Männer auf ihn einzutreten und ihn zu schlagen. Dem Beniner gelingt die Flucht. Als die von Augenzeugen alar-mierte Polizei eintrifft, nimmt sie lediglich die Personalien des Angegriffenen auf und läßt die Täter unbehelligt laufen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

30. August 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene H. Y. sich zu töten

BT DS 16/9142

 

August 05

 

Bundesland Bayern. Frau S. gelingt es durch Flucht mit ihren 14- und 15-jährigen Kindern, ihrem Ehemann aus dem Irak in die BRD zu folgen. Der 43 Jahre alte Herr H. hatte bereits im Dezember 2000 Asyl beantragt und war ein Jahr später als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden. Obwohl jetzt die ganze Familie in der BRD ist, wird es behördlicherseits verboten, daß sie zusammenlebt.

    Im Jahre 2006 wird die Flüchtlingseigenschaft von Herrn H. rechtskräftig widerrufen – im August wird sein jüngster Sohn geboren.

    Obwohl Herr H. inzwischen mit dem jüngsten Sohn in einer Privatwohnung leben darf, obwohl sein Sohn Kekschar sich im Berufsvorbereitungsjahr als Autolackierer und die Tochter Kanal sich im Berufsvorbereitungsjahr zur Friseurin befindet, ist ein Zusammenleben der Familie auch im November 2009 nicht in Sicht.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2009

 

1. September 05

 

Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern. Zwei afrikanische Flüchtling werden in der Innenstadt aus einer fünfköpfigen Gruppe heraus mit rassistischen Beleidigungen wie "Scheiß Nigger, verpißt Euch!" beschimpft. Sie ignorieren diese Attacken zunächst, doch als sie zum dritten Mal beleidigt werden, spricht einer der Afrikaner, ein 40 Jahre alter Beniner, die Deutschen an. Daraufhin wird er von einem der Männer mit der Faust ins Gesicht geboxt, so daß er eine Augenverletzung erleidet. Er muß sich in ambulante Behandlung begeben.

    Der Täter wird zu einer Haftstrafe von 3 Monaten mit einer zweijährigen Bewährungszeit verurteilt. Zudem muß er 400 Euro Entschädigung an den Verletzten bezahlen.

LOBBI (OZ)

 

6. September 05

 

In der Hamburger JVA Fuhlsbüttel begeht ein 34 Jahre alter Abschiebegefangener aus Serbien einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

7. September 05

 

Bundesland Hessen – Rüdesheim am Rhein. Um 17.45 Uhr hat der 41-jährige Yusuf S. das Geländer der Theodor-Heuss-Brücke bereits überwunden. Er steht mit dem Rücken zum Wasser und läßt sich dann rückwärts fallen. Nach 20 Metern Fall schlägt er auf dem Rhein auf.

    Erst zwei Tage später bemerkt ein Angler den toten Körper, der sich in einer Kette am Steiger 2 bei Rheinkilometer 525,75 verfangen hat.

    Zunächst bleiben Identifizierungsversuche erfolglos. Erst als fünf Wochen später ein afghanischer Freund eine Vermißtenanzeige erstattet und dann die polizeilichen Ermittler Kontakt zu Bruder und Schwester des Vermißten aufnehmen, kann über einen DNA-Vergleich Jusuf S. Mitte Januar 2006 identifiziert werden.

    Er war vor 14 Jahren aus Afghanistan in die BRD gekommen, war erst im August aus einer Klinik entlassen worden und hatte sich, da er ohne festen Wohnsitz war, bis zum 5. September in einem Wiesbadener Männerwohnheim aufgehalten.

Polizei Wiesbaden 9.9.05;

Free Radio News 1.12.05;

Free Radio News 26.1.06; Main-Rheiner 27.1.06;

StA Wiesbaden 11.12.06

 

9. September 05

 

Es ist der zweite Versuch, einen 23 Jahre alten tunesischen Abschiebegefangenen auszufliegen. Schon auf dem Weg zum Flughafen Schönefeld hatte er ein 2-Euro-Stück verschluckt. Als aber beim Sicherheitscheck der Personenscanner kein Signal gibt, berichtet der Tunesier dem Flughafenpersonal, daß er Geld verschluckt habe, und kommt deshalb mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus. Nachdem die Münze aus dem Körper entfernt ist, erfolgt der Transport des Tunesiers zurück in das Abschiebegefängnis Köpenick, wo er direkt in den Isolationstrakt verlegt wird. Erst am 22. September kommt er aus der Isolation wieder heraus und wird in einem der üblichen Zellentrakte untergebracht. Er ist psychisch zerrüttet, aber mehrere Anträge, eine externe Psychiaterin zu konsultieren, werden vom Polizeiärztlichen Dienst abgelehnt.

    Vier Tage nach seiner Rückverlegung geschieht es, daß ihn ein Sanitäter weckt und ihn auffordert mitzukommen, weil Fotos von ihm gemacht werden sollten. Der Tunesier versteht die Aufforderung und auch die Situation gar nicht, er leistet Widerstand und kommt deshalb erneut in den Isolationstrakt, von wo aus er am 30. September abgeschoben wird.

    Am 19. August war seine Abschiebung gescheitert, weil es ihm gelungen war, mit dem Flugkapitän zu sprechen, der sich daraufhin geweigert hatte, ihn mitzunehmen.

(siehe auch: 4. Juli 05)

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin

 

14. September 05

 

JVA Fuhlsbüttel in Hamburg. Polizisten betreten am Abend die Abschiebehaftzellen und befehlen, daß sich alle Gefangenen auf den Boden legen sollen. Namen werden aufgerufen und die Benannten sollen sich erheben und bekommen Handfesseln angelegt. Wer nicht schnell genug ist, wird geschlagen. Mindestens acht Männer werden so abgeholt und zum Flughafen gebracht.

    Vor dem Einstieg in den Airbus werden allen Betroffenen US-amerikanische Gurtfesselsysteme angelegt, bei denen durch Verkürzung der Verbindungsseile Arme und Beine zum Körpermittelpunkt zusammengezogen werden (Body-Cuffs).

    Mit Nachtflugerlaubnis startet die Maschine gegen 2.00 Uhr morgens mit 27 Afrikanern aus vier Bundesländern und sechs weiteren europäischen Ländern. 15 Männer werden aus Deutschland abgeschoben – davon acht aus Hamburg.

HA 15.9.05;

Karawane 29.4.06

 

20. September 05

 

Sachsen-Anhalt. In einer Magdeburger Straßenbahn Linie 94 wird gegen 21.00 Uhr eine 27 Jahre alte Asylbewerberin aus Burkina Faso von einem jungen Mann bedroht. Der Mann hatte zunächst in der Sitzreihe vor ihr gesessen. An der Haltestelle Kastanienstraße, an der die Frau aussteigen wollte, verließ auch der Mann die Bahn, zog eine Pistole und bedrohte sie damit.

ddp 27.9.05; Polizei Magdeburg 27.9.05; JWB 5.10.05;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

20. September 05

 

Lippstadt in Nordrhein-Westfalen. Der kurdische Flüchtling Mehmet Ali Azun wird mit sechs Kindern in die Türkei abgeschoben. Bis auf Abdul-Rahman sind alle Geschwister minderjährig. Da der 6-jährige Süleyman derzeit im Krankenhaus liegt, wird die Mutter, Serife Azun, von der Abschiebung verschont. Ihre volljährige Tochter hat aufgrund der Heirat mit einem Deutschen ein Aufenthaltsrecht. Die Familie ist damit gewaltsam getrennt.

    Aufgrund eines vorliegenden Haftbefehls gegen Herrn Azun, der von der 4. Schwurgerichtskammer Diyarbakir wegen angeblicher Teilnahme an einer Aktion der PKK am 12.10.1992 in Seyhan ausgestellt wurde, erfolgt die sofortige Festnahme des abgelehnten Asylbewerbers noch auf dem Flughafen Istanbul. Eine Rechtsanwältin berichtet später, daß bei Herrn Azun Verletzungsspuren sichtbar sind, die auf Folter hindeuten. Bei der Verkündung des Haftbefehls werden auch die Vorfälle vom 18. Mai 2004 beim türkischen Generalkonsulat in Essen zur Sprache gebracht. (siehe dort)

    Mehmet Ali Azun kommt zunächst in die Instanbuler JVA Metris und wird später nach Diyarbakir gebracht. Nach sechs Monaten Haft wird er vom Vorwurf der Mitgliedschaft in der PKK freigesprochen.

    Am 17. Mai 2006, so berichtet seine 15-jährige Tochter, klingelt es um 11.00 Uhr an der Wohnungstür in der 5 Nisan Straße im Bezirk Baglar in Diyarbakir. Zwei Männer in Zivil stehen vor der Tür. Außer dem Wort 'Polizist' versteht sie die Fragen der Männer nicht, denn sie spricht kein Türkisch. Sie holt ihren Vater an die Tür, der dann von den Männern mitgenommen wird. Dann verliert sich seine Spur.

    Nachfragen bei der Staatsanwaltschaft und dem Büro für Verschwundene im Polizeipräsidium Diyarbakir bleiben erfolglos. Auch Anfang Juni hat die Familie noch kein Lebenszeichen von Mehmet Ali Azun. 

(siehe auch: 18. Mai 04)

FRat NieSa September 05;

Türkeiforum (Özgur Gündem 8.6.06); ICAD 29.5.06

 

22. September 05

 

In der Hamburger JVA Fuhlsbüttel begeht ein 32 Jahre alter Abschiebegefangener aus der Türkei einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

23. September 05

 

Bereich Neue Neustadt in Magdeburg – Sachsen-Anhalt. In Höhe der Straßenbahn-Haltestelle Kastanienstraße wird 17.25 Uhr ein 20 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso von einem 26-jährigen Deutschen zunächst mit rassistischen Sprüchen beleidigt und dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Danach zieht der Deutsche eine Pistole, richtet sie gegen den Flüchtling und beschimpft ihn weiter. Dieser flüchtet in die Polizeistation Nord. Der Angreifer kann schnell gestellt werden, und die Waffe – eine Schreckschußpistole – wird sichergestellt.

    Der Täter kommt nach vorläufiger Festnahme wieder auf freien Fuß und muß sich wegen Körperverletzung, Bedrohung und Volksverhetzung verantworten.

ddp 27.9.05;

Polizei Magdeburg 27.9.05; JWB 5.10.05;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

26. September 05

 

Lengerich im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Eingangsbereich der Flüchtlingsunterkunft wird ein Feuer gelegt. Polizeibeamten gelingt es, das Feuer zu löschen – niemand wird verletzt. Der oder die Täter werden nicht ermittelt.

VS-Bericht NRW 2005

 

27. September 05

 

Landkreis Mansfelder Land in Sachsen-Anhalt. Auf dem Busbahnhof in Hettstedt wird ein 33 Jahre alter Flüchtling von mehreren alkoholisierten Jugendlichen rassistisch beleidigt und bedroht. Eine Passantin, die sich der pöbelnden Meute in den Weg stellt, kann einen körperlichen Angriff auf den Afrikaner verhindern.

    Die über Notruf verständigte Polizei nimmt noch vor Ort die Personalien der Angreifer auf – es sind Jugendliche im Alter von 16 bis 21 Jahren.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

(MDZ 28.9.05)

 

29. September 05

 

Märkisches Viertel in Berlin-Reinickendorf. Die Polizeibeamten, die um 20.20 Uhr an eine Wohnungstür in der Wesen-dorfer Straße klopfen, um aufgrund eines anonymen Hinweises eine Identitätsprüfung vorzunehmen, hören zunächst Stimmen und müssen dann doch eine Weile warten, bis die Tür geöffnet wird. Die Mieterin erzählt, daß sich Zainul B. jetzt gerade aus dem Fenster gestürzt hat.

    Der 39 Jahre alte Ghanaer Zainul B. zieht sich bei dem Sturz aus dem vierten Stock des Hauses schwere Brüche des Beckens und eines Oberschenkels zu. Durch eine schnelle Erstversorgung und eine anschließende Notoperation kann er gerettet werden. Da Zainul B. keine gültigen Aufenthaltspapiere für die BRD hat, wird vermutet, daß er aus Angst vor Festnahme und Abschiebung sein Leben riskierte, um der Polizei zu entgehen.

Polizei Berlin 30.9.05; TS 30.9.05;

TS 1.10.05; BM 1.10.05; Welt 1.10.05; BeZ 1.10.05

 

Herbst 05

 

Flüchtlingsunterkunft im Transitbereich des Flughafens Frankfurt am Main in Cargo City Süd, Gebäude C 587. Ein 25 Jahre alter tunesischer Flüchtling, der am 22. September ohne Flugticket und Reisepaß im Flughafengelände aufgegriffen worden war und dessen Asylantrag inzwischen abgelehnt wurde, fügt sich selbst Verletzungen zu, so daß seine Einlieferung in die Psychiatrie erforderlich wird. Von hier aus gelingt ihm zunächst die Flucht.

    Bei einer Fahrzeugkontrolle auf der Bundesautobahn A 9 am Parkplatz Fürholzen durch die Polizei Erding wird er jedoch wieder festgenommen. Er wollte mit Hilfe seines Bruders in dessen Fahrzeug weiter nach Italien kommen. Gegen seinen Bruder und einen weiteren Mitfahrer wird wegen Verdachts der "Schleusung" ermittelt.

Polizei Bayern 13.12.05;

Polizei Erding

 

4. Oktober 05

 

Der 46 Jahre alte Kurde Ömer Agirman wird nach abgelehntem Asylantrag mit seinem 4-jährigen Sohn Osman, der 7-jährigen Leyla, der 13-jährigen Özlem und dem 15-jährigen Behrem in die Türkei abgeschoben. Nach elf Jahren Deutschland-Aufenthalt – meist in der nordhessischen Gemeinde Wabern – wird die Familie durch die Abschiebung gewaltsam getrennt.

    Die Mutter der Kinder, Emine Agirman, und die 10-jährige Eytan werden zunächst verschont, weil Eytan sich heute einer Schilddrüsen-Operation unterziehen muß. Die 19 Jahre alte Necima darf vorerst als Dolmetscherin bleiben. Ihr 20-jähriger Bruder Abdul ist nicht zu Hause – er taucht später unter.

    Nach der Ankunft in Ankara werden alle Abgeschobenen durch die türkische Polizei verhört. Anschließend geht Ömer Agirman in die Illegalität – aus Angst vor den türkischen Behörden. Seine Kinder sind dadurch auf sich allein gestellt. Ein Rechtsanwalt bringt sie dann nach Idil zur Großmutter.

    Sie leben wenig später nahe der syrischen und iranischen Grenze in der Ortschaft Idil (Provinz Sirnak) bei ihrer 85 Jahre alten Großmutter Fatma Agirman. Sie wohnen mit einer anderen kurdischen Familie in einem Zwei-Zimmer-Haus. Da die andere Familie fünf Kinder hat, sind die Lebensbedingungen extrem schlecht. Sie leben mit 12 Personen in zwei Räumen. Die Großmutter – sie kann schlecht sehen und hören – ist mit der Betreuung der Kinder völlig überfordert. Sie muß von ihren 40 Euro Rente jetzt die vier Kinder mit ernähren. Das heißt, daß sie alle wenig zu essen haben. Wasser wird in wöchentlichen Abständen in einen auf dem Badehäuschen stehenden Behälter geleitet, es ist sehr knapp und von minderer Qualität. Alle Kinder haben wochenlang Durchfall.

    Die beiden kleinen Kinder, Leyla und besonders Osman, haben Hauterkrankungen. Geld für eine medizinische Behandlung ist nicht da, und eine Yesil-Card bekommen sie nicht, weil sie sich – aufgrund abwesender Eltern – nicht anmelden können.

    Die Kinder leiden unter der Trennung von ihren Eltern und Geschwistern, sind traumatisiert und gehen nicht aus dem Haus. Mit Nachbarskindern können sie sich auch ein Jahr nach der Abschiebung noch nicht unterhalten – einerseits, weil sie durch ihre jetzige Situation verstummt sind – andererseits, weil sie nur Deutsch verstehen.

    Ein Jahr nach der Abschiebung werden die Kinder eingeschult und fangen an, Türkisch zu lernen. Bis auf die 14-jährige Özlem, die praktisch die Mutterrolle für ihre Geschwister übernommen hat, sind sie weiterhin depressiv und antriebsarm. Sie sprechen fast nicht und haben keine Kontakte nach außen.

    Das Dorf, in dem die Familie Agirman bis 1994 lebte, ist niedergebrannt worden. Herr Agirman hatte vor seiner Flucht in die BRD ein kleines Fuhrunternehmen. Als er den Aufenthaltsort seines für die PKK arbeitenden Bruders nicht preisgeben wollte, wurde er mehrfach verhaftet und gefoltert. Auch seine Frau Emine wurde von türkischen Polizisten schwer mißhandelt. Dies ist nach Annahme des Rechtsanwaltes auch der Grund, weshalb Herr Agirman noch in Ankara seine Kinder verließ.

    Als seine alte Mutter in Idil aufgrund zunehmender Herz-Kreislauf-Schwäche bettlägerig wird, kehrt er zu ihr und damit zu seinen Kindern zurück.

    Zwei Jahre nach der Abschiebung, im Herbst 2007, hat sich die Situation der Familie nur dahingehend geändert, daß Frau Agirman eine Bleiberechtsregelung für Altfälle in Anspruch nehmen konnte. Sie befindet sich aufgrund ihrer Posttraumatischen Belastungsstörung in psychotherapeutischer Behandlung und hat eine Arbeit gefunden. Sie bemüht sich, so viel Geld zu verdienen, daß sie die finanziellen Bedingungen für die Genehmigung, ihre Kinder aus der Türkei zurückzuholen, erfüllen kann.

    Der Sohn Abdul, der am Tage der Abschiebung zufällig nicht Zuhause war, fand zunächst bei Verwandten in der Nähe von Wabern Unterschlupf. Da ihn dort viele Menschen kennen und andere erkennen würden, holt ihn sein Cousin bald ab und nimmt ihn mit nach Ribnitz-Damgarten an die Ostsee. Dort jobbt er ohne jegliche Papiere einige Jahre in Eisdielen und Dönerläden. Als er hört, daß es in Berlin "Asyl in der Kirche" gibt, fährt er dorthin und bittet um Hilfe. Jörg Passoth, einer der Mitbegründer der Organisation, beschafft ihm eine Wohnung, die von den Vereinsmitgliedern finanziert wird. Das Leben als "Illegaler" in der Großstadt mit der ständigen Angst vor der Festnahme und Abschiebung traumatisiert ihn – und auch die Beziehung zu seiner Freundin Una ist durch seinen unsicheren Aufenthalt geprägt. Schließlich beschließen sie zu heiraten, um die Angst und die Panikattacken loszuwerden. Dafür ist es nötig, daß Abdul Agirman sich bei der Ausländerbehörde in Hessen stellt. Jörg Passoth begleitet ihn dorthin – sie hoffen auf eine Duldung, denn Abdul hat jetzt einen Ausbildungsplatz und wird eine Frau mit sicherem Aufenthalt heiraten. Dort erfolgt jedoch umgehend die Verhaftung, und ein Strafverfahren wegen "Illegalität" wird gegen den jetzt 28-jährigen Kurden eingeleitet. Er kommt in die JVA Gießen in Abschiebehaft, später nach Frankfurt am Main.

    Mit viel Glück findet seine Freundin Una eine Standesbeamtin in Ribnitz-Damgarten, die bereit ist, die beiden zu trauen, und die ihnen den Termin am 21. Mai 13 gibt. Dieser Termin ist jetzt die Voraussetzung für die Freilassung von Abdul, so daß er kurz vor seiner geplanten Abschiebung entlassen wird und in den Norden fahren kann, um Una zu heiraten.

Rechtsanwälte des IHD 2.12.05;

Unterstützerkreis der Familie Agirman;

FR 8.4.06; FAZ.NET 18.4.06;

Asylbeauftragter Harald Huber 9.7.06;

Welt 9.10.06; ard-Kontraste 14.9.06; FR 16.9.06;

Barbara Neppert – ai Türkei-Kogruppe; TS 9.6.13

 

5. Oktober 05

 

Senden in Nordrhein-Westfalen. Um 6 Uhr morgens klingelt es an der Wohnung der Familie Osman in der Ostlandstraße. Als Frau Radmila schlaftrunken fragt, was denn los sei, bekommt sie zur Antwort, daß die Polizei da sei, sie solle öffnen, ansonsten würde die Tür gewaltsam geöffnet. Die Beamten dringen in die Wohnung ein und nehmen den Vater Gynes Osman und den 14-jährigen Sohn Sado mit. Sie, die in Mazedonien geboren wurden, werden nach 14 Jahren Deutschland-Aufenthalt nach Mazedonien abgeschoben. Damit ist die Familie getrennt, denn Frau Radmila Osman ist Serbin, und ihr und ihren beiden in Deutschland geborenen Kindern Sabina und Senat droht die Abschiebung nach Serbien. Eine Chance auf ein gemeinsames Leben mit Mann und ältestem Sohn werden sie – aufgrund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten – nicht haben.

    Im Februar hat der 14-jährige Sado 15 kg an Gewicht verloren und seit der Abschiebung aufgehört zu sprechen.

WN 6.10.05; WN 18.2.06

 

7. Oktober 05

 

Hittfeld im Bundesland Niedersachsen. Morgens um 7.07 Uhr bricht in einem Zimmer des Flüchtlingsheimes in der Straße Am Redder ein Feuer aus. Der 21-jährige Bewohner aus Sierra Leone ist zu dieser Zeit nicht anwesend, aber die MitbewohnerInnen werden durch das Geräusch des Feuers gewarnt und benachrichtigen die Feuerwehr. Den Feuerwehrleuten, die schweres Atemschutzgerät anlegen müssen, gelingt es, den Brand nach einer Stunde zu löschen. Verletzt wird niemand.

HA 8.10.05

 

15. Oktober 05

 

Unterweissach in Baden-Württemberg. In der Kelterstraße wird ein Molotowcocktail gegen ein Mehrfamilienhaus geschleudert. Gegen einen 17-Jährigen und zwei 15- und 18-jährige Schüler wird ermittelt.

    Daß der Anschlag einer Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo gilt, die in dem Haus wohnt, kommt erst nach einem weiteren Brandanschlag ans Tageslicht, nachdem die Polizei eine achtköpfige Ermittlungsgruppe gebildet hat, die die rechtsradikalen Aktivitäten und Straftaten im Landkreis strafrechtlich verfolgen soll. (siehe hierzu 6. November 05)

BKZ 9.11.05; SinZ/BöZ 30.3.06;

ap 27.6.06; SinZ 28.6.06; BKZ 30.6.06;

BKZ 7.7.06

 

21. Oktober 05

 

Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Um 6.45 Uhr wird der 32 Jahre alte Gefangene Michail Sh. von einem Beamten tot in seiner Zelle aufgefunden. Herr Sh. hat sich mit einem Bettlaken stranguliert. Er war gestern aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz in die Haftanstalt gebracht worden. Er ist wahrscheinlich russischer oder jugoslawischer Herkunft und konnte keine gültigen Aufenthaltspapiere vorweisen.

Justizbehörde Hamburg 21.10.05

 

21. Oktober 05

 

Der kurdische Flüchtling Herr Bindal wird aus dem Abschiebegefängnis in Rottenburg nach Istanbul abgeschoben. Dort wird er sofort verhaftet und ins Gefängnis von Diyarbakir gebracht. Durch die Abschiebung wird er von seiner australischen Verlobten und ihrem gemeinsamen Kind getrennt.

    Vor seiner Flucht in die BRD war Herr Bindal in der Türkei wegen seiner PKK-Aktivitäten zum Tode verurteilt worden. Dieses Urteil war in eine 20-jährige Gefängnisstrafe umgewandelt worden, wovon er 12 Jahre absaß.

AK Asyl Stuttgart Dezember 2005

 

22. Oktober 05

 

Das Flüchtlingsheim im sächsischen Helbigdorf brennt bis auf die Grundmauern nieder. Die 25 BewohnerInnen können sich unverletzt aus dem Gebäude des ehemaligen Rittergutes retten. Sie werden evakuiert und in der Flüchtlingsunterkunft in Radebeul untergebracht.

    Herr Brahim Tahiri, der mit seiner Familie bei Freunden zu einem kurzen Besuch war, fuhr – nachdem er von dem Brand erfahren hatte – zunächst alleine nach Helbigsdorf. Die Heimleiterin sagte ihm, daß er wieder zurückfahren solle, sie würde ihn anrufen.

    Herr Tahiri bleibt mit seiner Frau und den vier Kindern im Alter von acht Monaten, drei, sieben und acht Jahren noch zwei Tage dort. Die Situation ist für die Freunde, die jetzt eine sechsköpfige Familie beherbergen müssen, ausgesprochen problematisch. Als auch nach zwei Tagen der Anruf der Heimleiterin ausbleibt, beschließen die Eheleute, mit den Kindern nach Radebeul zu fahren, wo sie um 18 Uhr eintref-fen und nur notdürftig untergebracht werden können. Denn alle Wohnräume sind belegt. Zu essen bekommen die Tahiris nicht.

    Am nächsten Tag fährt die Familie nach Freiberg und erfährt bei der Ausländerbehörde, daß für den nächsten Tag in der Chemnitzer Straße 50 zwei Zimmer frei werden würden.

    Als die Tahiris dort am nächsten Tag um 14.30 Uhr ankommen, wird ihnen ein Zimmer zugewiesen, in dem bereits zwei vietnamesische Flüchtlinge leben.

    Herr Tahiri geht zum Heimleiter, verlangt Essen und bekommt zur Antwort: "Deine Kinder sind noch nicht tot? Dann kannst Du noch bis Freitag warten."

    Als am Freitag zufällig eine Flüchtlingsberaterin vom Schicksal der Familie erfährt, organisiert sie eine kleine Spendenaktion, weil die Familie weder Geschirr noch Kleidung noch normale Schlafmöglichkeit hat.

    Erst elf Tage nach dem Brand und vor allem aufgrund intensiver mehrmaliger Anmahnungen von UnterstützerInnen bekommt die Familie die zugesagten Zimmer.

mdr 22.10.05; sachsenspiegel 22.10.05;

jW 24.12.05

 

25. Oktober 05

 

Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg. Mitten in der Nacht erscheint die Polizei in der Wohnung der Familie Ismailji und nimmt Frau Ismailji und drei Kinder zur Abschiebung mit. Diese erfolgt kurz darauf nach Skopje in Mazedonien. Da der Ehemann und Vater, Emrus Ismailji, zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend ist, wird die Familie durch die Abschiebung getrennt.

    Die Eheleute waren mit dem ältesten Sohn vor 15 Jahren in die BRD geflohen, konnten sich schnell einleben, so daß sie – sobald sie Arbeitserlaubnisse hatten – auch beide arbeiteten und somit nicht mehr auf staatliche Gelder angewiesen waren.

    Sie haben viele Freundinnen, Freunde und UnterstützerInnen, die nach der Abschiebung in kürzester Zeit 3000 Unterschriften sammeln, die dem Innenminister  Heribert Rech in Stuttgart übergeben werden. Freunde der Kinder rufen zu Demonstrationen auf, Schuldirektoren und Landtagsabgeordnete drücken öffentlich ihr Bedauern und Unverständnis aus.

    Über die Entscheidung der Härtefall-Kommission, die Emrus Ismailji als Härtefall anerkennt, setzt sich Innenminister Rech hinweg und verfügt die Abschiebung.

    Frau Ismailji und die Kinder leben in Skopje zunächst ausschließlich von Spenden. Die Kinder, die in Baden-Württemberg aufgewachsen sind, sprechen weder Mazedonisch noch Albanisch.

Gränzbote-SchwZ 4.5.06

 

26. Oktober 05

 

Möhlau in Sachsen-Anhalt. Gegen 21 Uhr kommt eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Gräfenhainichen mit ca. 20 Polizeibeamten in das dortige Asylbewerberheim, um eine junge Kosovo-Albanerin mit ihren beiden in Deutschland geborenen Kindern festzunehmen und nach Prishtina abzuschieben. Der 12-jährige Sohn wird unter der Dusche verhaftet und halbnackt ins Polizeifahrzeug gebracht. Seiner Mutter, die schwer traumatisiert ist und unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet, droht die Beamtin an, daß der 12-Jährige alleine abgeschoben wird für den Fall, daß sie selbst sich jetzt widersetzen würde. Trotzdem gelingt es der Mutter, ihre Psychiaterin telefonisch zu erreichen – dann flieht sie in den obersten Stock und droht, sich aus dem Fenster zu stürzen.

    Als die Psychiaterin eintrifft, muß sie sich den Zugang mit deutlichem Nachdruck verschaffen, weil die Polizei ihn ihr verwehren will. Dann gelingt es ihr, ihre Patientin zu beruhigen und sie von ihrem Vorhaben abzubringen.

    Erst aufgrund der massiven Intervention der Psychiaterin lassen die Polizeibeamten von ihrem Vorhaben ab und verlassen das Flüchtlingsheim. Da mit einem neuerlichen Abschiebeversuch gerechnet werden muß, tauchen Mutter und Söhne am folgenden Tag unter.

    Bereits 1993 war die Frau mit ihrem Lebensgefährten aus dem Kosovo geflohen. Ende 1993 wurde der erste Sohn in Deutschland geboren – im März 2004 kam der zweite Sohn zur Welt. Nach der Ablehnung der Asylanträge wurden die Eltern im April 2005 – getrennt voneinander – nach Prishtina abgeschoben, die beiden Söhne zusammen mit der Mutter. Auf dem Flughafen harrte die hilflose und kranke Frau tagelang aus; die Medikamente, die ihr ihre Psychiaterin mitgegeben hatte, waren schnell zu Ende. Bei der UNMIK hieß es, man könne ihr nicht helfen.

    Der Gesundheitszustand der Frau verschlechterte sich so dramatisch, daß sich ihr 12-jähriger Sohn verantwortlich um seinen kleinen Bruder und um sie selbst kümmern mußte, bis durch einen glücklichen Zufall der Vater zu ihnen stieß.

    Ein Pfarrer, der sie aus Möhlau kannte, setzte sich erfolgreich für die Rückkehr der Familie ein.

    Ein Asylfolgeantrag und ein Antrag bei der Härtefallkommission haben keinen Erfolg. Aufgrund neuer umfangreicher Gutachten und aufgrund der mangelnden Behandlungsmöglichkeit der akut suizidgefährdeten Frau im Kosovo wird im Jahre 2006 ein weiterer Asylantrag gestellt.

    Anfang 2008 hat die Frau aufgrund einer positiven Entscheidung der Härtefallkommission eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Christina Schmauch – Rechtsanwältin

 

28. Oktober 05

 

Adenbüttel in der niedersächsischen Gemeinde Papenteich. Kurz nach Mitternacht entsteht ein Feuer im Flüchtlingsheim in der Schulstraße 40. Die Feuerwehren Adenbüttel und Rötgesbüttel, die innerhalb kurzer Zeit eintreffen, können den Wohnungsbrand relativ zügig löschen. Zum Zeitpunkt des Brandes befindet sich niemand im Hause, so daß es keinen Personenschaden gibt. Als Brandherd wird ein defektes Heizkissen identifiziert.

AlZ 28.10.05

 

29. Oktober 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 30 Jahre alter Gefangener aus Algerien verschluckt eine Münze und eine 2 mal 6 Zentimeter große Befestigungsschelle eines Heizungs-rohres. Als das Bewachungspersonal gegen 17.30 Uhr davon erfährt, veranlassen sie die Einweisung ins Krankenhaus, wo die metallenen Gegenstände aus dem Magen des Gefangenen wieder entfernt werden können. Nach Abklingen der Narkose wird der Algerier ins Abschiebegefängnis zurückgebracht.

Polizei Berlin 30.10.05;

taz 16.11.05

 

29. Oktober 05

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Beamte der Bundespolizeiinspektion Pasewalk und des Zolls (Mobile Kontrollgruppe Linken) stoppen bei einer gemeinsamen Aktion einen Mercedes Kleintransporter mit deutschem Kennzeichen, einige kleinere Ortschaften von Berndshof entfernt. Die Beamten entdecken auf der Ladefläche acht männliche und zwei weibliche Personen im Alter von 10 bis 30 Jahren – alle völlig ungesichert. Sie kommen aus Vietnam und haben den Transporter erst besteigen, nachdem sie die polnisch-deutsche Grenze zu Fuß überquert hatten.

    Eine schwangere Frau, die über Schmerzen im Brustbereich klagt, muß in ein Krankenhaus eingeliefert werden.

    In der polizeilichen Vernehmung geben die Menschen an, daß sie mit der Bahn von Hanoi über China nach Moskau gelangt sind. Von dort aus erfolgte die Weiterfahrt in Transportern bis in die Nähe der polnisch-deutschen Grenze.

    Am nächsten Tag ordnet das Amtsgericht Pasewalk die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung für alle Flüchtlinge an – zudem müssen sie sich wegen des Verdachtes der unerlaubten Einreise, des unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet und wegen Beihilfe zur unerlaubten Einreise verantworten. Der polnische Fahrer kommt in Untersuchungshaft.

BPol Rostock 2.11.05

 

1. November 05

 

Bundesland Niedersachsen. Der 35 Jahre alte Eyah Mbawah, abgelehnter Asylbewerber aus Sierra Leone, gerät in Panik und versucht, sich im Göttinger Kreishaus aus dem Fenster zu stürzen, als Polizisten auf ihn zugehen, um ihn in Abschiebehaft zu nehmen. Er wird stattdessen in Polizeibegleitung ins Landeskrankenhaus im Rosdorfer Weg gebracht. Die für den 3. November gebuchte Abschiebung nach Freetown muß storniert werden.

    Eyah Mbawah war 1993 mit seinem Bruder Kombo aus dem Bügerkriegsland Sierra Leone geflohen, als Milizionäre ihr Elternhaus in der Stadt Kono zerstörten. Sie waren Augenzeugen bei der Tötung ihrer zwei Brüder Saha und Tamba und entgingen ihrer eigenen Tötung nur knapp. Ihre Mutter wurde verschleppt und ist seither verschollen. Diese und andere Erlebnisse haben Eyah Mbawah traumatisiert, und er befindet sich seit langem in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Er hat mehrmals versucht, sich zu töten.

    Im Jahre 1999 hatte Eyah Mbawah bereits ein halbes Jahr in Abschiebehaft verbracht – auch hier hatte er einen Suizidversuch unternommen. Seine Freilassung war schließlich aufgrund der Tatsache erfolgt, daß eine Abschiebung in das Bürgerkriegsland Sierra Leone überhaupt nicht möglich war. Im Jahre 2003 befand er sich stationär im Landeskrankenhaus Göttingen aufgrund von mitteleren bis schweren depressiven Episoden.

    Insgesamt sieben Monate – vom 17. März 05 bis zum

7. Oktober 05 – hat Eyah Mbawah jetzt bereits in der JVA Kassel und in der JVA Hannover-Langenhagen in Abschiebehaft gesessen. Er wurde schließlich freigelassen, weil seine Abschiebung in Brüssel wegen Nebels abgebrochen werden mußte.

    Weil er jedoch nach seiner Freilassung nicht in seine Wohnung in Obernjesa (Gemeinde Rosdorf) zurückgekehrt war, sondern zu seinem Bruder nach Göttingen ging, beantragte die Ausländerbehörde erneut Sicherungshaft gegen ihn.

GT 2.5.05; 27.6.05;

GT 2.11.05; GT 3.11.05;

pogrom 255_4/2009;

FRat NieSa

 

Anfang November 05

 

Transitbereich des Flughafens in München. Der Kurde Burhan Karim Zangana näht sich die Lippen zusammen und beginnt mit einem Hungerstreik. Er befindet sich – mit Unterbrechungen (Abschiebehaft, Vorführung bei der irakischen Botschaft in Berlin, Krankenhaus-Aufenthalt) – seit nunmehr sieben Monaten im Transitbereich, weil ihm die Einreise in die BRD aufgrund falscher Papiere nicht erlaubt wird.

    Seine Familie hatte im Irak mit der Baath-Partei zusammengearbeitet und aus Angst vor Verfolgung hatte er das Land verlassen.

    Dies sei keine Freiheitsberaubung, urteilt das Amtsgericht Erding, obwohl Burhan Karim Zangana das eingezäunte und bewachte Gelände nicht verlassen kann und die Abschiebehaft formal aufgehoben ist. Das Gericht kommentiert, der Iraker könne das Land ja jederzeit auf dem Luftwege verlassen. Auch wenn der Flüchtling es wollte – aufgrund fehlender gültiger Papiere, wäre ihm dies gar nicht möglich.

    Am 12. Dezember brandmarkt das Münchner Oberlandesgericht das Festhalten des Mannes als rechts- und verfassungswidrige Freiheitsentziehung. Trotz dieses Urteils weigert sich die Bundespolizei weiterhin, Herrn Zangana die Einreise zu gestatten, und beruft sich nunmehr auf einen vom Amtsgericht ergangenen Beschluß zur Abschiebehaft.

    In der Nacht zum 20. Dezember wird Herr Zangana mit einem großen Aufgebot der Bundespolizei und ohne Informierung seines Rechtsanwaltes abgeschoben. Flugroute und Zielort der Abschiebung sind unbekannt.

    Die Bundespolizei hatte mit der Abschiebung so lange gewartet, bis die deutsche Archäologin, Susanne Osthoff, aus der Geiselhaft im Irak frei kam, um die Bemühungen des Auswärtigen Amtes um das Leben der Deutschen nicht zu behindern.

    Nach Angaben des UNHCR Berlin ist Burhan Karim Zangana der erste irakische Flüchtling seit 15 Jahren, der aus Deutschland in den Irak abgeschoben wurde.

jW 5.11.05; jW 15.12.05;

FRat Bayern 21.12.05

 

3. November 05

 

Bundesland Hessen. Als ein 14 Jahre altes Mädchen in der Schule erfährt, daß die Polizei in der Schule angerufen und erfragt hat, ob sie und ihre Geschwister anwesend seien, bekommt es einen Nervenzusammenbruch und wird ohnmächtig.

    Dies ist der vorläufige Höhepunkt einer unglaublichen Schikane, die die Behörden seit Jahren und vor allem in den letzten Monaten gegen die gesamte kurdische Familie Y. veranstaltet.

    Zwei Tage zuvor hatten Polizisten drei der Kinder auf dem Weg zum Nachmittagsunterricht und Sportverein abgepaßt und sie mehrere Stunden lang getrennt voneinander in Polizeibussen gefangen gehalten. Als die 14-Jährige entfliehen wollte, wurden ihr Handschellen angedroht. Sie wurde im Polizeiwagen auch mit körperlicher Gewalt der Beamten festgehalten, wobei sie leicht verletzt wurde. Als sie endlich freigelassen wird, fällt sie in Ohnmacht.

    Gleichzeitig wurde die Wohnung der Familie gestürmt, in der sich lediglich die jüngsten Kinder im Alter von vier und zehn Jahren aufhielten. Einer älteren Schwester und einer Tante wurde der Zugang zu den Kindern verweigert. Die Kinder andererseits durften die Wohnung nicht verlassen, und die Beamten erklärten ihnen mehrmals, daß sie Deutschland zu verlassen haben – das Land, in dem sie geboren und aufgewachsen sind.

    Bereits am 19. Oktober hatte die Polizei die Wohnung der Familie Y. mit einem Großaufgebot von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen (ca. 50 Personen) mehrere Stunden lang durchsucht. Zu diesem Zeitpunkt waren fünf minderjährige Kinder und eine erwachsene Schwester anwesend. Offizieller Grund für diesen Großeinsatz war die geplante Abschiebung von Frau Y. und ihren Kindern an diesem Tag. Daß A. Y. sich jedoch in stationärer Behandlung befand, war den Behörden durchaus bekannt.

    Die Behörden wollen offensichtlich über die Kinder den Druck auf die Eltern erhöhen, damit diese "freiwillig" ausreisen. Aufgrund des politischen Engagements von Herrn G. Y. war die Familie jedoch vor zehn Jahren in die BRD geflohen. Die Asylanträge wurden abgelehnt.

    Die Mutter der Kinder mußte sich im Oktober einen Tag vor ihrer Entlassung aus einer Klinik in Sicherheit bringen – sie tauchte unter. Sie leidet – genau wie ihr Mann – an einer ausgeprägten Posttraumatischen Belastungsstörung mit ständigen Retraumatisierungsschüben. Zwei volljährig gewordene Kinder sind bereits seit längerer Zeit untergetaucht. Herr Y. befindet sich wegen chronischer Suizidalität seit 15 Monaten stationär in einer psychiatrischen Klinik. (siehe auch: 12. Dezember 06)

FRat Hessen 7.11.05;

Antirassistische Initiative Berlin

 

5. November 05

 

Magdeburg in Sachsen-Anhalt. In einem Autobus der Linie 93 wird ein 28 Jahre alter nigerianischer Flüchtling von einem Unbekannten beleidigt und bedroht. An der Haltestelle Damaschkeplatz fordert der Mann den Nigerianer auf, den Bus zu verlassen, tritt nach ihm und bedroht ihn mit einer zerbrochenen Bierflasche. Erst als ein anderer Fahrgast des Busses einschreitet, flieht der Angreifer.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

6. November 05

 

Unterweissach in Baden-Württemberg. Drei Jugendliche stellen ein Holzkreuz auf, übergießen es mit Benzin und zünden es an. Dann wirft ein Jugendlicher einen Brandsatz gegen das Flüchtlingsheim in der Welzheimer Straße. Der Molotow-Cocktail prallt gegen die Wand und erlischt. Von den zu dieser Zeit anwesenden elf Personen wird niemand verletzt.

    Die Korex (Koordinationsstelle Rechtsextremismus), eine aktuell zusammengestellte Ermittlungsgruppe, recherchiert intensiv mit einem großen Aufgebot an Personen und Material. Sogar ein Polizei-Hubschrauber mit Wärmebildkamera kommt zum Einsatz.

    Vier Tatverdächtige werden ermittelt, verhört und sind allesamt geständig. Unter ihnen befindet sich ein 17-Jähriger, der den Brandsatz warf und der bereits am 15. Oktober einen Brandanschlag verübte. (siehe dort)

    Die Flüchtlinge – zu denen auch ein Baby gehört – werden von der Stadt "aus Sicherheitsgründen" zunächst in andere Quartiere verlegt. Bei einer Protest- und Solidaritätsveranstaltung am 13. November fordern die Flüchtlinge und auch UnterstützerInnen vor den knapp 200 Anwesenden eine

Rückkehr in die alte Unterkunft, um deutlich zu machen, daß sich die Neonazis mit ihren menschenverachtenden Aktionen in dieser Gegend nicht durchsetzen dürfen.

    Vor Weihnachten überbringen Weissacher BürgerInnen den Flüchtlingen ein Schreiben, das auch von fünf Gemeinderäten unterschrieben ist. Dort heißt es unter anderem: "Wir gehören zusammen, und Euer Platz ist unter uns. Trotz der Anschläge hoffen wir auf eine bessere Zukunft ... Wir unterstützen Euch in Euren Bemühungen, nach Weissach im Tal zurückzukehren, Eurer zweiten Heimat."

    Im Juni 2006 stehen die fünf Täter im Alter von 15 bis 20 Jahren vor dem Landgericht Stuttgart. Achtfacher versuchter Mord, versuchte schwere Brandstiftung, Sachbeschädigung, Beihilfe und Nichtanzeigen einer geplanten Straftat werden ihnen im Zusammenhang mit diesem Brandanschlag und dem Angriff auf ein Wohnhaus am 15. Oktober (siehe dort) zur Last gelegt. Bei dem 17-jährigen Haupttäter, einem bekennenden Rechtsradikalen, kommen zudem unerlaubter Waffenbesitz und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen dazu. Am 6. Juli wird der 17-Jährige zu drei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt, so daß er, der zur Zeit eine Haftstrafe verbüßt, weiter in Haft bleibt. Zwei Mitangeklagte erhalten 18- und 10-monatige Bewährungsstrafen.

StZ 7.11.05; BKZ 8.11.05; BKZ 9.11.05;

BKZ 11.11.05; BKZ 12.11.05; BKZ 14.11.05;

BKZ 24.12.05; SinZ/BöZ 30.3.06;

ap 27.6.06; SinZ 28.6.06; BKZ 30.6.06; BKZ 7.7.06

 

6. November 05

 

Holzgerlingen in Baden-Württemberg. Im Obergeschoß der Flüchtlingsunterkunft in der Turmstraße brennen am frühen Morgen ein Stromverteilerkasten und "Gerümpel".

    Die Feuerwehr Holzgerlingen, die mit 44 Personen, vier Lösch- und einem Einsatzleitwagen anrückt, kann den Brand schnell löschen. Mehrere schlafende BewohnerInnen werden geweckt und in Sicherheit gebracht – ein Mann kommt mit Verdacht auf eine Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.

    Durch den Rauch sind die Räume der ersten Etage derzeit unbewohnbar. Die Brandursache ist vorerst unbekannt.

SinZ 8.11.05; Polizei Sindelfingen

 

9. November 05

 

Flughafen Hamburg. Ein Ehepaar aus Afghanistan soll als eines der ersten nach Kabul abgeschoben werden. Im Flugzeug erleidet die 30 Jahre alte Frau einen Kollaps und muß notärztlich versorgt werden.

    Während ihr Mann alleine abgeschoben wird, nimmt die Ausländerbehörde die Frau in Abschiebehaft und erwirkt Atteste, die ihre Reisefähigkeit bestätigen. Eine Woche später wird auch sie abgeschoben.

    Das Paar gehört zur Glaubensgemeinschaft der Hindu und war aus Angst vor Verfolgung nach Deutschland geflohen.

taz HH 11.11.05; HA 16.11.05

 

9. November 05

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In einem studentischen Club in der Rostocker Innenstadt wird ein 21 Jahre alter togoischer Flüchtling von einem Deutschen beschimpft und attackiiert. Der Täter stößt den Togoer zu Boden und schlägt dann auf ihn ein. Andere Gäste der Diskothek greifen ein und halten den Angreifer fest, so daß er von den Türstehern vor die Tür gesetzt werden kann.

    Draußen ruft der Täter die Polizei und behauptet, daß er von dem Asylbewerber angegriffen worden sei.

    In einem Verfahren, in dem mehrere Straftaten des Täters verhandelt werden, wird dieser zu acht Monaten Haft mit einer zweijährigen Bewährungszeit verurteilt.

LOBBI

 

10. November 05

 

Singen in Baden-Württemberg. Das kurdische Ehepaar B. wird nach abgelehnten Asylanträgen zusammen mit drei Kindern (7, 11 und 12 Jahre alt) in die Türkei abgeschoben.

    Die 33 Jahre alte Frau B., die wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowohl stationär als auch ambulant behandelt wurde und wird, berichtet vier Wochen später, wie die Abschiebung stattgefunden hat. Morgens um 4 Uhr seien Polizeibeamte gekommen und hätten, da die Tür von ihr nicht geöffnet wurde, das daneben befindliche Fenster von außen eingeschlagen, um hineinzukommen. Dabei hatte sich Frau B., die in heller Panik neben dem Fenster harrte, tiefe Schnittverletzungen an den Fingern und dem Gelenk der rechten Hand zugezogen. Ein Suizidversuch von Frau B. – es wäre der dritte gewesen – kann verhindert werden. Auf der Fahrt zum Flughafen Stuttgart werden den Eheleuten Handschellen angelegt. Die Bitte der Frau am Flughafen, daß ihre Verletzungen von einem Arzt angesehen und versorgt werden, wird abgelehnt. Weiterhin in Handschellen wird sie ins Flugzeug gebracht. Erst als während des Fluges Essen angeboten wird, werden Herrn und Frau B. die Handschellen entfernt.

    Am Flughafen Istanbul erfolgt die Übergabe von Bundespolizisten an die Flughafenpolizei – ohne ein Wort darüber, daß Frau B. psychisch schwer krank ist. Sie wird dann – getrennt von Mann und Kindern – 24 Stunden von der Polizei auf dem Flughafengelände festgehalten und kann erst am nächsten Tag um 17 Uhr von einem Verwandten abgeholt werden.

    Trotz ihrer Erschöpfung sucht sie ein Gesundheitszentrum auf, um ihre Hände medizinisch versorgen zu lassen. Eine chirurgische Versorgung, die in Deutschland hätte gemacht werden müssen, wird in Istanbul nachgeholt. Dafür ist es jedoch offensichtlich zu spät. Durch die verstrichene Zeit sind die Wunden infiziert und stark entzündet.

    Selbst einen Monat nach der Abschiebung steht Frau B. noch unter psychischem Schock. Da ihr Mann untergetaucht und verschwunden ist, kümmern sich vorübergehend Verwandte um sie. Diese Situation hat sich auch im Januar 2006 nicht verändert: Frau B. ist orientierungslos und unfähig, sich um ihre Kinder und um sich selber zu kümmern.

(siehe auch: Oktober 03 und Oktober 04)

Refugio Villingen-Schwenningen;

Ernst-Ludwig Iskenius – Arzt

 

14. November 05

 

Der 22 Jahre alte tschetschenische Flüchtling Herr A. wird von Sachsen aus nach Moskau abgeschoben. Von da an endet der Kontakt zu ihm. Wochenlang versuchen FlüchtlingsunterstützerInnen und seine Familienangehörigen aus Polen, seine Spur zu finden. Erst als MitarbeiterInnen der Organisation Memorial bei tschetschenischen Angehörigen nach ihm suchen, erfahren sie im nachhinein, daß A. noch in Moskau auf dem Flughafen festgenommen, verhört und in eine Haftanstalt gebracht worden war. Dann wurde er in ein Gefängnis in Grozny verlegt, wo er sich auch noch im März 2006 befindet.

    Die Deutsche Botschaft in Moskau hatte den nachfragenden FlüchtlingsunterstützerInnen aus der BRD trotzdem mitgeteilt, daß Herr A. noch am Tage seiner Abschiebung den Flughafen unbehelligt verlassen habe.

    A. war mit 15 Jahren in die BRD geflohen und hatte drei Jahre lang im Bundesland Nordrhein-Westfalen gelebt.

GfbV März 2006; GfbV Dezember 2006

 

14. November 05

 

Bergheim-Kenten im Rhein-Erft-Kreis – Nordrhein-Westfalen. Der 40 Jahre alte iranische Bewohner Herr S. zerstört gegen 20.45 Uhr das Mobiliar in der Gemeinschaftsküche der Flüchtlingsunterkunft in der Kentner Heide, verschüttet Grillanzünder und entzündet ihn.

    Die alarmierte Feuerwehr kann den Brand schnell löschen, und der Iraner wird von Polizeikräften überwältigt und mitgenommen.

    Fälschlicherweise hatte Herr S. kurz vorher erfahren, daß sein Sohn gestorben sei. Er hatte dann die Kontrolle über sich verloren und kam mit der Diagnose einer schweren depressiven Episode in die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Rheinischen Kliniken Düren.

Polizei Bergheim 15.11.05;StA Köln

 

15. November 05

 

Baden-Württemberg. Familie S. aus dem Kosovo, die seit 13 Jahren in der BRD lebt, wird morgens um zwei Uhr in ihrer Unterkunft geweckt. Die achtköpfige Roma-Familie bekommt eine halbe Stunde Zeit, sich anzuziehen und die Sachen zu packen. Dies trifft die Familie völlig unvorbereitet, denn nach den ethnischen Pogromen im März 2004 dürfen Angehörige der Roma und Ashkali zur Zeit nicht abgeschoben werden.

    Auf dem Flughafen Baden-Baden werden allen Familienmitgliedern im Zuge der Gepäckuntersuchung und Leibesvisitation die Papiere abgenommen, die sie als Roma ausweisen. Dann erfolgt der Abflug mit ca. 140 weiteren Flüchtlingen nach Prishtina. Bei der Ankunft fragen UNMIK-Mitarbeiter nach den ethnischen Zugehörigkeiten, und es melden sich neben Familie S. sechs weitere Roma, eine Mutter mit vier Kindern im Alter von 10 bis 15 Jahren, eine alleinstehende Frau und zwanzig Personen, die den Ashkali angehören.

    Diese Menschen müssen jetzt einige Stunden in Kälte und Regen im Freien verbringen, bis ihnen ein Bus zur Verfügung gestellt wird, in dem sie sich aufhalten dürfen. Dann werden sie per Flugzeug nach Skopje geflogen, wo sie die Nacht im Flugzeug in ihren Sitzen verbringen müssen, bis sie über Zürich nach Baden-Baden zurückgeflogen werden.

    Nach einer fast 40-stündigen Odyssee kommt Familie S. wieder in ihrer Unterkunft an. Ihr Zimmer ist inzwischen leergeräumt, Teppiche und Kühlschrank sind verschwunden.

FRat BaWü und Pro Asyl 25.11.05;

DAMID 11/12 – 2005

 

17. November 05

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der JVA Büren versucht der Abschiebegefangene B. M. sich zu töten

BT DS 16/9142

 

17. November 05

 

Die Ashkali-Familie Krasniqi, die seit sieben Jahren in Deutschland lebt, wird aus ihrer Wohnung im niedersächsischen Bersenbrück abgeholt und zum Flughafen Düsseldorf zur Abschiebung gebracht. Eines ihrer vier kleinen Kinder, der 7-jährige Sohn, hatte vor drei Jahren großflächige Verbrennungen erlitten, die in Münster behandelt worden waren. Durch die Abschiebung und durch die damit verbundene Unterbrechung der Behandlung, so bestätigt der behandelnde Arzt, entsteht das Risiko lebensgefährlicher Entzündungen.

    Obwohl die UNMIK (United Nation Administration Mission im Kosovo) aufgrund dieser Informationen die Aufnahme der Familie ablehnt, wird die Abschiebung auf dem Flughafen Düsseldorf mit Gewalt fortgesetzt und die Familie nach Prishtina ausgeflogen.

    Der zuständige Landkreis Osnabrück und das Innenministerium in Hannover begründen die Abschiebung mit einem Verwaltungsgerichtsurteil, in dem die Nachbehandlung des Jungen als "kosmetische Korrektur" bezeichnet wird.

    Nach der Abschiebung lebt die sechsköpfige Familie bei den Großeltern in einer Einzimmerwohnung.

JWB 30.11.05; FRat NieSa

 

23. November 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Der Abschiebegefangene S. G. versucht sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

26. November 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene S. H. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

27. November 05

 

Flüchtlingsheim in Breitenworbis im Bundesland Thüringen. Durch einen Zimmerbrand, der sich über weitere Bereiche des Gebäudes ausbreitet, werden ein Bewohner schwer und drei weitere leichter verletzt.

    Die Ermittlungen ergeben, daß eine 36 Jahre alte Bewohnerin aus dem Iran ihr Zimmer selbst entzündet hat. Durch die Trennung von ihrem 14 Jahre alten Sohn, der bei den Großeltern im Iran lebt, ist die Frau psychisch schwer erkrankt – sie kommt nach dem Brand umgehend in eine psychiatrische Klinik.

ddp 28.11.05; taz 29.11.05;

Polizei Nordhausen 29.11.05

 

30. November 05

 

Bundesland Hessen. Der 72 Jahre alte Flüchtling Abdul K. wird aus der Abschiebehaft der JVA Offenbach nach Afghanistan abgeschoben. Am 22. Januar 2006 stirbt er in einem Dorf nahe Kabul.

    Seiner Tochter, die in der BRD lebt, werden unterschiedliche Informationen über den Tod des Vaters aus dem Dorf mitgeteilt: er sei erschlagen worden, er sei gefesselt gewesen und er habe schwarze Beine gehabt. Einen gewaltsamen Tod des Vaters schließt die Tochter damit nicht mehr aus.

    Im Rahmen einer Familienzusammenführung war ihr Vater in die BRD gekommen – seine Asylanträge waren alle abgelehnt worden.

Pro Asyl

 

November 05

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der Flüchtling Vlasta Idic wird nach 15-jährigem Deutschland-Aufenthalt nach Serbien abgeschoben – damit ist er von seiner Familie getrennt.

    Da auch seine Frau und die vier Kinder abgeschoben werden sollen, wird ihnen im Kirchenasyl Schutz gewährt, bis sie nach eineinhalb Jahren ein Bleiberecht erhalten.

    Fünf Jahre später ist die Familie immer noch getrennt. Obwohl alle zusammen Monatseinkünfte von 3000 Euro haben und keinerlei staatliche Unterstützung benötigen, wird eine Rückkehr des Vaters nicht erlaubt.

    Allein mit einem 3-Monats-Visum darf er im Jahre 2010 das erste Mal wieder zu seiner Familie.

RP 11.3.10

 

2. Dezember 05

 

Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern. Dem Togoer Alassane Moussbaou wird in der Ausländerbehörde mitgeteilt, daß er jetzt in Abschiebehaft kommt und seine Abschiebung nach Togo vorbereitet wird. Als Alassane Moussbaou noch mit den beiden Polizisten verhandelt, weil er seine Anwältin informieren will, fällt ihn ein Behördenmitarbeiter von hinten an und würgt ihn heftig. Reflexartig versucht der Flüchtling, sich zu befreien, wird dann aber von den Polizisten überwältigt und in die JVA Bützow gebracht.

    Am 10. Januar 2006 erfolgt sein Transport zum Flughafen Hamburg, doch als er begleitenden Polizisten deutlich macht, daß er in die Maschine nach Lomé nicht einsteigen könne, weigert sich schließlich auch der Pilot der Air France-Maschine, ihn mitzunehmen.

    Zurück in Bützow verlängert das Amtsgericht Güstrow die Abschiebehaft bis zum 1. Mai 2006. Die Begründung: Alassane Moussbaou habe sich bei der Festnahme in der Ausländerbehörde aktiv zur Wehr gesetzt.

    Alassane Moussbaou ist aktiver Regimegegner des diktatorischen RPT-Regimes in Togo (Rassemblement du peuple togolais). Aufgrund seiner politischen Verfolgung in Togo war er im Mai 2001 nach Deutschland geflohen. Weil er seinen politischen Kampf in der BRD öffentlich fortgeführt hat, ist er im Falle einer Abschiebung akut mit dem Tode bedroht.

    Am 16. Januar beginnt er – zusammen mit dem auch in Haft sitzenden togoischen Oppositionellen Adzrakou Komi – einen unbefristeten Hungerstreik. Nach vier Tagen kommen sie getrennt in Einzelhaft und wiederum einige Tage später in die Krankenstation des Gefängnisses. Hier wird am 31. Januar

morgens um 3 Uhr Alassane Moussbaou aus dem Bett gerissen und in Bundespolizei-Begleitung zum Flughafen Berlin-Tegel gebracht. Als die Anwältin von der Abschiebung erfährt, ist Herr Moussbaou bereits in einer Air France-Maschine auf dem Weg nach Paris.

    Nach Auskunft eines Beamten in der JVA Bützow hatte es schriftliche Anweisungen gegeben, daß weder der Betroffene selbst noch seine Anwältin über die geplante Abschiebung vorher informiert werden sollten, dies sicherlich aufgrund der Öffentlichkeitsarbeit der UnterstützerInnen (Demonstration, Brief-Kampagnen), die die Abschiebung verhindern sollte.

    Die Abschiebung von Herrn Moussbaou erfolgt in Begleitung von drei Polizeibeamten und einem Arzt. Auf dem Flughafen von Lomé wird er festgenommen und verhört. Er wird mit Fotos der deutschen Exil-Opposition von Demonstrationen in Berlin, an denen er teilgenommen hat, konfrontiert und bedroht. Allein der Togoischen Menschenrechtsliga, die am Flughafen anwesend ist, ist es zu verdanken, daß Alassane Moussbaou unter strengen Meldeauflagen frei gelassen wird. Ein Freund, der ihn vom Flughafen abholt und bei dem er vorerst unterkommen kann, muß eine Kopie seines Passes hinterlassen. Ein Soldat aus seinem Geburtsort offenbart sich ihm gegenüber und erzählt ihm, daß seine Einheit ihn "aus politischen Gründen eliminieren" solle. Schon am nächsten Tag erscheinen Menschen in der Wohnung des Freundes und fragen nach ihm und Alassane Moussbaou. Beide sind zu dem Zeitpunkt nicht anwesend – beide tauchen jetzt unter, bis ihnen die Flucht nach Ghana gelingt.

    Im August 2006 lehnt das Verwaltungsgericht Schwerin das Asylgesuch im Asylfolgeverfahren ab – Alassane Mousbaou legt dagegen Berufung ein.

    Am 7. Februar beschließt das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns einen sechsmonatigen Abschiebestopp für abgelehnte AsylbewerberInnen nach Togo. In Mecklenburg-Vorpommern sind zur Zeit 323 Menschen aus Togo "ausreisepflichtig".

    Adzrakou Komi wird am 22. Tag seines Hungerstreiks aus der Abschiebehaft entlassen, befindet sich allerdings aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes noch in stationärer Behandlung.

Internationale Kampagne gegen die Diktatur in Togo

und anderen afrikanischen Ländern;

Karawane – Hamburg;

SVZ 1.2.06; NK 1.2.06; Ärzte-Ztg 3.2.06;

SVZ 8.2.06; Dr. Klaus Dienelt 9.2.06; ND 1.3.06

 

3. Dezember 05

 

Brandenburg. In der Fürstenwalder Diskothek "Bananas" wird ein Flüchtling aus dem Iran von mehreren Rechten angegriffen. Als er einen Schlag mit einer Bierflasche auf den Kopf bekommt, geht er bewußtlos zu Boden. Mit einer Hirnblutung infolge eines Schädel-Hirn-Traumas, einer Gehirnerschütterung, einer Kopfplatzwunde und einer Verletzung an der rechten Lippe kommt der Iraner ins Krankenhaus, aus dem er nach zwölf Tagen wieder entlassen werden kann. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf.

Opferperspektive; Polizei Fürstenwalde

 

8. Dezember 05

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ein 33 Jahre alter vietnamesischer Flüchtling wird in den Abendstunden im Zug von Rostock nach Bad Doberan von drei jugendlichen Deutschen rassistisch beschimpft und bedroht. Als er in Bad Doberan aussteigt, um zu seiner Unterkunft zu gelangen, bemerkt er, daß er von einem der Rassisten verfolgt wird. Er versucht zu fliehen, wird jedoch an der Ampelkreuzung des Alexandrinenplatzes eingeholt und angegriffen. Der glatzköpfige Verfolger schlägt ihm eine Bierflasche auf den Kopf, fordert Bargeld und tritt auf den zu Boden gegangenen Vietnamesen mit Füßen ein. Der Verletzte wird bewußtlos und kommt erst wieder zu sich, als sich ein Passant um ihn kümmert.

    Er kommt zur stationären Behandlung ins Krankenhaus von Bad Doberan. Neben der Verletzung durch den Schlag hat er zahlreiche Schnittverletzungen im Gesicht, die ihm der Täter während seiner Bewußtlosigkeit zugefügt haben muß. Diese zum Teil sehr langen Schnittwunden am linken Augenlid und am Hinterkopf müssen chirurgisch behandelt werden.

    Das Kriminalkommissariat Bad Doberan ermittelt wegen versuchten schweren Raubes. Da der Täter nicht ermittelt werden kann, wird das Verfahren eingestellt.

Polizei Bad Doberan 13.12.05;

JWB 21.12.05; LOBBI (OZ)

 

9. Dezember 05

 

Die Verwaltung und die Hausmeister sammeln in den Unterkünften des Flüchtlingsheimes im bayerischen Neuburg an der Donau Fertigessen der Sorte "Gourmet Pfanne" ein.

    Obwohl in diesem Heim (sowie auch in dem Münchener Heim in der Emma-Ihrer-Straße, in einer Unterkunft in Ingolstadt und offensichtlich in weiteren Heimen von Oberbayern) seit Anfang Dezember gefrorenes Geflügelfleisch mit seit Oktober abgelaufenen Verfallsdaten an die BewohnerInnen ausgegeben wird, müssen die Flüchtlinge erst mit ihren "Gammel-Pfannen" direkt zur Polizei gehen, damit die Verteilung verdorbener Lebensmittel gestoppt wird. Dem Flüchtling Khan Gul wird von der Polizei empfohlen, das Krankenhaus aufzusuchen.

FRat Bayern infodienst 05 – nov./dez. 2005

 

9. Dezember 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene B. B. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

14. Dezember 05

 

Der 47 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber Jemal Ell Alli, der seit fünf Jahren in Halver lebt, wird im Ausländeramt verhaftet und kommt in Abschiebehaft in die JVA Büren. Nach zweitägiger Abschiebehaft soll der Kurde nach Syrien abgeschoben werden. Als er in Düsseldorf in ein Flugzeug gebracht wird, sieht er eine Hülle mit Unterlagen, die ihn schwer belasten könnten. In Amsterdam bricht der Mann zusammen, so daß die Fluggesellschaft sich weigert, den Mann nach Syrien auszufliegen.

    Jemal Ell Alli kommt zurück nach Deutschland und wird in der JVA Münster untergebracht. Entsprechend der Regeln des hier geltenden Strafvollzuges beschränkt sich die

Besuchszeit auf eineinhalb Stunden pro Monat. Herr Ell Alli geht es hier – trotz medizinischer Versorgung – gesundheitlich sehr schlecht.

LüN 19.12.05; RM 12.1.06

 

21. Dezember 05

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 22-jähriger Moldawier, der sich bereits sieben Monate in Abschiebehaft befindet, soll nach Rumänien abgeschoben werden. Er wehrt sich. Darauf wird ihm – so seine Aussage – während man seine Hände hinter dem Rücken festhält, sein Kopf von einem Polizisten gegen die Wand gedrückt und die Stirn gegen die Wand geschlagen. Ein anderer Polizist, dem diese Behandlung offenbar zu weit geht, ruft "Nein", worauf der Kollege sich entfernt und am weiteren Einsatz nicht mehr beteiligt ist.

    Nachdem der Moldawier schließlich überwältigt am Boden liegt, wird ihm von einem Polizisten der Fuß auf das Gesicht gestellt, was für ihn sehr schmerzhaft ist. Seine Nase beginnt zu bluten, wodurch er keine Luft bekommt. Die Jeansjacke wird zerrissen. Die Fesselung der Hände ist so eng, daß Spuren an den Handgelenken noch zwei Tage später sichtbar sind. Zudem hat er zu diesem Zeitpunkt noch immer eine gerötete Stirn und eine Verletzung am Bein.

    Seine Anwältin erstattet Anzeige wegen unverhältnismäßiger Gewaltausübung gegen die am Einsatz beteiligten Polizisten. Am 3. Januar wird der Gefangene nach Bukarest abgeschoben.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

22. Dezember 05

 

Fürstenwalde in Brandenburg. Um 16 Uhr wird ein 28 Jahre alter Flüchtling aus Kamerun in einer Unterführung rassistisch angepöbelt. Drei Rassisten rufen: "Afrika den Affen, Deutschland den Deutschen", "Geh zurück in Deinen Dschungel", stoßen dabei Tierlaute aus und zeigen den "Hitlergruß". Als der Kameruner fragt, was das soll, versetzt einer der Deutschen ihm einen Stoß gegen die Brust, so daß er gegen ein Geländer stürzt und sich die linke Hand verstaucht.

    Unter weiteren Beleidigungen und Bedrohungen "begleiten" die Rechten den Flüchtling bis auf den Bahnhof.

Opferperspektive; MAZ 23.2.05

 

25. Dezember 05

 

Offenburg in Baden-Württemberg. In der staatlichen Unterkunft für Asylbewerber in der Eckener Straße brennt es in mehreren Gebäuden morgens um 6.00 Uhr. Die Feuerwehr kommt mit zwei Löschzügen und 50 Feuerwehrleuten, der Rettungsdienst mit 45 Helfern, und die Polizei ist mit sechs Beamten im Einsatz. Eine Person muß mit einer Rauchvergiftung ins Klinikum Offenburg eingeliefert werden.

    Die Ermittler gehen von einer technischen Ursache des Brandes aus.

Polizei Offenburg 25.12.05;

BaZ 27.12.05

 

25. Dezember 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene K. Z. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

26. Dezember 05

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Mannheim versucht der Abschiebegefangene T. K. sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

28. Dezember 05

 

Bundesland Brandenburg – Potsdamer Wohngebiet Am Schlaatz. An der Straßenbahn-Haltestelle Magnus-Zeller-Platz werden um 14.30 Uhr zwei indische Flüchtlinge (33 und 43 Jahre alt) von zwei Rassisten beleidigt und anschließend getreten. Einer der Inder wird dabei in der Magengegend getroffen. Als einer der Angegriffenen ein Messer hervorholt, laufen die Täter weg. Sie alarmieren dann selbst die Polizei, weil sie sich von dem Mann mit dem Messer angegriffen fühlen. Die Beamten nehmen die alkoholisierten Angreifer vorübergehend in Gewahrsam und ermitteln gegen sie wegen Beleidigung, Nötigung und Körperverletzung.

Opferperspektive;

Polizei Potsdam 4.1.06

 

29. Dezember 05

 

Berlin. Der 25 Jahre alte Kurde Ömer M. wird in die Türkei abgeschoben. Als die türkischen Beamten feststellen, daß er gar kein Türkisch spricht und daß er als türkischer Staatsbürger in den Registerauszügen nicht existiert, wird er geohrfeigt und in ein Flugzeug Richtung Berlin gesetzt.

    Nach dem Rückflug kommt er erneut ins Abschiebegefängnis Köpenick, wo er auch im Januar 2006 noch auf weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde wartet.

    Ömer M. war mit seiner Mutter vor 24 Jahren nach Deutschland gekommen und hatte sich wegen einer Falschaussage für einen Freund strafbar gemacht. Der Innensenat hatte die Abschiebung durchgesetzt und dafür die aufschiebende Wirkung des Antrags bei der Härtefallkommission außer Kraft gesetzt.

TS 4.1.06;

Rüdiger Jung – Rechtsanwalt

 

31. Dezember 05

 

In der Hamburger Untersuchungshaftanstalt begeht ein 19 Jahre alter Abschiebegefangener aus dem Irak einen Suizidversuch.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469

 

 

 

 

Im Jahre 2005

 

Bundesland Baden-Württemberg. Die in Mannheim lebende Kurdin Sanije Gündüz wird während ihrer 2-monatigen stationären Behandlung im Psychosozialen Zentrum in Wiesloch von Polizisten aufgesucht, die sie und ihre Kinder zwangsweise in die Türkei abschieben wollen. Dieses kann durch Einschreiten der Ärzte verhindert werden.

    Frau Gündüz ist aufgrund ihrer Verfolgungsgeschichte krank und schwer traumatisiert. Ihr Mann war wegen seiner politischen Aktivitäten mehrmals in türkischer Haft, wurde mißhandelt, gefoltert und schließlich ermordet. Auch sie selbst mußte mehrere Festnahmen und Mißhandlungen in der Türkei erleiden, bevor sie mit ihren drei Kindern im Jahre 1999 in die BRD geflohen war.

    Am 2. August 06 werden Sanije Gündüz und ihre Kinder Murat (21), Dondü (20) und Mirali (15) am frühen Morgen zwischen 4.00 Uhr und 6.00 Uhr abgeholt und in Begleitung von Polizisten und einem Arzt abgeschoben.

    Dies geschieht, obwohl in drei medizinischen Gutachten aus dem Ulmer Zentrum für Folteropfer und dem Psychosozialen Zentrum Nordbaden beschrieben wird, daß eine Genesung von Frau Gündüz nur in einer angstfreien Umgebung und mit einem gesicherten Aufenthalt möglich ist.

Asyl-AK ai Mannheim;

Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim 2.8.06

 

 

Im Jahre 2005

 

Hansestadt Hamburg. Ein 11-jähriger Junge will sich in seiner Verzweiflung aus dem zweiten Stock der Wohnung seiner Eltern stürzen. Es kann verhindert werden.

    Sein Vater war gerade – unmittelbar nach einer wichtigen Operation – abgeschoben worden, und ihm, seinem Bruder und seiner Mutter droht die Abschiebung.

    Seine Eltern sind Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, haben unterschiedliche Nationalitäten und hatten demzufolge Probleme bei der Paßbeschaffung, so daß sie in der BRD nicht heiraten konnten. Der Junge ist in Deutschland geboren.

    Er kommt nach seiner Verzweiflungstat für Monate in stationäre psychiatrische Behandlung.

    Wegen der im Herkunftsland fehlenden medizinischen Versorgung wird dem Vater die Rückkehr in die BRD zugestanden. Allein aufgrund des Engagements vieler Menschen und einer breiten Solidarität für die Familie gelingt es später, einen gesicherten Aufenthalt zu erwirken.

FRat NieSa Heft 109 August 2005;

Flüchtlingsbeauftragte F. Dethloff

 

 

Im Jahre 2005

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick gab es nach Auskunft des Senators für Inneres auf die Anfrage der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zehn Suizidversuche von männlichen Gefangenen. Zu den hier dokumentierten Suizidversuchen von sechs Personen werden die Selbsttötungsversuche eines Russen (Haftdauer 42 Tage), eines Libyers (Haftdauer 165 Tage), eines Mazedoniers (Haftdauer 177 Tage) und eines Ukrainers (Haftdauer 40 Tage) genannt.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 16/10839;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 16/11578

 

 

Im Jahre 2005

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick befanden sich 23 Minderjährige in Haft: zwei 15-Jährige (1 bzw. 82 Tage), acht 16-Jährige (1 bis 167 Tage) und dreizehn 17-Jährige (1 bis 46 Tage).

Diese Information steht im Widerspruch zu der Antwort des Abgenordnetenhauses Berlin auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (DS 15/12584).

(siehe auch: Juni 05)

BT DS 16/9142

 

 

Im Jahre 2005

 

Bundesland Schleswig-Holstein. In der Jugendstrafanstalt Neumünster befanden sich 19 Jugendliche (zwischen 16 und 18 Jahren) bei einer mittleren Haftdauer von 31,6 Tagen in Abschiebehaft. Zum Jahreswechsel sitzt hier noch ein 16-Jähriger, der vor 13 Tagen inhaftiert wurde.

    Davon abgesehen, daß der Landesbeirat für den Vollzug der Abschiebehaft die Inhaftierung von jugendlichen Flüchtlingen generell für unverhältnismäßig und rechtswidrig hält, kritisiert er auch die regelmäßige Unterbringung der Jugendlichen in Strafhaftanstalten, wo die Jugendlichen mit jungen Straftätern gemeinsam inhaftiert sind.

Landesbeirat – Jahresbericht 2005

 

 

Im Jahre 2005

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Im Abschiebegefängnis Rendsburg versuchten zwei Gefangene sich zu töten.

BT DS 16/9142

 

 

Im Jahre 2005

 

An den deutschen Grenzen haben sich im Zusammenhang mit unerlaubtem Grenzübergang nach Auskunft der Bundesregierung drei Personen durch Unterkühlung verletzt. Im Bereich des Bundespolizeiamtes Chemnitz (sächsisch-tschechischer Grenzbereich) handelt es sich um einen russischen Mann; im Bereich des Bundespolizieiamtes Rostock handelt es sich um zwei indische Staatsangehörige.

BT-Drucksache 16/3768

 

 

Im Jahre 2005

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In Abschiebehaft befanden sich 48 unbegleitete Minderjährige über eine durchschnittliche Dauer von 32 Tagen.

BT DS 16/9142

 

 

In den Jahren von 2001 bis 2005

 

Auf die Kleine Anfrage der PDS-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern wird ein Suizidversuch in Abschiebehaft in der JVA Bützow bekanntgegeben.

LT Mecklenburg-Vorpommern DS 4/2359

 

 

In den Jahren von 2001 bis 2005

 

Auf die Kleine Anfrage der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag wird bekanntgegeben, daß im oben genannten Zeitraum zwei Abschiebegefangene versucht haben, sich zu töten, 20 Gefangene sich selbst verletzten und 21 "Nahrungsverweigerungen" stattgefunden haben.

(Sechs Suizidversuche bzw. Selbstverletzungen sind in diesem Zeitraum hier dokumentiert)

Sächsisches Staatsministerium des Innern DS 4/5801