zur Hauptseite                                                   Zusammenfassung  2008

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2008

 

2. Januar 08

 

Bundesland Niedersachsen. Am Nachmittag überfallen in Braunschweig ein 21 und ein 23 Jahre alter Deutscher zwei Asylbewerber. Die beiden Geschädigten melden sich erst bei der Polizei, als sie erfahren, daß die Täter festgenommen sind.

HAZ 4.1.08; jW 4.1.08; BrZ 4.1.08;

BrZ 14.1.08

 

2. Januar 08

 

Bundesland Niedersachsen. Im Braunschweiger Stadtteil Kralenriede werden um 20.30 Uhr auf offener Straße zwei syrische Flüchtlinge von zwei deutschen kahlköpfigen Männern als "Scheiß-Ausländer" beleidigt. Dann versetzt einer der Deutschen dem 19 Jahre alten Syrer einen Faustschlag ins Gesicht. Sein Kumpan schlägt dem 24 Jahre alten Flüchtling mehrmals mit einem Stein auf den Kopf. Als dieser zu Boden geht, schlägt der Mann weiter auf sein Opfer ein. Noch vor Ort können die beiden 21 und 23 Jahre alten Rassisten festgenommen werden.

    Der ältere Syrer muß seine Verletzungen im Krankenhaus behandeln lassen.

    Während der 21-jährige Täter aufgrund einer nicht angetretenen Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten unmittelbar in die Justizvollzugsanstalt gebracht wird, kommt sein Kumpan auf freien Fuß.

    Zunächst ordnet die Polizei die Täter der Fußball-Hooligan-Szene zu und bestreitet, daß sie Kontakt zu Neonazis haben. Dies ändert sich, als ein Flugblatt des Antifaschistischen Plenums Braunschweig und der Jugend Antifa-Aktion auftaucht, auf dem ein Internet-Foto eines der Täter abgebildet ist, das ihn mit "Hitlergruß" und einem auf die Brust gemalten Hakenkreuz zeigt.

HAZ 4.1.08; jW 4.1.08; BrZ 4.1.08;

BrZ 14.1.08

 

5. Januar 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Aufgrund eines Zimmerbrandes im Flüchtlingsheim Borken müssen 16 Personen evakuiert werden. Sie kommen unverletzt davon. Der Sachschaden wird auf 50.000 Euro geschätzt. Ein rassistischer Hintergrund wird ausgeschlossen,  weil die Ursache in einem technischen Defekt vermutet wird.

Polizei Borken 5.1.08

 

6. Januar 08

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Ein 29 Jahre alter Flüchtling aus der Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) wird auf seinem Nachhauseweg nachts um 0.45 Uhr aus einer Gruppe von vier Deutschen heraus als "Neger" beleidigt. Der Ivorer reagiert mit "Fuck you" und geht weiter. Als die Gruppe ihn weiter verfolgt, flüchtet er in einen Imbiß. Die Gruppe der Verfolger wird größer, besteht bald aus zehn Personen, die vor dem Imbiß massive Beleidigungen und Drohungen skandieren.

    Aus Angst vor einer Erstürmung seines Imbisses fordert der Besitzer den Ivorer auf, wieder zu gehen. Dieser hat inzwischen einige Freunde informiert, verläßt dann den Imbiß und läuft, von Todesangst getrieben, seinen alarmierten Freunden entgegen. Als er sie erreicht, werden sie von den Rechten angegriffen. Er wird durch einen Faustschlag ins Gesicht verletzt.

    Der 32 Jahre alte Haupttäter, der sich später im Gerichtsverfahren freimütig als "Nationalsozialist" bezeichnet, wird im November 2009 vom Amtsgericht Magdeburg wegen einfacher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Weder das gemeinschaftliche Vorgehen noch die rassistische Motivation finden sich in dem Urteil wieder.

    Am 19. Juli 10 verurteilt das Landgericht Magdeburg in einem Revisionsverfahren den Täter wegen gemeinsamer gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Wiederum wird die rassistische Motivation nicht berücksichtigt.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

12. Januar 08

 

Die Tschetschenin Frau A. wird morgens um 4.30 Uhr auf einer Autobahnraststätte an der Strecke Frankfurt (Oder) – Berlin von der Polizei kontrolliert und festgenommen. Sie war mit ihren sieben und zwölf Jahre alten Kindern aus Polen gekommen, um hier Asyl zu beantragen. Eine Strafanzeige wegen unerlaubten Grenzübertritts, ihre Inhaftierung in der ZABH Eisenhüttenstadt und die Unterbringung der Kinder in einem Heim sind einige Stunden später durch Richterin Unger vom Amtsgericht Frankfurt-(Oder) entschieden. Damit ist die Mutter von ihren Kindern getrennt.

    Die Kinder werden in die Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Fürstenwalde gebracht. Sie verstehen nicht, was mit ihnen passiert. Sie weinen unaufhörlich, essen und schlafen nicht. Die Mutter macht mit Hilfe eines Dolmetschers mehrere Eingaben an die Gefängnisleitung und die Bundespolizei.

    Die schwangere Frau A. soll nach der Dublin II -Verordnung mit ihren Kindern nach Polen zurückgeschoben werden. Am 15. Januar wird deshalb die Haftanordnung vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt (Richter Frost) um zwei Wochen verlängert.

    Erst nachdem ein Rechtsanwalt eingeschaltet wird und Beschwerde einlegt, entscheidet das Landgericht Frankfurt (Oder) am 22. Januar, daß die Inhaftierung der Mutter und die Trennung von ihren Kindern unverhältnismäßig ist und gegen das im Grundgesetz verbürgte Recht auf Familieneinheit verstößt.

    Der Flüchtlingsrat Brandenburg verleiht am 21. März 2008, dem internationalen Antirassismus-Tag, seinen diesjährigen "Denkzettel für strukturellen und systeminternen Rassismus" an Richterin Unger und Richter Frost.

jW 22.3.08; MOZ 15.4.08; Flüchtlingsrat Brandenburg

 

20. Januar 08

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Ein indischer Flüchtling wird um 21 Uhr in Bitterfeld auf offener Straße von drei deutschen Männern angegriffen. Zwei der Täter schlagen mehrfach mit Fäusten auf den 36 Jahre alten Mann ein, dem schließlich die Flucht gelingt. Er erleidet Schädelverletzungen, die er medizinisch behandeln lassen muß.

    Die Täter können in der Nähe des Tatortes festgenommen werden. Gegen einen 39-Jährigen erläßt das Amtsgericht Bitterfeld-Wolfen Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung. Gegen den zweiten Täter dauern die Ermittlungen noch an. Bei beiden handelt es sich um vorbestrafte Neonazis.

LVZ 22.1.08;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

23. Januar 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Nach einer Botschaftsvorführung versucht sich der 19-jährige iranische Flüchtling
S. H. um ca. 21.30 Uhr in einem Waschraum an einem zusammengebundenen Bettlaken zu strangulieren. Mithäftlinge alarmieren die Polizei, und der Iraner kommt zur Untersuchung eventueller Verletzungen in ein Krankenhaus. Kurz darauf wird er in die Abschiebehaft zurückgebracht – diesmal in den Einzelzellen-Trakt im Erdgeschoß.

    Nach insgesamt 49 Tagen Haft in Berlin erfolgt am 29. Januar seine Verlegung in die JVA Büren (Abschiebehaft).

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

Polizei Berlin 24.1.08;

 dp 24.1.08;

taz 25.1.08;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

Januar 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In Köln ruft eine 19-jährige Romni, die in der 16. Woche schwanger ist, die Polizei zu Hilfe, um sich vor den Schlägen ihres Mannes in Sicherheit zu bringen. Die Beamten nehmen sie jedoch fest und bringen sie in die Abschiebehaft nach Neuss, weil sie von den Behörden als "illegal" geführt wird und abgeschoben werden soll.

    Als 3-Jährige war sie 1991 mit ihrer Familie aus Montenegro nach Hamburg gekommen. 2005 wurde die Duldung nicht mehr verlängert und der Vater abgeschoben. Die Mutter ging dann mit den Kindern nach Frankreich, und weil sie sich bei der zuständigen Behörde nicht abmeldete, ging diese davon aus, daß die Familie ohne Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik lebte.

    Im vorigen Jahr wurde die junge Frau in Köln nach Sitte der Roma mit dem Sohn einer befreundeten Familie verheiratet. Ihren Asylantrag konnte sie noch stellen; danach ließ die Familie des Mannes sie nicht mehr aus der Wohnung. Sie wurde brutal zusammengeschlagen, gefesselt und bewacht. Den Termin für die Anhörung ihres Asylverfahrens konnte sie daher nicht wahrnehmen. Daraufhin wurde ihr Antrag abgelehnt.

    Nach der Festnahme durch die Kölner Polizei wird die Abschiebung nach Montenegro für den 13. Februar festgesetzt. Dies, obwohl die Frau nur Deutsch spricht, das Land nicht kennt und als junge, alleinstehende Mutter dort chancenlos wäre. Auch ihre Zeugenaussage im Strafverfahren gegen die Kölner Familie, die sie gefangen hielt und mißhandelte, ändert nichts.

    Erst nachdem sich Bundestagsabgeordnete für sie einsetzen, kann erreicht werden, daß die Frau zwei Tage vor dem Abschiebungstermin aus der Haft entlassen wird und eine Duldung erhält.

    Nach komplizierten Verhandlungen mit französischen Behörden kann die junge Frau zu ihrer Familie zurückkehren. Ihre Tochter wird in Frankreich geboren und erhält die französische Staatsbürgerschaft, sie selbst stellt einen Asylantrag.

jW 1.3.08; jW 28.8.09;

Katharina Schwabedissen – Journalistin

 

Januar 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Nach 14-jährigem Aufenthalt in der BRD soll eine Familie aus Chemnitz nach Sri Lanka abgeschoben werden. Nach einem ersten Abschiebeversuch waren die Eheleute in Abschiebehaft gekommen und der 10-jährige Sohn zum Kindernotdienst. Seither hatten sie einander nicht mehr gesehen. Auch am Flughafen Frankfurt werden die Eltern getrennt verwahrt, und der Junge bleibt allein im Familienraum.

    Er wird als erster ins Flugzeug geführt. Seine Mutter und sein Vater auch einzeln und getrennt – allerdings unter Zwang, weil die beiden sich gegen die Abschiebung wehren.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2008

 

6. Februar 08

 

Das Verwaltungsgericht Bremen verpflichtet die Innenbehörde, einen externen Therapeuten für die Untersuchung eines Abschiebegefangenen zuzulassen. Somit kann nach insgesamt fünfwöchiger Haft der an paranoider Schizophrenie erkrankte Hakan U. erstmalig von einem Spezialisten auf Haftfähigkeit untersucht werden. Bisher hatte die Innenbehörde die Entscheidung über Haftfähigkeit einem Polizeiarzt überlassen, der Allgemeinmediziner ist.

    Hakan U. war Ende Dezember ohne gültige Aufenthaltspapiere in Bremer Abschiebehaft geraten.

    Noch bevor der externe Arzt den Kranken am 8. Februar untersuchen kann, geht ein Fax bei dem Rechtsanwalt von Hakan U. ein, in dem es heißt, daß die Innenverwaltung Beschwerde gegen das Verwaltungsgerichtsurteil eingelegt habe und die Polizeidirektion deshalb dem gewünschten Therapeuten "den Zugang zum Polizeigewahrsam nicht gestatten" werde. Zudem habe der Polizeiarzt veranlaßt, den Kranken am 14. Februar in der Psychiatrie des Klinikums Bremen-Ost untersuchen zu lassen.

    Eine Woche später wird das Urteil vom Oberverwaltungsgericht bestätigt. Da das Gericht in der Begründung allen Abschiebegefangenen das Recht auf freie Arztwahl zuspricht, wird eine Änderung des Erlasses zum Abschiebegewahrsam Bremen notwendig.

taz 1.2.08; taz 8.2.08;

taz 11.2.08; taz 20.2.08;

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt;

Torsten Müller – Rechtsanwalt

 

6. Februar 08

 

Die 32-jährige Abschiebegefangene Leila XX. aus Tschetschenien wird nach einer Blinddarmoperation im Krankenhaus Dresden-Neustadt eine Woche lang mit dem linken Bein an das Bettgestell gefesselt. Dies geschieht, obwohl die frisch Operierte zudem an Schwangerschaftsbeschwerden leidet und ständig durch JVA-Bedienstete bzw. durch Polizeibeamte bewacht wird.

    Die Fesselung von kranken Abschiebegefangenen wird vom JVA-Personal als "normal" angesehen. Erst als UnterstützerInnen energisch mündlich und schriftlich gegen die völlig unverhältnismäßige Maßnahme protestieren, wird bei Leila darauf verzichtet.

    Bei späteren kurzzeitigen Aufenthalten im Krankenhaus Dresden-Neustadt am 6. und 8. März muß Leila XX. allerdings wiederum ähnliche Fesselungen erleiden.

pax christi – Flüchtlingskontakte Dresden 18.2. und 11.3.08

 

7. Februar 08

 

Bundesland Niedersachsen. An der Heidlandstraße von Soltau fällt einem Anwohner eine Person auf, die durch die Gärten schleicht. Die benachrichtigte Polizei findet einen Mann, der nur mit Hose, Pullover und Socken bekleidet ist und hinter einer Hecke hockt. Er macht auf die Beamten einen verwirrten Eindruck und nennt auf Befragung ausschließlich seinen Namen.

    Auf der Wache stellt sich heraus, daß es sich bei dem Kranken um einen 24-jährigen Serben handelt, der zur Abschiebung ausgeschrieben ist. Der Serbe wird am nächsten Morgen zur Vorbereitung seiner Abschiebung in die JVA Hannover gebracht.

Polizei Soltau-Fallingbostel 8.2.08

 

11. Februar 08

 

Rügen im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Der kurdische Flüchtling M. A. findet seine Ehefrau G. A. in ihrer Wohnung bewußtlos vor – neben ihr liegen mehrere leere Tablettenpackungen. In dem Aufnahmebericht der Hanse-Klinik heißt es: "Vor dem Hintergrund der drohenden Abschiebung kam es bei der Patientin zu einer depressiven Dekompensation mit Suizidversuch." Trotz eingereichter fachärztlicher Gutachten über die Krankheitszustände der Eheleute hatte die Ausländerbehörde im Januar die zweite Abschiebeandrohung zugestellt. Die Abschiebung sollte am 10. Februar erfolgen.

    Bis zum 20. Februar wird Frau A. auf der psychiatrischen Station beobachtet – dann erfolgt ihre Entlassung. Sie ist 31 Jahre alt, verheiratet und Mutter von vier minderjährigen Kindern, die zur Schule gehen.

    Ende des Jahres 1996 waren die Eheleute A. ohne ihre drei in Kurdistan geborenen Kinder in die BRD geflohen, um dem Verfolgungsdruck in der Türkei auszuweichen. Die erste Ablehnung ihres Asylantrages erfolgte im Februar 1997. Im Jahr 1999 wurde ihnen ihre älteste, damals 4 Jahre alte Tochter von einem Bekannten gebracht – die beiden ältesten Kinder blieben weiterhin bei den Großeltern in Kurdistan. In Deutschland kamen noch drei Kinder zur Welt.

    Erst seit 2006 ist Frau A. in der Lage, über die politische Verfolgung, der sie ausgesetzt war, und ihre dreimalige Inhaftierung zu reden. Eine Posttraumatische Belastungsstörung und wiederkehrende depressive Störungen mit Persönlichkeitsveränderungen sind die Folgen von Folter und Vergewaltigung.

    Auch die Gewalterfahrung des Ehemanns M. A. durch Festnahmen und Folter wegen der ihm vorgeworfenen Aktivitäten innerhalb der PKK gilt den hiesigen Behörden nicht als Asylberechtigung. Als im Jahre 2003 die erste Abschiebeankündigung kommt, treten bei Herrn A. schwere psychische Symptome auf. Er erleidet Flash-Backs und Albträume, in denen er Gefängnisaufenthalt und Folter immer wieder neu erleben muß.

    Dreimal wurde Herr A. mit den Kindern beim türkischen Konsulat in Berlin zwangsvorgeführt. Die türkische Fahne und das Bild von Atatürk an der Wand lösten bei ihm akute Traumaschübe aus. Er sah sich im Gefängnis, an die Decke gehängt und mit kalten Wasser übergossen. Er hörte die Stimmen seiner Folterer und fühlte die Fesseln an den Handgelenken.

    Er wurde im Konsulat immer wieder aufgefordert, seine Kinder als türkische StaatsbürgerInnen registrieren zu lassen. Da er das nicht tat, wurde ihm "willentliche Hinderung der Aufenthaltsbeendigung" unterstellt. Zuletzt kam die Drohung, daß er ohne seine Familie abgeschoben werden würde.

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt;

taz 15.6.09

 

12. Februar 08

 

Detmold in Nordrhein-Westfalen. Frau F., eine abgelehnte Asylbewerberin aus Kasachstan, hat panische Angst vor der drohenden Abschiebung und öffnet sich deshalb die Pulsadern. Nachdem sie wieder reisefähig ist, wird sie noch im Februar mit ihrem Mann und einem erwachsenen Sohn nach fünfjährigem Deutschland-Aufenthalt abgeschoben. Danach verliert sich ihre Spur.

    Frau F., die in Kasachstan in einer Organisation zum Schutz der Rechte von Kindern und Eltern gearbeitet hatte, war vor einer Rückkehr nach Kasachstan gewarnt worden. Durch ein Schreiben von der Organisation "Für ein gerechtes Kasachstan" erfuhren sie im November 2007, daß sich Milizangehörige und Vertreter einer kriminell-religiösen Sekte nach ihrem Verbleib erkundigt hatten.

    Um einer gewaltsamen Abschiebung nach Kasachstan zu entgehen, war die Familie im Dezember 2007 'freiwillig' nach Tschechien ausgereist. Als sie sich dort anmelden wollten, wurden sie inhaftiert und am 9. Januar 2008 in die BRD zurückgeschoben. Herr F. kam umgehend in Abschiebehaft und bliebt in der JVA Hannover-Langenhagen bis zur Abschiebung.

Flüchtlingshilfe Lippe

 

13. Februar 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Nach der nächtlichen Flucht von vier Männern durchsuchen Polizisten am frühen Morgen alle Zellen – auch die der Frauen. In einem Gemeinschaftsbrief protestieren alle dreizehn inhaftierten Frauen gegen die Behandlung bei der Razzia.

    Sie seien aus dem Bett geworfen und zusammengetrieben worden. In dem Brief heißt es: „Es waren bewaffnete junge Männer, sie waren etwa 30 Leute... Sie zielten auf uns mit einer Pistole... Wir wurden einzeln in die Toilette hineingeführt und gezwungen, uns auszuziehen... Am Ende wurde jede von uns mit einem Metalldetektor durchsucht.“

Polizei Berlin 13.2.08;

BeZ 14.2.08;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

14. Februar 08

 

Wiesbaden im Bundesland Hessen. Um 18.56 Uhr geht ein Notruf bei der Polizei ein, daß es in einem Haus im Stadtteil Mainz-Kastel im Philippsring brennt.

    Als die Rettungskräfte der Berufsfeuerwehr 2 und Freiwilligen Feuerwehr Kastel eintreffen, steht eine Wohnung im dritten Stock in hellen Flammen, und BewohnerInnen kommen ihnen aus dem Treppenhaus entgegen. Die Wohnung befindet sich in einem dreistöckigen Wohnhaus mit Dachgeschoß, in dem AsylbewerberInnen untergebracht sind. Die Feuerwehr muß über eine Drehleiter weitere Personen aus der Dachgeschoßwohnung retten. Zehn Personen – darunter acht Kinder und eine schwangere Frau – werden wegen Rauchgasvergiftung in mehreren Rettungswagen behandelt und in verschienene Wiesbadener und Mainzer Kliniken gebracht. Alle anderen BewohnerInnen werden evakuiert.

    In dem Wohnhaus stehen viele Wohnungen leer. Im Zuge der Ermittlungen stellt sich heraus, daß sich drei Jugendliche im Alter von 12 bis 14 Jahren aus Mainz-Kastel in der nicht bewohnten Wohnung getroffen hatten und dabei das Feuer entstand.

Polizei Wiesbaden 14.2.08

 

15. Februar 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Eine 53 Jahre alte Vietnamesin, die während ihrer mehr als sechsmonatigen Haftzeit rapide an Gewicht verliert, hat so starke Schmerzen in der Schulter, daß sie schreit, sich auf die Erde wirft und ihren Kopf gegen die Wand schlägt. Der Polizeiärztliche Dienst verabreicht ihr Beruhigungsmittel. Am 10. März wird sie abgeschoben.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

20. Februar 08

 

Bundesland Bayern. Der irakische Flüchtling Samir Marzina wird festgenommen, und auf der Polizeistation wird ihm erklärt, daß gegen ihn ein rechtskräftiger und unanfechtbarer Gerichtsentscheid vom 8. November 07 vorliegt, in dem er zu einer 65-tägigen Haftstrafe verurteilt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Samir Marzina keinerlei Briefe erhalten, obwohl er seit September 2007 in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber Zirndorf offiziell aufgenommen wurde.

    Das Urteil gründet auf einer Strafanzeige vom 3. September 07, als er auf einer Autobahnraststätte in Südbayern mit falschem Reisepaß festgehalten wurde und von der Kripo Rosenheim eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung erhielt.

    Die Staatsanwaltschaft Traunstein, die die Anzeige weiter betrieb, hatte einen Zustellungsbevollmächtigten beauftragt, der die amtlichen Briefe jedoch nicht nach Zirndorf schickte, sondern an die Heimatadresse von Herrn Marzina in den Irak.

    Allein durch eine sofortige Bargeldzahlung von 903,50 Euro konnte die Haftstrafe abgewendet werden. Allerdings – und das ist für seinen weiteren Aufenthalt als Flüchtling schwerwiegender – gilt er jetzt als vorbestraft.

    Der Bauingenieur Samir Marzina, der zur Volksgruppe der Chaldäer gehört und Mitglied der syrisch-katholischen Kirche in Mossul war, hatte bereits in Griechenland unter dem Vorwurf der illegalen Einreise drei Monate im Gefängnis ge

sessen.

    Im November 2009 wartet er seit über einem Jahr auf eine Entscheidung darüber, ob sein Asylverfahren in der BRD stattfinden kann oder ob er nach Griechenland zurückgeschoben werden soll.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2008

 

21. Februar 08

 

Bundesland Niedersachsen – Landkreis Ammerland. Im Büro des Ausländeramtes im Kreishaus von Westerstede übergießt sich um 10.55 Uhr ein 39-jähriger Iraner mit Brennspiritus und droht, sich mit einem Feuerzeug anzuzünden. Dem Sachbearbeiter des Büros gelingt es vorerst, ihn zu beruhigen, doch dann setzt er seine Absicht in die Tat um. Hinzukommende Mitarbeiter des Amtes reißen ihm seine brennende Jacke vom Oberkörper und bringen ihn selbst zu Boden, weil er sich gegen die Rettungsversuche wehrt. Mit einem Feuerlöscher wird das Feuer an seinem Körper und der Jacke gelöscht.

    Die gerufene Polizei evakuiert den Gefahrenbereich und läßt den Flüchtling und die beteiligten Mitarbeiter der Kreisverwaltung in die Ammerlandklinik bringen. Während die vier Behörden-Mitarbeiter mit einer leichten Rauchgasvergiftung nach ambulanter Behandlung die Klinik wieder verlassen können, kommt der 39-jährige Iraner in die Medizinische Hochschule Hannover. Hier werden seine Verbrennungen zweiten Grades im Halsbereich und eine Rauchgasvergiftung stationär behandelt.

    Der Iraner hatte an diesem Tag bereits um 9.45 Uhr das Büro aufgesucht, um Angelegenheiten im Zusammenhang mit seinem Asylverfahren zu besprechen. Nach einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Sachbearbeiter hatte er den Raum verlassen und war dann eine Stunde später mit einer 1-Liter-Flasche Brennspiritus in der Hand zurückgekommen.

Polizei Oldenburg 21.2.08

 

24. Februar 08

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Am frühen Morgen wird ein eritreischer Flüchtling in Halle von zwei deutschen Männern auf der Straße angegriffen. Nach rassistischen Beschimpfun-gen und Beleidigungen wird ihm mehrmals ins Gesicht getreten. Er erleidet eine Platzwunde an der Oberlippe.

    Die beiden Täter, die mit drei weiteren Männern unterwegs sind, werden von der Polizei gestellt und geben als Motiv für die begangene Körperverletzung ihre rassistische Gesinnung an.

Polizei Halle;

ddp 24.2.08

 

26. Februar 08

 

Berlin. Der 35 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber Rahed H. wird aus der Abschiebehaft heraus unter Begleitung von drei Polizisten nach Jordanien abgeschoben und gerät dort unmittelbar wieder in Haft, denn die jordanischen Behörden haben die Berliner Begründung für die Abschiebung "Terrorismusverdacht" direkt übernommen. Rahid H. läßt in Berlin seine ebenfalls aus Jordanien stammende Ehefrau und drei in der BRD geborene minderjährige Kinder zurück.

    Obwohl ein vom Generalbundesanwalt eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen Kontaktes zu der "terroristischen Vereinigung Al Tauhid" bereits im März 2005 aufgrund mangelnder Beweise eingestellt worden war, wurde Rahid H. mit den Begründungen "Identitätstäuschung" und "engen Kontakt zu terroristischen Vereinigungen" in Abschiebehaft genommen.

    Obwohl wegen der angeblichen Identitätstäuschung ein Verfahren beim Verwaltungsgericht anhängig ist, erfolgt die Abschiebung.

    Nach einigen Tagen Haft in Jordanien wird Rahed H. entlassen. Seine Frau reist später mit den Kindern nach Jordanien aus.

taz 7.3.08;

Rüdiger Jung – Rechtsanwalt

 

Februar 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Der 11-jährige Sohn eines afghanischen Ehepaares muß mangels vorhandener ÜbersetzerIn zwischen seinen Eltern und den Abschiebebeamten dolmetschen. Dies belastet ihn offensichtlich schwer, denn er klagt über Bauchschmerzen und krümmt sich immer wieder heftig.

    Die Eltern waren mit seinen zwei Schwestern und seinem 5-jährigen Bruder im Jahre 2002 über Rußland in die BRD eingereist, danach in die Niederlande, und im Januar 2008 nach Deutschland zurückgekommen. An der Grenze wurde der Vater in Abschiebehaft genommen.

    Die Eltern sind verzweifelt, denn sie wissen nicht, wie sie in Afghanistan überleben sollen. Trotzdem wird die Abschiebung vollzogen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2008

 

1. März 08

 

Wetteraukreis im Bundesland Hessen. Durch Orkanböen wird morgens um 7.00 Uhr das gesamte Blechdach des zweigeschossigen Flüchtlingsheimes in Butzbach weggerissen und auf die Straße geschleudert.

    Die 30 BewohnerInnen des Hauses bleiben unverletzt, müssen allerdings evakuiert werden. Der Sachschaden wird auf 200.000 Euro geschätzt.

Polizei Friedberg

 

2. März 08

 

Bundesland Bayern. Im Rahmen einer Schleierfahndung wird die 36 Jahre alte Kurdin Ayfer Kaya nahe der österreichischen Grenze festgenommen und kommt in das Münchener Frauengefängnis Neudeck in Auslieferungshaft.

    Ayfer Kaya hatte in den Jahren 1998 und 1999 als Dolmetscherin des ehemaligen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan während seiner Aufenthalte in Italien und Griechenland gear-beitet und gilt heute als inoffizielle Pressesprecherin der Arbeiterpartei Kudistans (PKK). In Griechenland wurde sie als politisch Verfolgte anerkannt.

    Aufgrund zweier türkischer Haftbefehle erfolgt die Verhaftung durch deutsche Beamte. Am 5. Juni entscheidet das Oberlandesgericht München ihre Freilassung.

AZADI infodienst Nr.64 März 2008;

jW 15.3.08; ND 10.3.08; jW 6.6.08;

AZADI infodienst Nr. 67 Juni 2008

 

11. März 08

 

Bundesland Niedersachsen. Der bhutanesische Flüchtling Anup Rai wird nach elf Tagen Abschiebehaft in Begleitung von zwei Mitarbeitern der Zentralen Ausländerbehörde Braunschweig nach Nepal abgeschoben. Dies geschieht, obwohl der Ausländerbehörde Gifhorn keine nepalesischen Papiere vorliegen. Stattdessen hatte der Landkreis ein deutsches Paßersatzpapier für den Flüchtling ausgestellt. Die deutschen Behörden hatten dann mit der Einwanderungsbehörde in Katmandu vereinbart, daß Anup Rai zur Identitätsfeststellung (!) nach Nepal gebracht werden solle.

    Nach seiner Ankunft kommt Herr Rai für drei Tage in Haft. In dieser Zeit erhält er kaum etwas zu essen oder zu trinken, da er sein Essen bezahlen soll und kein Geld hat. Die nepalesische Einwanderungsbehörde in Katmandu stellt schließlich – wie schon zuvor die nepalesische Auslandsvertretung in Deutschland – fest, daß Anup Rai nicht die nepalesische Staatsangehörigkeit besitzt, und schickt den Flüchtling am 14. März wieder nach Frankfurt zurück. Dort wird er aufgefordert, "umgehend" an seinen Wohnort zurückzukehren und sich "bis zum 18.03.2008" bei der Zentralen Ausländerbehörde Braunschweig zu melden.

    Am 20. Oktober 2008 teilt die Ausländerbehörde Gifhorn Anup Rai mit, daß er eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhält. Nach Auffassung der Behörde steht jetzt erst fest, daß der Flüchtling nicht nach Bhutan zurückkehren und auch nicht in ein anderes Land – wie z.B. Nepal – ausreisen oder abgeschoben werden kann.

    Eine Rückkehr nach Bhutan wäre ohnehin für Anup Rai gar nicht möglich gewesen, denn die bhutanesische Regierung verweigert generell allen nicht registrierten oder illegal ausgereisten Minderheitenangehörigen die Staatsangehörigkeit. Eine Tatsache, die die Ausländerbehörde versucht hatte zu umgehen, indem der Flüchtling versuchsweise nach Nepal ausgeflogen wurde.

FRat NieSa 27.3.08; FRat NieSa 10.11.08

 

12. März 08

 

Munster im Bundesland Niedersachsen – Landkreis Fallingbostel. Als eine armenische Familie aus dem Schlaf gerissen und zur Abschiebung abgeholt wird, erleidet die herzkranke Frau einen Kreislauf-Zusammenbruch, so daß sie in ein Krankenhaus gebracht werden muß.

    Ihr 37 Jahre alter Ehemann wird mit den vier Kindern – eines ist sieben Monate alt – von der Polizei zunächst nach Bielefeld gebracht. Von dort aus beginnt die Fahrt in einem Polizeiwagen in Richtung München, wo das Flugzeug mit den Flüchtlingen starten soll.

    Durch schnelle Intervention des Flüchtlingsrates gelingt es über den Flughafensozialdienst, die Bundespolizei in München zu der Entscheidung zu bringen, diese Abschiebung nicht durchzuführen.

    Der Polizeiwagen, der sich mit den Flüchtlingen noch auf der Autobahn befindet, muß daraufhin die Fahrt stoppen. Die niedersächsischen Beamten setzen den mittellosen Vater mit den Kindern auf einer Raststätte bei Kassel kurzerhand aus und überlassen sie ihrem Schicksal.

    Verwandte der Familie, denen es gelingt, einen Wagen zu leihen, holen die Familie ab. Um 2.00 Uhr morgens sind die völlig erschöpften Kinder wieder Zuhause in Munster.

    Die Kinder erzählen, daß sie kaum etwas zu essen und zu trinken bekamen und daß ihnen mit dem "Kinderheim" gedroht wurde, wenn sie nicht leise seien. Ihren Vater würde man dann ohne sie abschieben.

FRat NieSa 13.3.08;

FRat NieSa 14.3.08

 

13. März 08

 

Bundesland Bayern. In einer Flüchtlingsunterkunft in Würzburg entsteht um 17.30 Uhr ein Brand, der von einer im Treppenhaus abgelegten Schaumgummi-Matratze ausgeht. Alle 50 Personen, die zu dieser Zeit im Haus sind, können sich ins Freie retten.

    Ein sudanesischer Flüchtling, der den Brand entdeckt hatte, und ein Wachmann, der mit ihm zusammen das Löschen des Feuers versucht hatte, kommen mit Rauchvergiftungen in eine Klinik. Als Ursache des Feuers wird Brandstiftung vermutet.

Polizei Unterfranken 13.3.08

 

13. März 08

 

Waltrop im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Um 15.10 Uhr brennt es im Flüchtlingsheim Unterlipper Straße. Alle BewohnerInnen werden aus dem Gebäude evakuiert – ein Bewohner, der bei den Löscharbeiten geholfen hatte, kommt vorsorglich ins Krankenhaus.

    Es wird vermutet, daß das Feuer durch ein 4-jähriges Kind entstanden ist.

Polizei Recklinghausen 13.3.08

 

13. März 08

 

Im brandenburgischen Storkow wird der 14-jährige Sohn eines afghanischen Asylbewerbers auf dem Schulweg von Jugendlichen attackiert. Sie schlagen ihm mit der Faust ins Gesicht und beschimpfen ihn mit den Worten: "Du Ausländer, mach daß Du nach Hause kommst!"

Opferperspektive

 

14. März 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet den Folgeantrag eines zuvor abgelehnten Asylbewerbers aus Liberia entsprechend AufenthG § 60 Abs. 2 mit der Begründung, daß eine Abschiebung zu einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben führt. Dies geschieht fünf Monate nach der Antragstellung, obwohl der Antrag vom 14.11.07 mit dem schweren Krankheitsbild einer schnell fortschreitenden Zerstörung des motorischen Nervensystems begründet worden war (ALS Amyotrophy Lateralsklerose). ALS ist eine tödlich verlaufende Krankheit, die früh und intensiv behandelt werden muß, um das Leiden des Betroffenen zu mindern und die Lebensqualität so weit wie möglich zu erhalten.

    Die Dringlichkeit einer Entscheidung mußte immer wieder angemahnt werden. Erst nachdem der Flüchtling eine Untätigkeitsklage und Dienstaufsichtsbeschwerde androhte, reagiert das Bundesamt am letzten Tag der ihm gesetzten Frist. Durch die monatelang verschleppte Entscheidung konnten erforderliche Behandlungen – wegen der eingeschränkten Kostenübernahme nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – nicht eingeleitet werden. Eine Situation, die den Patienten auch psychisch extrem belastete.

    Dem Flüchtling wurden zwischenzeitlich sogar die 40 Euro Taschengeld gestrichen, weil ihm vorgeworfen wurde, daß er seine Abschiebung verhindere.

    Seit zwei Monaten befindet er sich in einem Altenpflegeheim, sitzt im Rollstuhl und ist auf ständige Hilfe angewiesen.

SAGA 13.4.08;

SAGA 21.1.09

 

14. März 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als der 17 Jahre alte irakische Flüchtling S. aufgrund einer Überweisung seines Arztes einen Termin im Krankenhaus wahrnehmen will, erwartet ihn eine Vertreterin der Ausländerbehörde Gütersloh. Diese gibt entgegen anders lautender ärztlicher Berichte an, daß S. seine klinischen Symptome nur vortäuschen würde. Sie veranlaßt seine Verhaftung, und er kommt in die JVA Büren in Abschiebehaft.

    S. leidet an einer Sichelzellen-Anämie, in deren Folge schwere Schmerzzustände auftreten. Diese Schmerzen steigern sich durch die psychische Belastung in Haft derart, daß S. nicht mehr laufen kann. Erst durch massives Eingreifen verschiedener Menschenrechtsorganisationen kann erreicht werden, daß er ins Gefängniskrankenhaus Fröndenberg gebracht wird.

    Herr S. war mit seinem Vater über Schweden in die BRD gekommen, weil der Vater mit der Betreuung seines kranken Sohnes überfordert ist und in der Nähe von Gütersloh mit der Unterstützung von Verwandten rechnen konnte. Ein Onkel des Jugendlichen würde ihn sogar adoptieren, um ihn zu unter_

stützen.

    Im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens wird S. eine Woche nach seiner Festnahme nach Schweden zurückgeführt.

AK Asyl – Bielefeld 19.3.08;

AK Asyl – Bielefeld

 

15. März 08

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Nach einem Aufmarsch der NPD und der Mecklenburgischen Aktionsfront wird in der Friedrich-Wilhelm-Straße in Neustrelitz um 18.35 Uhr der 30-jährige libanesische Flüchtling Mohammed B. von drei jugendlichen Deutschen verbal attackiert. Als Herr B. die Straßenseite wechselt, wird er weiter verfolgt – eine Bierflasche fliegt ihm hinterher. Mohammed B. fordert die Jugendlichen auf, ihn in Ruhe zu lassen, und ruft über sein Handy die Polizei an, die von diesem Zeitpunkt an das Geschehen akustisch verfolgt. Herr B. läuft zum Bahnhof, weil er sich dort Hilfe erhofft. Mit Rufen wie "Ausländer raus!" wird er weiter verfolgt. Als die drei Jugendlichen weitere Bierflaschen aus einem Rucksack holen wollen und den an Körpergröße unterlegenen Libanesen einkreisen und zu schlagen beginnen, kommt es zu einem Handgemenge. Mohammed B. nutzt jetzt seine Kampfsporterfahrungen und bringt die drei Jugendlichen schnell zu Boden. Sie ergreifen die Flucht.

    Die 14, 16 und 18 Jahre alten Täter aus Neustrelitz und Kratzeburg gehören der rechten Szene an, und zwei von ihnen gestehen bei den polizeilichen Verhören auch die Beteiligung an der Verwüstung des jüdischen Friedhofs in Neustrelitz, die am selben Abend stattgefunden hat.

    Das Strafverfahren gegen die 14- und 16-jährigen Täter wird abgetrennt, so daß sich der 18-Jährige als Haupttäter ab April vor dem Jugendschöffengericht allein verantworten muß. Ab 17. März befindet er sich in Untersuchungshaft, einerseits

wegen der Beteiligung an dem Geschilderten – andererseits auch wegen einer Vielzahl anderer Straftaten, wie Einbrüche und Diebstähle.

    Im Herbst wird er wegen eines knappen Dutzends Straftaten – unter anderem auch wegen versuchter Körperverletzung – verurteilt.

ap 16.3.08; redok 16.3.08;

 jW 17.3.08; mvregio.de 17.3.08;

NK 2.4.08; LOBBI

 

28. März 08

 

Bundesland Sachsen. Um ca. 23.30 Uhr wird das Flüchtlingsheim Langburkersdorf in Neustadt angegriffen. Durch Flaschenwürfe gegen ein Zimmer im Erdgeschoß wird ein Flüchtling aus Sri Lanka am Auge verletzt und muß sich im Krankenhaus behandeln lassen.

Ausländerrat Dresden 31.3.08;

Ausländerrat Dresden 15.9.08

 

29. März 08

 

Berlin – Bezirk Lichtenberg. Ein ca. 30 Jahre alter, abgelehnter Asylbewerber aus Vietnam stürzt aus dem 19. Stock des Hochhauses in der Franz-Jacob-Straße 1. Er ist sofort tot.

    Die Polizei geht von einer Selbsttötung aus.

Marina Mai – Journalistin;

Antirassistische Initiative Berlin

 

31. März 08

 

Hamburg. Als die 14-jährige Liana Grigorjan morgens um 5 Uhr die Wohnungstür öffnet, sieht sie sich einem Dutzend Personen gegenüber. Es handelt sich bei dem Aufgebot um Polizisten und Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Ein Beamter sagt ihnen, daß die Familie jetzt abgeschoben werde – sie hätte 20 Minuten Zeit zum Packen.

    Liana wird mit ihrem in Handschellen gelegten Vater Ruben Grigorjan und dem 11-jährigen Bruder Grisha zum Flughafen transportiert. Zurück bleiben die 5-jährige Schwester Sona und ihre 36 Jahre alte Mutter Gohar. Die beiden können nicht abgeschoben werden, weil für Sona, die in Hamburg geboren wurde, die nötigen Papiere (Registrierung in Armenien) fehlen. Damit ist die Familie durch die Abschiebung getrennt.

    Bei einem Zwischenstop in Prag müssen Vater und Kinder zwölf Stunden lang in einer kleinen schmutzigen und stinkenden Zelle ausharren, bevor der Flug Richtung Eriwan weitergeht.

    Auch drei Monate nach der Abschiebung wechselt Ruben Grigorjan aus Angst vor Verfolgung alle drei Tage die Bleibe. Die Kinder sprechen kaum Armenisch, lesen und schreiben können sie es gar nicht.

    Ruben Grigorjan hatte vor 14 Jahren Armenien verlassen müssen, weil seine Familie nach einer Beteiligung an einem tödlichen Autounfall von der Familie des Opfers mit dem Tode bedroht wurde. Sie blieben dann sechs Jahre in Rußland – am

21. Januar 2000 kamen sie in die Bundesrepublik und wurden eine Woche später wegen Verstoßes gegen die Einreisebestimmungen schriftlich wieder ausgewiesen.

    Seither lebten sie in Hamburg, die Tochter Sona ist hier geboren. Die Kinder Liana und Grisha besuchten die Heinrich-Hertz-Grundschule. Liana war Klassensprecherin in der Klasse 7a, und Grisha bereitete sich im Boxverein auf seine ersten Kämpfe vor. Die Erlaubnis, eine Arbeit aufnehmen zu können, verweigerte die Behörde Herrn Grigorjan wiederholt, weil sie der Familie vorwarf, unter falschem Namen in die BRD eingereist zu sein.

    Nach der Abschiebung von Mann und Kindern verliert Gohar Grigorjan die Wohnung und wird mit ihrer kleinen Tochter in ein Flüchtlingsheim eingewiesen.

    Das Entsetzen, die Empörung und die Trauer in den Schulklassen, in denen jetzt zwei Kinder fehlen, ist groß. MitschülerInnen und LehrerInnen von Liana und Grisha organisieren Unterschriftensammlungen, Briefaktionen und schreiben Flugblätter. In der Aktionsgruppe "Kommt zurück" schließen sich FreundInnen und UnterstützerInnen zusammen, um die Rückkehr der Abgeschobenen zu erkämpfen. Am 4. Juni findet eine "Demonstration zur Rückkehr" statt, an der 150 Menschen teilnehmen. Unter ihnen sind viele Kinder aus verschiedenen Schulen, Eltern und LehrerInnen, auch Mitglieder der GEW und des Flüchtlingsrates.

    Ausländerbehörde, Petitionsausschuß und Härtefallkommission schieben die Verantwortlichkeit monatelang hin und her. Am 19. August eröffnet der Eingabenausschuß das "Angebot", daß die Kinder "vorübergehend", ohne den Vater und auf eigene Kosten einreisen dürfen – und zwar so lange, bis die noch fehlenden Ausreisepapiere für die 4-jährige Sona vorliegen und dann die Familie gemeinsam abgeschoben werden kann.

    Als allerdings die beiden Geschwister in Eriwan in der Deutschen Botschaft ihre Visa abholen wollen, werden ihnen diese verweigert, weil sie auf die Frage, was sie denn in Hamburg machen wollen, geantwortet haben: "Endlich wieder zur Schule gehen!". Mit dieser Antwort würde deutlich, so Botschaftsangehörige, daß sie in Hamburg bleiben wollen, die "Rückkehrwilligkeit" nach Armenien sei zweifelhaft. Liana und Grisha brechen weinend zusammen.

    Erst nach Intervention vieler UnterstützerInnen stellt die Botschaft am nächsten Tag schließlich die Visa aus. Die aus Spendengeldern finanzierten Flugtickets sind indes verfallen.

    Am 30. August kehren die Kinder nach Hamburg zurück. Trotz allem hält die Ausländerbehörde auch im Dezember noch an dem Vorhaben fest, die Familie komplett abzuschieben.

    Am 24. April 09 stellt das Verwaltungsgericht Hamburg fest, daß die Abschiebung rechtswidrig war.

    Anfang des Jahres 2010 wird wieder versucht, die ganze Familie abzuschieben. Ein Antrag bei der Härtefallkommission ist noch nicht entschieden.

    Auch die Situation von Herrn Grigorjan ist weiterhin prekär, denn eine Rückreise in die BRD bleibt ihm immer noch verwehrt.

FRat HH 21.4.08; ndr 90,3  23.4.08; taz-nord 4.6.08;

Hamburgische Bürgerschaft DS 19/181; FRat HH 5.6.08;

 taz-nord 13.6.08; HM 28.6.08; Hinz&Kunzt 7.7.08;

 Die Zeit 31.7.08; FRat HH 20.8.08;

Welt 20.8.08; FRat HH 27.8.08; HA 28.8.08;

HM 28.8.08; HA 28.8.08; FRat HH;

Hinz&Kunzt Dez. 2008; Fluchtpunktinfos HH Dez. 2008;

Flüchtlingsräte Winter 2008;

Fluchtpunkt 11.5.09; FRat HH 10.6.09

 

2. April 08

 

Berlin. In aller Frühe dringen Polizisten in eine Wohnung im Bezirk Schöneberg ein und nehmen die 51 Jahre alte staatenlose Kurdin Khadra O. mit. Noch am selben Tag wird die siebenfache Mutter – nach 27 Jahren Deutschland-Aufenthalt – in die Türkei abgeschoben.

    Der in Beirut geborenen und dort aufgewachsenen Khadra O. werfen die deutschen Behörden Identitätstäuschung vor, obwohl sie gerichtlich von diesem Vorwurf freigesprochen wurde. Als die Berliner Härtefallkommission sich für ein Bleiberecht ausspricht, wird dieses von Seiten des Innensenators Körting an folgende Bedingungen geknüpft: Frau O. soll eine Arbeit aufnehmen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten; zudem soll sie einen türkischen Paß beantragen und die angebliche Identitätstäuschung zugeben.

    Davon abgesehen, daß die beiden letzten Bedingungen nicht erfüllbar sind, hatte Frau O. einen Arbeitsplatz in einer Firma zugesagt bekommen – eine Arbeitserlaubnis wurde ihr von der Ausländerbehörde jedoch verweigert.

    Nach der Abschiebung kommt Frau O., die kein Türkisch spricht, bei Verwandten ihrer Berliner Nachbarin in Mardin unter.

    Am 3. Juli kann Khadra O. aufgrund einer politischen Einzelfallentscheidung des Innensenators Körting (§ 22 AufenthaltsG – Aufnahme aus dem Ausland) "auf eigene Kosten" zu ihren Kindern und Enkelkindern nach Berlin zurückkehren.

FRat Berlin;

TS 6.4.08; taz 7.4.08; BK 7.4.08;

 FRat Berlin 10.7.08;

Flüchtlingsräte Winter 2008

 

3. April 08

 

Bundesland Bremen. Die 34 Jahre alte X. Y. aus dem Libanon soll nach 16 Jahren Deutschland-Aufenthalt in die Türkei abgeschoben werden. Frau Y. ist Mutter von acht Kindern und im siebten Monat schwanger. Bei der Schwangerschaft handelt es sich laut Fachgutachten um eine Risikoschwangerschaft. Zudem leidet sie unter chronischen Rückenschmerzen, asthmoider Bronchitis, Angstzuständen und optischen und akustischen Halluzinationen. Wegen Letzterem steht sie unter Medikation von Psychopharmaka.

Frau Y. wird im Gesundheitsamt Bremerhaven auf Reisetauglichkeit untersucht.

    Das Gutachten, von einer Fachärztin für Psychiatrie unterschrieben, lautet u.a. wie folgt: "Sie gibt jetzt in der Untersuchung an, sie werde sich im Falle einer Ausweisung in das Heimatland das Leben nehmen. Im Falle einer erzwungenen Ausreise in das Heimatland ist mit einer weiteren deutlichen Verschlechterung der Symptomatik und auch mit Kurzschlußhandlungen zu rechnen. Somit ist eine Gefahr für Leib und Leben im Falle einer erzwungenen Ausreise nicht völlig auszuschließen. Um diese Kurzschlußhandlungen zu verhindern, müßten Sicherheitsmaßnahmen wie z.B. Anlegen von Hand- und Fußfesseln, medikamentöse Behandlungen und jederzeit ärztliche Notfallversorgung vom Zeitpunkt der Ankündigung bis zum Abschluß der Maßnahme sicher gestellt werden ...... Eine für den Reiseverlauf eventuell notwendige Sedierung könnte von der ärztlichen Begleitung verabreicht werden."

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt;

Torsten Müller – Rechtsanwalt

 

8. April 08

 

Flughafen Frankfurt. Bundespolizisten tragen einen 22 Jahre alten Flüchtling aus Pakistan in das noch leere Flugzeug der Fluggesellschaft GULF AIR. Der abgelehnte Asylbewerber ist an Händen und Füßen gefesselt und soll über Bahrain abgeschoben werden. Die Beamten versuchen ihn auf den Sitz zu zwingen, was aufgrund der Fesselungen schwierig ist. Mit Gewalt schnallen sie ihn an. Als sich zwei Mitarbeiter der GULF AIR rechts und links neben ihn hinsetzen, beginnt er um Hilfe zu rufen. Die deutschen BeamteN beobachten die Szene. Eine Frau – offensichtlich auch Angestellte der Fluggesellschaft – erscheint und verabreicht dem Flüchtling eine Injektion, die ihn schwindelig macht. Als die Passagiere einsteigen und sogar Fotos von der Szene machen, schreit er weiter; und der Mann bekommt prompt eine zweite Injektion. Sein linker Bewacher drückt ihm gegen den Hals, so daß er keine Luft mehr bekommt.

    Aufgrund der Proteste einiger Passagiere wird die Abschiebung abgebrochen. In einem Krankenhaus werden im Blut des Mannes Sedativa nachgewiesen.

    Die GULF AIR behauptet daraufhin, daß die Zwangssedierung des Mannes in Absprache mit der Bundespolizei geschehen sei. Später äußert die Fluggesellschaft, daß es sich um eine ihr "unbekannte Person" gehandelt hat, die auf Anforderung der Bundespolizei mitfliegen sollte.

    Am Vormittag des 23. April wird der Mann endgültig und in Begleitung von Bundespolizeibeamten abgeschoben. Bis dahin ist es trotz Anzeige gegen die zwei Mitarbeiter und eine

Mitarbeiterin der GULF AIR wegen gefährlicher Körperverletzung weder zu einer richterlichen Vernehmung noch zur Sicherstellung der Passagierlisten gekommen.

Pro Asyl 11.4.08; FR 14.4.08; Pro Asyl 16.4.08;

Caritas Frankfurt 17.4.08; Pro Asyl 23.4.08;

FRat Sa-Anh. Newsletter 24.4.2008; Pro Asyl 24.4.08;

Andreas Cochlovius – Rechtsanwalt

 

15. April 08

 

Bundesland Thüringen. Im Krankenhaus von Neuhaus am Rennweg stirbt der 43-jährige Armenier Robert Weniaminov. Er war 2001 mit seiner Mutter, seiner Frau Marina Akopian, der 15-jährigen Tochter Gajana, dem 14-jährigen Sohn Artak und dem 1-jährigen Josef über Rußland in die BRD eingereist.

    Die Familie wurde in das Sammellager Katzhütte umverteilt und ist über die nächsten Jahre zum Nichtstun verurteilt. Robert Weniaminov, seine Frau, seine Mutter und seine beiden inzwischen erwachsenen Kinder, sie alle bekamen keine Arbeitserlaubnis. Marina Akopian bekommt paranoid-depressive Störungen und sollte eigentlich in einer Klinik stationär behandelt werden. Weil sie ihre Familie nicht allein lassen wollte, bekam sie ersatzweise Rezepte für bis zu fünf Sorten Psychopharmaka. Robert Weniaminov, der gelernte Fleischer, ertrug die Situation am wenigsten und begann exzessiv zu trinken. 2004 mußte er das erste Mal in stationäre Behandlung. Danach litt er unter panischer Angst vor Ärzten und Krankenhäusern.

    Seine Ärztin diagnostizierte 2007 eine alkoholbedingte schwere Leberzirrhose, chronische Gastritis, aktive Hepatitis C und einen schmerzhaften Nabelbruch und empfahl dringend die Unterbringung in einer Spezialklinik in der 40 Kilometer entfernten Stadt Suhl. Da der Weg dorthin zwei Landkreisgrenzen kreuzt, hätte seine Familie aufgrund der für sie bestehenden Residenzpflicht ihn nur selten besuchen können. Diese Vorstellung war für den Kranken unerträglich – er hätte aufgrund seiner akuten psychischen Situation keinen Tag ohne seine Familie weiterleben können.

    Er lehnte die Therapie ab, und die Familie stellte im Februar ein letztes Mal einen Antrag auf Umverteilung in einen Landkreis, in dem es eine Klinik gab. Zwei Monate später tragen Rettungssanitäter Robert Weniaminov aus der Dusche.

    Eine Antwort auf den Umverteilungsantrag hat die Familie auch vier Wochen später immer noch nicht.

    Im Juli 2008 erhalten die Mutter, die Tochter Gajana und der Sohn Artak Aufenthaltsgenehmigungen und wollen nach Erfurt ziehen. Frau Akopian und der inzwischen 8-jährige Josef bekommen weiterhin Duldungen.

JWB 29.5.08;

 Andreas Wucher – Pfarrer;

The VOICE 4.6.08

 

Mitte April 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Gemeinde Hövelhof des Landkreises Paderborn tötet sich eine Frau aus Guinea nach abgelehntem Asyl und anstehender Abschiebung.

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren

 

22. April 08

 

Bundesland Thüringen. In Suhl-Goldlauter finden Spaziergänger im Waldgebiet am Unteren Geiersberg, ca. 300 Meter unterhalb der Beerberg-Schanze, eine männliche, stark verweste Leiche. Nach den in der Nähe liegenden Papieren han-delt es sich um den 32 Jahre alten Ruslan Yatskevich, geborener Polubiatka, der zuletzt am 22. Februar in Zella-Mehlis gesehen worden war.

    Ruslan Polubiatka war langjähriger Bewohner des Flüchtlingslagers Zella-Mehlis. Der Weißrusse war schon im Jahre 2000 in die Bundesrepublik gekommen und wurde seit der Ablehnung seines Asylantrags im Jahre 2004 nur noch geduldet. Wegen Epilepsie befand er sich in ständiger ärztlicher Behandlung und mußte – auch wegen Alkoholkrankheit – mehrmals im Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Hildburghausen behandelt werden. Durch die zunehmenden Aufforderungen der Ausländerbehörde, das Land zu verlassen, geriet er immer mehr unter Druck. Die letzte Drohung, ihn abzuschieben, hatte er am 5. Februar 08 erhalten. Er flüchtete in den Wald und wurde nicht wieder gesehen.

     Die Polizei vermutet entweder einen Unfall oder einen Suizid. Die langjährigen MitbewohnerInnen im Lager Zella-Mehlis, die immer wieder nach ihm gefragt hatten, jedoch von den Behörden keine Antwort bekamen, trauern um ihn.

    Allein aufgrund der Nachfrage der Journalistin Gitta Düperthal gibt die Staatsanwaltschaft Meiningen die Identität des gefundenen Toten bekannt. Dies geschieht drei Jahre nach dem Tod von Ruslan Polubiatka. "Er ist aus Angst geflüchtet, erfroren, verhungert. Selbst der Umgang mit migrantischen Toten zeugt von Respektlosigkeit der Behörden uns gegenüber", sagt ein Freund Ruslans zu der Journalistin.

Kyffhäuser Nachrichten 2.5.08; FW 2.5.08;

Kyffhäuser Nachrichten 30.12.08; jW 8.3.11;

Gitta Düperthal – Journalistin;

BewohnerInnen des Lagers Zella-Mehlis

 

23. April 08

 

Landkreis Passau in Bayern. In der Flüchtlingsunterkunft in Hauzenberg versucht sich in der Nacht der 37 Jahre alte Tunesier Mouldi C. zu erhängen, weil er seine Lebenssituation nicht mehr ertragen kann.

    Verletzt kommt er ins Bezirksklinikum Mainkofen und wird dort therapiert. Der Suizidversuch ist ein von verschiedenen ÄrztInnen seit Monaten prophezeiter Krisenhöhepunkt, weil sich die psychische Verfassung des Flüchtlings dramatisch verschlechtert hatte.

    Mouldi C. wird von der bayerischen Staatsregierung als "Top-Gefährder" eingestuft, weil ihm Kontakte zu militanten Islamisten in Deutschland, Italien und Großbritannien nachgewiesen wurden. Zwar ist er nie wegen Terrors verurteilt worden, auch hat der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen ihn ohne Ergebnis eingestellt, doch muß er fernab seiner in Regensburg lebenden Frau und der vier minderjährigen Kinder isoliert in Hauzenberg leben. Er darf kein Handy und kein Internet benutzen und hat sich täglich bei der Polizei zu melden.

    Seine Psychotherapeutin hatte vergeblich eine stationäre Behandlung beantragt. Erst seinem Hausarzt gelang es Monate später, einen Krankenhausplatz bewilligt zu bekommen. Doch anstatt die Einweisung in eine Regensburger Klinik zu erlauben, legte die Landesregierung eine Liste mit Krankenhäusern vor, die so weit entfernt sind, daß der Kontakt zu seiner Familie vollständig abgebrochen wird.

SZ 7.5.08;

Hubert Heinhold – Rechtsanwalt

 

April 08

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. Nach dreitägiger Abschiebehaft in Ingelheim wird ein psychisch kranker Flüchtling aus dem Kosovo in die Rheinhessenklinik Alzey verlegt. Von hier aus erfolgt seine Abschiebung nach Prishtina.

epd 6.3.09;

Netzwerk Abschiebungsbeobachtung 25.11.09

 

1. Mai 08

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. Aus der Rheinhessen-Fachklinik Alzey wird Herr M. von der Polizei herausgeholt, um ihn in den Kosovo abzuschieben. Aufgrund eines Selbsttötungsversuchs befand er sich in der Klinik in Behandlung.

    Die verantwortlichen ÄrztInnen haben die Gefahr einer akuten Eigengefährdung im Falle einer Abschiebung attestiert. Trotzdem wird der Ashkali, der seit seinem zweiten Lebensjahr in der BRD lebte, über den Flughafen Frankfurt am Main in einem Learjet nach Prishtina ausgeflogen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2008

 

1. Mai 08

 

An der niederländisch-deutschen Grenze wird der Kurde Cihan C. festgenommen. Der 47-Jährige will eigentlich seine Familie in Hamburg besuchen und kommt jetzt in Auslieferungshaft.

    Obwohl die Niederlande ein Jahr zuvor ein Auslieferungsbegehren der Türkei abgelehnt hatten, weil ein Haftbefehl aus dem Jahre 1979 wegen des Vorwurfs eines Mordversuchs von einem türkischen Militärgericht erlassen worden war und obwohl dem Betroffenen von den Niederlanden ein Aufenthaltsrecht wegen politischer Verfolgung gewährt wurde, erklärt das Oberlandesgericht Oldenburg eine Auslieferung für zulässig.

    Der Rechtsanwalt legt Verfassungsbeschwerde verbunden mit einem Eilantrag zur Verhinderung der Auslieferung ein und schaltet vorsorglich den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Obwohl Mitte März die Verfolgungsverjährung eingetreten ist, gewährt das Oberlandesgericht den türkischen Behörden noch einmal vier Wochen Zeit, um die Sachlage zu überprüfen.

    Erst einen Tag, nachdem nun der Anwalt eine Anzeige wegen Freiheitsberaubung angekündigt hat, wird der Gefangene nach 10 Monaten Haft Mitte März 2009 entlassen.

Hans-Eberhard Schultz - Rechtsanwalt

 

3. Mai 08

 

Birkenfeld in Rheinland-Pfalz. Bei dem Besuch eines Bekannten schluckt der 31-jährige Bauingenieur Hamidur Rahman aus Bangladesh in einem unbeobachteten Moment ca. 40 Anti-Depressiva-Tabletten, um sich das Leben zu nehmen. Obwohl bereits nach 10 Minuten der Krankenwagen eintrifft und Herr Rahman noch zu Fuß hingehen und einsteigen kann, stirbt er am folgenden Mittag auf der Intensivstation des Krankenhauses von Idar-Oberstein an der Tabletten-Vergiftung. Die Suizidgefährdung des in Bangladesh verfolgten und in der BRD abgelehnten Asylbewerbers war bei den deutschen Behörden aktenkundig, denn mehrere Suizidversuche waren zuvor gescheitert und entsprechende Gutachten lagen vor.

    Hamidur Rahman war im Mai letzten Jahres nach einem Suizidversuch aus einem dänischen Krankenhaus geflohen (siehe hierzu 8. Mai 07). Als er nach Hamburg kam, gewährte ihm die Nordelbische Kirche Unterkunft und Versorgung.

    Am 27. Juni 2007 reiste Hamidur Rahman mit einer Mitfahrgelegenheit nach Barcelona, um den Versuch zu starten, in Spanien einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Es gelang ihm nicht, und so kam er am 20. Oktober nach Hamburg zurück. In den folgenden Monaten wurde er zunehmend depressiver und

verzweifelter, weil er nicht wußte, in welchem Staat er eine Chance zum Leben haben könnte.

    Anfang Februar 2008 zog Hamidur Rahman in Hamburg in die christliche Wohngemeinschaft Brot & Rosen. Obwohl sich viele Menschen für ihn einsetzten, damit ein Rechtsanwalt einen Antrag bei der für ihn zuständigen Härtefallkommission in Rheinland-Pfalz stellen kann, ging es ihm immer schlechter.

    Wie sich später herausstellte, hatte er geplant, am 18. Februar aus dem Leben zu treten. Er hatte sein letztes Geld an seine Frau, seinen Sohn und seine Eltern überwiesen und Abschiedsbriefe geschrieben. Aber die eingenommenen Schlaftabletten bewirkten eine paradoxe Reaktion, nämlich totale Unruhe, Übelkeit und starke Schmerzen. Als eine Passantin ihn an einem See beobachtete und die Polizei benachrichtigte, kam er auf die Intensivstation des Klinikum Nord, am nächsten Tag für eine Woche auf die geschlossene Station – danach auf eine offene. Ab 11. April erhielt er ambulante Therapie und lebte wieder in der christlichen Wohngemeinschaft.

    Aus aufenthaltsrechtlichen Gründen (Residenzpflicht) und um die letzte Chance zu nutzen, einen legalen Status zu bekommen (Härtefallkommission), kehrte Hamidur Rahman Ende April nach Rheinland-Pfalz zurück. Es scheint so, daß er nicht mehr daran glaubte und ihm nach vier Jahren vergeblicher und verzweifelter Suche nach einem Platz zum Leben schlichtweg die Kraft fehlte.

    Auf Wunsch der Familie wird seine Urne nach Bangladesh überführt. In Hamburg gestalten seine Freunde am 25. Mai eine Trauerfeier für ihn.

Diakonische Basisgemeinschaft Brot & Rosen, Hamburg;

Del Penner – Pastor in Idar-Oberstein; Hanna Mitzlaff – Unterstützerin;

 Fanny Dethloff – Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche;

 Martin Link – AG Kirchliche Flüchtlingsarbeit Hamburg;

Tina Übel – Journalistin; Diana Zinkler – Journalistin;

Julia Fischer-Ortmann – Gutachterin

 

6. Mai 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Nach einigen Tagen Haft rasiert sich ein etwa 40 Jahre alter polnischer Gefangener den Kopf kahl und blutig. Mithäftlinge berichten, daß er daraufhin in die stationäre Psychiatrie Hedwigshöhe gebracht wird.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

14. Mai 08

 

Der 20-jährige Petros Aforki Mulugeta und der 26 Jahre alte Yonas Haile Mehari werden nach abgelehnten Asylgesuchen und verweigerter Einreise in die BRD aus dem Transitbereich des Frankfurter Flughafens heraus mit einem extra gecharterten Privatjet nach Eritrea abgeschoben. Sie sind mit Kabelbindern gefesselt und zudem in Begleitung von vier Bundespolizisten und zwei Ärzten. Nach ihrer Ankunft in Amara werden sie direkt den Militärs übergeben. Es erfolgt ihre sofortige Inhaftierung. Damit verliert sich zunächst ihre Spur.

    Beide Flüchtlinge sind Deserteure des eritreischen Militärs, und bekanntermaßen werden Desertionen mit Folter und Zwangsarbeit und oft jahrelanger Inhaftierung geahndet – alles ohne Gerichtsverfahren.

    Petros Aforki Mulugeta war mit 17 Jahren zum Militärlager nach Sawa gekommen, um dort sein Abitur zu machen. Danach wurde er weiter verpflichtet, und als er sich beschwerte, daß es hier keine Studienmöglichkeiten gebe, wurde er für ein halbes Jahr inhaftiert. Er konnte fliehen und erreichte im November 2007 den Frankfurter Flughafen. Am 19. Januar und am 2. Februar 2008 scheiterte seine Abschiebung an der Weigerung der zuständigen Piloten, ihn mitzunehmen.

    Yonas Haile Mehari war im Jahre 2000 zwangsrekrutiert worden und mußte zuletzt als Wachsoldat in einem Militär-gefängnis arbeiten. Er geriet selbst für einen Monat in Haft, weil er sich geweigert hatte, Gefangene zu foltern. Im September 2007 desertierte er, und im November stellte er am Flughafen Frankfurt einen Antrag auf Asyl. Am 14. Januar 2008 verweigerte der zuständige Pilot seine Mitnahme, so daß die Abschiebung nicht stattfinden konnte.

    Auch im Januar 2009 gibt es keine neuen Informationen über den Verbleib der beiden Abgeschobenen.

    Da ihre Asylverfahren auch nach ihrer Abschiebung von ihrer Rechtsanwältin weitergeführt wurden, gibt es inzwischen die Weisungen des Verwaltungsgerichtes Frankfurt an das BAMF, die Flüchtlinge als politisch Verfolgte anzuerkennen. Dies geschieht im April 2009 für Petros Aforki Mulugeta und im Mai 2009 für Yonas Haile Mehari.

    Im April und Juni 2010 können die beiden wieder in die  Bundesrepublik einreisen. Erst jetzt wird deutlich, welche Qualen sie nach der Abschiebung auf ihrer zweijährigen Odyssee erleiden mußten.

    Nach ihrer Festnahme in Asmara kamen sie ohne Gerichtsverfahren oder Urteil in das Geheimgefängnis Wi'a. Es liegt mitten in der Wüste, nahe der Hafenstadt Massawa.

    Yonas Haile Mehari wurde in einen unterirdischen Raum gesperrt, der dunkel war, ohne Fenster, ca. 10 x 15 Meter groß, in dem ca. 400 Menschen zusammengepfercht waren. Schlafmöglichkeiten gab es nicht, so daß die Gefangenen übereinander schlafen mußten. Ihre Leiber klebten bei der Hitze aneinander, und es entstanden Blasen und sonstige Verletzungen, die schnell eiterten. Pro Tag gab es drei kleine Hirsebrötchen zu essen und zweimal täglich einen Becher heiße Flüssigkeit von einer Linsensuppe – allerdings ohne Linsen. In kurzer Zeit litten die Gefangenen an Durchfällen und Unterernährung. Viele starben – andere wurden bei Fluchtversuchen erschossen. Nach sechs Monaten wurde Yonas Haile Mehari "nach oben" gebracht, wo die Situation ebenso quälend war. Als er nach acht Monaten Gefangenschaft wegen seiner vereiterten Wunden in ein Militärkrankenhaus verlegt wurde, gelang ihm die Flucht nach Äthiopien.

    Petros Aforki Mulugeta wurde in eine Baracke aus Zink gesperrt, die sich bei Außentemperaturen von bis zu 50 Grad stark aufheizte. In diesen 4 x 4 Meter großen Räumen waren an die 40 Menschen zusammengepfercht. Nach 15 Monaten Gefangenschaft wurde er – aufgrund schwerer Eiterungen seiner rechten Körperseite – in ein Militärgefängnis verlegt. Auch ihm gelang von hier aus die Flucht – er erreichte mit Hilfe von Fluchthelfern den Sudan.

    Ende 2009 konnten die beiden über Angehörige den Kontakt zu ihrer Rechtsanwältin in Frankfurt herstellen, so daß jetzt ihre Rückreise organisiert werden konnte.

Pro Asyl, Connection, FRat Hessen,

Karawane 30.5.08; ai 29.5.08;

Pro Asyl, Connection, Eritreische Antimilitaristische Initiative 9.9.10;

FR 9.9.10; jW 11.9.10;

Bericht der Betroffenen

 

16. Mai 08

 

Vogtlandkreis im Bundesland Sachsen. Die drei Schwestern Sophia (14), Sandra (13) und Sonja (8) Omoroghomwan werden von der Polizei gewaltsam aus dem AWO-Kinder- und Jugendwohnhaus in Treuen bei Plauen herausgeholt und in das Flüchtlingslager im Wald bei Posseck zurückgebracht. Einige Tage zuvor hatten sie sich im AWO-Kinderheim gemeldet und wurden dort zunächst freundlich aufgenommen. Sie hatten das Flüchtlingsheim Posseck aus eigenem Entschluß verlassen, weil sie das Leben dort nicht mehr ertragen konnten.

    Zunächst hat das Jugendamt die Kinder aufgefordert, in das abgelegene Lager Posseck freiwillig zurückzukehren. Als diese sich weigern, wird die Polizei mit vier Einsatzwagen angefordert. Erschreckt und verängstigt versuchen die Mädchen davonzulaufen. Dabei werden sie von einem Polizeiwagen verfolgt. Als die Jüngste, Sonja, gefaßt wird, bleibt die Älteste, Sophia, mit ihr zusammen zurück. Beide werden in ein Zimmer gesperrt. Als auch die 13-jährige Sandra schließ-lich von verfolgenden Polizisten gefaßt wird, legt man sie in Hand- und Fußschellen und schleift sie über den Boden. Sie ist völlig außer sich, schreit und weint.

    Anstatt die verängstigten Mädchen zu beruhigen, werden sie von den Polizisten und der Vertreterin des Jugendamtes rassistisch beschimpft. Dann werden Sandra und Sonja in Handschellen aneinander gekettet und Sophia die Hände auf dem Rücken gefesselt. Sie werden von den Beamten gezerrt und gezogen, die keine Rücksicht darauf nehmen, daß sie gefesselt sind und über Schmerzen klagen. Gefesselt werden sie ins Auto geschubst und nach Posseck verfrachtet, immer noch gefesselt werden sie dort wieder aus dem Auto gezerrt und in ihr Zimmer gebracht.

    Ihre Adoptivmutter Claudia Omoroghomwan – von dieser Maßnahme nicht informiert – ist entsetzt über das, was den Kindern angetan wird, und will dazwischen gehen. Dabei wird die sichtbar schwangere Frau von einem Polizisten zurückgestoßen. Die Mädchen selbst stehen unter Schock und klagen über Schmerzen. Sie haben sichtbare Spuren von Mißhandlungen an Kopf und Gliedmaßen und müssen im Krankenhaus ärztlich versorgt werden.

    Die Eltern der drei Mädchen waren 2002 in Nigeria bei einem Autounfall gestorben. Ihrer Tante Claudia Omoroghomwan wurde zusammen mit der Großmutter das Sorgerecht übertragen. Als ihrer eigenen Tochter eine Geschlechtsverstümmelung drohte, floh Frau Omoroghomwan im Jahre 2004 mit der 2-jährigen Dammiana und der 4-jährigen Sonja in die Bundesrepublik, während die beiden älteren Mädchen vorerst bei der Großmutter in Nigeria blieben. Als diese im Jahre 2006 starb, kamen Sophia und Sandra nach.

    Die Familie mußte zunächst in einer Gemeinschaftsunterkunft in Reichenbach leben, die später aufgrund der hygienischen Zustände geschlossen wurde, und kam nach Posseck in räumliche Abgeschiedenheit, soziale Isolation und gesellschaftliche Vereinsamung. Die Kinder hatten in dem abgeschieden im Wald liegenden ehemaligen Militärcamp keinen Kontakt zu anderen Kindern; ein Schulbesuch war lange Zeit gar nicht und später nur unter äußerst schwierigen Bedingungen möglich. Frau Omoroghomwan hat daher immer wieder versucht, einen Umzug in eine normale Wohnung in eine Stadt genehmigt zu bekommen. Schließlich sahen sich die drei älteren Mädchen gezwungen, durch die Flucht aus Posseck selbst ihr Leben zu verändern.

    Nachdem die gewaltsame Polizeiaktion gegen die Kinder öffentliche Aufmerksamkeit erregt hat und Ermittlungen gegen Polizei und Jugendamt laufen, wird nun von den zuständigen Ämtern versucht, Frau Omoroghomwan die Kinder zu entziehen. Die Familie wird getrennt. Die Kinder werden in ein Kinderheim in Chemnitz gebracht, das in einem anderen Landkreis liegt und für die Mutter schwer erreichbar ist. Am 13. Juni 2008 kommen sie in das Kinder- und Jugendwohnheim "Burg Sonnenschein" in Markneukirchen und damit wieder in den Einflußbereich des Jugendamts des Vogtlandkreises. Ihrer Tante, die sie uneingeschränkt als ihre Mutter ansehen, wird am 23. Juni 2008 vom Familiengericht Plauen die Vormundschaft unter formalen Gründen entzogen und auf das Jugendamt übertragen. Dies geschieht ohne Anhörung der Kinder und der Mutter und ohne die Betroffenen von dieser Maßnahme zu informieren.

    Die Mutter darf die Mädchen nur einmal im Monat nach Voranmeldung und unter Aufsicht besuchen. Telefongespräche werden nur einmal pro Woche und auf Deutsch gestattet und als Strafmaßnahme gestrichen. Auch Anrufe und Besuche von Freunden der Familie werden abgewehrt, der Anwältin kein Zutritt gestattet. Der Antrag auf eine gemeinsame Unterbringung in einer Privatwohnung wird abgelehnt mit der Begründung, daß Frau Omoroghomwan nicht mehr im Familienverband mit den Kindern lebe.

    Am 10. Oktober kommt Frau Omoroghomwan zu einem unangemeldeten Besuch in das Kinderheim und wird des Hauses verwiesen. Als die Kinder ihre Mutter hören, springen sie aus dem Fenster, um zu ihr zu kommen. Sie fühlen sich im Heim und in der Schule diskriminiert und möchten bei ihrer Mutter leben und nie wieder in ein Kinderheim. Gemeinsam verbergen sie sich und erscheinen am 21. Oktober hoffnungsvoll zur Verhandlung vor dem Familiengericht in Plauen.

    Als den Mädchen dort erklärt wird, daß sie wieder in ein Kinderheim sollen – falls nicht freiwillig mit Polizeigewalt – und nicht bei ihrer Mutter bleiben dürfen, protestieren sie laut und machen deutlich, daß sie eher auf der Straße schlafen werden. Da das Gericht wegen der mutigen Haltung der Kinder und der zahlreich angereisten UnterstützerInnen die Familie nicht gewaltsam trennen kann, wird nach sieben Stunden Verhandlungen von einem Polizeieinsatz abgesehen, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie wieder zurück nach Posseck gebracht werden.

    Anfang November 2008 kommt Frau Omoroghomwans Sohn zur Welt. Kurz darauf kann die Familie das Lager Posseck verlassen und vorübergehend in eine Wohnung nach Netzschkau bei Reichenbach ziehen. Wegen der Aufenthaltsbeschränkung der Mutter können sie den Vogtlandkreis bislang nicht verlassen.

    Wegen der Anzeige gegen die Polizei und das Jugendamt findet im Dezember eine Vernehmung, aber noch keine Entscheidung statt. Ebensowenig ist bis Januar 2009 über die Rückgabe der Vormundschaft entschieden, obwohl von Seiten des Gerichts und des Jugendamts keine Bedenken mehr bestehen.

The VOICE 4.05.08; ND 9.05.08; The VOICE 17.05.08; ND 22.05.08;

Sächsischer Flüchtlingsrat und Opferberatung des RAA Sachsen 27.05.08;

Karawane Sept. 2008; The VOICE 17.09.08;

Karawane und The VOICE 28.09.08;

FP 1.10.08; Claudia Omoroghomwan 2.10.08; Karawane 13.10.08;

The VOICE 14.10; The VOICE 20.10.08; taz Bremen 22.10.08;

Karawane – Hamburg ohne Datum;

taz 28.10.08; ND 28.10.08; The VOICE 10.11.08

 

23. Mai 08

 

Der türkische Flüchtling Önder Dolutas wird am Flughafen Frankfurt-Hahn wegen eines Auslieferungsersuchens des türkischen Staates über Interpol in Haft genommen. Nachdem am folgenden Tag ein Haftrichter die Festnahme bestätigt, kommt er in die JVA Rohbach nach Wöllstein in Rheinland-Pfalz. Als Grund für das Auslieferungsbegehren wird eine Verurteilung von Önder Dolutas zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis in Abwesenheit angeführt. Daß dieses Urteil wegen "unter Folter aufgenommenen Aussagen" und festgestellten Unrechtmäßigkeiten mittlerweile durch höhere Instanzen (Revisionsgericht in Ankara) aufgehoben wurde, scheint vorerst keine Rolle zu spielen.

    Önder Dolutas war aufgrund seiner oppositionellen politischen Arbeit in der Türkei mehrmals staatlichen Repressionen und auch der Folter ausgeliefert gewesen. 2001 war ihm die Flucht nach Großbritannien gelungen. Hier wurde er als politisch Verfolgter anerkannt und erwarb Anfang diesen Jahres auch die britische Staatsbürgerschaft.

    Wegen der erlittenen Folter und Mißhandlungen hatte Önder Dolutas mit anderen Personen zusammen ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg geführt, das mit der Veurteilung der Türkei zu einer Schmerzensgeldzahlung an die Betroffenen endete.

    2006 war er schon einmal aufgrund eines türkischen Auslieferungsbegehrens in britische Haft geraten – wurde aber nach wenigen Tagen wieder freigelassen, weil deutlich wurde, daß ihm bei Auslieferung an seinen Verfolgerstaat Mißhandlung und Gefängnis drohen.

    Die deutschen Behörden brauchen für diese Erkenntnis länger. Önder Dolutas wird erst nach viereinhalb Monaten, am 8. Oktober, aus der Haft entlassen.

ATİK 1.6.08; jW 6.6.08; S. Dağelen, S. Wagenknecht 3.7.08;

ATİK 4.9.08; ATIK 19.9.08; ATIK 8.10.08; Önder Dolutas 9.10.08;

Rote Fahne News 10.10.08; ATIK 20.10.08;

AZADI infodienst Nr. 71 Oktober 2008

 

25. Mai 08

 

Burg in Sachsen-Anhalt. Als der 31 Jahre alte Saad A., Flüchtling aus Saudi-Arabien, morgens um 2 Uhr die Diskothek "Night Fly" verläßt, wird er von einer mindestens 15-köpfigen Gruppe von Disko-BesucherInnen überfallen und niedergeschlagen. Er liegt bereits am Boden, als der Guineer Aliou D. hinzukommt. Diesem gelingt es, die Polizei zu rufen, aber dann wird auch er geschlagen und getreten. Die Gruppe kesselt die beiden ein und singt rassistische Lieder – mehrfach wird der "Hitlergruß" gezeigt. Auch der 24-jährige Aliou D. wird bespuckt und geschlagen.

    Der Türsteher der Diskothek greift nicht ein. Für die 100 Meter von der Wache bis zum Tatort benötigen die Polizisten 10 Minuten Anfahrtszeit. Dann nehmen sie die verletzten Opfer mit aufs Revier – Personalienfeststellungen der Täter, die auch vor Ort noch rassistische Parolen grölen, finden nicht statt.

    Im Krankenhaus wird festgestellt, daß Saad A. einen Kreuzbandriß am Knie hat und sein Freund erheblich am Auge verletzt ist.

    Als die beiden sich bei der Polizei über deren einseitiges Vorgehen beschweren wollen, wird ihnen von einem Beamten geantwortet: "Was willst du denn, wir haben dir doch den Arsch gerettet. Wir hätten Dich auch dalassen können."

    Auch ein Jahr nach dem Überfall ist keine Anklage gegen die Täter erhoben worden. Aliou D. befindet sich seither in psychotherapeutischer Behandlung, Amtsärzte haben eine dringend behandlungsbedürftige Posttraumatische Belastungsstörung festgestellt. Acht Monate bemüht sich Herr D. um eine Verlegung des Wohnsitzes von Burg nach Magdeburg, um den Tätern nicht mehr begegnen zu müssen.

    Am 24. Juni 09 wird Aliou D. vom Innenminister H. Hövelmann der Umzug nach Magdeburg gestattet, um "verbesserte Behandlungs- und Gesundungschancen" mit dieser "humanitären Maßnahme" zu ermöglichen. Auch wird eine Abschiebung vor Abschluß der Ermittlungen oder eines Gerichtsverfahrens von ihm ausgeschlossen.

    Nach achtjährigem Aufenthalt in der ehemaligen Militärkaserne in Burg kann Aliou D. schließlich in das Flüchtlingslager nach Magdeburg-Rottensee umziehen. Hier lebt er in einem 5-Personen-Zimmer mit den damit zusammenhängenden Problemen: Fehlen jeglicher Privatsphäre, keine Rückzugsmöglichkeiten, schlaflose Nächte, Unruhe, Lärm und immer wieder Angst. Eine Situation, die für den seit dem Überfall psychisch Erkrankten immer unerträglicher wird. Nur durch UnterstützerInnen, die die Kosten für ein privat gemietetes Zimmer tragen, gelingt es, daß er das Heim verlassen kann.

    Aliou D. war im Jahre 2001 als damals 17-Jähriger mit einem Schiff in Hamburg angekommen. Obwohl noch minderjährig, war er zunächst in eine Zentrale Aufnahmestelle und dann ins Lager in Burg gekommen. Ausbildung oder Arbeit wurden ihm nie erlaubt.

    Im Oktober 09 hat die Polizei von den mindestens 15 Tätern des Überfalls auf Aliou D. und Saad A. eine Person ermittelt. Dieser Mann, Benny N., ist in der rechten Szene tief verwurzelt.

    Am 29. März 10 wird Benny N. vom Amtsgericht Magdeburg mangels Beweisen von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Die "individuelle" Täterschaft konnte das Gericht ihm nicht nachweisen, obwohl der von ihm geschädigte Saad A. ihn vor Gericht identifizieren konnte. Auch das katastrophale polizeiliche Fehlverhalten bei diesem Überfall spielt vor Gericht keine Rolle. Die Staatsanwaltschaft legt Rechtsmittel gegen das Urteil ein.

    Im August 2010 wird Aliou D. ein Bleiberecht aus humanitären Gründen gewährt.

MDZ 30.7.08; MDZ 30.3.09;

Ministerium des Innern SaAnh 24.6.09;

ND 25.6.09; BeZ 3.7.09;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt 8.3.10;

BeZ 30.3.10; ND 3.6.10;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt; FRat SaAnh

 

28. Mai 08

 

Bundesland Niedersachsen. In der JVA Hannover-Langenhagen zündet ein 24 Jahre alter Abschiebegefangener gegen 9.25 Uhr die Matratze in seiner Zelle an. Zwei Beamte, die den Rauch entdecken, können durch schnelles Handeln den sich wehrenden Mann aus dem Gefahrenbereich herausholen und in eine entferntere Zelle bringen.

    Die gerufene Flughafenfeuerwehr kann den Brand schnell löschen. Sowohl der Gefangene als auch die Bewacher klagen über Atembeschwerden und werden von dem Anstaltsarzt medizinisch behandelt.

    Die Polizei ermittelt gegen den Gefangenen wegen Sachbeschädigung und Körperverletzung. Er soll in die Türkei abgeschoben werden.

Polizei Hannover 28.5.08

 

29. Mai 08

 

Bundesland Brandenburg. Ein pakistanischer Asylbewerber befindet sich in Brandenburg an der Havel nachts auf dem Heimweg, als er hinter sich Schritte hört. Er dreht sich um, hört Sätze wie "Schwein, verschwinde von hier!" und wird unmittelbar mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen. Die Kopfverletzungen des 44-Jährigen sind so schwer, daß er erst nach drei Wochen aus dem Krankenhaus entlassen werden kann.

    Der ca. 25 Jahre alte Täter wird trotz Phantombildsuche nicht gefunden, so daß die Ermittlungen vorläufig eingestellt werden.

BeZ 31.5.08; TS 31.5.08; jW 31.5.08; Opferperspektive;

www.meetingpoint-brandenburg.de 16.9.08;

ad-hoc-news.de 9.1.09

 

29. Mai 08

 

Bundesland Mecklenburg Vorpommern. Um 21.00 Uhr wird der 24 Jahre alte kurdische Flüchtling Z. A. aus seiner Wohnung in Saßnitz abgeholt und zum Polizeirevier gebracht. Er soll abgeschoben werden.

    Seit mehr als einem Jahr ist er psychisch krank. Zu den anfänglichen Depressionen kamen Angstzustände und Wahnvorstellungen hinzu. Er hat Angst, vergiftet zu werden, und hört Befehle aus Büchern. Er leidet unter paranoider Depression. Sein Arzt hat ihn aus diesem Grunde gestern in der psychiatrischen Station im Klinikum West Stralsund angemeldet.

    Nun besucht ihn der Arzt auf dem Polizeirevier, weist die Beamten auf den schlechten Gesundheitszustand des Kurden hin, warnt vor einer Abschiebung in die Türkei und legt den Überweisungsschein für das Krankenhaus vor. Daraufhin erklärt der anwesende Polizeioberkommissar dem unter mehreren Psychopharmaka stehenden Herrn A., daß er sich auch in der Türkei behandeln lassen könne, sofern die Symptome dort wieder aufträten. Zitat des Beamten: "Dieser widersprach mir nicht, so daß ich von der Richtigkeit meiner Worte ausgehen mußte."

    Z. A. wird noch in der Nacht nach Stralsund gebracht, ohne zu wissen, was mit ihm geschieht. Er hat über lange Zeit akute Todesangst und wird erst ruhiger, als er in der Zelle in Stralsund ein Klopfen aus der Nachbarzelle hört. Am nächsten Morgen wird er nach Hamburg-Fuhlsbüttel gebracht und nach Istanbul ausgeflogen.

    Zwei Tage später kommt Z. A. wegen seines akuten Gesundheitszustandes in stationäre Behandlung, kann nach 10 Tagen entlassen werden und muß weiterhin alle zwei Wochen kontrolliert werden. Diese therapeutische Behandlung wird bald aufhören müssen, weil die finanziellen Mittel seiner Familie zu Ende gehen.

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt

 

30. Mai 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Eine 41-jährige Mongolin unternimmt einen Suizidversuch, nachdem sie von einem Unfall ihres Mannes in Schweden erfährt. Sie versucht, sich mit einem Handtuch zu erdrosseln.

    Sie war am 18. März von Schweden nach Deutschland zurückgeschoben worden, wo sie früher ein Asylverfahren durchgeführt hatte. Die nach Aussagen von Seelsorgern stark depressive Frau hat Narben an ihrem Arm von früheren Suizidversuchen. Sie wird in die stationäre Psychiatrie Hedwigshöhe gebracht.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

31. Mai 08

 

Ausreiselager Motardstraße in Berlin. Um 0.55 Uhr entdeckt der Mitarbeiter des Wachschutzes einen brennenden Kinderwagen. Es gelingt ihm, das Feuer zu löschen. Als um 1.55 Uhr erneut ein Kinderwagen im Treppenhaus brennt, muß wegen der starken Rauchentwicklung die Feuerwehr gerufen werden. Die Kriminalpolizei nimmt die Ermittlungen auf.

BeZ 1.6.08

 

31. Mai 08

 

Bundesland Bayern. Morgens um 3.00 Uhr entwickelt sich in der Diskothek in Grafenau ein Streitgespräch zwischen einem 20 Jahre alten Asylbewerber und einem 25-jährigen Mitglied des örtlichen Motorradclubs, nachdem sich Clubmitglieder an den Tisch der drei Ausländer gesetzt hatten. Der Deutsche äußert die Meinung, daß Iraker in der Diskothek nichts zu suchen hätten. Als der Flüchtling sich daraufhin ereifert, fordert der Wirt ihn und seine beiden Begleiter auf, die Diskothek zu verlassen. Auch seine beiden Begleiter werden vom Wirt aufgefordert, diesen Raum zu verlassen.

    Der Flüchtling begibt sich auf den Weg zu seinem Flüchtlingsheim. Nach ca. 100 Metern an einer Brücke entsteht ein erneuter Wortwechsel mit dem Motorradclubmitglied, der sich aus seiner Gruppe löst und auf den Flüchtling zugeht. Dieser flüchtet zu einer Gruppe, die sich vor einem Lokal aufhält, entreißt einem der Gäste ein Weinglas und wirft es in Richtung des Verfolgers. Dann flüchtet er – der 25-Jährige hinterher. Als er den Iraker einholt, entsteht ein Handgemenge, in dessen Verlauf beide eine Böschung herunterrollen. Dann schlägt der Ältere auf den Jüngeren ein und würgt ihn bis zur Bewußtlosigkeit.

    Bekannte des Täters ziehen ihn von seinem Opfer weg, so daß der Asylbewerber seinen Weg fortsetzen kann.

    Noch am selben Tag erstattet der Flüchtling Anzeige. Aufgrund der Ermittlungen einer 12-köpfigen Arbeitsgruppe der Polizei wird der 25 Jahre alte Zimmerer vorläufig festgenommen.

Polizei Passau 1.6.08

 

Mai 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. In einem dritten Versuch soll Frau K. aus Niedersachsen nach Kasachstan abgeschoben werden. Sie ist im 5. Monat schwanger und nahm bisher aufgrund ihrer Heroinabhängigkeit an einem Methadon-Programm teil. Am Morgen hat sie die letzte Dosis eingenommen. Frau K. ist völlig mittellos und hat keine Angehörigen in Kasachstan. Allein der lange Flug mit einem Zwischenstop in Moskau, beginnende Entzugserscheinungen und ein Abbruch der Substitutionstherapie könnten für Mutter und Kind schwere gesundheitliche Folgen haben.

    Erst auf Nachfrage der Abschiebebeobachterin wird die Bundespolizei veranlaßt, bei der Ausländerbehörde nachzufragen, inwieweit die Fortsetzung der Therapie von Frau K. in Kasachstan überhaupt gewährleistet ist. Die Ausländerbehörde zitiert aus einem Antwortschreiben des kasachischen Außenministeriums, aus dem hervorgeht, daß es dort keine Substitution mit Methadon gibt – allerdings eine "Pharmakotherapie" und kostenlose Behandlungsplätze für Heroinabhängige. Diese Erklärung hatte der Ausländerbehörde ausgereicht, um die Abschiebung einzuleiten.

    Aus unbekannten Gründen wird die Abschiebung von Frau K. kurz vor dem Abflug abgebrochen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2008

 

Anfang Juni 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Die 19-jährige Romni Dijana G. wird mit ihrem 2-jährigen Sohn Ismail nach Montenegro abgeschoben. Frau G. ist in der BRD geboren und hat in Montenegro keine Angehörigen – auch spricht sie die Sprache nicht.

    Eine Hilfsorganisation in Montenegro erklärt gegenüber der Abschiebebeobachterin, daß eine Unterbringung maximal für einige Tage möglich ist; danach stünde die schwangere Frau mit dem Kleinkind auf der Straße und sei obdachlos.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2008;

FRat NieSa 16.6.08

 

4. Juni 08

 

Bundesland Brandenburg. Als ein 39 Jahre alter Asylbewerber aus Kamerun in Potsdam am Schlaatz einen Wagen der Straßenbahn-Linie 92 am Magnus-Zeller-Platz besteigen will, wird er von einem aussteigenden Fahrgast als "Neger" beleidigt und mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Er trägt Schwellungen an der linken Wange davon.

    Der von dem Tramfahrer gerufenen Polizei gelingt es schnell, den alkoholisierten 30-jährigen Täter festzunehmen. Ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung und Körperverletzung wird eingeleitet.

Polizei Potsdam 6.6.08;

VS-Bericht Brbg 2008;

Opferperspektive

 

4. Juni 08

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Der Gesundheitszustand des 34 Jahre alten kurdischen Gefangenen Abdurrahman Adigüzel ist nach vierwöchigem Hungerstreik derart desolat, daß er in das Gefängniskrankenhaus Hohenasperg transportiert werden muß.

    Er war am 6. Mai aufgrund einer Vorladung bei der Ausländerbehörde in Kornwestheim verhaftet und in Abschiebehaft genommen worden. Hier hatte er umgehend mit dem Hungerstreik begonnen. Im Gefängniskrankenhaus beendet er den Hungerstreik und kommt zurück in die JVA Rottenburg.

    Abdurrahman Adigüzel war lange Zeit für die PKK politisch aktiv, bis der Verfolgungsdruck so groß wurde, daß er die Türkei verlassen mußte. Im Jahre 2006 kam er in die BRD und beantragte Asyl. Dieses wurde – trotz Vorlage von Beweisen, daß er in der Türkei polizeilich gesucht wird – als unglaubwürdig abgewiesen. Erst nach einer erneuten Vorlage von Dokumenten, die seine politische Verfolgung in der Türkei belegen, wurde entschieden, daß er bis zum Abschluß des Asylverfahrens nicht abgeschoben werden darf. Auch im deutschen Exil war er mehrmals öffentlich aufgetreten – hatte auch in dem kurdischen Fernsehsender Roj-TV gesprochen. Bei einer Abschiebung droht dem Mann ein Strafverfahren wegen Unterstützung der PKK.

    Am 3. August wird Abdurrahman Adigüzel aus der Abschiebehaft entlassen.

ISKU 15.5.08; jW 19.5.08;

AZADI infodienst Nr. 66 Mai 2008;

SchwT 5.6.08; stattweb.de 5.6.08;

jW 6.6.08; indymedia 10.6.08;

AZADI infodienst Nr. 69 August 2008;

Dr. Gerhard Härdle – Rechtsanwalt

 

9. Juni 08

 

Am Nachmittag erscheint die Polizei in einem Bremer Jugendwohnheim, nimmt einen 14 Jahre alten kurdischen Flüchtling fest und bringt ihn in Abschiebehaft.

    Rechtsanwältin Christine Graebsch, die in der Bremer Abschiebungshaft zusammen mit Studierenden eine wöchentliche Rechtsberatung anbietet, wird von der Hafteinrichtung trotz Nachfrage und entsprechender sonstiger Gepflogenheit nicht darüber informiert, daß der Minderjährige sich in Haft befindet, obwohl dies exakt während der üblichen Rechtsberatungszeit der Fall ist. Am nächsten Tag wird der Jugendliche nach Tschechien abgeschoben. Kenntnis davon erlangt die Anwältin deshalb erst, als er sich im Polizeifahrzeug bereits auf der Höhe von Dresden befindet. Der Eilantrag zum Verwaltungsgericht wird mangels Bevollmächtigung abgelehnt, weil die Amtsvormündin sich ausdrücklich für eine Abschiebung nach Tschechien eingesetzt habe.

    Sein 13-jähriger Freund, mit dem er auf dem Landwege von der Türkei über Tschechien in die BRD geflohen war und mit dem er zusammen im Wohnheim lebte, taucht daraufhin unter. Die vom Familiengericht zum Schutz der Minderjährigen eingesetzte Amtsvormündin, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes, hatte bis zu diesem Tag mit beiden nicht ein einziges Mal gesprochen.

    Als die Anwältin eine Vollmacht für den 13-jährigen Kurden vom Jugendamt beantragt, wird dies abgelehnt mit den Worten "Kein Bedarf!" Dies, obwohl der Junge selbst der Juristin schriftlich niedergelegt hatte, daß er von ihr vertreten werden will. Er versucht mit ihrer Hilfe aus seiner aufenthaltsrechtlich unsicheren Situation herauszukommen. Der Antrag auf Überprüfung einer Abschiebung nach Tschechien durch das Verwaltungsgericht und unter anwaltlicher Begleitung wird stets abgelehnt.

    Nach einer viele Wochen währenden juristischen und politischen Auseinandersetzung kann schließlich erreicht werden, daß der Jugendliche von einem ehrenamtlichen Vormund vertreten wird. Ein Arzt hat zwischenzeitlich festgestellt, daß der Junge unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

Christine Graebsch – Rechtsanwältin;

taz-nord 13.6.08

 

10. Juni 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Eine 31 Jahre alte Vietnamesin wird aus der Haft entlassen. Sie ist schwanger und hat während ihrer 40-tägigen Haftzeit so sehr an Gewicht verloren, daß Folgen für das ungeborene Kind nicht auszuschließen sind.

    Die Entlassung erfolgt nach einer Eingabe der Seelsorgerin an die Leiterin der Ausländerbehörde.

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

Mitte Juni 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der kurdische Flüchtling Nurettin Petek wird in seiner Heilbronner Wohnung von der Polizei festgenommen und kommt in Auslieferungshaft in die JVA Stuttgart-Stammheim.

    Nurettin Petek, der als Dorfvorsteher in Kayabaglar (Zokayde) in Siirt tätig war und sich im Jahre 2001 für zwei Monate wegen angeblichen Waffenbesitzes in türkischer Haft befunden hatte, ist seit 2002 anerkannter politischer Flüchtling in der BRD.

    Im Falle seiner Auslieferung droht ihm eine Gefängnisstrafe von vier Jahren, zu der er unterdessen in der Türkei verurteilt wurde.

Nûçe 11.7.08;

AZADI infodienst Nr. 68 Juli 2008

 

21. Juni 08

 

Bundesland Bayern. In der Flüchtlingsunterkunft am Schollenteich in Hof wird morgens um 2.00 Uhr ein Zimmermannshammer durch ein geschlossenes Fenster im Erdgeschoß geworfen.

    Der Hammer landet unter einem Tisch in der Mitte des Raumes. Die 26 Jahre alte Bewohnerin kommt mit dem Schrecken davon.

FrP 23.6.08

 

22. Juni 08

 

Nordhausen in Sachsen-Anhalt. Drei Asylbewerber sind gegen Mitternacht auf dem Weg zum Nachtgebet in den Räumen der muslimischen Gemeinde. Der 19-jährige Pakistani, der 26-jährige Marokkaner und der 27-jährige Ukrainer tragen entsprechende Kleidung und Gebetsmützen, so daß sie äußerlich als Muslime zu erkennen sind.

    Von zwei Neonazis werden sie zunächst verbal angegriffen mit Formulierungen wie "Geht zurück in euer Land!" und "Verpißt euch!" Dann schlägt einer der beiden mit einem Baseballschläger zu und verletzt den Ukrainer, der den Schlag gegen den Kopf abwehren will, am Ellenbogen.

    Als die beiden anderen Asylbewerber ihm zu Hilfe eilen, setzen sich die Neonazis in ihr Auto und fliehen. Die inzwischen informierte Polizei leitet umgehend eine Fahndung ein und stellt den Fahrer des Wagens nach einer Verfolgungsjagd. Der zwischendurch ausgestiegene Täter wird einige Tage später gefaßt. Beide Neonazis werden von den Angegriffenen bei einer Gegenüberstellung identifiziert, und die Kriminalpolizei nimmt die Ermittlungen auf.

    Im Januar 2009 ist noch nicht bekannt, ob Anklage erhoben wird.

ND 23.6.08;

art-ndh – aufklärung und recherche team nordhausen

 

25. Juni 08

 

Im thüringischen Sonneberg wird das Flüchtlingsheim von Flußballfans angegriffen. Diese versammeln sich vor dem Gebäude und skandieren "Scheiß-Ausländer" und "Ausländer raus". Sie werfen mit Flaschen, so daß viele Fenster zerstört werden. Schließlich brechen sie die Eingangstür auf und dringen ins Gebäude vor. Sie beleidigen die BewohnerInnen rassistisch und attackieren sie körperlich.

THO Chronik (Mobit)

 

30. Juni 08

 

Balingen in Baden-Württemberg. Als seine Frau nicht nach Hause kommt, wird der Ehemann unruhig und bittet Freunde um Hilfe. Diese finden die Kurdin am späten Abend am Eyach-Ufer. Sie hat Benzin dabei und hantiert mit einem Feuerzeug. Den Freunden gelingt es, sie davon abzubringen, sich zu verbrennen.

    Wenige Stunden zuvor haben die kurdischen Eheleute vom Urteil des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofes erfahren, durch das die Entscheidung des Sigmaringer Verwaltungsgerichts aufgehoben wurde. Damit ist die Abschiebung ihres 27 Jahre alten Sohnes gerichtlich wieder zugelassen.

    Seit 1990 befindet sich die Familie in der BRD, und als im Jahre 2000 die ersten Abschiebungsverfügungen verschickt wurden, bekam sie Kirchenasyl in Balingen. Immer wieder war es der Familie gelungen, sich den Abschiebebehörden zu entziehen, bis die Frau und die Tochter einen Aufenthalt bekamen – der Mann und der Sohn jedoch weiter nur geduldet waren. Vor allem in dem jahrelangen inoffiziellen Aufenthalt des Sohnes sahen die Mannheimer Richter keine Voraussetzung für eine weitere Duldung.

    Im Januar 2009 hat die Härtefallkommission sich für ein Bleiberecht des Sohnes entschieden. Das Votum des Innenministers steht allerdings noch aus.

Südwest aktiv 2.7.08;

Katholisches Pfarramt Heilig Geist in Balingen

 

Juni 08

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. Nach sechswöchiger Abschiebehaft in Ingelheim wird ein psychisch kranker junger Flüchtling in die Rheinhessenklinik Alzey verlegt und von dort direkt abgeschoben.

epd 6.3.09;

Netzwerk Abschiebungsbeobachtung 25.11.09

 

5. Juli 08

 

Bundesland Bayern. Am ersten Tag des Bürgerfestes in Bayreuth kommt es zwischen einem 19-jährigen Deutschen und einem gleichaltrigen Flüchtling aus Aserbaidschan zu einem Streitgespräch. Als der Deutsche ein Messer herauszieht, schlägt der Flüchtling mit einer Bierflasche zu. Daraufhin sticht der Deutsche zweimal zu und trifft den Flüchtling in der linken Brust.

    Nur durch eine sofortige Notoperation im Bayreuther Klinikum kann das Leben des Flüchtlings gerettet werden.

    Der Inhalt des Streites zwischen den beiden alkoholisierten Männern war eine handgreifliche Auseinandersetzung einer deutschen Gruppe und einer Gruppe von Asylbewerbern, die vor einer Woche passierte. Es hatte nach dem Europameisterschaftsspiel Deutschland – Türkei begonnen, als einer der Asylbewerber sich eine türkische Nationalflagge umgebunden hatte, was die Deutschen nicht tolerieren wollten. Daraus hatte sich eine Schlägerei entwickelt.

    Die Jugendkammer des Landgerichts verurteilt den Messerstecher am 12. Januar 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Der Angeklagte kommt nach einem halben Jahr Untersuchungshaft auf freien Fuß.

Polizei und StA Bayreuth 6.7.08;

DK 7.1.09; FP 8.1.09; DK 12.1.09; NN 12.1.09;

FP 13.1.08; NBK 21.1.09;

Bericht des Betroffenen

 

13. Juli 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der 33 Jahre alte kurdische Flüchtling Ömer Berber wird in Aachen im Rahmen einer Polizeikontrolle festgenommen und kommt – aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Türkei – in die JVA Köln-Ossendorf in Auslieferungshaft.

    Ömer Berber hat wegen seiner politischen Aktivitäten mehrere Jahre in türkischen Gefängnissen gesessen. Nach den Überfällen des türkischen Militärs auf die Gefängnisse am 19. Dezember 2000 wurde er in F-Typ-Isolation genommen. Hier beteiligte er sich an dem Todesfasten der Gefangenen. Als er wegen seines schlechten Gesundheitszustandes für kurze Zeit Haftverschonung bekam, nutzte er die Gelegenheit und flüchtete außer Landes.

    In Frankreich stellte er den Antrag auf politisches Asyl, der am 5. November 2003 entsprechend der Genfer Menschenrechtskonvention positiv entschieden wurde. Damit verbunden ist auch der Abschiebeschutz in das Verfolgerland. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme durch deutsche Beamte ist er in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis in Frankreich für die nächsten zehn Jahre.

    Am 15. August wird er aus der Untersuchungshaft entlassen.

AvEG-Köln 20.7.08;

indymedia 20.7.08;

AZADI infodienst Nr. 68 Juli 2008

 

15. Juli 08

 

Im Jugend-Trakt der Bremer JVA Oslebshausen wird morgens kurz nach 6.00 Uhr der 16-jährige Flüchtling Ibourahima Keita aus der Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire) tot aufgefunden. Er hat sich an einem Strick, den er aus seinem Bettzeug gefertigt hat, erhängt.

    Ibourahima Keita war mit 14 Jahren in die BRD gekommen und zunächst in einem Heim für minderjährige Flüchtlinge in der Peenemünder Straße untergebracht. Ein halbes Jahr nach seiner Ankunft wurde sein Asylantrag abgelehnt, und er bekam eine Duldung. Mittlerweile war aus dem zurückhaltenden, freundlichen Jungen ein aggressiver Jugendlicher geworden. Wegen vieler kleinkrimineller Delikte wurde er kurz nach seinem 15. Geburtstag zu einer Haftstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt.

    Weil die Heimleitung mit dem inzwischen schwierigen Jugendlichen offensichtlich überfordert war, bekam er – unter Auflagen des Vormundschaftsamtes - eine Ein-Zimmer-Wohnung im Ortsteil Hemelingen zugewiesen, in die später auch seine deutsche Freundin einzog.

    Kurz nach seinem 16. Geburtstag standen plötzlich Polizisten im Wohnzimmer des noch schlafenden Paares. Die beiden wurden aus der Wohnung geräumt, weil ein Verbleib ab dem 16. Lebensjahr für Flüchtlinge nicht mehr zugelassen wird (für deutsche Jugendliche gilt das 18. Lebensjahr). In einem ihm zugewiesenen Erwachsenenwohnheim meldete Ibourahima Keita sich nicht.

    Nach seiner ersten Verurteilung beging er weitere 22 Straftaten, und am 1. November 2007 wurde Ibourahima Keita auf dem Bremer Bahnhofsplatz verhaftet und nach Oslebshausen in Untersuchungshaft gebracht. Ibourahima Keita wurde in einem zweiten Prozeß zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Am 28. Mai 2008 wurde seine Tochter Jenna geboren.

    Kommentar eines JVA-Mitarbeiters zu dem Suizid des Jugendlichen: es habe "... keine Anzeichen für die Krise" gegeben. Auf Nachfragen einer Journalistin über die Umstände in der Haft antwortet Justiz-Staatsrat Mathias Stauch: "Es verbietet sich, daß diese Fragen und die näheren Erläuterungen zu dem konkreten Verhalten des Inhaftierten und den einzelnen Umständen seiner Haftsituation in die Öffentlichkeit getragen werden."

Deutschlandfunk 16.10.09; taz 19.10.09

 

16. Juli 08

 

Bundesland Bayern. Im Haftraum B 105 der Justizvollzugsanstalt Nürnberg fügt sich der 23-jährige Untersuchungsgefangene David Sargarian aus Armenien in der Nacht mit einer Rasierklinge tiefe Schnittwunden an beiden Unterarmen und den Armbeugen zu. Dann ruft er um Hilfe und drückt um 2.40 Uhr auf den Alarmknopf. Mitgefangene hören dies aus der Einzelzelle des 23-Jährigen, und einer von ihnen betätigt ebenfalls den Notrufknopf.

    Zwei Justizbeamte öffnen die Klappe an der Zellentür und werfen einen Blick auf den stark blutenden Mann, der sie um Hilfe bittet. Sie entfernen sich wieder, und es dauert 20 Minuten, bis ein Sanitäter und eine Sanitäterin erscheinen. Von ihnen wird der Anstaltsarzt telefonisch informiert, der zu diesem Zeitpunkt daheim ist. Per Ferndiagnose erteilt er dem Sanitäter die Anweisung, die Wunden mit Klammerpflastern zu versorgen, ihn in einen anderen Raum zu bringen und ihn dann stündlich zu kontrollieren.

    Dann wird der Schwerverletzte mit einem Rollstuhl in die Krankenabteilung gebracht, wo eine provisorische Erstversorgung der Wunden vorgenommen wird. Bei dem anschließenden Transport des Gefangenen in einen "Gefängnisraum ohne gefährliche Gegenstände" verliert David Sargarian das Bewußtsein. Daraufhin verständigt ein Vollzugsbeamter um 3.44 Uhr einen Notarzt vom Bayerischen Roten Kreuz.

    Als der Notarzt zehn Minuten später eintrifft, ist David Sargarian tot. Die Obduktion ergibt, daß er an den Folgen des starken Blutverlustes gestorben ist.

    Zusammen mit seinen Eltern war David Sargarian im Februar 2000 als 15-Jähriger aus Armenien in die Bundesrepublik gekommen. Wegen ihrer Krankheiten erhielten die Eltern im Februar 2006 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis und im Frühjahr 2007 auch einen Paßersatz. Da ihr Sohn inzwischen volljährig geworden war, betrieb die Ausländerbehörde Nürnberg seine Abschiebung, belegte ihn mit einem Arbeitsverbot und verpflichtete ihn, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Dies stellte für ihn eine besondere Härte dar, denn er hing sehr an seinen Eltern und betreute regelmäßig seine an Asthma erkrankte Mutter.

Am 18. Februar 08 kam die Kriminalpolizei um 6.30 Uhr in die Wohnung der Familie. Der Vater war bei der Arbeit, David bei seiner Mutter. Er wurde festgenommen wegen des Verdachts, an einem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein. Als seine Mutter einen schweren Asthma-Anfall bekam, durfte der Sohn ihr keine Medikamente geben. Stattdessen riefen die Beamten einen Notarzt.

    In der Haft unterlag David Sargarian einer strengen Kontaktsperre; er durfte seine Eltern weder sehen noch mit ihnen telefonieren. Briefe, die er schrieb, wurden nicht weiter-geleitet – er wartete vergeblich auf die Antwort seiner Eltern.

    Das Amtsgericht Nürnberg lehnte eine vom Rechtsanwalt beantragte Besuchserlaubnis für den Vater ab mit der Begründung, "dass die Besuchserlaubnis aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht erteilt werden kann, was mit dem Zweck der Haft nicht vereinbar ist gem. § 119 Abs. 3 StPO". Er sei dringend verdächtig, zusammen mit derzeit noch nicht bekannten Personen einen schweren Raub begangen zu haben, sage zur Sache aber nicht aus, so daß Verdunkelungsgefahr bestehe.

    Am 15. Juli 08 sollte ein Haftprüfungstermin stattfinden. David Sargarian machte sich Hoffnungen, freigelassen zu werden. Doch zwischenzeitlich wurde Anklage erhoben und der Haftprüfungstermin deshalb gestrichen. Die Eltern interpretieren den Suizidversuch in der darauf folgenden Nacht als einen Hilferuf ihres Sohnes nach Kontakt zu ihnen.

    Gegen die JVA-Beamten und gegen das medizinische Personal stellen die Eltern eine Strafanzeige wegen eines Tötungsdelikts aufgrund Unterlassung, fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung.

    Mitte Juni 2009 erhebt die Staatsanwaltschaft Nürnberg Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen den Gefängnisarzt Kurt P. (61) und den Pflegedienstmitarbeiter Ilja S. (28). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Arzt die letzten zehn Monate uneingeschränkt weiterarbeiten können.

    Nach vier Verhandlungstagen endet der Prozeß Mitte Dezember mit einem Freispruch für beide Angeklagten. Obwohl sich die Staatsanwaltschaft auf das Gutachten des Erlanger Rechtsmediziners Peter Betz stützt, der viele Behandlungsfehler nachweist und allen Beteiligten vorwirft, nicht sofort einen Notarzt gerufen zu haben, stimmt der Gutachter letztlich mit dem Gegen-Gutachter der Verteidigung darin überein, daß für die Angeklagten die Zeit zu knapp gewesen sei, den verblutenden Häftling noch zu retten.

NN 9./10.8.08; Abendzeitung Nürnberg 25.8.08;

Bündnis Aktiv für Menschenrechte;

SZ 18.5.09; NN 16.6.09;

NN 17.11.09; br-online 25.11.09; NN 26.11.09; NN 12.12.09;

Bernd Ophoff – Rechtsanwalt

 

21. Juli 08

 

Im sächsischen Bahren hält um 0.25 Uhr ein Audi auf dem Vorplatz des Flüchtlingsheimes. Die vier Insassen brüllen rassistische Parolen, und nach einer kurzen Diskussion mit den Verantwortlichen des Heimes entfernen sie sich wieder. Die Polizei nimmt die Ermittlungen auf.

AMAL Sachsen (Polizei Westsachsen)

 

22. Juli 08

 

In Baden-Württemberg wird der togoische Asylbewerber I. Z. nach fünfjährigem Aufenthalt in der BRD von zwei Polizisten festgenommen und zur Abschiebung zum Flughafen Frankfurt am Main gebracht. Gleich nach der Landung in Togo wird er verhaftet und brutal verhört. Nachdem er unter Auflagen nach drei Tagen freigelassen wird, flieht er nach Ghana und informiert von dort aus Freunde in der BRD.

Arbeitskreis Asyl Stuttgart Dezember 08;

Bericht von Freunden

 

25. Juli 08

 

Helbigsdorf im Bundesland Sachsen. Um 23.30 Uhr fährt ein weinroter VW-Kleintransporter vor das Flüchtlingsheim. Die Insassen steigen aus und brüllen "Sieg Heil" und "Ausländer raus!" Die Polizei beginnt Ermittlungen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

RAA Sachsen (Polizei Sachsen);

AMAL Sachsen (SäZ 25.7.08)

 

5. August 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Im Abschiebetrakt in der JVA Rottenburg entzündet um ca. 20 Uhr der 20 Jahre alte kurdische Gefangene Ali Bal die Zelle in der Absicht, sich selbst zu töten. Der Brand wird entdeckt, seine Zelle geöffnet, und er kommt mit einer Rauchgasvergiftung und Schnittverletzungen am Oberkörper und an den Unterarmen in die Tübinger Medizinische Klinik.

    Der Transport von weiteren fünf Gefangenen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus bereitet den Verantwortlichen auch am späten Abend noch "Schwierigkeiten",

weil es ihnen nicht gelingt, die zur Bewachung nötigen Polizisten frühzeitig zu rekrutieren.

    Nach notärztlicher Versorgung wird der 20-Jährige einem Haftrichter vorgeführt, der die Einweisung in das Gefängniskrankenhaus Hohenasperg entscheidet. Hier steht Ali Bal, "weil eine Suizidgefahr nicht ausgeschlossen" ist (Oberstaatsanwaltschaft) zunächst eine Woche lang unter Kontaktsperre und besonderer Beobachtung.

    Der junge Mann, der aus einer kurdisch-alevitischen Familie kommt und der im Alter von 10 Jahren mit seiner Mutter in die BRD geflohen war, hat große Angst vor einer Abschiebung in die Türkei. Er ist zudem Pazifist und Militärdienstverweigerer und rechnet mit erheblichen Repressionen.

    Als er im Jahre 2005 volljährig geworden war, sollte er im August des Jahres in die Türkei abgeschoben werden. Bei dem Versuch wurde ihm von den Beamten die Nase gebrochen, wodurch die Abschiebung zunächst verschoben werden mußte.

    Am 17. Oktober 2005 erfolgte dann tatsächlich seine Abschiebung nach Istanbul. Direkt nach der Landung war er – noch auf dem Flughafen – verhört und geschlagen worden.

    Nach seiner Entlassung gelang ihm einige Tage später die Flucht in die BRD, und er konnte zunächst zu seiner Mutter und seinen Geschwistern zurückkehren.

    Nach dem Suizidversuch in der JVA Rottenburg ermittelt die Oberstaatsanwaltschaft gegen den Flüchtling wegen "versuchter schwerer Brandstiftung". Da er weiterhin von der Abschiebung bedroht ist, befindet er sich in einer extremen psychischen Ausnahmesituation.

    Am 28. August 2008 erscheinen Polizisten im Haftkrankenhaus Hohenasperg und erklären ihm, daß sie ihn zurück in die JVA Rottenburg bringen wollen. Tatsächlich fahren sie ihn zum Flughafen Stuttgart, fesseln ihn an Händen und Füßen und zwingen ihn trotz versuchter Gegenwehr in das Flugzeug. Unter Bewachung von zwei Polizisten und einem Arzt wird er nach Istanbul ausgeflogen.

    Obwohl der Arzt ihn mit dem Vermerk, daß er suizidgefährdet sei, an die türkischen Behörden übergibt, wird er umgehend und über einen Zeitraum von ca. vier Stunden verhört und immer wieder geschlagen. Ihm wird aufgrund seines Geburtsortes Unterstützung des kurdischen Widerstands vorgeworfen. Verletzt und Blut spuckend, ohne Geld und Papiere erfolgt dann seine Entlassung unter der Auflage, sich in zehn Tagen bei der zuständigen Miltärkaserne einzufinden.

    Auf der Straße ist er völlig perspektivlos. Seine Mutter und seine Geschwister leben in der BRD – der Vater ist tot. Er bittet einen Taxifahrer um Hilfe, der ihn zu einer Familie bringt, die ihn vorerst bei sich aufnimmt. Auch hier äußert er weiterhin Suizidabsichten.

    Im September 2008 wird er zum Militärdienst gezwungen. Auch hier muß er Schläge und Schikanen erleiden und versucht erneut, sich das Leben zu nehmen. Er kommt für kurze Zeit ins Militärkrankenhaus.

Berichte des Betroffenen; SchwT 6.8.08;

RGA 8.8.08; SchwT 8.8.08; SchwT 17.8.08;

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg 18.8.08;

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg 31.8.08;

SchwT 1.9.08;

FRat BaWü 2.9.08; FRat BaWü 9.10.08;

Schattenbericht Abschiebehaft 2010;

BT DS 17/10597

 

5. August 08

 

Bundesland Niedersachsen. Bei einer Vorführung auf dem türkischen Konsulat in Hannover springt ein 38 Jahre alter Abschiebegefangener aus dem ersten Obergeschoß ins Freie und flieht.

    Sechs Tage später wird er an einem Kiosk verhaftet und kommt zurück in die JVA Hannover.

Polizei Hannover 12.8.08

 

6. August 08

 

Berlin – Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Um 10.15 Uhr wird der 19 Jahre alte vietnamesische Flüchtling N. T. D. vor einem Supermarkt in der Marchwitzastraße von einem Deutschen bestohlen, angegriffen und zusammengeschlagen. Dann ruft der 35-jährige Angreifer die Polizei an, teilt mit, daß er einen "vietnamesischen Zigarettenhändler" festhalte und droht: "Regelt Ihr das oder muß ich das selbst erledigen?" Danach rammt er dem Vietnamesen ein Messer in die Brust und rennt nach Hause.

    Noch vor Ort kann der Schwerverletzte reanimiert werden, kommt ins Unfallkrankenhaus Marzahn und erliegt seinen schweren Verletzungen während der Not-Operation.

    Der Täter hatte gegenüber Bekannten mehrmals gegen "diese Fidschis" (VietnamesInnen) gehetzt und Gewalttaten angedroht. Nach dem Mord wird er in den meisten Zeitungen als "psychisch labil" und "drogenabhängig" beschrieben. Einen Tag nach dem Mord wird er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.

    Das Berliner Landgericht verurteilt den Täter im Juni 2009 zu dauerhafter Sicherheitsverwahrung in der Psychiatrie.

Polizei Berlin 6.8.08;

Antifa Bündnis Marzahn-Hellersdorf 7.8.08;

TS 7.8.08; BK 7.8.08;

ND 7.8.08; BM 7.8.08; ABM 7.8.08; rbb-online 7.8.08;

TS 8.8.08; jW 8.8.08; JWB 14.8.08;

Antifa Bündnis Marzahn-Hellersdorf 16.8.08;

Beratungsstelle Reistrommel;

Integrationsbeauftragte Marzahn-Hellersdorf;

BZ 13.5.09; TS 27.6.09

 

13. August 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein 64 Jahre alter Flüchtling (wahrscheinlich aus dem Libanon) wird im Rahmen der Dublin-II-Verordnung aus dem Saarland nach Göteborg in Schweden zurückgeschoben. Aufgrund eines Schlaganfalls ist der Mann halbseitig gelähmt und wird direkt über die Flughafenklinik mit einem Spezialfahrzeug in einem Stuhl in das Flugzeug gebracht. Im Flugzeug wird er liegend transportiert.

    Der begleitende Arzt versichert der Abschiebebeobachtung, daß der Mann flugtauglich sei und daß mit den Behörden in Stockholm die Übernahme und Rehabilitationsmaßnahmen vereinbart seien.

    Den Abschiebebeobachterinnen gelingt es nicht, mit dem Patienten zu sprechen – und es scheint ihnen unklar, ob der Mann überhaupt versteht, was mit ihm geschieht.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

15. August 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die 38 Jahre alte L. M. wird am 5. Tag ihres Krankenhaus-Aufenthaltes von Beamten der Ausländerbehörde in Begleitung eines Arztes aus der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik Lippstadt (LWL) geholt. Die psychisch schwer kranke und unter Psychopharmaka stehende Frau wird dann einem Haftrichter des Amtsgerichts Warendorf vorgeführt, der ohne Kenntnis der aktuellen Herkunft der Kranken Sicherungshaft zwecks Abschiebung verordnet.

    Zeitgleich ist ein Mitarbeiter des Jugendamtes im Auftrag der Ausländerbehörde unterwegs, um die Kinder der Frau, den 8-jährigen Luigi, die 14-jährige Laura und den 15-jährigen Leonard, bis zur Abschiebung "in Obhut zu nehmen". Da der Jugendamtsbeamte dies im Anblick der psychischen Verfassung der Kinder ablehnt, beläßt er sie in der Wohnung, zumal sie zugesagt haben, daß sie "freiwillig" mitgehen würden, wenn die Mutter abgeschoben wird.

    Am nächsten Tag werden die Kinder um 5.00 Uhr zu Hause abgeholt und sehen ihre Mutter am Flughafen Düsseldorf wieder, die aus der Polizeihaft herangefahren wird. Um 11.00 Uhr untersagt das Oberverwaltungsgericht Münster die Abschiebung der Familie, nachdem sich die Richterin bei dem behandelnden Oberarzt der LWL-Klinik erkundigt hatte.

    Die Abschiebung wird abgebrochen, und Frau M. kann mit den Kindern wieder nach Hause. Noch am gleichen Tag wird sie zurück ins Krankenhaus gebracht, aus dem sie erst am 10. September entlassen werden kann.

    Einen Tag nach dem Abschiebeversuch bekommt Frau M. die Mitteilung des Sozialamtes, daß sie mit den Kindern in ein Flüchtlingsheim in Beckum umziehen soll. Erst nach Intervention des behandelnden Arztes kann erreicht werden, daß die Familie ab 10. Oktober eine kleine abgeschlossene Wohnung beziehen kann – allerdings in einer Obdachlosen-Unterkunft.

    Frau M. war 1994 mit ihrem damals 1-jährigen Sohn ihrem Ehemann in die BRD gefolgt, der bereits ab 1991 in Baden-Württemberg lebte und arbeitete. Mit einem Visum eingereist bekam die Familie dann größtenteils Duldungen. Als der Ausreisedruck der Behörden sich deutlich verstärkte und zudem im Kosovo Krieg herrschte, stellten sie Anträge auf Asyl. Dies hatte zur Folge, daß sie umgehend nach Warendorf in Nordrhein-Westfalen umverteilt wurden.

    Aufgrund des Ausreisedruckes der Behörde gingen sie im Jahre 2000 "freiwillig" in den Kosovo zurück  – kamen dann aber enttäuscht in den Jahren 2002 und 2004 zurück, weil es dort für sie unmöglich war, eine wirtschaftliche Existenz zu entwickeln. Zudem ging es Frau M., die seit Jahren an psychischen Problemen litt, zunehmend schlechter.

    Durch den Kosovo-Aufenthalt hatten sie die Bedingungen für Altfallregelungen verwirkt.

    Als am 5. Oktober 2006 Herr M. verhaftet wurde und in Abschiebehaft kam, brach Frau M. zusammen und kam ins Allgemeinkrankenhaus in Beckum. Dort wurde sie am Morgen des 12. Oktober von Beamten der Ausländerbehörde herausgeholt und zum Flughafen gebracht. Die Behörde wollte die Eheleute ohne ihre Kinder abschieben.

    Durch Intervention von UNHCR und UNMIK wurde die Einreise in den Kosovo von Frau M. abgelehnt – ihr Mann wurde allein ausgeflogen. Frau M. kam in das psychiatrische Krankenhaus St. Rochus nach Telgte.

    Durch die Abschiebung des Vaters und Ehemanns verlor die Familie ihre wirtschaftliche Existenz. Erstmalig in den Jahren ihres Aufenthaltes in der BRD mußte die Familie Sozialhilfe beantragen.

    Aufgrund der Umstände um die Abschiebung der Eltern erkrankte die damals 12-jährige Laura und befindet sich seither in kinderpsychiatrischer Behandlung.

    Ein weiterer für Mutter und Tochter traumatisierender Vorfall fand am 5. Juli 2007 statt. Die Ausländerbehörde hatte geplant, die Familie ohne Vorankündigung nachts zur Abschiebung aus der Wohnung zu holen. Sie brachen die Wohnungstür auf und verwüsteten die Wohnung, zerschlugen eine Scheibe. Zufälligerweise waren Frau M. und die Kinder in dieser Nacht bei Verwandten.

    Aufgrund dieses Ereignisses verschlechterte sich der psychische Gesundheitszustand von Frau M. dermaßen, daß sie am 10. Juli in die geschlossene Abteilung der psychiatrischen Klink Lippstadt (LWL) eingeliefert wurde. Bei der Tochter wurde sowohl von dem behandelnden Arzt als auch von der behandelnden Therapeutin eine Posttraumatische Belastungsstörung festgestellt – ausgelöst durch das Verhalten der Ausländerbehörde und die gewaltsame Trennung vom Vaters.

Werner Weigelt – Rechtsanwalt;

Bericht der Betroffenen;

LT NRW Plenarprotokoll 14/88

 

18. August 08

 

Potsdam. Am Montagabend gegen 22 Uhr wird ein 46-jähriger Vietnamese im Asylbewerberheim Lerchensteig von zwei vietnamesischen Bekannten mit schweren Kopfverletzungen aufgefunden. Am nächsten Tag stirbt er im Krankenhaus.

    Die Polizei hat keinen Verdacht auf ein Verbrechen, ordnet aber eine Obduktion an. Dabei werden ältere Kopfverletzungen und Blutgerinnsel festgestellt.

MAZ 20.8.08; PNN 21.8.08;

Henri Kramer – Journalist

 

23. August 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Der 29 Jahre alte Abschiebegefangene E.H. E-T aus Libyen sammelt auf der Etage Tabletten von Mitgefangenen zusammen, schluckt sie und legt sich ins Bett. Die Mitgefangenen verständigen die Wache, und der Libyer kommt ins Krankenhaus Hedwigshöhe.

    Hier berichtet er, daß er lieber sterben wolle, als weiterhin eingesperrt zu sein. Die Ärzte diagnostizieren bei dem offensichtlich psychisch kranken Mann, dessen Körper von unzähligen Narben (Schnitt- und Schußverletzungen) übersät ist, daß eine "Retraumatisierung durch Eingesperrtsein" vorliegt. Nach einer medikamentellen Ruhigstellung mit Psychopharmaka kommt er noch am gleichen Tag in die Abschiebehaft zurück und steht hier bis zum 1. September in einer Überwachungszelle "unter besonderer Beobachtung". Dann kommt er zurück auf seine Etage.

    Die Gefängnis-Psychologin überweist ihn abermals in den Überwachungstrakt, als er wieder deutlich verhaltensauffällig wird. Seit dem 17. September ist er erneut im Krankenhaus Hedwigshöhe in stationärer Behandlung. Obwohl er zwei Tage später offiziell aus der Abschiebehaft entlassen wird, wird er bis zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus weiterhin polizeilich bewacht.

    Der Mann war am 31. Juli in die BRD eingereist, und schon am Flughafen hatte die Bundespolizei ihn an die Ausländerbehörde verwiesen, wo er einen Asylantrag hätte stellen können. Dies tat er jedoch nicht, wurde acht Tage später von der Polizei nach einem Diebstahl festgenommen und ins Abschiebegefängnis gebracht. Da er im Besitz eines Visums von Großbritannien ist, sollte er dorthin zurückgeschoben werden.

    Noch dreimal wird der Libyer von der Polizei festgenommen und jeweils im Schnellverfahren abgeurteilt. Im Januar 2009 sitzt er wegen Diebstahls im Haftkrankenhaus Plötzensee. Der Rechtsanwalt hat gegen die gerichtliche Entscheidung Berufung eingelegt, weil der Libyer laut Gutachten vermindert schuldfähig ist.

Polizei Berlin 24.8.08;

BeZ 25.8.08; TS 25.8.08; Welt 25.8.08; ND 25.8.08;

Thomas Krautzig – Rechtsanwalt;

BT DS 17/10596; BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

25. August 08

 

In Baden-Württemberg wird die togoische Asylbewerberin C. K. aus der Abschiebehaft des Frauengefängnisses Schwäbisch Gmünd von Polizisten abgeholt und zur Abschiebung zum Flughafen Frankfurt am Main gebracht. Der Pilot der vorgesehenen Maschine verweigert jedoch ihre Mitnahme, weil sie sichtlich sehr krank ist.

    Daraufhin wird C. K. in die Haftanstalt zurückgebracht und am 2. Oktober 08 nach Togo abgeschoben, obwohl das Bundesamt genau für diesen Tag in Ulm eine Verhandlung über ihren Asylfolgeantrag angesetzt hatte.

Arbeitskreis Asyl Stuttgart Dezember 08;

Bericht von Freunden

 

9. September 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine Kamerunerin, die mit ihrem circa 1 ½- jährigen Sohn abgeschoben werden soll, klagt über starke Bauchschmerzen und Atemnot. Sie ist HIV-positiv, spricht kein Deutsch und hat kein Geld bei sich.

    Die Bundespolizei bringt die Frau mit ihrem Sohn in die Flughafenklinik, von wo aus sie zu weiteren Untersuchungen in die Frankfurter Universitätsklinik gebracht werden muß.

    Als die Untersuchungen abgeschlossen sind, wird die Frau aus dem Krankenhaus entlassen. Auch die Polizisten lassen die Frau mit ihrem Kleinkind dann ohne Aushändigung ihrer Papiere frei. Sie ist jetzt obdachlos.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

12. September 08

 

Bundesland Sachsen. In Oppach im Kreis Görlitz werden um kurz vor Mitternacht zwei Flaschen aus einem Personenwagen heraus auf das Flüchtlingsheim geworfen. Die Flaschen, in denen sich Benzin befindet, zerschellen an der Außenwand und verursachen ein Feuer – das dann selbständig erlischt. Die BewohnerInnen kommen mit dem Schrecken davon.

    Da ein rassistischer Grund für diesen Brandanschlag nicht auszuschließen ist, nehmen Kriminalpolizei und Staatsschutz die Ermittlungen auf.

    Elf Wochen nach der Tat hat die Polizei vier Tatverdächtige im Alter von 19 bis 26 Jahren ermittelt. Als Haupttäterin wird die einzige Frau der Gruppe festgestellt. Die vier Personen, die alle im Oppacher Umland wohnen, geben die Tat zu und begründen sie mit ihrer nationalistischen und rassistischen Gesinnung. Sie gestehen zudem, bereits einige Tage vor dem Brandanschlag ein Fenster im Heim eingeworfen zu haben.

    Anfang August 2010 verurteilt das Amtsgericht Bautzen die drei Männer zu Bewährungsstrafen in Höhe von zwei Jahren, einem Jahr und acht Monaten sowie einem Jahr und vier Monaten. Das Verfahren gegen die jetzt 27-jährige Frau wird von diesem Prozeß abgetrennt.

LR 15.9.08; SäZ 15.9.08; dpa 15.9.08;

indymedia 24.9.08; RAA Sachsen; SäZ 1.12.08;

FAKTuell 21.7.10; FAKTuell 3.8.10; FAKTuell 4.8.10

 

14. September 08

 

Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg. Zwei schwarze Männer aus Brasilien, die sich auf einer Parkbank miteinander unterhalten, werden von einem Deutschen brutal attackiert. Dem einen boxt er ins Gesicht, so daß dieser mit gespaltener Oberlippe zu Boden fällt – dem zweiten Brasilianer zerschlägt er eine Bierflasche auf dem Kopf. Die Angegriffenen laufen um ihr Leben, als sie bemerken, daß noch mehr Rassisten hinter ihnen her sind.

    Während sich der erste Verletzte im Krankenhaus behandeln läßt, kann derjenige, der die Bierflasche auf den Kopf bekam, weder ins Krankenhaus noch eine Anzeige erstatten,  weil er keinen gültigen Aufenthalt hat. Als er seinen Schock halbwegs verarbeitet hat, rasiert er sich seinen Kopf kahl, um mit dem Afro-Look nicht erneut zum Opfer zu werden.

El Patio 15.9.08

 

15. September 08

 

Berlin. Der Antrag der Eltern, in die Nähe ihres in einem Pflegeheim in Wurzen lebenden schwer behinderten Sohnes umziehen zu dürfen, wird von der Ausländerbehörde abgelehnt.

    Im Jahre 2006 waren der damals 67 Jahre alte Herr A. und seine 56-jährige Frau aus dem Kosovo gekommen, weil ihr Sohn nach einem Autounfall und nach langem Koma gelähmt und sprachbehindert in ein Pflegeheim kam. Als ihr Visum abgelaufen war, stellten sie einen Asylantrag, weil sie in der Nähe des 33-jährigen Sohnes und seiner drei kleinen Kinder bleiben wollten. Sie wurden nach Berlin verteilt und leben seither in einem Wohnheim – haben zwar die Erlaubnis von der Ausländerbehörde, ihren Sohn besuchen zu dürfen – können ihn aber nicht besuchen, weil sie die Fahrkosten von den 196 Euro Lebensunterhalt pro Person nicht bezahlen können und das Sozialamt nicht bereit ist, die Fahrkosten zu übernehmen.

    Am 29. Januar 2009 verurteilt das Sozialgericht das Sozialamt zur Kostenübernahme, da es sich um ein "regelmäßiges und grundlegendes Bedürfnis der Eltern" handele, auf welches auch § 6 AsylbLG zuträfe.

FFM – Eva Weber

 

24. September 08

 

Karlshöfen in der Gemeinde Gnarrenburg in Niedersachsen. Zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr morgens wird die Familie El Sharif / Bulut von lauten und bedrohlichen Geräuschen an der Wohnungstür geweckt. Die 42-jährige Hadra Bulut und ihre Kinder vermuten Einbrecher oder Rechtsextreme, die in dieser Gegend öfter in Wohnungen von AusländerInnen eingestiegen sind. Tatsächlich sind es Polizeibeamte, die ohne zu klingeln oder zu klopfen das Türschloß aufbohren. Da ein Riegel von innen vorgeschoben ist, wird zunächst der Türgriff abgesägt und dann mit einem Rammbock die Tür aufgebrochen. Dann stürmen Polizeibeamte in die Wohnung und fesseln Frau Bulut an Händen und Füßen. Weder Frau Bulut noch ihre Töchter Fatma (12), Zekie (14), Amira (17) und Muene (18) dürfen sich anziehen. Sie müssen in ihren Schlafanzügen und T-Shirts und barfuß das Haus verlassen. Nur der 13-jährige Mohammed, der gerade dabei war, eine Hose anzuziehen, als die Beamten hereinkamen, darf sich noch fertig anziehen. Die Mahalmi-Familie aus dem Libanon soll nach 13-jährigem Aufenthalt in der BRD in die Türkei abgeschoben werden. Dazu sind an diesem Morgen ca. 50 Beamte vor Ort nötig.

    Polizeibeamte packen Kleidung in Tüten. Geld oder Handy darf niemand mitnehmen – auch die Psychopharmaka, die Frau Bulut regelmäßig einnehmen muß, bleiben liegen. Als Frau Bulut hinausgeführt wird und verzweifelt ruft, bekommt sie ein Tuch vor den Mund gepreßt, so daß sie keine Luft bekommt – sie verliert das Bewußtsein für ca. eine Stunde. Sie kommt im Krankenwagen wieder zu sich, fühlt sich körperlich sehr schwach und muß beim Gehen gestützt werden. Frau Bulut ist schwer krank, leidet an Krebs, hohem Blutdruck und behandlungsbedürftigen Angst- und Panikattacken sowie Depressionen. Im Krankenwagen auf der Fahrt zum Flughafen Düsseldorf bleibt sie an Händen und Füßen gefesselt und bekommt irgendwann drei blutdrucksenkende Tabletten. Der Rest der Tabletten, den sie bei sich hat, wird ihr weggenommen. Erst am Flughafen und nach heftigem Protest darf sich Frau Bulut einen Rock über die Halbshorts überziehen, die sie zum Schlafen anhatte.

    Ihre Kinder werden getrennt von ihrer Mutter im Polizei-Transporter nach Düsseldorf gebracht. Zekie wird gedroht, daß sie eine Spritze bekäme, wenn sie nicht aufhören würde, zu weinen und zu schreien. Die jüngste Tochter, Fatma, ist dermaßen schockiert, daß sie erst im Flugzeug wieder ansprech-
bar ist.

    Am Flughafen angekommen werden sie nicht zu den anderen Flüchtlingen, die im Rahmen dieser Sammelabschiebung in der Wartehalle sind, gebracht, sondern noch ca. 2 Stunden auf dem Rollfeld in einem Polizei-Bus festgehalten. Telefonieren dürfen sie nicht. Später kommt Frau Bulut dazu – ihre Handgelenke sind entzündlich gerötet.

    Um 12.30 Uhr erhebt sich die Maschine in Richtung Türkei. In Istanbul angekommen stehen die Buluts weinend und hilflos in der Flughafenhalle, als sie von einer Familie aus Izmir angesprochen werden können, weil deren Sohn Deutsch spricht. Diese Familie nimmt Mutter und Kinder mit zu sich und beherbergt sie auch noch zwei Monate nach der Abschiebung provisorisch.

    Erst durch Unterstützung aus Gnarrenburg, wo von FreundInnen, MitschülerInnen, LehrerInnen und NachbarInnen eine Spendenaktion begonnen wurde, bekommt Frau Bulut – Wochen nach der Abschiebung – ihre Medikamente und Geld.

    Mit den Spenden mieten sie sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung, obwohl sie nicht wissen, wie sie hier leben sollen. Sie haben kein Geld, und sie sprechen kein Türkisch – ausschließlich Arabisch und Deutsch.

    Noch am Morgen der Abschiebung informieren NachbarInnen die zwei erwachsenen Kinder von Frau Bulut, die aufgrund eines gesicherten Aufenthaltes nicht abschiebebedroht sind. Der Sohn Ali fährt nach Karlshöfen und findet die Wohnung leer vor. Weder die Polizei noch die Ausländerbehörde erteilt ihm Auskunft darüber, was mit seiner Familie passiert ist.

    Wegen der drohenden Abschiebung der Familie hatten sich MitschülerInnen, LehrerInnen und die Schulleiter der Gnarrenburger Haupt- und Realschule an die niedersächsische Härtefallkommission gewandt. Dieser Antrag war wegen des Abschiebetermins nicht angenommen worden.

    Die Ablehnung eines Eilantrags des Rechtsanwalts der Familie wurde nicht ordnungsgemäß zugestellt und erreichte ihn deshalb zu spät. Auch ein weiterer Eilantrag, der sich auf die Rechte der Kinder (Schulbesuch, Rücksicht auf ihre Bindungen in Deutschland) bezog, war zum Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht entschieden. Die Kinder hätten deshalb nicht abgeschoben werden dürfen und infolgedessen die Mutter auch nicht. Später wurde der Eilantrag abgelehnt mit der Begründung, daß die Kinder schon abgeschoben seien.

    Bereits im Jahre 2002 hatte es einen Abschiebeversuch der Familie gegeben. Als Frau Bulut mit einem Messer in der

Hand in heller Panik drohte, sich zu töten, waren die Polizisten wieder abgezogen.

ZeZ 7.10.08; ZeZ 11.10.08; ZeZ 3.12.08;

FRat NieSa 11.12.08;

Hans-Werner Leinweber – Rechtsanwalt;
Ursula Trescher und UnterstützerInnen

 

28. September 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Am Sonntagabend um 22.00 Uhr klingelt die Polizei an der Wohnung der vietnamesischen Familie Luong in Ostfildern. Die Eheleute Huong und Dung Luong und ihre beiden Töchter Mai Lingh und Giang bekommen 30 Minuten Zeit, um die Sachen zu packen. Dann werden sie in einem vergitterten Polizeitransporter nach Berlin gebracht und am Flughafen in eine Abschiebezelle gesperrt.

    Die 6-jährige Mai Linh hat hohes Fieber, schweren Durchfall und hatte sich schon auf der Fahrt nach Berlin ständig übergeben. Ein Flughafenarzt untersucht das Mädchen und entscheidet, daß es nicht reisefähig ist. Die Abschiebung wird abgebrochen, die Familie wird erneut einige Stunden in eine Zelle gesperrt und um ca. 14.00 Uhr von der Polizei zum Berliner Hauptbahnhof gebracht. Gegen 21.00 Uhr kommen die Eltern mit den völlig erschöpften Kindern nach Ostfildern zurück.

    Die 14-jährige Giang leidet seit dem Abschiebeversuch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung und wird von einer Psychologin betreut.

    Dung Luong war Vertragsarbeiter in der DDR gewesen und wurde nach der politischen Wende straffällig. Seine Vorstrafe verhinderte positive Entscheidungen beim Petitionsausschuß und der Härtefallkommission, obwohl er jetzt seit zehn Jahren eine feste Arbeitsstelle hat.

StZ 24.12.09;

AK-INFO AK-Asyl BaWü Jan. 09

 

September 08

 

Bundesland Hessen. Ein 24 Jahre alter Kurde wird nach 12 Jahren Deutschland-Aufenthalt nach Syrien ausgeflogen.

    Aus der Ausweisungsverfügung, die die deutschen Beamten ihren syrischen Kollegen direkt übergeben, geht hervor, daß der Vater des Abgeschobenen sich in der BRD gegen den syrischen Staat politisch betätigt hat.

    Noch auf dem Flughafen Damaskus wird der Sohn festgenommen und verprügelt. Es folgen Verhöre unter systematischer Folter mit Schlägen ins Gesicht und auf die Fußsohlen und Gefangenschaft in überfüllten, ungelüfteten Zellen, unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und schlechtem Essen. Als der Mann nach über 20 Tagen entlassen wird, hat er 20 Kilogramm Körpergewicht verloren.

    Ihm gelingt erneut die Flucht außer Landes, und seit Juni 2010 ist er wieder in der BRD.

    Obwohl der Ausländerbehörde Wiesbaden bekannt ist, daß er nach der Abschiebung gefoltert wurde, bedarf es eines Eilverfahrens, um eine erneute Abschiebung zu verhindern.

    Am 13. Januar 11 stellt das Verwaltungsgericht Wiesbaden Abschiebungshindernisse in Form drohender Folter fest (§ 60 Abs. 2 AufenthG) und untersagt damit weitere Abschiebungsversuche.

    Bemerkenswert ist die Tatsache, daß der Syrer von der Behörde, die ihn direkt in die Hände seiner Folterer auslieferte und erneut ausliefern wollte, eine Zahlungsaufforderung in Höhe von 5347,81 Euro für die Kosten der Abschiebung bekommt.

Pro Asyl 26.5.11;

jW 31.5.11;

Pro Asyl

 

1. Oktober 08

 

Berlin. Der 29 Jahre alte Imam Ahmed Hemaya wird um 18 Uhr in der Wohnung seiner deutschen Frau von der Bundespolizei festgenommen und unverzüglich zum Flughafen Tempelhof gebracht. Am nächsten Morgen um 6.30 Uhr startet die Maschine Richtung Ägypten. Der islamische Geistliche ist während des Fluges von Italien bis Ägypten mit Handfesseln gebunden. In Kairo wird er von ägyptischer Polizei verhört und erst nach zwei Tagen wieder freigelassen.

    Der Grund für die Abschiebung ist die an die Ausländerbehörde weitergegebene Äußerung des Verfassungsschutzes, daß Ahmed Hemaya zum "Heiligen Krieg" und zum Abbruch aller Kontakte mit den Besatzungsmächten im Irak aufgerufen haben soll. Obwohl dies von ihm selbst bestritten wird und der Inhalt der in arabischer Sprache gehaltenen Predigt auf Übersetzungsgenauigkeit überprüft werden könnte, weigert sich die Ausländerbehörde, die Vorwürfe zu konkretisieren. Die Verpflichtung der Behörde durch das Berliner Verwaltungsgericht, die komplette Akte einschließlich der Beweismittel der Geheimdienste vorzulegen, wird durch die vollendete Abschiebung ad absurdum geführt.

    Die fehlende richterliche Anhörung vor dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg nach der Festnahme wird von Seiten der Behörde damit begründet, daß es bereits einen wirksamen Ausweisungsbeschluß vom 21. November 2006 gebe: Die Abschiebung sei damit "rechtmäßig".

ND 5.10.08;

Islamisches Nachrichtenfenster 5.10.08;

Hans-Eberhard Schultz – Rechtsanwalt;

Ehefrau des Betroffenen

 

3. Oktober 08

 

Fürstenwalde in Brandenburg. Auf einem Parkplatz in der Stadtmitte kommt es zwischen einem deutschen Mann auf der einen Seite und einem Flüchtling aus dem Kamerun sowie einem libanesischen Deutschen nach einer verbalen Auseinandersetzung zu einer Messerstecherei. Dabei wird der Kameruner niedergestochen und schwer verletzt –  sein 16-jähriger Begleiter erleidet leichte Schnittverletzungen an einer Hand.

    Staatsanwaltliche Ermittlungen werden gegen beide Parteien eingeleitet.

MOZ 4.10.08; TS 4.10.08; jW 4.10.08;

BM 6.10.08;  TS 6.10.08

 

6. Oktober 08

 

Bundesland Hessen. Im Bereich des Seckbachtunnels auf der Autobahn A 661 entdeckte ein Busfahrer um 22.20 Uhr bei einem Halt einen 17-jährigen "blinden Passagier" auf der Hinterachse seines Busses. Der Jugendliche ist völlig entkräftet, durchnäßt, durstig und hungrig – aber ansonsten unverletzt.

    Der junge Algerier ist nach eigenen Angaben seit acht Monaten unterwegs und über Griechenland nach Italien gekommen. In Venedig war er unter den Bus geklettert, der mit einer Frankfurter Schulklasse nach Frankfurt zurückfuhr.

    Der Jugendliche bittet um Asyl und wird ins hessische Erstaufnahmelager nach Gießen verwiesen. Wegen des Verdachts der illegalen Einreise bzw. wegen des Verstoßes gegen die Paßpflicht beginnt ein Ermittlungsverfahren gegen ihn.

    Der Busfahrer berichtet, daß zwei Schüler schon 70 Kilometer vor Mailand bei einer Rast auf einem Grillplatz zwei schwarze Männer unter dem zweiten Bus dieser Reisegruppe gesehen hätten, die dann weggerannt waren.

Polizei Frankfurt am Main 6.10.08

 

7. Oktober 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der 37 Jahre alte Rom Fahri Berisha wird nach sechs Wochen Abschiebehaft in Rottenburg und nach 17 Jahren Aufenthalt in der BRD in den Kosovo abgeschoben. Seine herzkranke Frau Skurta Abazi und die drei Kinder, die 15-jährige Brenda, der 8-jährige Brendi und der 2-jährige Ismail, bleiben in Baden-Baden zurück. Damit ist das eingetreten, was Fahri Berisha versucht hatte zu verhindern: die Familie ist getrennt.

    Um der Abschiebung zu entgehen, war die Familie im Februar nach Frankreich geflüchtet und hatte dort Asyl beantragt. Am 28. August 2008 wurden sie dort festgenommen und in die BRD zurückgebracht. Herr Berisha mußte in Haft bleiben.

    Im Laufe der Jahre war Herr Berisha wegen Verletzung der Residenzpflicht, Fahrens ohne Fahrerlaubnis und kleinerer Diebstähle straffällig geworden, wodurch die Familie die Kriterien der Bleiberechtsregelung nicht mehr erfüllte.

    Seine Frau und seine Kinder sind weiterhin akut von Abschiebung bedroht.

Badische Ztg 27.9.08;

SchwT 8.10.08;

Bündnis gegen Abschiebehaft Rottenburg;

Schattenbericht Abschiebehaft 2010

 

9. Oktober 08

 

Regensburg im Bundesland Bayern. Gegen 3.40 Uhr schlagen in der Pfarrergasse drei Männer und eine Frau auf einen 26-jährigen iranischen Flüchtling ein. Zwei Männer, die zufällig vorbeikommen, wollen dem Iraner helfen. Daraufhin gehen zwei der Schläger auf einen der Helfer los, einen 43-jährigen Mann aus dem Landkreis Regensburg. Mit Händen und Füßen schlagen bzw. treten sie auf den Mann ein, bis dieser schließlich zu Boden fällt. Auch jetzt noch treten die beiden mit den Füßen weiterhin auf ihn ein.

    Noch bevor die Polizei eintrifft, entfernen sich die Täter. Im Rahmen der sofort eingeleiteten Fahndung können zwei von ihnen, ein 27-jähriger Deutscher sowie ein 24-jähriger Rumäne, noch in Tatortnähe vorläufig festgenommen werden. Ein Mann sowie die Frau sind flüchtig.

    Der Helfer wird aufgrund seiner schweren Verletzungen zur stationären Behandlung in ein Regensburger Krankenhaus gebracht. Der Iraner ist nur leicht verletzt.

    Die Ermittlungen der Regensburger Staatsanwaltschaft sind auch Anfang 2009 noch nicht abgeschlossen.

Polizei Regensburg 9.10.08; Kanal 8 9.10.08;

MbZ 10.10.08;

Polizei Regensburg 28.1.09

 

11. Oktober 08

 

Bundesland Niedersachsen. Bei einer polizeilichen Kontrolle der Autobahnwache auf dem Rastplatz Harburger Berge an der Autobahn A 7 entdecken die Beamten auf der Ladefläche eines fensterlosen Ford Transit elf Männer in schlechtem gesundheitlichen Zustand. Sie sind irakische Flüchtlinge, zwischen 15 und 32 Jahre alt und offensichtlich auf dem Weg nach Skandinavien. Im Führerhaus befinden sich neben dem deutschen Fahrer eine 18- und eine 38-jährige Frau – beide aus Bagdad und als Asylbewerberinnen in der BRD registriert.

    Das Fahrzeug wird mit den Flüchtlingen zur Autobahnwache Thieshope gebracht, und als die Personen den Wagen verlassen, bricht ein Mann zusammen, muß in die Wache getragen und notärztlich versorgt werden.

    Die Flüchtlinge werden zunächst mit privaten Lebensmitteln und Getränken der Beamten versorgt und anschließend alle festgenommen.

Polizei Harburg 11.10.08

 

12. Oktober 08

 

Bundesland Brandenburg. Im Stadtgebiet der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben wird am Ufer der Neiße ein teilweise skelettierter Leichnam aufgefunden.

BT DS 16/11688

 

14. Oktober 08

 

Bundesland Bayern. Bei einer Verkehrskontrolle in der Nähe von Feucht wird ein Auto gestoppt, in dem sich zwei jugendliche Flüchtlinge befinden, die keine Papier bei sich haben. Es sind der 14-jährige Khalid Khan und der 16-jährige Afzal Gul aus Afghanistan.

    Weil festgestellt wird, daß die beiden sich vorher in Lettland aufgehalten haben, entscheidet das Amtsgericht Hersbruck, daß sie in Rückschiebehaft genommen werden.

    In Haft wirken die Jugendlichen sehr ängstlich und verspannt, Khalid Khan weint und zittert, wie eine ehrenamtliche Betreuerin berichtet. Die beiden sind verzweifelt bei dem Gedanken, daß sie nach Afghanistan zurückgeschoben werden könnten.

    Am 7. November findet eine Verhandlung im Landgericht statt, während der der verhandelnde Richter zwar bedauert, daß die Jugendlichen in Haft sind, andererseits aber eine Entlassung ablehnt, weil der Flug nach Lettland bereits gebucht ist.

    Obwohl Khalid Khan an diesem Tag unter Vormundschaft gestellt wird, werden die beiden am 10. November nach München gebracht – denn für den 12. November ist der Flug nach Lettland gebucht.

    Am 11. November storniert das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Rückschiebung und läßt ein Asylverfahren in der BRD zu.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2008

 

14. Oktober 08

 

Bundesland Sachsen. In der JVA Bautzen erhängt sich der 40 Jahre alte D.V.Q. aus Vietnam. Er befand sich in Abschiebehaft.

    Bei einer Razzia im Flüchtlingswohnheim Großharthau hatten Polizeibeamte einige Tage zuvor den Vietnamesen festgenommen, weil er keine gültigen Aufenthaltspapiere vorlegen konnte. Seine Angst vor Abschiebung und seine psychisch labile Verfassung waren so offensichtlich, daß die Gefängnisleitung eine "Suizidprophylaxe" schon am Tage seiner Aufnahme angeordnet hatte. Er wurde deshalb in einer Gemeinschaftszelle zusammen mit anderen Abschiebegefangenen untergebracht. Nach dem Aufschluß ging der Mann in die Toilette neben den Aufenthaltsräumen und strangulierte sich.

CMP 8.11.08; FAKTuell 9.11.08;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/7466

 

15. Oktober 08

 

In der Hamburger JVA Fuhlsbüttel trinkt der 36 Jahre alte Abschiebegefangene R.S. aus Albanien Spülmittel.

    Zwei Tage später versucht er sich mit einem in Streifen gerissenen Geschirrhandtuch am Fenstergitter zu erhängen.

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

20. Oktober 08

 

Bundesland Niedersachsen. Der 26 Jahre alte Asylbewerber Mohsen Shams aus dem Iran wird in seiner oldenburgischen Flüchtlingsunterkunft um 2.00 Uhr durch lautes Klopfen an der Tür geweckt. Polizei und ein Arzt stürmen in das Zimmer. Er werde nach Griechenland zurückgeschickt, wird ihm mitgeteilt, der Flieger würde um 7.00 Uhr starten. Im Polizeitransporter gelingt es dem Festgenommenen, eine zuvor versteckte Teppichmesserklinge aus seinem Handy zu nehmen. Damit schneidet er sich die Pulsadern auf.

    Die Abschiebung wird abgebrochen, er kommt ins Krankenhaus – danach in Rückschiebehaft.

    Am 27. Oktober wird er entsprechend dem Dublin-II-Abkommen nach Athen ausgeflogen.

    Schon auf dem Flughafen Athen wird er festgenommen und eingesperrt. Die hygienischen Bedingungen in der Haft sind katastrophal, Essen gibt es nur einmal täglich, und seine Armverletzung, die ihm Probleme bereitet, wird von keinem Arzt untersucht. Nachdem er zu seinen Fluchtgründen gefragt wird und ein Papier in griechischer Sprache unterschreibt, wird er mit fünf Euro Kapital, der Adresse vom griechischen Flüchtlingsrat und einem Aufenthaltsrecht von sechs Monaten am 30. Oktober freigelassen. Fortan ist er mittel- und obdachlos.

    Mohsen Shams hatte in der iranischen Stadt Karaj als Buchhändler gearbeitet. Als bei ihm während einer Hausdurchsuchung islamkritische und somit verbotene Bücher gefunden wurden, blieb ihm nur noch die Flucht ins Ausland, um sein Leben zu retten. Er lieh sich Geld bei seinen Verwandten und kam über die Türkei, Griechenland und Italien und erst nach mehrmaligen Versuchen am 5. Februar 08 in die BRD.

    Auch nach seiner Rückschiebung nach Griechenland gelingt es ihm trotz aller Schwierigkeiten, wieder nach Oldenburg zurückzukommen. Seine Anwältin stellt hier in seinem Auftrag einen Asylfolgeantrag.

FR 30.10.09;

Susanne Schröder - Rechtsanwältin

 

23. Oktober 08

 

Vlotho in Niedersachsen. Am späten Abend ist der 23-jährige Mesfun Teskie aus Eritrea auf dem Weg zu seiner Flüchtlingsunterkunft am Jägerort. Auf Höhe des Schulzentrums – auf einem einsamen und unbeleuchteten Weg – wird er von vier deutschen Männern rassistisch angepöbelt. "Hey! Du Neger!" brüllen sie und versetzen ihm Schläge. Auch als er nach einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden stürzt, schlagen sie weiter auf ihn ein.

    Mesfun Teskie schreit um Hilfe, und erst als Menschen hinzukommen, lassen die Täter von ihm ab, laufen zu einem kastenförmigen PKW mit Mindener Kennzeichen und verschwinden.

Vlothoer Anzeiger 23.20.08

 

23. Oktober 08

 

In der ostbayerischen Ortschaft Bogen bricht ein Feuer im Flüchtlingsheim aus. Gegen 21 Uhr brennt es im Treppenhaus, und als die Feuerwehr eintrifft, waren die Bewohner mit ihren Löscharbeiten erfolgreich. Ein Bewohner hat sich Schnittverletzungen zugezogen, ein anderer erleidet einen Schock.

    Es stellt sich schnell heraus, daß der Brand selbst gelegt wurde. Tatverdächtig sind ein 34-jähriger Nigerianer und ein 20-jähriger Mann aus Sierra Leone, die beide im Heim leben. Sie sollen das Feuer aus Protest gegen ihre drohende Abschiebung gelegt haben. Der Nigerianer wird am 21. November festgenommen und kommt in die JVA Regensburg in Abschiebehaft, die Verhaftung des 20-Jährigen erfolgt am 27. November.

UnserRadio – online 24.10.08;

dpa 8.12.08

 

24. Oktober 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Der Türke Mehmet Cömüt wird auf der Autobahn nahe Freiburg von der Polizei verhaftet und kommt aufgrund eines Auslieferungsbegehrens der Türkei in Auslieferungshaft in die JVA Freiburg.

    Mehmet Cömüt war im Jahre 2000 vom türkischen Staatssicherheitsgericht wegen Angehörigkeit zur maoistischen

TKP/ML und der TIKO zum Tode verurteilt worden. Nach der Revision und aufgrund der Intervention der EU war dieses Urteil in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt worden. Als am 19. Dezember das türkische Militär in 20 Gefängnissen Massaker verübte, beteiligte er sich an dem daraus folgenden Protest-Todesfasten der Gefangenen. Nach über 200 Tagen wurde er aus gesundheitlichen Gründen (Wernicke-Korsakoff-Syndrom) vorübergehend für sechs Monate entlassen, weil die Türkei sich nicht weiter Tote infolge des Protestfastens "leisten" wollte.

    Mehmet Cömüt floh nach Frankreich, stellte einen Asylantrag, erhielt eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis und Abschiebeschutz in die Türkei.

    Am 24. November erfolgt aufgrund der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe seine Entlassung aus der Untersuchungshaft mit der Begründung, daß an den Staatssicherheitsgerichten Militärrichter mitwirkten, was laut EU-Menschenrechtskonvention nicht einem rechtsstaatlichen Verfahren entspräche.

    Entgegen anderen Gefangenen, die sich unrechtmäßig in Haft befanden, steht den Menschen, die sich in Auslieferungshaft befanden, keinerlei Haftentschädigung zu, weil die BRD in diesen Fällen im Rahmen der Amtshilfe für die Türkei gehandelt hat und sich für die Gefangenen nicht zuständig sieht.

ATİK 1.11.08; ATIK 3.11.08;

 jW 8.11.08; UPOTUDOK 10.11.08;

AZADI infodienst Nr.72 November 2008;

Radio Dreyecksland 1.12.08

 

25. Oktober 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Im Keller des Flüchtlingsheims Witthoh bei Tuttlingen brennt gegen 19.40 Uhr ein Feuermelder im Keller, wodurch eine starke Rauchentwicklung entsteht. Zwei Bewohnern gelingt es noch vor Eintreffen der Feuerwehr, den Brand zu löschen. Alle 60 BewohnerInnen kommen unverletzt ins Freie.

    Aufgrund der starken Rauchentwicklung muß das Gebäude evakuiert und durchlüftet werden. Die Feuerwehr stellt Brandstiftung durch unbekannte Täter fest.

Feuerwehr Dürnau 25.20.08;

Feuerwehr Immendingen 25.10.08;

DRK Tuttlingen 25.10.08

 

27. Oktober 08

 

Landkreis Gießen in Hessen. Um 4.00 Uhr morgens nimmt die Polizei in der ihnen zugewiesenen Asylunterkunft die syrischen Christen Namir Komo (30 Jahre) und seine Frau Susan Batty (25 Jahre) mit ihren kleinen Töchtern, der 1½-jährigen Danita und der erst sechs Wochen alten Natalie, fest. Den völlig überraschten Flüchtlingen, die sich erst seit Januar in der BRD befinden, wird noch erlaubt, in kürzester Zeit einige Sachen zu packen. Dann werden sie zum Flughafen nach Frankfurt gebracht und in eine Maschine nach Athen gesetzt, weil sie ursprünglich über Griechenland in die BRD eingereist waren (Dublin-II-Verfahren).

    Unmittelbar nach der Ankunft kommen sie in Haft. In der Zelle befinden sich 40 Personen – darunter 18 Kinder. Für das einen Monat alte Baby und das ein Jahr alte Kleinkind gibt es weder Windeln, Milch, Nahrung noch warmes Wasser. Alles ist verdreckt, die Toiletten quellen über, die Waschbecken sind verstopft. Der Vater der Kinder bekommt einen Liter Milch für 28 Euro von den Bewachern.

    Als die Familie nach vier Tagen frei kommt, steht sie erst einmal auf der Straße. Nur weil die Eheleute zur Taufe ihres Kindes von ihrem Bruder bzw. Schwager Geld geschenkt bekamen, können sie sich zunächst den Aufenthalt für 900 Euro in einem Hotel leisten.

    Dann versucht Namir Komo, die Rückkehr nach Deutschland zu erreichen. Durch die Intervention vom bayerischen Flüchtlingsrat, Pro Asyl und dem Roten Kreuz stellt sich heraus daß die Abschiebung auf einem behördlichen Irrtum beruhte, so daß die Familie in die BRD zurückkommen kann. Am 12. November reist die Familie wieder ein.

    Seit dem 17. November sind die Komos als Flüchtlinge mit folgender Begründung anerkannt: "Auf Grund des von ihnen geschilderten Sachverhaltes und der hier vorliegenden Erkenntnisse ist davon auszugehen, daß die Ausländer im Fall einer Rückkehr in den Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen i.S. von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt sein würden."

    Fünf Wochen früher hatte das Bundesamt noch auf der Ausreise der Familie bestanden und seinen Bescheid so spät geschickt, daß Komos Anwältin nicht mehr einschreiten konnte. Nun notiert der verantwortliche Beamte in einem Schriftstück: "Für die Überstellung der Familie Komo nach Griechenland bitte ich um Entschuldigung."

    Trotzdem bleibt Susan Batty jede Nacht bis 5.00 Uhr wach, weil sie eine neue Abschiebung fürchtet.

SZ 27.11.08; Roland Preuss – Journalist;

Angelika Lex – Rechtsanwältin; jW 21.11.09

 

28. Oktober 08

 

Bundesland Sachsen. Auf das Flüchtlingsheim der Kleinstadt Eilenburg wird ein Brandanschlag verübt. Vier Molotow-Cocktails zerschlagen auf dem Parkplatz vor dem Haus. Menschen werden nicht verletzt.

    Die Sonderkommission Rex (Soko Rex) ermittelt Mitte Dezember fünf Tatverdächtige im Alter von 17 bis 21 Jahren. Diese geben als Tatmotiv ihre rassistische Gesinnung an. Sie geben zu, daß sie nach einem Alkoholgelage die Brandsätze auf die Autos geworfen haben.

    Vier von ihnen sind mehrmals polizeilich in Erscheinung getreten. Der 21-jährige Haupttäter ist laut Staatsanwaltschaft bereits massiv vorbestraft und steht wegen Körperverletzung derzeit unter Bewährung. Er wird trotzdem nicht in Untersuchungshaft genommen, weil eine Flucht- und Verdunklungsgefahr nicht bestehe.

SäZ 30.10.08;afp 18.12.08;

ddp 18.12.08; dpa 18.12.08;ddp 19.12.08

 

30. Oktober 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Vor dem Amtsgericht Duisburg erkennt der 47-jährige Lars M. die Vaterschaft zu seiner inzwischen 4-jährigen Tochter Divine L. an.

    Dies geschieht nach zweieinhalb Jahren Verfahrensdauer eines Vaterschaftsprozesses und nachdem die Geschichte an die Öffentlichkeit gelang ist.

    Lars M., ein CDU-Kommunalpolitiker aus Hamburg-Altona und im Dienst beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), dazu Oberstleutnant der Reserve a. D., Personalratsvorsitzender in seiner Behörde und ehrenamtlicher Richter am Hamburgischen Oberverwaltungsgericht, hatte lange Zeit versucht, die Mutter seines Kindes, die 34-jährige Asylbewerberin Rachel L. aus der Demokratischen Republik Kongo zu diskreditieren. Bezeichnend ist ein Schreiben von ihm an das Gericht vom 23. März 2005, in dem er unter anderem formuliert: "Ersichtlich will sie (Rachel L; ARI) mit dem vorliegenden Verfahren den Beklagten zur Anerkennung einer 'Scheinvaterschaft' nötigen, um sich selbst einen dauerhaft subventionierten Aufenthalt im Bundesgebiet zu verschaffen." Dann zitiert er aus der Asylverfahrensakte und Prozeßunterlagen aus dem Verwaltungsgerichtsurteil, jeweils mit den passenden Aktenzeichen. Dieses kann dem Beamten nur bekannt sein, wenn er verbotswidrig Einsicht in die Asylakte genommen hat. Zudem legte er dem Richter nahe, Rachel L. mit ihrer – und seiner – Tochter abzuschieben.

    Auch ein DNA-Gutachten, auf das er sich nur nach einem Beschluß des Düsseldorfer Oberlandesgerichts einließ und das die Vaterschaft mit einem Wahrscheinlichkeiteswert von W 99,99999% belegt, focht er an und unterstellte, daß die Blutprobe verwechselt sei.

    Als das Düsseldorfer Oberlandesgericht Ende 2007 zu der Einschätzung kommt, Lars M. habe durch "Auswertung verwaltungsinterner Akten für private Zwecke" mit "unlauteren Mitteln" agiert, leitet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) disziplinarische Ermittlungen gegen ihn ein.

    Ergebnis der jahrelangen Verweigerung des Beamten, sein Kind anzuerkennen, sind die Lebensumstände von Mutter und Kind über Jahre. Sie leben in einem Flüchtlingsheim in Duisburg, an dessen Wänden der Schimmel blüht und die Toiletten völlig verdreckt sind. Divine leidet unter immer wiederkehrenden Atemwegsinfektionen, so daß der Kinderarzt einen Umzug empfahl. Zudem hätten die beiden längst einen sicheren Aufenthalt und bei Unterhaltszahlungen eine deutlich bessere Lebenssituation.

Spiegel 6.10.08; Welt 6.10.08;

HA 6.10.08; taz 8.10.08;

Michael Kosthorst – Rechtsanwalt

 

3. November 08

 

Im thüringischen Rockensußra wird um 21.45 Uhr die Feuerwehr zum Flüchtlingsheim am Sportplatz gerufen. Als die Rettungskräfte eintreffen, haben die BewohnerInnen das Feuer mit Wasser fast gelöscht. Ein Zimmer einer Wohnung im Dachgeschoß ist völlig ausgebrannt. Die sechs BewohnerInnen kommen in einer anderen Wohnung des Heimes unter.

    Nach Ermittlungen der Polizei wird fahrlässige Brandstiftung als Brandursache angenommen.

TA 4.11.08;

Kyffhäuser Nachrichten 5.11.08

 

3. November 08

 

Bundesland Sachsen. In der Dresdener Prager Straße wird ein 21 Jahre alter algerischer Flüchtling von einem Unbekannten zunächst verbal attackiert und dann mit der Faust geschlagen. Kurze Zeit später treffen sich Täter und Opfer am Postplatz erneut. Auch jetzt schlägt der Unbekannte auf den Flüchtling ein. Dann flüchtet er.

Polizei Dresden 3.11.08;

Polizei Dresden 18.1.09

 

4. November 08

 

Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz. Morgens um 5.00 Uhr erscheinen im Flüchtlingsheim am Rappenweg ca. 30 Polizisten und städtische Mitarbeiter, um die 42 Jahre alte Dulsa Berisha und ihre fünf Kinder zur Abschiebung abzuholen. Die 14-jährige Berlinda und ihre Brüder, der 17-jährige Mirson und der 16-jährige Edison, sind in Ludwigshafen geboren und aufgewachsen. Ihr ältester Bruder Milaim (21), der Vater von zwei Kindern seiner kurpfälzischen Freundin ist, wird ebenfalls mitgenommen. Alle vier Jugendliche werden in Handschellen abgeführt. Nur die 18-jährige Mary, die die Nacht bei Bekannten verbringt, bleibt in dieser Nacht verschont. Um 11.30 Uhr erreichen die Polizeiautos den Flughafen Baden-Baden, von dem aus die Familie nach Prishtina ausgeflogen wird.

    Dulsa Berisha war vor 17 Jahren mit zwei kleinen Kindern in die BRD geflohen. Sie ist ursprünglich aus Montenegro, ihr Ex-Mann, der von ihr getrennt in Mannheim lebt, ist im Kosovo aufgewachsen. Sie gehören der Volksgruppe der Ashkali an. Frau Berisha ist sehr krank. Sie leidet heute an Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Gastritis, Bluthochdruck und an einer Schilddrüsen-Entzündung. Besonders schwerwiegend sind ein Ventrikel-Septum-Defekt (Loch in der Scheidewand zwischen den beiden Herz-Hälften) und eine chronische Ansammlung von Flüssigkeit im Herzbeutel. Dieser Herzfehler sollte "mittelfristig dringend im nächsten halben Jahr" mit einer Operation behoben werden, wie die kardiologische Klinik in Ludwigshafen schrieb.

    Nach der Abschiebung ist die Familie völlig auf sich gestellt. Sie haben weder Gepäck noch die lebenswichtigen Medikamente. Ein Polizist hatte Frau Berisha die Präparate zuvor abgenommen und nicht zurückgegeben. Mit den einzigen 100 Euro, die sie bei sich haben, fahren sie per Taxi nach Peje in der Hoffnung, dort Hilfe zu finden. Verwandte haben sie im Kosovo nicht. Die erste Nacht verbringen sie bei einer fremden Familie. Auch in den folgenden Nächten werden sie von ihnen unbekannten Menschen aufgenommen, schlafen auf dem blanken Fußboden. Die Kinder können sich nur schwer verständigen, weil sie nur wenig Albanisch sprechen.

    Auch vier Wochen nach der Abschiebung ihrer Mutter und Geschwister gilt die 18-jährige Tochter immer noch als verschollen.

    Am 24. Juni 09 wird Frau Berisha in das Regionalkrankenhaus Peje eingeliefert und hier aufgrund einer akuten Herzleistungsschwäche notbehandelt und notdürftig stabilisiert. Auch wenn Frau Berisha das Geld für eine Herz-Operation zusammenbringen würde, so könnte die dringend anstehende Herz-Operation im Kosovo nicht durchgeführt werden, weil hier schlichtweg die Kapazitäten fehlen.

    Nach Aussagen des behandelnden Kardiologen in Peje besteht für Frau Berisha Lebensgefahr.

    Im September 2009 lebt die Familie in einem Haus von Bekannten. Es ist nur sehr notdürftig eingerichtet, Strom gibt es nur selten und Wasser nur sporadisch, so daß das Regenwasser in Vorratsbehältern aufgefangen werden muß. Dünne Matratzen auf dem Boden dienen als Schlafgelegenheit.

Die Rheinpfalz 5.11.08; Rheinlandpfalz 8.11.08;

Rheinlandpfalz 11.11.08; Rheinlandpfalz 12.11.08;

Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim 12.11.08;

Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim 19.11.08;

Initiative für die Rückkehr der Familie Berisha 5.1.09;

Kosovo Oktober 2009

 

13. November 08

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Der Abgeschiebegefangene J. L. versucht sich zu erhängen. Er kommt anschließend in das Justizvollzugskrankenhaus.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

15. November 08

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In einem Zugabteil im Bahnhof von Halle wird ein algerischer Flüchtling von drei deutschen Männern beleidigt und zusammengeschlagen. Ihm wird eine Flasche auf den Kopf geschlagen und sein Gesicht mit Fäusten traktiert. Mit einem Nasenbeinbruch, Prellungen und Blutergüssen am Kopf muß er im Krankenhaus behandelt werden.

    Die Täter im Alter von 23 bis 29 Jahren werden festgenommen. Die Polizei vermutet einen rassistischen Hintergrund.

MDZ 27.11.08;

Polizei Halle

 

24. November 08

 

Berlin. Das evangelische Königin-Elisabeth-Krankenhaus weist den schwerkranken Herrn T. mit der Begründung ab, "solange kein Okay von der Kostenstelle vorliegt, bekommt Herr T. hier keine Dialyse mehr".

    Herr T., der aus Osteuropa stammt und sich ohne Papiere in Berlin aufhält, war zuvor mehrere Tage wegen Nierenversagens im Endstadium behandelt worden. Seine Entlassung erfolgte mit der Maßgabe, daß er dreimal wöchentlich eine Dialyse machen müsse. Allerdings geschah dies, ohne daß das Krankenhaus zum Sozialamt Kontakt aufnahm, das zur Kostenübernahme verpflichtet ist, noch wurde der Patient über weitere sozialrechtliche Möglichkeiten beraten.

    Erst durch die Unterstützung des Büros für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin gelang es, einen Antrag auf Duldung zu stellen. Die Aushändigung der Duldung sollte allerdings zwei Wochen dauern, und die Behörde verweigerte zudem eine schriftliche Bestätigung über den laufenden Antrag. Ohne diese Bestätigung verweigerte das Königin-Elisabeth-Krankenhaus weiterhin die überlebensnotwendige Dialyse.

    Es bedurfte massiver Interventionen einer Mitarbeiterin des Büros für medizinische Flüchtlingshilfe, die wiederholt auf die Lebensgefahr des Patienten hinwies, bis die Behörde die Duldung ausstellte. Gleichzeitig wurde Herr T. jedoch im Rahmen des Verteilungsverfahrens zwischen den Bundesländern nach Bayern in die Zentralaufnahmestelle für Asylbewerber Zirndorf verwiesen. Dort erfolgt endlich seine medizinische Behandlung.

Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin;

ND 23.12.08; jW 30.12.08

 

27. November 08

 

Bundesland Brandenburg. Als der Flüchtling S. aus Bosnien auf der Ausländerbehörde Oranienburg am Vormittag seine Duldung verlängern lassen will, wird ihm dies verweigert mit der Aussage, daß er keine Papiere bekäme. Er sei sowieso ein Lügner und Betrüger, er sei obdachlos, und er werde abgeschoben. Das arrogante und hämische Verhalten der Beamten treibt den kriegstraumatisierten Flüchtling zu der Äußerung, daß er sich umbringen wird. "Tu das, aber bitte nicht hier", ist einer der Sätze, an die sich der Mann später noch erinnert. Besonders verzweifelt reagiert er auf das Einbehalten seiner Krankenkarte, weil er auf die ständige Medikamenteneinnahme angewiesen ist. Die Beamten fordern ihn mehrmals auf, den Raum zu verlassen. Völlig fassungslos und kopflos rennt S. zum Ausgang des Amtes, und auch bei den Frauen an der Rezeption äußert er seine Suizidabsichten.

    Dann kauft er sich einen Kanister Benzin, geht zurück zum Parkplatz an der Ausländerbehörde und übergießt sich mit der brennbaren Flüssigkeit. In seiner Panik ruft er einen Freund an, der ihn mit dem Satz: "Warte, ich komme sofort!" zunächst hindern kann, sich sofort anzuzünden. Als der Bekannte eintrifft, sieht er S. mit einem Feuerzeug in der Hand. Die beiden Männer umarmen sich, und als S. einen Polizeibeamten auf sich zukommen sieht, stößt er seinen Bekannten weg. Dann bemerkt er, daß noch mehr Uniformierte in der Nähe sind und läuft weg. In Höhe der Breite Straße treffen ihn Gummigeschosse in den Rücken und in die Beine – doch er läuft weiter. An der nächsten Bushaltestelle bleibt er erschöpft stehen und wird schließlich mit einem Krankenwagen abtransportiert.

Aussage des Betroffenen;

FRat Brbg

 

November 08

 

Justizvollzugsanstalt Suhl-Goldlauter in Thüringen. Der Flüchtling Sultan S. versucht, sich in Abschiebehaft umzubringen. Er kommt ins Krankenhaus, und nach ca. zwei Wochen versucht er, sich dort mit Tabletten zu vergiften.

    Als Rom aus dem Kosovo waren Sultan S. und seine Frau den Repressionen sowohl der serbischen Milizen als auch der UCK-Angehörigen ausgesetzt. Seine Frau wurde vergewaltigt, kam danach schwerkrank und im Koma liegend ins Krankenhaus. Im Jahre 1999 wurde Sultan S. nach einem Lebensmittel-Diebstahl zu einer 18-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Sechs Monate später gelang ihm die Flucht, und er ging mit seiner Frau in die BRD. Sie stellten unter anderer Identität einen Asylantrag.

    Durch ein Auslieferungsbegehren von Serbien wurde die Identitätstäuschung aufgedeckt, und Sultan S. kam am 13. Juli 2008 in Auslieferungs- / Abschiebehaft nach Suhl.

    Seine Frau ist seit der Verhaftung ihres Mannes mit den drei kleinen Kindern völlig überfordert. Sie lebt im Flüchtlingslager Gehlberg, einem Heim, in dem aufgrund der üblen Lebensbedingungen Aggressivität, Apathie und Depression unter den Menschen vorherrschen.

    Am 30. Januar 09 wird Sultan S. ohne seine Familie nach Belgrad abgeschoben. Dort wird er umgehend festgenommen und kommt in Haft.

Karawane; The VOICE

 

2. Dezember 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein tschetschenisches Ehepaar soll mit einem 2-jährigen und einem 4-jährigen Kind aus Baden-Württemberg nach Moskau abgeschoben werden.

    Obwohl der Mann von Beginn der Abschiebung an auf seine unerträglichen Rückenschmerzen hingewiesen hatte, wurde er ins Polizeifahrzeug gesetzt und mußte die zweistündige Autofahrt zum Flughafen ertragen.

    Erst auf dem Flughafen findet er Gehör, und als er seinen Pullover hochzieht, wird eine ca. 30 cm lange frische Narbe sichtbar. Er erklärt, daß er am 11. November an der Wirbelsäule operiert wurde und daß er am 8. Dezember zu Kontroll-Untersuchungen wieder ins Krankenhaus müsse. Dort solle der Sitz der sich in seinem Körper befindlichen drei Schrauben nachkontrolliert werden. Eine von der Bundespolizei gerufene Physiotherapeutin bestätigt das Geschilderte, und die Abschiebung wird abgebrochen.

    Die zuständige Ausländerbehörde gibt dazu an, daß sie von einer Operation keinerlei Kenntnis habe.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

8. Dezember 08

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein 27 Jahre alter libanesischer Flüchtling soll im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens nach Athen abgeschoben werden. Er hat seit drei Wochen einen Knochenbruch am Fuß, der sich in Gips befindet. Der Mann kann sich auch mit Krücken nur schwer fortbewegen.

    Die Abschiebebeobachtung kontaktiert die Ausländerbehörde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – doch beide Behörden sehen kein Abschiebehindernis in der Gehbehinderung des Mannes.

    Da der Mann sich bereits einmal erfolgreich gegen die Abschiebung gewehrt hat, wird er jetzt in Begleitung von drei Bundespolizisten abgeschoben.

    Ob der Kranke in Griechenland eine Folgebehandlung erhält, ist angesichts der Berichte von Rückgeschobenen, die Obdachlosigkeit erleben und keinerlei Unterstützung bekommen, fraglich.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2009

 

11. Dezember 08

 

Bundesland Baden-Württemberg. Im Industriegebiet von Satteldorf bei Crailsheim entdecken Beamte der Bundespolizei gegen 7.30 Uhr 47 Menschen auf der Ladefläche eines mit Kartonagen vollgestopften Lasters. Es handelt sich hauptsächlich um junge Männer; aber auch einige Frauen und kleine Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren sind dabei. Sie kommen aus Osteuropa und sind wahrscheinlich durch Tschechien und über die A6 bis nach Satteldorf gelangt, wo sie zur Weiterfahrt in Autos umsteigen sollten.

    Da die Flüchtlinge einen erschöpften Eindruck machen, werden sie von Schnelleinsatzgruppen des Deutschen Roten Kreuzes ärztlich untersucht und bekommen heiße Getränken und Essen. Vier serbische Staatsangehörige müssen medizinisch versorgt werden. Einer von ihnen kommt mit Kreislaufproblemen zur Behandlung ins Krankenhaus, kann jedoch am Abend bereits wieder entlassen werden. Ein Kind bleibt mit seiner Mutter zur längeren Behandlung im Krankenhaus, weil es an einer ernsten Krankheit leidet und deshalb schon einmal in der BRD operiert wurde.

Hohenloher Tagblatt 12.12.08;

Polizei Schwäbisch Hall 15.12.08;

BT DS 16/11688

 

13. Dezember 08

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Als die Togoerin Ginette Liebl nach einem Besuch ihres Mannes Gerson das Gebäude verlassen will, wird auch sie in Abschiebehaft genommen. Ihr 8-jähriger Sohn Gergi kommt ebenfalls in Haft.

    Erst nach der Intervention verschiedener Ämter aus Straubing werden Mutter und Sohn nach zwei Tagen entlassen. Aufgrund der gesundheitlichen Probleme von Ginette Liebl – sie hatte einen Hungerstreik begonnen – kommen beide zunächst ins DRK-Krankenhaus Köpenick. Gerson Liebl bleibt in Haft, wird aber nach Regensburg überführt, weil die Familie seit 2003 in Straubing lebte.

    Der heute 46 Jahre alte Gerson Liebl war vor 18 Jahren als Asylbewerber in die BRD gekommen und kämpft seither um die Anerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, weil sein Großvater Dr. Fritz Liebl deutscher Kolonialarzt in Togo gewesen war.

    Es ist offensichtlich, daß die deutschen Behörden keinen Präzedenzfall schaffen wollen, um eventuell daraus folgende

Anträge auf Staatsangehörigkeit weiterer AfrikanerInnen mit deutschen Wurzeln aus der Zeit der Kolonialbesetzung zu verhindern.

    Obwohl seit dem Frühjahr ein Abschiebebeschluß gegen die Familie existiert, war sie vor drei Wochen nach Berlin gereist, um beim Bundeskanzleramt, beim Bundespräsidialamt, beim Bundestag und dem Berliner Abgeordnetenhaus Petitionen abzugeben.

    Als der Oberbürgermeister von Straubing dem Ehepaar einen durchformulierten Antrag auf Aufenthaltsverlängerung persönlich zuschickt, kommentiert Gerson Liebl seine Verweigerung mit den Worten: "Ich will keine Almosen und keine freundlich gemeinten Angebote. Ich will Deutscher werden." Er unterschreibt den Antrag nicht und wird am 17. Februar 2009 von München nach Togo ausgeflogen.

    Seine Frau und sein Sohn bleiben in Berlin zurück – ohne Geld, ohne Paß und ohne Staatsbürgerschaft. Auch ihnen droht die Abschiebung. (siehe hierzu 16. Januar 98)

    Im April 2010 wird die Abschiebung von Mutter und Sohn in die Wege geleitet. Flugnummer, Datum und Uhrzeit des Fluges stehen bereits fest, als unmittelbar vor dem Abflug der Berliner Innensenat einlenkt. Er erklärt sich bereit, die Zuständigkeit für die Familie zu übernehmen. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, über die Härtefall-Kommission ein dauerhaftes Bleiberecht zu erreichen.

BeZ 11.12.08; BeZ 15.12.08;

BeZ 16.12.08; taz 19.2.09;

taz 21.4.09;

taz 24.4.10: taz 29.4.10;

FRat Berlin

 

17. Dezember 08

 

Bundesland Bayern. Das Amtsgericht München ordnet Abschiebehaft für die Romni N. N. in der JVA München-Neudeck an. Zudem wird die Unterbringung ihrer vier Kinder im Alter zwischen acht und 14 Jahren in drei (!) verschiedenen Münchner Kinderheimen durch das Kreisjugendamt München veranlaßt. Da auch der Ehemann und ein erwachsener Sohn nach einer Polizeikontrolle in der JVA München-Stadelheim einsitzen, ist die Familie jetzt komplett auseinandergerissen.

    Familie N. hatte bis zum Jahre 2003 in Hamburg fast sieben Jahre lang mit einer Duldung gelebt – einige Kinder wurden hier geboren. Um einer Abschiebung zu entgehen, waren sie nach Italien geflüchtet. Als der Verfolgungsdruck gegen Roma dort größer wurde, versuchten sie, zusammen mit einer verwandten Familie, in die BRD zurückzukommen.

    Im Gegensatz zu der verhafteten Frau N. kam diese verschwägerte Familie – bis auf den Ehemann, der in Abschiebehaft genommen wurde – in einem Flüchtlingslager unter.

    Frau N. geht es in Abschiebehaft zunehmend schlechter – nur ihre beiden älteren Kinder dürfen sie einige Male besuchen. Am 9. Januar 09 versucht sie, sich zu erhängen.

    Bei einem Landgerichtstermin am 20. Januar, den ein von Amnesty International engagierter Rechtsanwalt durch eine Haftbeschwerde erreicht, erklärt die Ausländerbehörde überraschenderweise, daß die Rückführung der Familie nach Frankreich geplant ist, weil dort ein Asylantrag gestellt worden war. Wegen der schlichten Vermutung des Gerichts, Frau N. würde ohne ihre Kinder und ihren Ehemann untertauchen, wird die Verlängerung der Haft bis zur Abschiebung entschieden. Dann wird Frau N. in Handschellen abgeführt.

    Einen Tag nach dieser Verhandlung erleidet Frau N. beim Hofgang einen psychischen Zusammenbruch und kommt zur stationären Behandlung in die Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses.

    Am 7. Februar wird sie aus der Psychiatrie herausgeholt und zum Flughafen gefahren. Erst hier sieht sie ihre Kinder nach sieben Wochen Trennung wieder. Die Abschiebung ihres Ehemannes erfolgt einige Wochen später.

Bericht der Betroffenen;

Maria Brand - ai München - JVA-Besuchsdienst

 

19. Dezember 08

 

Bad Honnef in Nordrhein-Westfalen. Ein Feuer, das in der Küche des oberen Stockwerks des aus Holz gebauten Flüchtlingsheimes entsteht, löst um 23.30 Uhr einen Feueralarm aus. Die BewohnerInnen wecken sich gegenseitig und flüchten ins Freie. Vier von den vierzehn zur Zeit anwesenden Flüchtlingen werden später mit Rauchgasvergiftungen ins Krankenhaus gebracht.

    Feuerwehren aus Königswinter, Altstadtwehr, Rheinbreitbach und Unkel müssen die Rettungskräfte aus Bad Honnef unterstützen, weil die Flammen bis zum nächsten Morgen nicht beherrschbar sind. Erst gegen 11 Uhr des nächsten Tages werden mit einem Bagger die Wände eingerissen und damit die Brandherde erstickt. Insgesamt sind 150 Feuerwehrkräfte, Rettungs- und Hilfsdienste und Polizisten vor Ort.

    Noch in der Nacht nehmen Brandexperten die Ermittlungen auf und kommen zu dem Ergebnis, daß das Feuer vermutlich durch einen technischen Defekt in der Küche entstand.

    Die 22 BewohnerInnen, die ihre bescheidene Habe verloren haben, werden in Wohnungen im Spätaussiedlerheim an der Franzjosef-Schneider-Straße untergebracht.

wdr 20.12.08; GA Bonn 20.12.08;

www.internetcologne.de 21.12.08;

GA Bonn 22.12.08;

GA Bonn 23.12.08

 

25. Dezember 08

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Kurz nach Mitternacht wird einem abgelehnten Asylbewerber in der Diskothek "Night-Fly" ein Bein gestellt, dann wird er geschubst und schließlich rassistisch beleidigt. Er selbst und seine deutschen Begleiter werden daraufhin aus der Diskothek gewiesen.

    Die rassistischen Täter – es sind ca. 20 Personen – folgen ihnen auf die Straße und jagen sie dort weiter.

    Den Verfolgten gelingt es, sich ins gegenüberliegende Polizeirevier zu flüchten.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

29. Dezember 08

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der 15-jährige Moustapha X. aus Algerien kommt in Abschiebehaft nach Büren. Er hat gefälschte Papiere bei sich – gibt dies auch gleich der Polizei bekannt. Die richtigen Daten übernimmt die Behörde, das Geburtsdatum wird allerdings aus der Fälschung entnommen.

    Das Alter des vermeintlich 21-Jährigen wird durch den Gefängnisarzt, den Sozialarbeiter und einen Mitarbeiter des Kreisjugendamtes Paderborn auf unter 18 Jahre geschätzt. Da die Ausländerbehörde und die Gerichte dies nicht übernehmen wollen, wird das Rechtsmedizinische Institut der Universität Bonn mit der Altersfeststellung beauftragt und kommt in vier weiteren Untersuchungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Nach dem radiologischen Befund ist Moustapha 18 Jahre alt, nach dem zahnmedizinischen Befund 16 Jahre, nach der körperlichen Untersuchung 15 Jahre und nach der rechtsmedizinischen Beurteilung 18 Jahre alt. Auf Nachfragen des Landgerichts kommt das Institut in einer Zusammenfassung aller Ergebnisse zu dem Resultat, daß Moustapha 16 Jahre alt ist. Schließlich entscheidet das Landgericht Bonn, daß der Junge ein Alter von 18 Jahren erreicht hat.

    Da die Inhaftierung von Jugendlichen verboten und nur unter Auflagen eingeräumt wird, bleibt der Junge – aufgrund der vom Gericht entschiedenen Altersfestlegung - weiter in Abschiebehaft.

    Moustapha ist Vollwaise und war nach einem Streit mit seinem Großvater weggelaufen. Über Marokko, Spanien, Frankreich und Belgien war er in Deutschland angekommen.

NW 16.3.09;

GRW April 09

 

 

 

 

Im Jahre 2008

 

Abschiebegefängnis Rottenburg in Baden-Württemberg. Ein junger Gefangener erhängt sich aus Angst vor der Abschiebung in die Türkei an einer Gefängnistür.

swr international in con.tra 29.9.09;

Holger Rothbauer - Rechtsanwalt

 

 

Im Jahre 2008

 

Im nordrhein-westfälischen Abschiebegefängnis Büren befinden sich in diesem Jahr 20 minderjährige Flüchtlinge – darunter zwei Jugendliche, die noch nicht 16 Jahre alt sind

(Zwei Fälle von Inhaftierungen sind bereits dokumentiert).

NW 16.3.09;

GRW April 09;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Im Abschiebegefängnis Rendsburg befanden sich 14 minderjährige Flüchtlinge (zwischen 16 und 18 Jahren) in Haft.

Schlepper Nr. 47 Mai 09;

Landesbeirat – Jahresbericht 2008;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Im Bundesland Bayern befanden sich 30 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon waren zwei Personen jünger als 16 Jahre alt.

    Ein minderjähriger Flüchtling war länger als drei Monate in Gefangenschaft.

(Zwei Fälle von Inhaftierungen sind bereits dokumentiert)

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick befanden sich 83 minderjährige Flüchtlinge in Haft – davon waren vier Personen jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Im Bundesland Brandenburg befanden sich 11 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon waren zwei Personen jünger als 16 Jahre alt.

    Zwei minderjährige Flüchtlinge waren länger als drei Monate in Gefangenschaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

In Bremen befanden sich zwei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

taz Bremen 21.4.09

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

In Hamburg befanden sich sechs minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

    Zwei minderjährige Flüchtlinge waren länger als drei Monate in Gefangenschaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Im Bundesland Hessen befanden sich drei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Im Bundesland Niedersachsen befanden sich fünf minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2008

 

Im Bundesland Sachsen befanden sich 55 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

 

 

 

Im Jahre 2008

 

Seit der Ablehnung der Asylanträge der algerischen Familie S. im Jahre 1996 versucht die Ausländerbehörde, Abschiebungspapiere für die Familie zu bekommen. Die Vorwürfe der Ausländerbehörde gegen die Familie basieren auf der Tatsache, daß zahlreiche sogenannte Sammelvorführungen bei der algerischen Botschaft ergebnislos blieben, an denen die Familie teilnahm, um die Identität zu klären. Alle Vorführungen waren unnötig.

    In einem Schreiben aus dem Jahr 2008 forderte der Innenminister den Landkreis daher persönlich auf, doch bei der Familie eine Razzia durchzuführen. 2010 erhielt der Landkreis ein neues Schreiben des Innenministeriums mit Hinweisen, wie die Familie S. weiter schikaniert werden sollte:

"Zwar wurde allen Familienmitgliedern die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (…) untersagt, allerdings erteilen Sie [der Landkreis] weiterhin Duldungen für drei Monate (…). Unabhängig davon (…) halte ich auch kürzere Duldungszeiten (zunächst monatlich) für sinnvoll." Für den Fall, daß die Familie wider Erwarten diese monatlichen Behördengänge absolviere, schlug das Ministerbüro ein erneutes Strafverfahren vor. Der Minister ging dabei von einer Verurteilung aus: "Die Familie erhält zwar tatsächlich nur Tagessätze mit einem geringen Geldbetrag, allerdings ist dieser im Hinblick auf die bereits mehrfach gekürzten Leistungen nur schwierig aufzubringen. Darüber hinaus kommt bei Zahlungsunfähigkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in Betracht. Auch diese könnte einzelne Familienmitglieder beeindrucken."

    Entsprechend der Anregung des Innenministeriums wurde die fünfköpfige Familie vor dem Hannoversch-Mündener Amtsgericht im Jahr 2011 zum zweiten Mal in gleicher Sache angeklagt. Der Vorwurf: Verstoß gegen die Paßpflicht und unerlaubter Aufenthalt im Bundesgebiet. In der Verhandlung erwiesen sich die Behauptungen, die Innenminister Uwe Schünemann (CDU) bereits 2008 aufstellte, Familienmitglieder hätten sich "vehement geweigert", an der Identitätsfeststellung mitzuwirken, als falsch. Ein Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde bescheinigte Familie S., daß es "keine Anhaltspunkte" dafür gebe, "dass die Familie falsche Angaben" gemacht habe. Auch der Staatsanwalt kam zu dem Ergebnis, daß sich Familie S. nichts habe zu schulden kommen lassen: "Mehr ist den S. nicht zuzumuten." Er beantragte Freispruch.

FRat NieSa 15.11.11