zur Hauptseite                                                 Zusammenfassung  2010

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2010

 

5. Januar 10

 

Brake an der Unterweser in Niedersachsen. Um 5.00 Uhr morgens erscheinen Beamte von Polizei und Ausländerbehörde in der Flüchtlingsunterkunft Friesenmoor und geben dem 48 Jahre alten kurdischen Flüchtling Abdeloehab Hussein 30 Minuten Zeit, seine Habseligkeiten einzupacken. Dann fahren sie ihn nach Frankfurt am Main und fordern ihn auf, in ein Flugzeug nach Damaskus einzusteigen. Unmittelbar vor dem geplanten Abflug der Maschine um 15.00 Uhr gelingt dem Rechtsanwalt des Kurden mit einem Asylfolgeantrag die vorläufige Unterbrechung der Abschiebung. Abdeloehab Hussein kommt zurück nach Friesenmoor und muß hier zunächst medizinisch versorgt werden, weil er bei der Aktion verletzt wurde.

    Der Versuch der Ausländerbehörde Wesermarsch, den politischen Flüchtling in sein Verfolgerland abzuschieben, ist deshalb bemerkenswert, weil damit das Abschiebemoratorium des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2009 ignoriert wurde. Aufgrund mehrerer Gefangennahmen von abgeschobenen Flüchtlingen in Syrien hatte das Ministerium die Bundesländer gebeten, vorerst von Abschiebungen nach Syrien abzusehen.

BMI 16.12.09;

NWZ 6.1.10; NWZ 8.1.10;

FRat NieSa

 

12. Januar 10

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Um 14.15 Uhr versucht sich ein 28 Jahre alter Inhaftierter aus der Türkei durch das Trinken von Haarshampoo zu vergiften. Er kommt ins Krankenhaus.

    Nach Abschluß der Behandlung kommt der Mann in das Abschiebegefängnis zurück und wird bis zu seiner Abschiebung zur ständigen Beobachtung in einer Einzelzelle untergebracht. Nach insgesamt 80 Tagen Haft wird er abgeschoben.

BeZ 14.1.10;

 jW 31.8.10;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

 Ev. Seelsorge in der Abschiebungshaft;

BT DS 17/10596; BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

12. Januar 10

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Gegen 15.50 Uhr fügt sich ein 27 Jahre alter Gefangener mit einer Rasierklinge schwere Schnittverletzungen am ganzen Körper zu. Er muß mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden.

    Nach Abschluß der Behandlung kommt der Mann in das Abschiebegefängnis zurück und wird die ersten Tage zur ständigen Beobachtung in einer Einzelzelle untergebracht. Nach insgesamt 140 Tagen Haft wird er freigelassen.

BeZ 14.1.10;

 jW 31.8.10;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

BT DS 17/10596; BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

13. Januar 10

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Um 1.00 Uhr versucht der 28 Jahre alte Tunesier A.H., sich mit einem Antennenkabel zu erhängen. Die Beamten greifen frühzeitig ein, und der Mann kommt ins Krankenhaus.

    Nach Abschluß der Behandlung kommt er in das Abschiebegefängnis zurück und wird die ersten Tage zur ständigen Beobachtung in einer Einzelzelle untergebracht. Nach insgesamt 170 Tagen Haft wird er in die Türkei abgeschoben.

BeZ 14.1.10; jW 31.8.10;

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst;

BT DS 17/10596; BT DS 17/10597;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/11577

 

13. Januar 10

 

Eine Chinesin aus Hessen wird über den Flughafen Frankfurt am Main nach Peking abgeschoben. Sie ist unmittelbar vorher auf der Ausländerbehörde festgenommen worden, als sie ihre Duldung verlängern lassen wollte.

    Ihr Mann, der keine Ausreisepapiere hat, bleibt in der Bundesrepublik.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

13. Januar 10

 

Sulz am Neckar im Bundesland Baden-Württemberg. Morgens um 7.00 Uhr alarmiert ein Bewohner der Flüchtlingsunterkunft In der Vorstadt 20 die Feuerwehr, und als diese wenige Minuten später eintrifft, steht bereits das Dach und ein Teil der ersten Etage in hellen Flammen.

    Den insgesamt 40 Feuerwehrmännern, die mit acht Fahrzeugen, mit Drehleiter und Atemschutz im Einsatz sind, gelingt es erst nach Stunden, den immer wieder aufflammenden Brand zu löschen.

    Von den zwei dort lebenden Asylbewerbern ist zur Zeit des Brandes nur ein Mann im Haus – er kommt mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus.

    Das im Stadtkern gelegene Haus ist nach dem Brand völlig zerstört und wegen Einsturzgefahr nicht mehr zu bewohnen. Auch das linke Nachbargebäude hat schweren Schaden durch das übergreifende Feuer und das Löschwasser erlitten. Als Brandursache wird ein technischer Defekt vermutet.

SchwT 13.1.10;

SchwB 13.1.10; SchB 18.1.10;

neckar-chronik.de

 

16. Januar 10

 

Die 2. Kammer des Bundesverfassungsgerichts stellt fest, daß die Auslieferung eines Menschen bei drohender Verurteilung zu einer sogenannten "erschwerten" lebenslangen Freiheitsstrafe gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik verstößt. Damit wird eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm aufgehoben, und die Behörden sind aufgerufen, neu zu entscheiden.

    Die Verfassungsbeschwerde wurde von dem Rechtsanwalt des seit dem 2. April 09 in Auslieferungshaft sitzenden Yildirim K. erhoben. Die türkische Regierung begründet das Auslieferungsbegehren mit dem Vorwurf, er habe als Gebietsver-

antwortlicher der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) für die Region E. die Ausführung eines Bombenanschlags auf den Provinzgouverneur von B. am 5. April 99 durch das PKK-Mitglied T. beschlossen und angeordnet. Dabei seien der Gou

verneur und T. getötet und 14 weitere Personen verletzt worden. Aufgrund dieses Vorwurfes droht dem Kurden im Falle seiner Verurteilung in der Türkei eine sogenannte erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe bis zum Tod, ohne daß eine Möglichkeit einer bedingten Strafaussetzung beziehungsweise vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug entstünde.

    Nachdem das Bundesministerium der Justiz der Generalstaatsanwaltschaft Hamm am 27. Januar mitteilt, daß die Auslieferung des Yildirim K. nicht bewilligt wird, wird Herr K. am 28. Januar aus der Haft entlassen.

BVG 20.1.10 Aktenzeichen 2 BvR 2299/09;

Azadi 20.1.10;

Barbara Neppert – ai Türkei-Kogruppe

 

20. Januar 10

 

Hamburg. Der 23 Jahre alte Wadim S. stellt sich zwischen Harburg und Wilhelmsburg auf die Schienen der S-Bahnlinie 3 und läßt sich dann vom Zug überfahren.

    Damit beendet er selbst sein Leben, für das er keine Zukunft mehr sieht.

    Im Alter von sechs Jahren war er 1992 mit seinen Eltern aus Lettland in die BRD gekommen, fand sich schnell zurecht und nahm zusammen mit seinem jüngeren Bruder am Gemeindeleben der katholischen Gemeinde Hamburg-Harburg aktiv teil. Er besuchte das Gymnasium, mußte dann aber später auf die Hauptschule zurückgehen. Mit seiner Clique brach er in ein Autohaus ein und wurde vom Gericht zu fünf Sozialstunden verurteilt. Damit war er vorbestraft.

    Am 4. Februar 2005 wurde der 18-Jährige ohne seine Familie nach Lettland abgeschoben. Er, der sich als Hamburger fühlte, war völlig verzweifelt.

(siehe hierzu: 4. Februar 05)

    Eine Zeitlang kam er provisorisch bei einer ehemaligen Kollegin seiner Mutter unter. Um eine Perspektive entwickeln zu können, beantragte er die lettische Staatsangehörigkeit. Wie alle 400.000 in Lettland lebenden Russen bekam er diese nicht.

    Im April 2006 gelang es ihm per Bus, Fähre und Bahn über Litauen und Dänemark nach Hamburg zurückzukehren. Die Angst vor erneuter Abschiebung trieb ihn dann nach Frankreich, in die Schweiz und nach Belgien. Hier wurde er - nach erneutem Asylantrag – in Abschiebehaft genommen. Beim zweiten Abschiebeversuch aus Brüssel wurde der sich Wehrende von belgischen Polizisten geschlagen.

    Im Dezember 2006 erfolgte tatsächlich seine Abschiebung aus Brüssel nach Riga. Dort fand er für ein Jahr lang eine Anstellung als Hilfsarbeiter, bis die Firma aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Krise Entlassungen vornehmen mußte. Bei seinem zweiten Aufenthalt in Hamburg war Wadim S. schon sehr depressiv und angstvoll. Bei einem weiteren Versuch, mit dem Reisebus über Polen nach Hamburg zu kommen, wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er damit gegen das Einreiseverbot infolge der Abschiebung verstieß. Da er das Geld nicht hatte, folgte die Verordnung der Strafhaft gegen ihn.

    Wadims Mutter Viktoria hat sich vom Tod ihres Sohnes nie erholt. Sie quält sich Tag für Tag durch ein Leben, das sie eigentlich nicht mehr leben will. Gesundheitlich geht es ihr immer schlechter, sie wird schwächer und schwächer, so daß sie schließlich am 8. Januar 14 im Alter von 49 Jahren einer Lungenentzündung erliegt.

ndr-info 12.3.10;

Die Linke – LV Hamburg 17.4.10;

Spiegel 20.4.10; Spiegel 13.12.11;

Dokumentarfilm "Wadim" 2011;

PIER 53 Filmproduktion 14.1.14

 

5. Februar 10

 

Bundesland Bayern. Seit dem 23. Januar befinden sich die BewohnerInnen der Flüchtlingsheime Hauzenberg und Breitenberg im Hungerstreik. 19 Flüchtlinge protestieren gegen die unmenschlichen Lebensbedingungen in den Lagern und fordern Bewegungsfreiheit, Recht auf Arbeit und die Abschaffung der Lebensmittelpakete.

    Auch Ahmed M., palästinensischer Flüchtling aus Israel, beteiligt sich an den Protesten. Während ein Arzt die Hungerstreikenden untersucht, schließt sich der 23-Jährige im Badezimmer ein und schneidet sich mit Messer und Rasierklinge die Arme auf. Mit schweren Schnittverletzungen und hohem Blutverlust kommt er ins Krankenhaus, wo er operiert wird. Zwei Tage später erfolgt seine Überweisung in die Psychiatrie des Bezirkskrankenhauses Mainhofen.

    Ahmed M. muß seit zwei Jahren im Flüchtlingsheim Hauzenberg leben und teilt sich ein kleines Zimmer mit drei weiteren Flüchtlingen. Kurz vor seinem Suizidversuch hatte er die Ratschläge des Arztes, Wasser zu trinken und Medikamente einzunehmen, abgelehnt.

www.Bürgerblick.de 5.2.10;

br-online 8.2.10; SZ 8.2.10;

FRat Bayern 9.2.10;

www.Bürgerblick.de 11.2.10

 

6. Februar 10

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Auf dem Bahnhof von Ludwigslust wird ein 43 Jahre alter Flüchtling aus Afrika von einem Deutschen beschimpft und beleidigt. Dann greift der Angreifer den Rucksack des Afrikaners und wirft ihn auf die Gleise. Als der Besitzer sich ihn zurückholt, wird er mit voller Wucht vom Täter auf die Gleise zurückgestoßen. Am Bein verletzt verläßt er dann das Gleisbett am gegenüberliegenden Bahnsteig.

    Durch die Überwachungskameras kann die Polizei den Täter ermitteln, nimmt ihn vorübergehend zum Verhör fest und läßt ihn wieder auf freien Fuß. Der Staatsschutz ermittelt wegen Beleidigung und Körperverletzung mit "ausländischem Hintergrund".

dpa 8.2.10;

KrZ 8.2.10;

HA 9.2.10; ND 10.2.10;

JWB 18.2.10

 

13. Februar 10

 

Bundesland Baden-Württemberg. Morgens um 6.00 Uhr wird ein 34 Jahre alter Flüchtling zwischen Bretten und Dürrenbüchig von der Stadtbahn der Linie S4 trotz Notbremsung erfaßt und getötet.

    Nach Ermittlungen der Kriminalpolizei hatte der Mann wenige Tag zuvor in Stuttgart Asyl beantragt und sollte sich danach zur Landesaufnahmestelle für Asylbewerber nach Karlsruhe begeben. Entsprechend war der Mann auf den Gleisen in Richtung Karlsruhe zu Fuß unterwegs.

Pforzheimer Ztg 15.2.10;

BürgerArbeitskreis Bretten 15.2.10;

Polizei Karlsruhe 15.2.10

 

16. Februar 10

 

Der 27 Jahre alte afghanische Flüchtling Atiq Haidari wird morgens um 5.30 Uhr zitternd und nach Luft ringend von seiner Frau Arjan vorgefunden. Er hat Tabletten geschluckt, denn für heute steht seine Rückschiebung nach Schweden an. Seine Frau ruft einen Notarztwagen, und er kommt ins Krankenhaus, wo er auf der Intensivstation behandelt werden muß. Zwei Tage später erfolgt seine Verlegung ins Psychiatrische Krankenhaus Hamburg-Ochsenzoll.

    Während seines monatelangen Aufenthaltes in der Klinik versucht er wiederholt, sich zu töten.

    Nachdem 1999 seine Eltern in Herat (Afghanistan) von einer Bombe getötet worden waren, hatte der damals 16-Jährige das Land verlassen und war zu seinem Onkel und seiner Schwester in die BRD geflüchtet. Als dann im Jahre 2005 die BRD den Abschiebestop nach Afghanistan aufhob, ging Atiq Haidari nach Schweden und stellte hier erstmals einen Antrag auf Asyl. Er erlernte die Sprache, wiederholte seinen Haupt

schulabschluß und arbeitete schließlich als stellvertretender Filialleiter einer Discounter-Firma. Dennoch wurde seine Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert.

    Im November 2009 kam er nach Hamburg zurück, beantragte Asyl und heiratete im Dezember seine Verlobte.

    Entsprechend dem Dublin-II-Abkommen leiteten die Behörden seine Rückführung nach Schweden ein und schrieben ihn zur Fahndung aus, als er zu einem angekündigten Termin nicht in seiner Flüchtlingsunterkunft in Hildesheim anzutreffen war.

    Als er im Januar 2010 in Hildesheim ein dauerhaftes Bleiberecht beantragen wollte, erfolgte seine Verhaftung direkt in der Ausländerbehörde. Er kam in Abschiebehaft, und wie sich erst nach dem dritten Haftprüfungstermin und nach 23 Tagen Haft herausstellte, war dieses rechtswidrig.

    Im August wird Atiq Haidari aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen. Sein Asylverfahren wird jetzt von der deutschen Behörde fortgesetzt – er ist in Besitz einer Aufenthaltsgestattung mit einer Laufzeit von drei Monaten. Er kann vorerst in Hamburg bleiben und mit seiner Frau zusammenleben. Das Leben auf der Flucht, die Aufenthaltshindernisse in Europa und die jahrelange Angst vor der Abschiebung nach Afghanistan haben ihn allerdings zu einem schwerkranken Menschen gemacht.

Ehefrau des Betroffenen;

HAZ 24.2.10; taz 28.5.10

 

19. Februar 10

 

Lemgo in Nordrhein-Westfalen. Als ein armenischer Flüchtling mit seinen beiden Kindern die Ehefrau in der JVA Bielefeld besuchen will, wird er in Gegenwart seiner Kinder und ohne Möglichkeit der Verabschiedung festgenommen und in das Abschiebegefängnis nach Büren gebracht.

    Die 3-jährige Maria und ihren 6-jährigen Bruder David bringen die Polizisten zu einer Bekannten ihrer Eltern, die sich fortan um sie kümmert. Die Kinder sind völlig verwirrt und geschockt. David bekommt massiven Haarausfall, und Maria leidet unter Bauchschmerzen, Durchfall, Blähungen und Appetitlosigkeit. Sie weinen ständig und schlafen schlecht. Sie haben auch ihrer Betreuerin gegenüber große Trennungsangst, so daß diese sie nicht allein lassen kann.

    Ärzte empfehlen, den Kontakt zu den Eltern wieder herzustellen und Maria im Krankenhaus stationär zu behandeln. Damit dies bei dem verängstigten Kind überhaupt möglich ist, schlägt das Jugendamt vor, eines der Kinder medikamentell ruhig zu stellen, damit die Betreuerin dann ihrer Fürsorge sowohl im Krankenhaus bei Maria als auch bei David in der Wohnung nachkommen könne.

    Weil die Stadt Lemgo die Kinder nach der Verhaftung des Vaters abgemeldet hat, verweigert das Sozialamt die Kostenübernahme. Erst am 25. Februar erklärt sich das Jugendamt nach massivem Drängen der UnterstützerInnen wieder für zuständig.

    Das Ehepaar lebt seit der Einreise im Jahre 2002 in Lemgo – die Asylanträge wurden abgelehnt. Beide Kinder sind hier geboren. Da die monatlichen 622 € vom Sozialamt nicht ausreichten, hatte die Mutter mehrmals Lebensmittel gestohlen und wurde zu einer Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt. Auch ihre Festnahme vor vier Monaten war in Gegenwart der Kinder geschehen.

    Zwei Wochen nach der Festnahme des Vaters wird die gesamte Familie nach Rußland abgeschoben.

indymedia 26.2.10;

Flüchtlingshilfe Lippe 26.2.10

 

20. Februar 10

 

Bundesland Brandenburg. Auf dem Potsdamer Hauptbahnhof wird ein 34 Jahre alter Flüchtling aus Kamerun von einem 31-jährigen Deutschen rassistisch angepöbelt und mit dem Satz "Ich steche Dich ab!" bedroht.

dpa 25.2.10; Polizei Potsdam

 

22. Februar 10

 

Arnsberg in Nordrhein-Westfalen. Als die Feuerwehr mit 15 Fahrzeugen und 46 Einsatzkräften am Flüchtlingsheim Berliner Platz eintrifft, kommt den Rettungskräften dicker Qualm entgegen. Zwei Matratzen brennen in einem abgeschlossenen Raum im Erdgeschoß. Nach Öffnung des Raumes mit der Brechstange kann der Brand schnell gelöscht werden.

    Obwohl sich die 13 BewohnerInnen frühzeitig ins Freie retten konnten, werden zehn von ihnen – darunter drei Kinder – wegen Rauchgasvergiftung in die umliegenden Krankenhäuser gebracht.

ddp 23.2.10;

WAZ 23.2.10;

www.rettungsdienst.de 23.2.10;

www.HSK-aktuell.de 23.2.10

 

26. Februar 10

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). Ein 21 Jahre alter Abschiebegefangener aus dem Kongo trinkt in selbsttötender Absicht Seifenlauge und versucht, sich anschließend zu strangulieren.

    Er wird rechtzeitig entdeckt und kommt verletzt ins Krankenhaus. Damit ist er nach 203 Tagen Gefangenschaft aus der Haft entlassen.

Ministerium des Innern Brandenburg 15.3.11

 

26. Februar 10

 

Bundesland Sachsen. Kurz nach Mitternacht wird die Oppacher Feuerwehr alarmiert, denn im Flüchtlingsheim am Mittelweg ist ein Brand ausgebrochen. Um dem Feuer zu entkommen, springen die libanesischen Flüchtlinge Herr und Frau Al Ayoube mit ihren fünf Kindern aus einem Fenster in der ersten Etage. Herr Al Ayoube kommt mit Wirbelbrüchen und dem Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Görlitzer Klinikum. Der sechs Wochen alte Säugling des Paares, der aus der Babydecke zu Boden geglitten ist, wird ins Zittauer Krankenhaus gebracht. Vier weitere Flüchtlinge und der Heimleiter werden bei dem Großbrand ebenfalls verletzt und mit Krankenwagen abtransportiert.

    Von den 88 Menschen, die hier gemeldet sind, befanden sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Brandes ca. 40 Personen im Haus.

    Als das Feuer nach sechs Stunden von den 120 Rettungskräften der verschiedenen Oberlausitzer Feuerwehren gelöscht ist, ist das zweistöckige barackenähnliche Gebäude völlig zerstört. Die ehemaligen BewohnerInnen werden evakuiert und in anderen Flüchtlingsheimen untergebracht. Die unverletzten Mitglieder der libanesischen Familie kommen zunächst in das Löbauer Obdachlosenheim, werden dann aber von einer deutschen Familie aufgenommen. Durch die spontane Unterstützung und Spendenbereitschaft der Oppacher Bevölkerung wird die Familie demnächst eine Wohnung in Löbau beziehen können.

    Ein Brand-Sachverständiger stellt als Ursache für das Feuer "Brandstiftung durch eine offene Flamme" in einem

Raum fest, in dem Wäsche getrocknet wurde und Matratzen lagerten.

Polizei Oberlausitz-Niederschlesien 26.2.10;

ddp 26.2.10; www.lausitznews.de 26.2.10;

SäZ 27.2.10; Bild 28.2.10;

Bild 2.3.10; SäZ 3.3.10; LR 3.3.10;

FP 4.3.10¸SäZ 6.3.10;

ddp 23.4.10

 

1. März 10

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Am Bahnhof von Burg wird um ca. 9.30 Uhr ein 32 Jahre alter Mann aus Burkina Faso von einem stark alkoholisierten Deutschen mit einem Messer bedroht, beleidigt und vor die Brust gestoßen. Erst als Taxifahrer dem Angegriffenen zu Hilfe kommen, läßt der Täter von ihm ab und läuft weg. Der Angegriffene kommt mit leichteren Prellungen davon.

    Die gerufene Polizei kann den Täter noch vor Ort stellen. Der Staatsschutz ermittelt.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt Nr. 29/2010

 

1. März 10

 

Abschiebegefängnis auf dem Gelände der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt (ZABH). Ein 35 Jahre alter Gefangener aus Pakistan verletzt sich nach fünf Tagen Abschiebehaft selbst im Gesicht – eine medizinische Behandlung der Verletzungen lehnt er ab.

Ministerium des Innern Brandenburg 15.3.11

 

1. März 10

 

Ein 16 Jahre alter Flüchtling aus Ägypten wird bei der Kontrolle eines Hamburger Restaurants ohne Aufenthaltspapiere aufgegriffen und festgenommen. Er hatte sich vorher in Italien aufgehalten und soll – entsprechend der Dublin-II-Normen – zurückgeschoben werden.

    Nach einem Tag in einer Polizeiwache kommt er für zwei Tage in eine Haftanstalt (vermutlich Untersuchungsgefängnis). Danach erfolgt seine Verlegung ins Jugendgefängnis Hahnöfersand. In den 10 Tagen seiner Inhaftierung ist er ohne jede Rechtsberatung, ohne Androhung der Abschiebung und ohne jede Nachricht über seinen Verbleib. Weder ein Vormundschaftsrichter noch der Kinder- und Jugend-Notdienst werden informiert.

    Im Untersuchungsgefängnis hatte der Jugendliche unter starken Magen- und Rückenschmerzen gelitten, und die Zelle war bitterkalt. Er habe immer wieder "Doktor, Doktor" geschrien, aber niemand sei gekommen, berichtet er später.

    Zwei Tage nachdem der Innensenat aufgrund des Suizids des Abschiebegefangenen David M. (7. März) verkündet hatte, Minderjährige nicht mehr in Abschiebehaft nehmen zu wollen, wird der junge Ägypter in die Zentrale Aufnahmestelle der Ausländerbehörde (Sportallee) entlassen. Auch jetzt wird nicht das Jugendamt eingeschaltet, obwohl er sich in U-Haft eine krätzeähnliche Hautkrankheit zugezogen hat.

    Im Institut für Rechtsmedizin des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf wird nach einer Altersbestimmung die Altersangabe des Jugendlichen bestätigt. Er wird jetzt erst – am 16. März – an den Kinder- und Jugend-Notdienst übergeben.

    Die Ausländerbehörde reagiert auf die lauter werdende Kritik am Umgang mit Minderjährigen mit der Behauptung, daß der Jugendliche schließlich wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz in Untersuchungshaft gesessen hätte und

U-Haft nicht unter die jüngste Neuregelung falle.

    Die von der Rechtsanwältin des Jugendlichen gestellten Strafanzeigen wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung werden allesamt eingestellt.

Pro Asyl 9.3.10;  taz-nord 23.4.10; taz 24.4.10;

Sigrid Töpfer - Rechtsanwältin

 

7. März 10

 

Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis in Hamburg. Der georgische Abschiebegefangene David M. zerreißt ein Bettlaken und erhängt sich damit an einem Fenstergitter. Er wird von einer Mitarbeiterin um 16.15 Uhr tot vorgefunden.

    Als David M. – zusammen mit zwei anderen Flüchtlingen – am 7. Februar ein Polizeiauto anhielt, um einen Antrag auf Asyl zu stellen, wurden alle drei festgenommen und kamen wegen illegalen Aufenthalts in Untersuchungshaft. Zwei Tage später erfolgte seine Verlegung in die Jugendhaftanstalt JVA Hahnöfersand. Da nach europäischem Datenabgleich (Fingerabdrücke) festgestellt wurde, daß er sowohl in Polen als auch in der Schweiz Asylanträge gestellt hatte, wurde gegen ihn sogenannte Zurückschiebungshaft verordnet. Im Rahmen des Dublin-II-Abkommens war die Abschiebung nach Polen für den 9. März geplant. Die Bestellung eines Rechtsbeistandes, eines Vormundes oder auch die Inobhutnahme in einer Jugendhilfeeinrichtung wurden wegen der anstehenden Zurückschiebung behördlicherseits nicht erwogen.

    Schon am 17. Februar begann er aus Protest gegen die Gefangenschaft einen Hungerstreik – am selben Tag urteilte ein Psychologe, daß bei David M. eine mögliche Selbstverletzung oder Selbsttötung nicht ausgeschlossen werden könne. Die daraufhin von der Anstalt eingeleiteten "besonderen Sicherungsmaßnahmen" beinhalteten Videoüberwachung und "engmaschige" ärztliche und psychologische Kontrolle.

    Allein aufgrund der körperlichen Probleme durch den Hungerstreik war David M. am 25. Februar ins Zentralkrankenhaus der Untersuchungshaftanstalt verlegt worden. Obwohl auch hier – nach offizieller Darstellung – die Monitorüberwachung und die ärztlichen und psychologischen Kontrollen weitergeführt worden sein sollen, belegt der Tod von David M., daß diese offensichtlich lückenhaft stattgefunden haben. Aus den Protokollen geht hervor, daß zwischen 11.30 Uhr und 15.50 Uhr niemand auf den Monitor geschaut hat.

    Erst nach seinem Tod wird bekannt, daß David M., der sein Alter mit 17 Jahren angegeben hatte, nach Angaben der Georgischen Botschaft tatsächlich 25 Jahre alt sein soll.

    Der Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) wehrt sich gegen die öffentliche Kritik an der Abschiebepraxis von Minderjährigen. Nach seiner Meinung habe es "keinerlei Fehlverhalten der Ausländerbehörde gegeben ..... Gleichwohl haben wir uns für die Zukunft darauf verständigt, bei minderjährigen Ausreisepflichtigen keinen Antrag auf Abschiebehaft beim Amtsgericht zu stellen. Es sei denn, die Jugendlichen sind straffällig." Tatsächlich sitzen zur Zeit dieser Aussage zwei Minderjährige in Zurückschiebungshaft – einer ist straffällig, und der zweite Jugendliche wird in einigen Tagen volljährig und kommt dann in Abschiebehaft nach Billwerder. Zudem ist es – mit Ausnahme von Bremen – bundesweit üblich, die Altersangaben von jugendlichen Flüchtlingen in Frage zu stellen und ein höheres Alter festzulegen, um den Minde

rjährigenschutz zu umgehen und sie schneller abschieben zu können.

    Am 22. März reicht die Rechtsanwältin Sigrid Töpfer für den Hamburger Flüchtlingsrat Strafanzeige gegen Innensenator Ahlhaus, Justizsenator Steffen (GAL), den Senat und nachgeordnete Beamte der Freien und Hansestadt Hamburg sowie die Leitung der Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis ein. Aus Sicht des Flüchtlingsrats ist der Tod von David M., der als 17-jähriger in Abschiebehaft genommen wurde, unabhängig von seinem wahren Alter von der öffentlichen Hand zu verantworten aufgrund von Nötigung, Körperverletzung, unterlassener Hilfeleistung, Mißachtung aller gesetzlichen Regeln einer Gewahrsamsverwaltung und gegebenenfalls von Jugendhilfegesetzen.

ndr 8.3.10; taz 9.3.10; HA 9.3.10; HM 9.3.10; jW 9.3.10; SZ 10.3.10;

Spiegel-online 10.3.10; ND 10.3.10; HM 10.3.10; jW 10.3.10;

taz 11.3.10; jW 11.3.10; Georgian Times 11.3.10;

taz 12.3.10; taz 18.3.10; HA 18.3.10; FRat HH 22.3.10;

taz 23.3.10; HM 23.3.10; taz 27.3.10, Welt 27.3.10;

Mehmet Yildiz MdHB - DIE LINKE 17.7.10;

Hamburgische Bürgerschaft DS 19/5637;

Hamburgische Bürgerschaft DS 19/5645;

BT DS 17/10597

 

10. März 10

 

Schneeberg in Sachsen. Am Vormittag bricht ein Feuer in einer Abstellkammer des Flüchtlingsheimes in der Filzteichstraße aus und breitet sich auf zwei weitere Zimmer aus.

    Von den ca. 100 BewohnerInnen des Heimes werden vier Personen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus gebracht. Als Ursache des Feuers wird Brandstiftung angenommen.

ddp 10.3.10; News-ID 11.3.10;

www.ortsdienst.de/Bayern/Schneeberg 10.3.10;

 

12. März 10

 

Sundern im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises erscheinen ohne Ankündigung in der an der Hauptstraße gelegenen Wohnung der Roma-Familie Koko. Sie wollen das Ehepaar Seadet und Abdurahman Koko und deren Tochter Antigone Koko festnehmen. Seadet Koko bricht zusammen und wird nach ärztlicher Untersuchung ins Krankenhaus nach Balve gefahren. Ihr Mann und ihre Tochter Antigone werden zum Gericht gebracht, wo umgehend Abschiebehaft verordnet wird.

    Antigone Koko kommt ins Abschiebegefängnis Neuss und ihr Vater nach Borken in Abschiebehaft.

    Daß die Familie, die seit 18 Jahren in der Bundesrepublik lebt, jetzt überhaupt abgeschoben werden soll, liegt an einer Vorstrafe von Seadet und Antigone Koko. Sie hatten im April 2008 einem pakistanischen Mann, der Antigones erwachsene Tochter Xheneta über längere Zeit belästigte, mehrfach ins Gesicht geschlagen. Die Anzeigen der Tochter gegen den Stalker waren erfolglos geblieben – die des aufdringlichen Mannes führte dann zu einer Verurteilung von Mutter und Großmutter. Da die Frauen keinen Rechtsanwalt beauftragen konnten, akzeptierten sie das Urteil von 90 Tagessätzen zu je 5 Euro. Damit galten sie als vorbestraft.

    Kurz vor dem geplanten Abschiebungstermin, dem 17. März, wird die Abschiebung wegen des ungeklärten Gesundheitszustandes von Seadet Koko zunächst ausgesetzt, und Antigone und ihr Vater kommen auf freien Fuß.

    Die gewonnene Zeit wollen sie jetzt nutzen, mit anwaltlicher Hilfe den Vorstrafeneintrag aus dem Strafregister löschen zu lassen.

WAZ 15.3.10; WAZ 16.3.10;

www.dorfinfo.de 16.3.10

 

17. März 10

 

Unter den 53 Flüchtlingen, die über den Flughafen Düsseldorf im Rahmen einer Massenabschiebung in den Kosovo abgeschoben werden sollen, befindet sich auch Familie Shala. Die Mitglieder der Familie, die der Roma-Minderheit der Ashkali angehören, sind: das Ehepaar Gjylsa und Xhafer Shala, ihr Sohn Lulzim (40), ihre Schwiegertochter Aishe (36) und die vier Enkelsöhne Nazmi (20), Lutfi (16), Haliel (8) und der 2-jährige Sidri. Die Schwiegertochter Aishe ist schwer kriegstraumatisiert, was sich durch die jahrelangen Unsicherheiten um den Aufenthalt weiter verschlechtert hat. Sie befindet sich seit sieben Jahren in psychiatrischer Behandlung. Ihr Sohn Lutfi leidet an Diabetes mellitus Typ 1. Mehrmals täglich muß der Blutzucker gemessen und die Insulinmenge berechnet werden, was der Junge aufgrund einer Lernbehinderung nicht leisten kann. Auch seine Mutter ist dazu nicht in der Lage.

    Auf der Treppe zum Flugzeug bricht die 58 Jahre alte Gjylsa Shala völlig erschöpft zusammen. Auch sie leidet – ebenso wie ihr 56-jähriger Mann Xhafer – an der Zuckerkrankheit und ist schwerst sehbehindert. Sie kommt zunächst in ein Krankenhaus und darf dann gemeinsam mit ihrem Mann nach Rotenburg an der Wümme zurückkehren. Währenddessen werden ihre Kinder und Enkelkinder in den Kosovo abge

schoben.

    Im niedersächsischen Rotenburg hat die Familie Shala, die vor 21 Jahren aus dem Krieg im Kosovo geflohen war, die letzten zwei Jahrzehnte gelebt. Ihre 23 Enkel wurden in der Bundesrepublik geboren.

    Als die Ausländerbehörde Mitte Mai einen neuen Abschiebungstermin für Gjylsa und Xhafer Shala festlegt, entscheidet sich das Ehepaar zu einer "freiwilligen" Ausreise. Durch diese "Freiwilligkeit" erhandelt der Kirchenkreis Rotenburg für die Familie eine Wiedereingliederungshilfe und die Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Xhafer Shala, der mit Morphium behandelt werden muß.

    Durch Spenden, die der evangelisch-lutherische Kirchenkreis sammelt, können eine kleine Wohnung und ein Kleintransporter finanziert werden. Mit diesem Auto wird der bleibeberechtigte Sohn Sami seine Eltern in den Kosovo fahren. Es soll im günstigsten Fall als Taxi oder Transportfahrzeug den Lebensunterhalt im Kosovo sichern.

    Lulzim Shala, seine Frau Aishe und die vier Söhne kommen nach der Abschiebung in Pec bei einer anderen Familie unter. Auch diese Familie ist sehr arm. Sie leben jetzt mit 13 Personen in drei Zimmern, ohne fließendes Wasser oder Heizung. Zum Kochen muß Holz oder Plastikmüll in einem kleinen Herd angezündet werden. Sie haben oft gar nichts zu essen, und das Wasser ist schmutzig. Die Kinder leiden unter Atemproblemen und Durchfall.

    Ein weiteres lebensbedrohliches Problem ist die Medikamentenversorgung. Die Medikamente für Aishe Shala sind im Kosovo gar nicht zu bekommen, und das Insulin für Lutfi ist so teuer, daß sie es sich nicht kaufen können. Lutfi bekommt demzufolge tagelang kein Insulin. Seine Familie hat Angst um sein Leben.

FRat NieSa 23.3.10; RR 29.3.10;

Pro Asyl Newsletter Nr. 157;

Kirchenkreis Rotenburg 14.5.10;

KrZ 15.5.10; RR 19.5.10; WK 17.10.10;

Migrations-Newsletter 2010-10;

KrZ 3.2.11;

alle bleiben - Roma Center Göttingen

 

17. März 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der 26 Jahre alte Kefaet Prizreni und sein fünf Jahre jüngerer Bruder Selami Prizreni aus Essen werden in den Kosovo abgeschoben. Kefaet Prizreni wird dadurch von seiner 8-jährigen Tochter und seinem 7-jährigen Sohn getrennt, weil die Kinder nicht von der Abschiebung betroffen sind.

    Die beiden Roma, die als professionelle Hip-Hop-Musiker unter dem Namen 'K-Pluto und Gipsy' arbeiteten, geraten durch die Abschiebung nach Prizren in extreme Armut und Isolation.

    Ihre Familie war vor 22 Jahren aus dem Kosovo in die Bundesrepublik geflüchtet. Sie besuchten deutsche Kindergärten und Schulen und sprechen wesentlich besser Deutsch und Englisch als Romanes. Serbisch oder Albanisch verstehen sie gar nicht. Nur mit Hilfe eines ebenfalls aus Essen abgeschobenen Jugendlichen können sie sich in den ersten Monaten verständlich machen.

    Die Brüder berichten im Februar 2012, daß sie mehrmals bedroht, bestohlen und körperlich angegriffen wurden. Sie waren obdachlos, sind seit ihrer Abschiebung mindestens 20 mal umgezogen, fanden mehrmals Arbeit in deutschsprachigen Callcentern – wo sie allerdings um ihren Lohn betrogen wurden. Sie schreiben selbst in einem Brief:  "Es fehlt die Sprache, Hygiene, Arbeitsmöglichkeit, Sicherheit, ärztliche Behandlung, um hier leben zu können."

alle bleiben – Roma Center Göttingen;

alle bleiben – Roma Center Göttingen 8.3.12

 

17. März 10

 

Ahaus in Nordrhein-Westfalen. Die Polizei erscheint morgens um 6.00 Uhr an der Wohnungstür der Familie Mujolli und gibt ihr zwei Stunden Zeit, die Sachen zu packen. Nach 19 Jahren Deutschland-Aufenthalt sollen der 46 Jahre alte Florim Mujolli, seine Frau Feride und ihre fünf Kinder in den Kosovo abgeschoben werden. Aufgrund des Widerstands der Kinder werden sie gewaltsam festgehalten, auf den Boden gedrückt und an den Haaren gezogen.

    Der 18-jährigen Hamide werden Handschellen angelegt, sie darf sich nicht anziehen und wird in ihrem Pyjama abgeschoben. Die Tasche mit wichtigen Geburtsurkunden, Zertifikaten und Zeugnissen wird zwar gepackt, kommt aber in Prishtina gar nicht an.

    Nach der Abschiebung kommt die Familie zunächst in der Ashkali-Siedlung Fushe Kosove, einem Vorort von Prishtina, unter. Für sechs Monate wird die Miete vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gezahlt.

    Weil sie keine Geburtsurkunden vorlegen können, verweigert die Schule die Aufnahme der 9-jährigen Nadile, des 14 Jahre alten Rrahmon und der 16-jährigen Nermina.

    Die 2-jährige Selina, die zwei Monate zu früh geboren wurde, leidet unter schwerem Asthma und einem Herzfehler. Da sie öfter Atemstillstand bekommt, muß sie intensiv beobachtet und behandelt werden. Ein spezielles Überwachungs- und Inhalationsgerät konnten die Eltern mitnehmen – nur Ersatzteile gibt es dafür nicht im Kosovo. Selina braucht zudem aufgrund ihrer Eiweißallergie einen speziellen Milchersatz, der für zwei Wochen ca. 15 Euro kostet. Auch die besonderen und lebenswichtigen Medikamente für sie sind sehr teuer. Eine Krankenversicherung hat die Familie nicht – das Gesundheitswesen ist desolat. Wer kein Geld hat, die Ärzte zu bestechen, wird schlecht oder gar nicht behandelt.

    Herr Mujolli, der fast 20 Jahre lang in der Bundesrepublik gearbeitet und Steuern gezahlt hat, steht im Kosovo vor dem Nichts. "Deutschland hat die kleine Selina zum Tode verurteilt", sagt er bitter.

BeZ 7.10.10; SZ 23.10.10;

Sebastian H. Ludwig – DWEKD;

ND 2.4.11

 

17. März 10

 

Der psychisch kranke und suizidgefährdete Herr R. aus dem niedersächsischen Zeven wird im Rahmen der geplanten Sammelabschiebung über Düsseldorf mit einem Krankenwagen zum Flughafen transportiert. Von dort aus erfolgt dann aber seine Einlieferung in ein Krankenhaus.

    Ungeachtet dessen wird die Abschiebung seiner Frau und der drei Kinder in den Kosovo ungebremst fortgesetzt.

FRat NieSa 23.3.10;

RR 29.3.10;

Pro Asyl Newsletter Nr. 157

 

17. März 10

 

Bundesland Bayern. Der 37 Jahre alte C. Singh, Flüchtling aus Indien, wird schwerkrank nach Indien ausgeflogen. Nach 11 Jahren Leben in Flüchtlingslagern und auch aufgrund von Alkoholismus leidet er unter Depressionen, paranoider Schizophrenie, Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen. Er war mehrmals stationär in psychiatrischer Behandlung.

    Aufgrund einiger kleiner Diebstähle (Bier, Schokolade u.a.) wurde er am 27. April 09 vom Amtsgericht Augsburg zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Obwohl er betonte, daß er "freiwillig" ausreisen wolle, mußte er die Strafe im November 2009 absitzen. In der Haft geriet seine Medikamenten-Einstellung derart aus den Fugen, daß er in einem deutlich schlechteren Gesundheitszustand entlassen wurde.

    Da auch die Fluggesellschaften aus Angst vor aggressiven Schüben während des Langstrecken-Fluges eine Mitnahme des kranken Mannes verweigerten, gelang seine Ausreise erst, als sich sein Flüchtlingsberater und Dolmetscher bereit erklärte mitzufliegen.

AA 19.6.10;

Caritas Augsburg

 

24. März 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Ein 17-jähriger afghanischer Flüchtling schlägt mit seiner Hand in eine Fensterscheibe, verletzt sich dabei und klettert dann in suizidaler Absicht auf eine Straßenlaterne – dann rutscht er wieder herunter. Er kommt zur chirurgischen Behandlung seiner Verletzungen ins Marienhospital Steinfurt und wird am nächsten Tag zur psychiatrischen Therapie in die LWL Klinik Münster gebracht. Diese kann er am 6.April wieder verlassen.

    Obwohl der Jugendliche am 9. Februar 10 bei seiner Befragung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den 5.8.1993 als Geburtsdatum angegeben hatte, wurde ihm das fiktive Geburtsdatum 1.1.1992 verordnet. Aus diesem Grunde hatte er sich geweigert, das Protokoll zu unterschreiben. Auch das Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt hatte nach dem äußeren Erscheinungsbild und dem Verhalten (gemäß dem Erlaß des Hessischen Innenministeriums vom 18.2.02) die Volljährigkeit entschieden. Damit wurde er von Beginn seines Asylverfahrens als Erwachsener behandelt. Auch die Nachreichung einer Kopie der Geburtsurkunde am 8.3.2010 änderte daran nichts mehr.

    Das Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt vermerkte auf der Niederschrift über die Alterseinschätzung: "Er hat Verletzungen und Beschwerden auf Grund von Misshandlungen – ärztliche Versorgung notwendig!!!" Im Protokoll des BAMF vom 9.2.2010 heißt es: "Linke Gesichtshälfte im Bereich Unterkiefer/Ohr geschwollen, hat Beschwerden. Wurde von iranischer Polizei geschlagen, vor 2 - 3 Jahren, hat massive Verletzungen der Hoden – unbedingt Arzt vorstellen."

    Auch auf seinem Weg durch Ungarn ist der junge Afghane schwer geschlagen worden: von Grenzbeamten bei der Festnahme, beim Transport ins Gefängnis Bekescsaba und während der 14-tägigen Haft von den Wärtern.

    Die Tatsache, daß seine Rückschiebung nach Ungarn geplant ist, veranlaßte ihn zu dem Suizidversuch. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus kommt er in die Flüchtlingsunterkunft H. Als er dort am 27. September in Abschiebehaft genommen werden soll, schneidet er sich am rechten Arm die Pulsadern auf. Er kommt ins Universitätsklinikum Aachen, von wo er am 30. September in die JVA Büren eingewiesen wird. Denn Abschiebehaft ist verhängt, und seine Rückschiebung nach Polen ist für den
7. Oktober geplant. In Büren springt er aus der zweiten Etage im Treppenhaus hinunter, verletzt sich aber offensichtlich nicht. Er wird in eine Isolierzelle gesperrt, in der er ständig mit dem Kopf gegen die Wände rennt. Daraufhin binden ihn Beamte auf seinem Bett fest.

    Am 6. Oktober – kurz vor der geplanten Abschiebung – wird der Jugendliche dem für die Ausländerbehörde arbeitenden Arzt Michael Koenen vorgestellt. Dieser spricht kein Wort mit ihm, reißt nur die Wundauflagen vom Körper und erklärt ihn formularmäßig als reisefähig. Michael Koenen schlägt eine Abschiebung in Begleitung zweier Bundespolizisten und eines Arztes vor.

    Da der 17-Jährige im Flugzeug allerdings heftigen Widerstand leistet, verweigert der Flugkapitän der Maschine schließlich die Mitnahme. Er kommt jetzt in die JVA Bochum. Eine dortige Psychologin beurteilt ihn als hochtraumatisiert.

    Die Flugfähigkeitsbescheinigung des Michael Koenen wird im Rahmen eines Eilverfahrens durch das Verwaltungsgericht Aachen deutlich in Frage gestellt und in einem unanfechtbaren Beschluß vom 28.10.2010 eine Abschiebung aktuell untersagt. Begründet wird das damit, daß sich anhand der Bescheinigung des Arztes "keine Auseinandersetzung mit den beim Antragsteller vorliegenden Befunden entnehmen“ läßt, daß die vom BAMF festgestellten Verletzungen, die dringend hätten versorgt werden müssen, nicht versorgt wurden und daß die Psychologin der JVA Bochum den Flüchtling für hochtraumatisiert hält. Daraus folgt, daß der Flüchtling "derzeit nicht flugreisefähig ist, zumindest bedarf dies weiterer Aufklärung."

    Der Leiter der Ausländerbehörde H. akzeptiert diesen Beschluß des Verwaltungsgerichtes jedoch nicht und teilt UnterstützerInnen mit, daß er sich bemühe, über das BAMF eine Abänderung des Beschlusses zu erwirken. Er beabsichtige nicht, die Freilassung des Jugendlichen anzuordnen.

    Erst die Aufhebung des Haftbeschlusses und die Ankündigung einer Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung im Amt läßt ihn nachgeben. Der Jugendliche wird dann am 29. Oktober spät nachmittags aus dem Gefängnis entlassen und kommt wieder in die Unterkunft in H.

    Am 7. Dezember 2010 wird er auf Antrag der Ausländerbehörde nach Düsseldorf umverteilt, wo er wegen des schlechten Gesundheitszustandes sofort in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wird. Nach seiner Entlassung am 28. Januar 2011 lebt er in einer Jugendeinrichtung.

WAZ 22.11.10;

Antirassistische Initiative Berlin

 

26. März 10

 

Eisenhüttenstadt in Brandenburg. Nachdem eine Frau aus Kenia das Taxi verlassen hat, um in der Zentralen Ausländerbehörde einen Asylantrag zu stellen, wird sie von Beamten der Bundespolizei festgenommen. Ihr Begehren auf Asyl, das sie laut vor den Beamten und auch vor dem Haftrichter äußert, wird ignoriert. Sie kommt wegen illegaler Einreise in Abschiebehaft, und erst hier gelingt es ihr, einen Asylantrag zu stellen.

    Erst nach 14 Tagen Abschiebehaft wird sie entlassen und kommt in die Zentrale Aufnahmestelle.

    Diese Festnahmen in unmittelbarer Nähe der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZABH), in der Schutzsuchende den Asylantrag stellen wollen, sind keine Seltenheit. Bereits im Februar wurden zwei Kameruner und eine Kenianerin am

Bahnhof von der Bundespolizei wegen illegaler Einreise festgenommen. Auch im Jahre 2009 kam es öfter zu derartigen polizeilichen Übergriffen.

ND 3.5.10

 

27. März 10

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Auf der Tanzfläche einer Diskothek in Magdeburg winkt ein Mann einen Flüchtling kurz nach Mitternacht mit einer Handbewegung zu sich heran und versetzt diesem dann einen Kopfstoß.

    Der Betroffene ruft noch vor Ort die Polizei und erstattet Anzeige. Als sein Freund bei dem Täter nachfragt, schweigt dieser. Dessen Freund aber antwortet mit rassistischen Parolen: "Geht erst mal Deutsch lernen!", "Das ist unser Land!"

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

13. April 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die 35 Jahre alte Frau I. aus Tschetschenien schneidet sich mit einem Messer die Pulsadern auf. Daraufhin kommt sie in die geschlossene Abteilung der Klinik für Psychiatrie in Detmold.

    In dieser Klinik befand sie sich bereits nach einer Noteinweisung im November 2009, weil sie versucht hatte, sich mit Tabletten zu vergiften. Als Frau I. noch während ihres stationären Aufenthalts einen Abschiebebeschluß erhielt, öffnete sie sich mit Stricknadeln die Pulsadern. Der Beschluß wurde dann zunächst zurückgenommen.

    Frau I. ist mit ihrem 10-jährigen Sohn seit zwei Jahren auf der Flucht. Sie möchte mit ihrer 18 Jahre alten Tochter, die in der Bundesrepublik eine Aufenthaltserlaubnis hat, zusammenleben.

    In Polen war sie bereits in Abschiebehaft, die ihr gesundheitlich weiter sehr geschadet hat.

    Obwohl die Frau sich jetzt erneut in der Psychiatrie befindet, stellt die Ausländerbehörde einen Haftantrag. Trotz der dringenden Empfehlung des Gesundheitsamtes, die von der Behörde angeordnete Untersuchung von Frau I. wegen der Gefahr der psychischen Dekompensation im Krankenhaus durchführen zu lassen, lädt das Amtsgericht Detmold sie zu dem Anhörungstermin zum
6. Mai in eine Haftzelle des Gerichts vor.

    Jetzt schaltet sich die evangelische Gemeinde Detmold-Ost ein und nimmt die Frau morgens um 6.00 Uhr ins Kirchenasyl. Ihre drohende Verhaftung aus dem Kirchenasyl heraus kann durch die Intervention einer großen Anzahl von UnterstützerInnen verhindert werden. Die Ausländerbehörde nimmt den Haftantrag vorerst zurück.

    Mit Ablauf der Frist zum 31. Mai, innerhalb der die Bundesrepublik Deutschland Frau I. nach Polen zurückschicken kann, stellt ihr die Ausländerbehörde Detmold eine Aufenthaltsgestattung aus.

Flüchtlingsgruppe Lippe 6.5.10;

ND 12.5.10; epd 19.5.10;

LWZ 1.6.10; Bürengruppe Paderborn 2.6.10;

Flüchtlingsgruppe Lippe

 

16. April 10

 

Teilanstalt für Frauen in der Hamburger JVA Hahnöfersand. Am Morgen wird die 34 Jahre alte Indonesierin Yeni P. in ihrer Zelle von einer Vollzugsbeamtin tot aufgefunden. Sie hat sich mit dem Gürtel ihres Bademantels erhängt.

    Yeni P. war am 23. Februar wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz in Untersuchungshaft gekommen. Am 9. März hatte das Amtsgericht Hamburg vorsorglich Abschiebehaft angeordnet. Am 7. April wurde sie vom Amtsgericht

Hamburg-Barmbek wegen Verstoßes gegen ausländerrechtliche Vorschriften zu drei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Damit endete die Untersuchungshaft, und sie wurde zwei Tage später in das Frauengefängnis nach Hahnöfersand verlegt – in Vorbereitung der Abschiebung. In Abschiedsbriefen äußert sie Angst vor der Abschiebung und der Rückführung in Begleitung von Bundespolizisten. Sie hat große Angst, in Indonesien ins Gefängnis zu kommen.

    Yeni P. war bereits 1996 von Indonesien nach Hannover gezogen und hatte hier einen Deutschen geheiratet – wurde nach der Scheidung jedoch ausgewiesen. Sie versuchte noch zweimal, mit verschiedenen Identitäten und durch Heirat einen Aufenthalt zu bekommen, doch die Ehen wurden als "Schein-Ehen" deklariert und Yeni P. erneut abgeschoben. Sie hielt sich schließlich ohne gültige Papiere in Hamburg auf und finanzierte sich mit Prostitution. Durch einen Hinweis ihres Ex-Ehemannes war ihre Festnahme erfolgt.

    Am Abend ihres Todes sammeln sich ca. 400 Personen zu einer Demonstration und protestieren gegen Abschiebehaft und die Abschiebepolitik des CDU/Grünen-Senats. Das Motto: "Es gibt keinen Freitod in Abschiebehaft!"

    Am 24. April ziehen ca. 750 Menschen im Rahmen einer

weiteren Demonstration durch die Straßen Hamburgs. Sie steht unter dem Motto "Abschiebehaft ist eine tödliche Falle!"

indymedia 16.4.10; taz 16.4.10;

Polizei Hamburg 16.4.10;

HM 17.4.10; taz 17.4.10; ND 17.4.10;

FRat HH 18.4.10;

jW 19.4.10; taz 21.4.10;

jW 26.4.10; Welt 26.4.10; Bild 26.4.10;

JWB 10.6.10;

BT DS 17/10597

 

17. April 10

 

Landkreis Börde im Bundesland Sachsen-Anhalt. Die Flüchtlingsunterkunft in Harbke wird in der Nacht zum wiederholten Male mit Steinen beworfen. Dabei geht die Fensterscheibe des im Erdgeschoß liegenden Zimmers eines syrischen Bewohners kaputt – verletzt wird niemand.

    Es ist der vierte oder fünfte Angriff innerhalb weniger Wochen und der neunte Vorfall innerhalb der letzten zwei Jahre, bei denen – meist nachts - Fenster eingeworfen oder Hakenkreuze an die Wände gemalt wurden. Auch am 25. April wird gegen 2.30 Uhr ein Doppelglasfenster mit Steinen eingeworfen. TäterInnen können nicht ermittelt werden.

    Das Flüchtlingslager liegt fernab der Ortschaft mitten im Wald an der Autobahn A2. Im Notfall bräuchten Polizei und Krankenwagen bis zu einer Stunde, um auf das Gelände zu kommen. Auch die Wohnbedingungen sind katastrophal. So mußten im vergangenen Herbst einige Dutzend Familien mit Kindern woanders untergebracht werden, weil die Behörde in ihren Zimmern massiven Schimmelbefall festgestellt hatte. Zur Zeit sind dort 109 Menschen gemeldet, von denen knapp 40 noch ausharren müssen.

(siehe auch: Mai 09 und 8. November 09)

mdr 26.4.10; ddp 26.4.10;

MDZ 26.4.10; BeZ 27.4.10;  ddp 28.4.10;

 

21. April 10

 

Flughafengelände Frankfurt am Main. Als ein aus der Abschiebehaft kommender algerischer Flüchtling von den Polizisten aufgefordert wird, zum Polizeibus auf das Rollfeld zu gehen, springt er auf die Liegevorrichtung in der Einzelzelle und wehrt sich. Er ist psychisch schwer angeschlagen und wird von den BeamtInnen schnell überwältigt.

    Schließlich liegt er auf dem Zellenboden mit dem Rücken nach oben, den Kopf auf dem Schuh eines Beamten. Als er in

diesem fixierten Zustand seine Beine ein wenig bewegt, schlägt ihm eine Beamtin dreimal auf den Rücken, bis ein Kollege sie anweist, damit aufzuhören.

    Der Gefangene wird mit polizeilicher Begleitung nach Algerien abgeschoben.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

22. April 10

 

Bundesland Niedersachsen. Der Vorstand des Kirchenkreises der Auferstehungsgemeinde in Rotenburg beschließt, die 70 Jahre alte Dulja Saiti und ihre 49-jährige Tochter Selvije Ernst ins Kirchenasyl zu nehmen, um die beiden Romafrauen aus dem Kosovo vor der drohenden Abschiebung nach Serbien zu schützen.

    Sie sind seit 19 Jahren in Deutschland. Selvije Ernsts deutscher Ehemann und Vater ihres Sohnes war gestorben, bevor sie durch die Ehe ein Aufenthaltsrecht bekommen konnte. Ihr heute 22 Jahre alter Sohn Mirsad Hazda macht zur Zeit eine Maler-Ausbildung und hat ein Bleiberecht. Mirsad Hazda hat sein Leben lang den beiden Frauen als Vorleser, Dolmetscher, Organisator und Entscheider zur Seite gestanden. Sie können beide weder schreiben noch lesen, sie sind traumatisiert und leiden unter Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Problemen. Mirsad Hazda betreut und versorgt sie.

    Neu erstellte gesundheitliche Gutachten wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht weiter in Betracht gezogen, und auch die niedersächsische Härtefall-Kommission nahm den Antrag aus formalen Gründen gar nicht erst an. Die Begründung durch die Vorsitzende Michaela Schaffer: Die Frauen hätten sich ihrem Abschiebetermin durch ein gesetzeswidriges Kirchenasyl entzogen.

    Obwohl es ein Gutachten des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes des Landtages gibt, das das Eingreifen der Härtefall-Kommission durchaus erlaubt, hat Frau Schaller ein Gegengutachten vom Innenministerium veranlaßt.

    Am 30. September 2011 entscheidet das Verwaltungsgericht Stade, daß die Frauen weder in den Kosovo noch nach Serbien abgeschoben werden dürfen, und verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die beiden Frauen gemäß § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit) anzuerkennen.

    Nachdem die Ausländerbehörde den Haftbefehl aufgehoben hat, können Mutter und Tochter nach 527 Tagen Kirchenasyl wieder zurück in ihre Wohnung.

Evang.-Luth. Kirchenkreis Rotenburg;

taz 17.5.10; FRat NieSa 6.7.10;

Evang.-Luth. Landeskirche 9.8.10;

WK 5.10.10; WK 3.11.10; RR 22.1.11;

KrZ 2.2.11; RR 6.2.11;

RR 20.2.11; RR 6.3.11; RR 19.3.11;

WK 1.10.11; taz 4.10.11

 

23. April 10

 

Strausberg im Bundesland Brandenburg. Gegen 20.00 Uhr wird ein Flüchtling aus Kamerun auf dem Bahnhof aus einer Gruppe Neonazis heraus mit Worten wie "Die schwarze Negerfotze soll verschwinden", "Nigger" oder "Negerschwein" beleidigt. Dann wird ihm ins Gesicht geschlagen.

Opferperspektive;

VS-Bericht Brbg 2010

 

27. April 10

 

Porta-Westfalica in Nordrhein-Westfalen. Morgens um 1.00 Uhr sucht die Polizei den 27 Jahre alten syrisch-kurdischen Flüchtling Fauas Emo auf, nimmt ihn fest und bringt ihn in Abschiebehaft nach Paderborn, um ihn nach Syrien abzuschieben.

    Fauas Emo war im Jahre 2004 in die Bundesrepublik geflüchtet, hatte Asyl beantragt, was abgelehnt wurde, bekam aber Arbeit bei der Firma Edeka Kauf, der er einige Jahre – bis zum Tage seiner Festnahme – nachgehen konnte.

    Er ist Yezide und nach religiösem Ritus verheiratet. Da diese Ehe standesamtlich nicht registriert ist, wird sie behördlicherseits nicht anerkannt, so daß seine Ehefrau und der 1-jährige Sohn in Hannover leben müssen.

    Mitte Juni wird Fauas Emo aus der Abschiebehaft entlassen, er darf seine Arbeit wieder aufnehmen und ihm wird sogar erlaubt, eine Fahrerlaubnis zu machen.

Yekitimedia 13.5.10;

yekitimedia.org 17.5.10; MT 17.5.10

 

28. April 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein Flüchtling aus dem Irak kommt aus der Abschiebehaft Mannheim und soll nach Oslo zurückgeschoben werden. Er macht einen verwahrlosten und depressiven Eindruck. Die Bundespolizei stellt fest, daß sein gesamter Oberkörper verbunden ist, weil er sich selbst am Oberkörper zahlreiche Schnittwunden zugefügt hat. Die Wunden bluten noch.

    Die Bundespolizei bricht die Abschiebung aus medizinischen Gründen ab.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

Frühjahr 10

 

Bundesland Thüringen. In der Flüchtlingsunterkunft Gangloffsömmern lebt eine chinesische Frau mit ihrem sechs Monate alten Säugling. Der Vater des Babys und somit auch das Kind selbst sind Deutsche.

    Die Frau, die hier schon einige Jahre lebt, ist in dieser Zeit die einzige im ganzen Heim. Sie ist völlig verzweifelt, weil sie sich permanent gegen die Belästigungen alleinlebender Männer zur Wehr setzen muß. Auch sind Arztbesuche und sogar das tägliche Einkaufen sehr schwierig für sie.

    Das Baby ist in seiner Entwicklung offensichtlich zurückgeblieben. Es erscheint zwei Frauen von der Migrationsberatung "wie starr geworden", denn es bewegt sich fast nicht.

    Sämtliche Anträge, umziehen zu dürfen, werden von Amts wegen abgelehnt. Schließlich gelingt es den Migrationsberaterinnen, die Frau in einem Frauenhaus in Erfurt unterzubringen. Erst hier, in der geschützten Umgebung, löst sich die Starre des Kindes nach und nach.

FRat Thüringen Info Heft 51 1/2012

 

1. Mai 10

 

Bundesland Bayern. In der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Veitshochheimer Straße brennt in der Nacht eine Lagerhalle. Menschen kommen in dieser ehemaligen Emery-Kaserne nicht zu Schaden.

Mainpost 1.5.10

 

1. Mai 10

 

Freiburg im Bundesland Baden-Württemberg. Im Übergangswohnheim in Betzenhausen brennt um 13.55 Uhr im Eingangsbereich zu einem Treppenraum eine Matratze aus Schaumstoff. Die BewohnerInnen löschen das Feuer zunächst mit einem Feuerlöscher – gerufene Feuerwehrleute mit Atemschutz bringen die Matratze ins Freie, löschen die Reste des Brandes, kühlen Wand und Decken des Treppenhausein

ganges.

    Durch die starke Rauchentwicklung, die in den zwei Gebäuden in mehrere Wohnungen drang, werden ein Obdachloser und zwei Flüchtlinge verletzt. Eine von ihnen, eine

schwangere Asylbewerberin, wird zur Behandlung und Beobachtung über Nacht im Krankenhaus behalten.

Wohnheimverwaltung;

BaZ 1.5.10

 

11. Mai 10

 

JVA Büren im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Ein 31 Jahre alter psychisch schwerkranker und suizidgefährdeter Kurde wird in die Türkei abgeschoben. Dies geschieht gegen die Vota seines behandelnden Arztes und des in der JVA tätigen Psychiaters: Der Mann leidet an einer schweren Depression und einer Angsterkrankung, die als posttraumatisch eingestuft wurden – zudem hat er anfallsartige Schwächezustände in den Beinen.

    Er berichtet später, daß er nach seiner Abschiebung zuerst für einige Wochen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde. Nach seiner Entlassung bemüht er sich um Identitätspapiere. Diese werden ihm von den Behörden verweigert, weil ihm während seines 14-jährigen Deutschland-Aufenthaltes die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt worden war. Eine Tatsache, die dem türkischen Generalkonsulat in Münster bekannt war. Das Konsulat in Essen stellte jedoch ein Reisedokument aus, so daß die Abschiebung – nach zwei krankheitsbedingten Abbrüchen – schließlich durchgesetzt wurde.

    Der Abgeschobene lebt also ohne gültige Papiere in Istanbul. Er kann weder Arbeit aufnehmen noch ein Zimmer mieten. Er ist obdachlos und hält sich versteckt, weil er schon mehrfach von der Polizei festgenommen, verhört und mißhandelt wurde. Da er nur wenig Türkisch spricht und an seiner Aussprache erkannt werden kann, daß er kurdischer Herkunft ist, wird er von vielen Leuten als verdächtig angesehen. Er ist als Papierloser der alltäglichen Willkür der Menschen ausgesetzt. Familienangehörige oder Freunde, die ihm helfen könnten, hat er hier nicht mehr. Er ist auf fremde Hilfe angewiesen.

    Erst im Dezember gelingt es UnterstützerInnen aus der Bundesrepublik, ein Zimmer anzumieten, so daß der Mann den Winter über nicht auf der Straße leben muß. Sie übernehmen auch die Kosten für seinen Lebensunterhalt. Eine Menschenrechtsorganisation vor Ort kümmert sich um seine medizinische Betreuung. Er bekommt wieder Psychopharmaka, die ihn stabilisieren. Ein Anwalt und Amnesty International arbeiten an der Möglichkeit seiner Rückkehr.

epd-West 7.10.10;

Burkhard Schmidt – Pfarrer;

Barbara Neppert – ai Türkei-Kogruppe

 

11. Mai 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Die hochschwangere 41 Jahre alte Ghanaerin Merci K. stellt sich in der Krankenstation dem Medizinischen Dienst des Lagers vor und berichtet, daß sie Fruchtwasser verloren habe. Eine der zwei anwesenden Krankenschwestern fragt sie nach aktuellen Schmerzen, die Merci K. zur Zeit nicht hat. Sie wird weggeschickt und am nächsten Tag in die Unterkunft Jürgensdorf in den Landkreis Demmin nach Ost-Deutschland umverteilt. Die Tatsache, daß nach einem Blasensprung innerhalb der nächsten 24 Stunden mit der Geburt des Kindes zu rechnen ist, wird ignoriert.

    Am 13. Mai erwacht Merci K. in ihrer Unterkunft Jürgensdorf mit starken Schmerzen, so daß ein Notarzt gerufen werden muß, der sie ins Krankenhaus Demmin einliefert. Dort wird sie nach einer zehnstündigen Geburt von einem toten und voll ausgereiften Jungen entbunden.

    Der Anwalt von Merci K. stellt am 15. Mai Strafanzeige wegen "unterlassener Hilfeleistung" und aller "infrage kommenden Delikte".

    Merci K. war ohne Papiere nach Hamburg gekommen, weil hier der Vater ihres noch nicht geborenen Kindes lebt. Ihr Antrag auf Duldung war am 15. April abgelehnt worden. Obwohl die Frau bereits in Hamburg bei einer Frauenärztin in gynäkologischer und geburtsvorbereitender Behandlung war, wurde sie nach dem Umverteilungsverfahren (EASY) am 21. April in die Wohnaußenstelle der Zentralen Erstaufnahme-einrichtung Hamburgs nach Mecklenburg-Vorpommern ins Lager Nostorf-Horst umverteilt.

    Am 5. Mai erfolgte im Krankenaus Hagenow eine Routine-Untersuchung, bei der festgestellt wurde, daß die Schwangerschaft normal verlaufe und mit dem voraussichtlichen Geburtstermin in 10 bis 14 Tagen zu rechnen sei.

    Als nach dem Tod des Kindes auch die Hamburger Ärztekammer den Umgang der Hamburger Innenbehörde mit schwangeren Flüchtlingsfrauen "aufs Schärfste" verurteilt, lenkt diese ein und beschließt am 30. August, daß in der Zukunft Frauen ab der 26. Schwangerschaftswoche ein befristetes Bleiberecht bekommen sollen und zunächst in Hamburg bleiben können – also nicht mehr umverteilt werden.

    Am 22. Juli wird Merci K. durch die Hamburger Ausländerbehörde aus "humanitären" Gründen eine Duldung erteilt.

    Die Regelung der Hamburger Innenbehörde, die die schwangeren Flüchtlinge schützen sollte, wird im Dezember 2011 durch den neuen SPD-geführten Senat wieder rückgängig gemacht.

    Das Strafverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung durch das medizinische Personal wird noch im Jahre 2010 eingestellt. Es könne kein schuldhaftes Verhalten der Angestellten nachgewiesen werden, heißt es.

    Mit einer Zivilklage auf Schmerzensgeld gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern will Merci A. erneut zu ihrem Recht kommen. Die Verhandlung beginnt am 8. Januar 15 vor dem Landgericht Schwerin und endet mit der Zurückweisung der Klage. Der Richter begründet dies mit der Aussage einer Krankenschwester, die sagt, daß sie der Schwangeren zum einen nicht geglaubt hätte, weil diese am nächsten Tag umverteilt werden sollte, und daß sie zum anderen angeboten hatte, einen Arzt zu rufen. Letzteres steht im Gegensatz zur Aussage der Ghanaerin.

FRat HH 13.9.10; taz 29.9.10;

DIE LINKE. 7.10.10; Hamburgische Bürgerschaft DS 19/7167;

Pro Asyl "AusgeLAGERt" 2011;

taz 8.1.15; ndr Radio MV 12.2.15

 

12. Mai 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein syrischer Flüchtling und sein 11-jähriger Sohn, die im Flüchtlingsheim Schwalmstedt festgenommen wurden, sollen nach Athen zurückgeschoben werden.

    Der Mann kann sich wegen der Sprachbarriere kaum mitteilen – der Junge weint die ganze Zeit. Sie bringen immer wieder zum Ausdruck, daß sich die Frau bzw. Mutter und wie-tere drei Kinder in der Erstaufnahmestelle in Gießen befinden, eine Tatsache, die dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchaus bekannt ist. Beide weigern sich, nach Athen zu fliegen, ohne jedoch Widerstand zu leisten.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010

 

12. Mai 10

 

Bundesland Baden-Württemberg. In der JVA Herzogenried in Mannheim brennt das Obergeschoß des Containers, in dem ausschließlich Abschiebegefangene untergebracht sind. Zwei marokkanische Männer im Alter von 31 und 33 Jahren werden

durch Rauchgase lebensgefährlich verletzt – sie fallen ins Koma. Ein weiterer Gefangener und sieben Strafvollzugsbeamte erleiden ebenfalls Rauchgasvergiftungen.

    Als die zwei Löschzüge der Berufsfeuerwehr Mannheim gegen 19.00 Uhr eintreffen, haben die Bediensteten der JVA und und Sicherheitspersonal die zwei Schwerverletzten bereits geborgen und die anderen Gefangenen herausgeholt.

    Nach eineinhalb Stunden ist das Feuer unter Kontrolle gebracht, so daß der Einsatz gegen 21.00 Uhr beendet werden kann.

    Die unverletzten knapp 40 Abschiebegefangenen werden innerhalb der JVA in anderen Zellen untergebracht.

    Sachverständige stellen fest, daß das Feuer in der Zelle der beiden schwerverletzten Gefangenen entstanden ist – die Gefangenen jedoch nicht den Notruf ausgelöst haben.

    Aufgrund der Tatsache, daß in den vier Tagen nach dem Brand sieben Gefangene abgeschoben wurden, stellt das Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim die Korrektheit der Ermittlungen "in alle Richtungen" in Frage, weil so eventuelle Zeugen schlichtweg nicht mehr zur Verfügung stehen.

    Eine Woche später erläßt die Staatsanwaltschaft Mannheim Haftbefehl wegen des Verdachtes einer vorsätzlichen Brandstiftung gegen die beiden Marokkaner, die seit einigen Tagen wieder außer Lebensgefahr sind.

    Ende November verurteilt die Vierte Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim den 33 Jahre alten Marokkaner wegen fahrlässiger Brandstiftung zu drei Jahren und sieben Monaten Haft, wobei noch eine weitere vorangegangene Straftat mit einfließt. Der Verurteilte begründet das Zündeln in der Zelle damit, daß er mit Flammen und Rauch Chaos verursachen wollte, um diese zur Flucht zu nutzen.

Sein 31-jähriger Mitgefangener wird freigesprochen.

ddp 13.5.10; Spiegel-online 13.5.10;

Focus 13.5.10; ND 14.5.10; StZ 15.5.10;

Polizei Mannheim 19.5.10; ddp 19.5.10;

Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim 29.5.10;

retter.tv 29.7.10;

RNT 9.11.10; MaM 10.11.10; SK 29.11.10;

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

18. Mai 10

 

Waltershausen, Landkreis Gotha in Thüringen. Der palästinensische Flüchtling Adna Al-Masharga aus den Westbanks wird nach Amman in Jordanien (!) abgeschoben. Dort kommt er unmittelbar in Polizeihaft, aus der er einige Tage später entlassen wird.

    Herrn Al-Masharga, der sich seit 1999 in der Bundesrepublik befand, war ein Bleiberecht verweigert worden, weil die deutschen Behörden seine Angaben zur Identität und seine Personaldokumente nicht für glaubhaft befanden. Nun wurde er mit genau diesen Dokumenten abgeschoben.

FRat Thür. 19.5.10;

LT DS Thüringen 5/995;

LT Protokoll Thüringen 26.5.10

 

19. Mai 10

 

Bundesland Thüringen – Gotha. Ein Flüchtling wird von zwei Personen tätlich angegriffen und rassistisch beleidigt. Die beiden TäterInnen werden zu einem Jahr Freiheitsstrafe sowie sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

LT DS Thüringen 5/7882

 

21. Mai 10

 

Winsen an der Luhe im Bundesland Niedersachsen. Die 38 Jahre alte Kurdin Songül Bozyigit aus Winsen bricht bei einer Untersuchung bezüglich ihrer Reisefähigkeit im Gesundheitsamt Hannover in Tränen aus und bekommt Wahnvorstellungen. Die Untersuchung wird umgehend abgebrochen.

    Aufgrund der in der Türkei erlittenen Folter und der seit Jahren anhaltenden Versuche der Ausländerbehörde, Frau Bozyigit mit ihren fünf Kindern abzuschieben, ist sie schwer traumatisiert. Sie hatte mehrere Nervenzusammenbrüche und war drei Monate lang in einem Krankenhaus. Als sie am 21.

April 10 im türkischen Konsulat ihre Abschiebepapiere abho-len mußte, brach sie völlig zusammen. Seither befindet sie sich in einem traumatischen Zustand. Sie ist nicht mehr ansprechbar und will sich nicht bewegen. Die 18-jährige Ömmöhan und ihre 19 Jahre alte Schwester Senal organisieren seither die Familie. Bei einer Abschiebung droht ihnen und auch ihrer 17-jährigen Schwester Sömöyye die Zwangsverheiratung mit Cousins. Ihrer Mutter droht die Vollstreckung einer Gefängnisstrafe.

    Songül Bozyigit war in Anatolien, wie ihr Mann auch, in der Partei der Demokratischen Gesellschaft (DTP) aktiv gewesen. Sie war deshalb im Jahre 2000 verhaftet worden und mußte sieben Tage Folter und Demütigungen ertragen. Nach der Freilassung trat sie einer Frauengruppe der HADEP bei und wurde im Juni 2002 erneut festgenommen. Diesmal dauerte die Tortur 15 Tage.

    Sie hielt sich danach Monate mit den Kindern im Untergrund versteckt, entschloß sich dann aber Ende des Jahres 2002, ihrem Mann zu folgen und in die Bundesrepublik zu flüchten.

    Ihr Asylantrag wurde abgelehnt und die inzwischen schwerkranke Frau bekam über Jahre hinweg Duldungen. Im Jahre 2007 wurde ihr Mann abgeschoben.

    Im Oktober 2010 hat sich die geringe Chance entwickelt, ein Bleiberecht für alle Familienmitglieder zu bekommen. Der Landkreis Winsen formuliert Bedingungen, die die Familie einhalten soll. Die volljährigen Töchter sollen maßgeblich zum Lebensunterhalt beitragen – dafür bekommen sie eine Arbeitserlaubnis. Die Vormundschaft für Nesren, Berat und Sömöyye übernimmt das Jugendamt und stellt dafür auch eine Familienhelferin zur Verfügung. Eine Perspektive wird sichtbar. (siehe auch: Im Jahre 2007)

Antifaschistische Aktion Winsen 5.5.10;

AK Antifaschismus Buchholz 17.5.10;

indymedia 21.5.10;

HA 6.10.10; HA 27.10.10

 

26. Mai 10

 

Bundesland Brandenburg. In Brandenburg an der Havel werden zwei jugendliche Flüchtlinge am Nachmittag auf offener Straße rassistisch beschimpft und provoziert. Da die Beiden die Provokationen zu ignorieren versuchen und weitergehen, werden sie verfolgt. Dann werden sie eingeholt und hin- und hergeschubst. Ein 17-Jähriger Angreifer hält den Kopf des 15 Jahre alten irakischen Flüchtlings fest, und ein anderer rammt mit voller Wucht sein Knie von unten gegen sein Kinn. Dann verliert der Junge das Bewußtsein.

    Als er viel später das Flüchtlingsheim erreicht, ist er orientierungslos und weint ununterbrochen – sprechen kann er nicht. Seine Mutter hebt das blutige T-Shirt hoch und sieht eine lange, offene Wunde an seinem Bauch, "wie von einem Messer". Da sich das Personal des Heimes weigert, einen Krankenwagen zu rufen, gehen Mutter und Sohn zu Fuß ins Krankenhaus.

    Die ÄrztInnen stellen fest, daß der Junge eine kurzzeitige Amnesie erlitten haben muß. Zudem stellt sich heraus, daß er mit Füßen gegen den Kopf getreten wurde. Offensichtlich wurden auch ein Schlagstock und andere Gegenstände benutzt, mit denen ihm am ganzen Körper Verletzungen zugefügt wurden.

    Als der Junge wieder sprechen kann, erzählt er, daß bei den Angreifern auch Schüler seiner Schule waren.

    Die Mutter erstattet Anzeige bei der Polizei, doch nach einem langwierigen Procedere werden die Täter vom Gericht freigesprochen.

    Der Junge aber, der hat sich, nach Aussagen seiner Mutter, seit dem Angriff komplett verändert. Er ist aggressiv geworden und immer wenn er wütend ist, dann schlägt er seinen Kopf gegen den Schrank – und richtig reden kann sie mit ihm auch nicht.

Opferperspektive;

Tagebuch des Rassismus 2013

 

2. Juni 10

 

Zwei Beamte des Polizeiabschitts 54 beobachten auf ihrem Streifengang in der Richardstraße im Berliner Bezirk Neukölln, wie ein Mann aus einem Fenster des zweiten Obergeschosses eines Mehrfamilienhauses springt. Er bleibt schwerverletzt liegen. Mit einer offenen Wadenbeinfraktur und einem Bruch des Handgelenkes kommt er ins Krankenhaus, wo er umgehend operiert und stationär behandelt wird.

    Der 40 Jahre alte Ägypter hatte sich in der Wohnung im zweiten Stock aufgehalten, als Kriminalbeamte der Direktion 5 an die Tür klopften, um einen Durchsuchungsbeschluß wegen Versicherungsbetruges zu vollstrecken. Der Mann, der sich ohne gültige Aufenthaltspapiere in Berlin aufhält, geriet in Panik und versuchte, aus dem Fenster zu flüchten.

    Es stellt sich heraus, daß der Ägypter mit dem eigentlichen Durchsuchungsgrund gar nicht in Verbindung steht. Da aber auch schnell feststeht, daß er keinen Aufenthalt hat, wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des illegalen Aufenthalts eingeleitet.

Polizei Berlin 2.6.10;

ddp 2.6.10; Welt-online 2.6.10;

ND 3.6.10

 

7. Juni 10

 

Kaisersesch in Rheinland-Pfalz. Bei der ab 7.00 Uhr morgens stattfindenden Abschiebeaktion der Familie Muradjan-Heirapetjan erleidet Frau Sarina Heirapetjan einen schweren Nervenzusammenbruch. Sie kommt in die neurologische Klinik nach Andernach. Dessen ungeachtet werden ihr Mann Albert Muradjan, ihr 14-jähriger Sohn Alik und die 15 Jahre alte Kristina weiter gedrängt, ihre Sachen zu packen, und schließlich über den Flughafen Frankfurt nach Armenien abge

schoben.

    Im Vorfeld dieser Abschiebung hat die Ausländerbehörde Cochem-Zell die Identität der Familie durch eine armenische Expertengruppe bestimmen lassen und besteht demzufolge auf dem Herkunftsland Armenien, was nachweislich falsch ist. Die Familie stammt aus Aserbaidschan – aus dem Grenzgebiet zu Nagornij Karabach: Albert Muradjan aus dem Ort Kirowabad und seine Frau aus dem Dorf Getaschen. Aufgrund ihrer armenischen Volkszugehörigkeit waren sie unter den Druck der aserbaidschanischen Behörden geraten, wurden erpreßt und sollten festgenommen werden. Bereits am 22. August 1998 brachten Nachbarn sie über die russische Grenze, sie schlugen sich über Moskau bis nach Deutschland durch und wurden hier festgenommen und abgeschoben.

    Erst nach einem zweiten Versuch im Jahre 2000 war es ihnen schließlich gelungen, in der BRD Asyl zu beantragen. Das einzige Original-Dokument, das ihre Identität belegte, war die Geburtsurkunde von Albert Muradjan, die allerdings in den Akten der Ausländerbehörden nicht mehr auffindbar ist.

    Demzufolge wird Herr Muradjan mit seinen Kindern ohne jegliche Papiere nach Armenien abgeschoben. Ohne Papiere sind auch die Zollbehörden in Eriwan nicht bereit, die Familie einreisen zu lassen – zudem haben auch die armenischen Nachforschungen ergeben, daß die Familie nicht aus Armenien stammt.

    Vater und Kinder sitzen im Flughafen fest. Als ihr Geld zu Ende geht, verkaufen sie Kleidung und kleine Habseligkeiten, um sich für den Erlös Essen zu kaufen. Nach 40 Tagen werden sie aufgefordert, das Gelände zu verlassen, und durch die Hilfe eines Taxifahrers und anderer UnterstützerInnen kommen sie in einer Hütte in der Nähe des Flughafens unter. Die Kinder sind inzwischen abgemagert und traumatisiert, und Kristina droht mit Selbsttötung.

    Währenddessen betreibt die Ausländerbehörde die Abschiebung von Sarina Heirapetjan weiter. Vier Wochen nach ihrem Zusammenbruch kann sie die Klinik verlassen und erhält eine Grenzübertrittsbescheinigung bis zum 13. August.        MitschülerInnen der Kinder und eine Bürgerinitiative sammeln Hunderte von Unterschriften, die sie bei der Ausländerbehörde vorlegen. Am 3. August erläutert der Staatssekretär des rheinland-pfälzischen Innenministeriums Roder Lewentz die offizielle Position: "Mit dem Verlassen des Flughafentransitbereichs und der damit verbundenen Einreise in die Republik Armenien wird das Rückübernahmeverfahren auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Armenien als abgeschlossen angesehen."

    Da das armenische Innenministerium die armenische Staatsangehörigkeit definitiv ausschließt, veranlaßt es schließlich den Rückflug, so daß Vater und Kinder am 27. September in Frankfurt am Main landen.

    Am 1. Oktober werden sie von vielen FreundInnen und UnterstützerInnen in Kaisersesch empfangen.

IGFM 11.8.10; RZ 14.8.10;

Wochenspiegel 18.8.10;

RZ 11.9.10; RZ 2.10.10; IGFM

 

11. Juni 10

 

Bundesland Bayern. Ein 30 Jahre alter Mann springt aus dem Fenster der 1. Etage des Dienstgebäudes der Verkehrspolizeiinspektion Feucht. Er war gegen 10.00 Uhr bei einer Verkehrskontrolle der Bundesautobahn 3 in Fahrtrichtung Regensburg festgenommen worden. Die Identitätsprüfung hatte ergeben, daß gegen ihn sechs Haftbefehle – unter anderem auch wegen Urkundenfälschung und zur Abschiebung – vorliegen.

    Nach intensiver Fahndung wird der Geflüchtete mit leichten Verletzungen wieder festgenommen.

Polizei Mittelfranken 14.6.10

 

11. Juni 10

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In Halberstadt werden am späten Vormittag zwei Flüchtlinge aus Benin im Alter von 22 und 25 Jahren von einer acht Personen starken Gruppe Rassisten angegriffen. In einem Park rempelt einer von ihnen den 22-jährigen Beniner an und beleidigt ihn mit "Neger, Neger!" Als die Flüchtlinge weitergehen, fliegt eine Flasche unmittelbar am Kopf des 22-Jährigen vorbei. Die beiden beginnen jetzt zu laufen – werden aber von der Gruppe verfolgt und weiter mit

Flaschen beworfen. Als der 22-Jährige stehen bleibt und seine Verfolger anspricht, zieht einer der Provokateure demonstrativ und herausfordernd sein T-Shirt aus. In Panik flüchten die beiden weiter in Richtung Stadtzentrum und trauen sich erst hier, in den belebteren Straßen, stehenzubleiben.

    Zeugen informieren die Polizei, und der Staatsschutz beginnt Ermittlungen wegen Beleidigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

11. Juni 10

 

Bundesland Sachsen. In einer Badewanne des Flüchtlingsheimes Döbeln versucht sich ein Flüchtling aus dem Iran umzubringen. Er bekommt Angst und ruft rechtzeitig den notärztlichen Dienst. Dieser bringt ihn ins psychiatrische Fachkrankenhaus Bethanien Hochweitzschen, in dem er bis zum 17. Juni stationär behandelt wird.

    Der Iraner, der ca. 35 Jahre alt ist, lebt seit acht Jahren im Flüchtlingsheim und erträgt die Lebensumstände nicht mehr. Er fühlt sich vieler "Ungerechtigkeit, Not und Gewalt an Mit-bewohnern" hilflos ausgesetzt und könnte "innerlich schreien". Er ist ausgebildeter Kameramann und hat schon einige Kurzfilme über die unerträgliche Situation in dem Heim gedreht.

Bericht des Betroffenen

 

13. Juni 10

 

Langburkersdorf bei Neustadt im Bundesland Sachsen. In einem Zimmer im ersten Obergeschoß des Flüchtlingsheimes entsteht gegen 22.15 Uhr ein Feuer und breitet sich auch auf die benachbarten Zimmer aus. Den gerufenen Feuerwehren der Nachbargemeinden gelingt es, das Feuer bis 22.45 Uhr zu löschen.

    Die 40 BewohnerInnen kommen ohne Schaden davon – sie werden aber aufgrund der Zerstörung einiger Gebäudeabschnitte vorübergehend im Nachbarhaus untergebracht. Die Brandursache ist unklar.

SäZ 14.6.10; SäZ 15.6.10;

FAKTuell 17.6.10;

SäZ 21.7.10

 

14. Juni 10

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Gegen 2.30 Uhr werden in Halle ein 41 Jahre alter Flüchtling aus Burkina Faso und seine 22-jährige Begleiterin von zwei Männern rassistisch beleidigt. Dann wird der Flüchtling zu Boden geschlagen.

    Am 21. Dezember wird Anklage wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gegen einen Täter erhoben.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

Polizei Halle; Staatsanwaltschaft Halle

 

22. Juni 10

 

Bundesland Thüringen. Als der 31 Jahre alte Georgier Vakhtang Abramishvili nach einem offensichtlich fingierten Anruf der Wohnungsbaugesellschaft in seine noch nicht bewohnte Wohnung geht, erwartet ihn die Polizei. Er wird festgenommen und im Rahmen des Dublin-II-Verfahrens nach Polen zurückgeschoben. Damit ist er von seiner Frau Natalia Chichua (32) und seinen ein- und 3-jährigen Töchtern Ekaterina und Ana-Maria getrennt.

    Es war ihnen gerade mal seit vier Monaten möglich und gestattet, in Erfurt zusammenzuleben.

    Im April 2007 waren seine damals schwangere Frau und ihre Eltern als Kontingentflüchtlinge in die Bundesrepublik eingereist. Sie haben jüdische Wurzeln und kommen aus der georgischen Stadt Batumi. Im September wurde Ana-Maria geboren und zwei Jahre später – ebenfalls im September - die zweite gemeinsame Tochter Ekaterina. Anträge auf Familienzusammenführung blieben erfolglos.

    Vakhtang Abramishvili, der über Polen in die Bundesrepublik kam, stellte im September 2009 einen Asylantrag und mußte zunächst in Dortmund leben. Ein Antrag auf Familienzusammenführung wurde erst mit anwaltlicher Hilfe im Februar 2010 positiv entschieden, so daß er mit seiner Familie in Erfurt leben konnte.

    Nach seiner überfallartigen Festnahme und Rückschiebung wird seine Ehefrau über eine Woche nicht über den Verbleib ihres Mannes informiert, bis er sich schließlich selbst aus einem Abschiebegefängnis in Polen melden kann. Erst nach einem Suizidversuch und der Intervention durch polnische Sozialarbeiter wird Vakhtang Abramishvili wieder freigelassen.

    Anfang Dezember 10 darf der Georgier aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens und anschließender Begutachtung durch das Gesundheitsamt wieder nach Erfurt zurückkommen. Am 21. Dezember 10 verpflichtet das Verwaltungsgericht Meiningen die Bundesrepublik, das Asylverfahren durchzu

führen.

TLZ 7.7.10;

FRat Thüringen Info Heft 51 1/2012;

Caritas Erfurt

 

23. Juni 10

 

Eine schwerkranke Frau aus Syrien ist in Begleitung ihres Mannes von Möhlau nach Berlin gefahren, um in der syrischen Botschaft ihre Identität belegen zu lassen. Während die beiden noch auf das Erscheinen der MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde warten, sagt der Botschafter zu ihnen: "Sie sind doch krank!" und schickt sie zurück nach Möhlau.

    Tatsächlich hat die schwer an Diabetes mellitus leidende Frau gerade im Mai einen Schlaganfall überlebt. Da die Ausländerbehörde die Reiseunfähigkeitsbescheinigung ihres behandelnden Arztes nicht akzeptiert hatte, war die Frau mit Terminen zur Botschaftsvorführung mehrmals genötigt worden, nach Berlin zu fahren, wozu sie körperlich gar nicht in der Lage war. Als eine Amtsärztin sie schließlich "reisefähig" schrieb, mußte sie sich auf die Reise begeben.

no lager halle 18.9.10

 

25. Juni 10

 

Bei dem Versuch, die türkisch-griechische Grenze zu überqueren, sterben in der Nacht um 4.00 Uhr 18 Menschen. Der Grenzfluß Evros ist infolge heftiger Regenfälle zu einem reißenden Strom geworden. Es gibt nur ein kleines Schlauchboot für die ca. 60 Flüchtlinge, die den Fluß überqueren wollen.

    Vier Frauen und sieben kleinen Kindern wird in das Boot geholfen – alle anderen fassen sich an die Hände und versuchen, zu Fuß durch das Wasser zu kommen. Viele können gar nicht schwimmen. Sie rutschen weg, können sich nicht halten, stürzen und werden mitgerissen.

    Unter den Flüchtlingen ist das afghanische Ehepaar Tahera und Bashir Z. mit ihren drei Kindern im Alter von sieben, neun und elf Jahren. Sie sind dem Weg nach Hamburg, denn hier lebt der Bruder von Tahera Z..

    Der 40-jährige Bashir A. Z. und zwei seiner Freunde im Alter von 27 und 59 Jahren treiben ab und werden nicht mehr gefunden.

    Die Überlebenden suchen noch lange am Ufer des Flusses nach den Vermißten – werden schließlich von der Polizei aufgegriffen und in Neo Chimonio für zweieinhalb Tage in einem Polizeiknast eingesperrt.

    Tahera Z.: "Ich sah, wie ein Freund meines Mannes, der schwimmen konnte, zwei afrikanische Frauen rettete. Dann habe ich ihn aus den Augen verloren. Meinen Mann habe ich das letzte Mal gesehen, als das Wasser ihn davon getrieben hat, seine Augen waren geschlossen und die Tasche mit den Kleidern unserer Kinder immer noch auf seinen Schultern."

    Der 30-jährigen Tahera Z. gelingt es später, mit ihren Kindern nach Hamburg zu kommen und Asyl zu beantragen.

Infomobile Tour EVROS 3.8. - 8.8.10;

Lostatborder Dez. 12

 

28. Juni 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Abschiebehaftanstalt Neuss schneidet sich eine Gefangene aus Litauen die Pulsadern in der linken Handbeuge auf und trinkt anschließend eine Flasche Duschseife.

    Der verantwortliche Gefängnisarzt Dr. Dickhaus (Neurologie, Psychiatrie, Sozialmedizin) stellt – ohne mit der Patientin gesprochen zu haben – in Frage, ob die Schnittverletzung überhaupt versorgt werden müsse. Die psychische Situation der Frau spielt für ihn offensichtlich keine Rolle, denn er äußert, daß sie am selben Abend in die Haft zurückverlegt werden solle.

    Schließlich wird die ca. 25 Jahre alte Frau ins Lukas-Krankenhaus gefahren, wo ausschließlich die Wunde behandelt wird. Auch hier findet der stattgefundene Suizidversuch keinerlei therapeutische Konsequenz, so daß die Frau noch am selben Tag wieder ins Gefängnis zurückkommt.

    Einem Unterstützer gegenüber erzählt die Frau, daß dies bereits ihr zweiter Versuch war, sich umzubringen. Sie äußert auch, daß sie wegen Depressionen früher in stationärer psychiatrischer Behandlung war.

    Als einige Tage später ein von UnterstützerInnen beauftragter Rechtsanwalt die Frau besuchen will, ist sie nicht mehr in der Haftanstalt.

MediNetz Düsseldorf;

Antirassistische Initiative Berlin

 

29. Juni 10

 

Bundesland Hessen. Im Ausländeramt Bad Schwalbach bedroht gegen Mittag die 58 Jahre alte Frau G. einen Mitarbeiter des Amtes mit einem Messer. Danach droht die schwer kriegstraumatisierte Frau, sich selbst umzubringen, wenn ihr Sohn in den Kosovo abgeschoben werden sollte. Die Abschiebung ist für heute geplant.

    Der Polizei gelingt es, die Frau im ersten Stock des Gebäudes zu isolieren. Nachdem die Verhandlungen, die sie zum Aufgeben bewegen sollen, allerdings ergebnislos verlaufen, wird Frau G. um 19.45 Uhr von einem Sondereinsatzkommando überwältigt. Sie kommt in die Psychiatrie.

    Parallel zu diesem verzweifelten Versuch der Mutter befindet sich ihr 30-jähriger Sohn Besart G. bereits am Flughafen Frankfurt. Sein Rechtsanwalt Heinrich Lau beantragt um 15.25 Uhr per Fax beim Amtsgericht Wiesbaden einstweilige Anordnung wegen Unterlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen.

Gleichzeitig schreibt er an die Bundespolizei am Flughafen und das Polizeikommissariat Bad Schwalbach. Die Maschine soll um 21.45 Uhr nach Prishtina starten.

    Besart G. teilt seinem Anwalt mit, er werde "sich umbringen, sobald er im Kosovo sei". Seine Schwester berichtet zur gleichen Zeit, daß ihr Bruder nach seiner erstmaligen Ausreise in den Kosovo im Jahre 2001 zweimal versucht hatte, sich  zu töten.

    Die Abschiebung wird abgebrochen und Besart G. kommt zur stationären Behandlung in die Psychiatrie und bleibt auch nach seiner Entlassung weiterhin in ambulanter Therapie.

    Besart G. war 1992 als 12-Jähriger mit seinen Eltern in die Bundesrepublik gekommen.

ddp 29.6.10;

 spiegel-online 30.6.10; SD 30.6.10;

WT 1.7.10; FR 6.7.10;

Heinrich Lau – Rechtsanwalt

 

Anfang Juli 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In Paderborn schneidet sich ein 45 Jahre alter Russe auf offener Straße die Pulsadern auf. Er kommt ins Krankenhaus, erleidet einen Leberkollaps und muß mehrere Tage auf der Intensiv-Station behandelt werden.

    Später kommt der Mann auf die Entgiftungsstation der psychiatrischen Klinik.

    Er ist abgelehnter Asylbewerber, der seit Jahren geduldet wird und ohne Perspektive in einem Lager bei Paderborn lebt. Er leidet unter schweren depressiven Phasen.

    Nachdem er vor eineinhalb Jahren begann, Heroin zu konsumieren, wurde er wegen der Finanzierung der Drogenabhängigkeit mehrmals straffällig und steht jetzt unter Bewährung.

Antirassistische Initiative Berlin

 

2. Juli 10

 

Bundesland Niedersachsen. In der JVA Hannover-Langenhagen wird um 22.30 Uhr der 58 Jahre alte Slawik C. tot aufgefunden. Er hat sich mit dem Kabel eines Wasserkochers an einem Kreuz des Fenstergitters erhängt. Bei dem Aufnahmegespräch habe es keinerlei Hinweise auf Selbstmordgedanken gegeben, so eine Sprecherin der JVA.

    Der Armenier Slawik C. war mit seiner Frau Asmik und seinem Sohn Samwell 1999 aus Aserbaidschan in die Bundesrepublik geflohen, nachdem ein Sohn während des Militärdienstes auf ungeklärte Weise ums Leben gekommen war.

    Sie lebten elf Jahre lang im Landkreis Harburg in Jesteburg. Ihre Asylanträge waren 2003 endgültig abgelehnt worden. Als Herr C. am 28. Juni in der Ausländerbehörde seine Duldung verlängern lassen wollte, wurde ihm ein Paß vorgelegt, und er wurde gefragt, ob er das auf dem Foto sei. Nachdem er es verneinte, wurde er festgenommen und kam in Abschiebehaft nach Hannover-Langenhagen.

    Als man ihm dort mitteilte, daß er kein Telefon bekäme, verlor er die Kontrolle: Er stellte sich ans Fenster und rief "Polizei! Polizei!", dann schlug er um sich und verletzte sich an beiden Armen, an der Schulter und am Kopf. Er mußte von fünf Beamten "fixiert" werden – dann kam er in eine videoüberwachte Arrestzelle und wurde mit Psychopharmaka ruhiggestellt. Am nächsten Tag erfolgte die Rückverlegung in seine Zelle Nummer 58. Er entschuldigte sich für sein Verhalten bei den Angestellten.

    Slawik C. sollte ohne seine Frau am 7. Juli nach Armenien abgeschoben werden, obwohl er tatsächlich aus der aserbaidschanischen Provinz Nachidjevan stammt. Das Bundeskriminalamt hatte die Kreisbehörde darauf aufmerksam gemacht, daß die Identifikationsdaten von Interpol offensichtlich verwechselt seien: aus Slawik C., geboren in Gjal in Aserbaidschan, wurde Slavik K., geboren im armenischen Arpi. Trotzdem hatte sich die Ausländerbehörde bei der armenischen Botschaft mit den falschen Daten ein Paßersatzpapier beschafft.

    Am Sonnabend, dem 10. Juli, wird Slawik C. auf dem neuen Friedhof in Jesteburg beigesetzt. 200 Menschen geben ihm das letzte Geleit.

    Auch nach seinem Tod betreibt die Ausländerbehörde die Abschiebung der 55 Jahre alten Ehefrau weiter. Die Möglichkeit, ihr zu gestatten, bei ihrem 29 Jahre alten Sohn Samwell,

seiner Lebensgefährtin und der 2-jährigen Enkeltochter zu bleiben, werde behördlicherseits "nicht erwogen". Ihr Sohn ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.

    FreundInnen und NachbarInnen der Familie, aber auch die LokalpolitikerInnen einigen sich fraktionsübergreifend, die Abschiebung der Witwe zu verhindern. Auch angesichts der bekannt gewordenen Fehlentscheidungen der Ausländerbehörde versichert Landrat Joachim Bordt, sich für ein dauerhaftes Bleiberecht der Familie einzusetzen. Als Frau C. bei der Ausländerbehörde ihre Duldung verlängern lassen will, ist sie in Begleitung von FreundInnen und LokalpolitikerInnen. Statt wie bisher für 14 Tage bekommt Frau C. eine Duldung mit einer Gültigkeit von sechs Monaten.

    Die Haftbeschwerde von Frau C. weist das Landgericht Lüneburg am 23. November 10 mit der Begründung zurück, daß die Ehefrau nach dem Tod des Betroffenen kein Beschwerderecht habe.

    Der Bundesgerichtshof entscheidet allerdings am 6. Oktober 11, daß die Haft von Slawik C. rechtswidrig war, denn der Haftantrag des Landkreises Harburg hätte die Zustimmung der Staatsanwaltschaft haben müssen, was nicht der Fall war.

    Der Landkreis Harburg äußert sich zu dem Urteil wie folgt: "Bei uns wird es keine weiteren Konsequenzen geben. Es handelt sich in keiner Weise um eine grobe Verfehlung, sondern um einen Formfehler". Allerdings ist der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde in eine andere Abteilung versetzt worden, und Abschiebeanträge werden künftig von drei statt wie bisher von zwei Personen geprüft. Kommentar des Amtsgerichts Winsen: "Wir haben den Abschiebebeschluss erlassen, weil alle anderen Voraussetzungen erfüllt waren. Das Ergebnis ist tragisch." Kommentar der Sprecherin des Innenministeriums: "Wir haben mit diesem Fall gar nichts zu tun."

HAZ 5.7.10; MT 5.7.10;

Ev.-luth. Landeskirche Hannover 6.7.10;

taz 6.7.10; FRat NieSa 7.7.10;

Anti-Rassismus-Plenum Hannover 8.7.10;

epd 8.7.10; FR 8.7.10; jW 9.7.10;

HA 15.7.10; ndr-online 24.7.10;

Landtag NieSa DS 16/2842;

HA 21.7.10; HAZ 24.7.10;

HN 26.7.10; HA 28.7.10; HN 29.7.10;

FRat NieSa 2.8.10; taz-nord 2.8.10;

HR 13.8.10; HA 13.8.10; taz 27.8.10;

HA 2.10.10; HA 29.10.10; HA 8.12.10; HA 10.2.11;

Der Schlepper Nr. 55/56 Sommer 2011;

ndr.de 23.11.11; HAZ 24.11.11;

Harburger-online 24.11.11;

FRat NieSa 25.11.11;

Harburger-online 28.11.11;

BT DS 17/10596; BT DS 17/10597;

HA 9.2.12

 

3. Juli 10

 

Bundesland Niedersachsen. Bei einer Demonstration der BewohnerInnen des Flüchtlingsheimes Meinersen gegen die menschenunwürdigen Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind, wird bekannt, daß in dem Heim auch ein 35 Jahre alter Kurde aus Syrien leben muß, der bereits zwei Herzinfarkte erlitten hat.

    Er ist seit 13 Jahren in der Bundesrepublik und muß mit seiner Frau und vier Kindern in einem 16-Quadratmeter-Raum leben. Alle seine Kinder sind hier geboren.

BrZ 2.7.10; BrZ 5.7.10;

FRat NieSa

 

4. Juli 10

 

Bundesland Niedersachsen. In der JVA Hannover-Langenhagen wird dem am Küchenfenster sitzenden Abschiebegefangenen Faruk Issa von einem Gefängnisangestellten von hinten der Kopf gegen das Fenstergitter geschlagen. Dabei zieht sich der 21 Jahre alte Gefangene eine Platzwunde an der rechten Augenbraue und eine starke Schwellung zu, die zu schweren Kopfschmerzen führt.

    Faruk Issa erstattet Anzeige gegen den Täter und kann drei Zeugen nennen, die die Attacke verfolgt haben.

    Der Angriff des Bewachers geschieht nach der Rückkehr des Flüchtlings vom Flughafen Frankfurt, über den er nach Syrien abgeschoben werden sollte. Mit Hilfe von UnterstützerInnen konnte hier jedoch erreicht werden, daß der Pilot sich letztlich weigerte, den jungen Yeziden auszufliegen.

    Der elternlose Faruk Issa war im Alter von 15 Jahren in die Bundesrepublik geflüchtet, weil hier sein Bruder und einige Schwestern leben. Er hatte immer wieder versucht zu arbeiten, doch er bekam nie eine Arbeitserlaubnis.

    Seine Festnahme geschah, als er am 21. Juni 10 in der Ausländerbehörde Wilhelmshaven seine Duldung verlängern lassen wollte. Nach Erlaß eines Haftbefehls war er umgehend nach Hannover-Langenhagen gekommen.

    Im Rahmen des Rückübernahmeabkommens mit Syrien soll er am 20. August abgeschoben werden. Nach einem Suizidversuch am 2. August wird er in einer gesonderten Zelle untergebracht.

    Trotz großer Öffentlichkeit und einer Demonstration in Oldenburg, auf der seine sofortige Freilassung gefordert wird, erfolgt seine Abschiebung bereits am 4. August mit einer Maschine der Syrian Airlines.

Bericht des Betroffenen;

Yekitimedia 22.6.10; taz 4.7.10; Karawane 14.7.10;

Scharf links 24.7.10; Bild 29.7.10;

Karawane – München 4.8.10; Zentralrat der Yeziden;

Unterstützerkreis Faruk Issas

 

5. Juli 10

 

Bundesland Niedersachsen. Morgens um 2.30 Uhr wird der Rom Rama Samir, der bei seiner Frau und den zwei kleinen Kindern zu Besuch ist, von der Polizei festgenommen und zur Abschiebung zum Flughafen Frankfurt am Main gefahren.

    Kurz vor dem Abheben des Flugzeuges nach Prishtina darf er die Maschine wieder verlassen, weil es seiner Rechtsanwältin gelungen ist, durch die kurzfristige Einreichung eines Asylantrages die Abschiebung zu verhindern.

alle bleiben – Roma Center Göttingen 5.7.10

 

7. Juli 10

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Nach dem Aus für die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft wird ein 29 Jahre alter Flüchtling aus dem arabischen Raum an einer Tankstelle in Halle von Fußballfans zunächst angepöbelt. Danach stürmen ca. 15 Jugendliche auf ihn los, treten und schlagen auf ihn ein und traktieren ihn mit Flaschen.

    Dem Angegriffenen gelingt zunächst die Flucht. Als er jedoch in eine Sackgasse läuft, wird er bei dem Versuch, sie zu verlassen, erneut angegriffen.

    Dem Angegriffenen werden mehrere Zähne ausgeschlagen und sein Kiefer wird gebrochen. Er kommt ins Krankenhaus.

Neben den deutlichen Narben im Gesicht hat er auch an den psychischen Auswirkungen des Überfalls noch lange zu leiden.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt Nr. 31/2010

 

13. Juli 10

 

Oberursel im Bundesland Hessen. In der Wohnung eines Bekannten nimmt sich die 31 Jahre alte Tiegsti H. aus Eritrea das Leben. Mit einer aufwendigen Suchaktion der Polizei wird sie erst zwei Tage später gefunden, nachdem durch Ortung ihres Handys in der Dornbachstraße um 4.55 Uhr die Wohnung geöffnet wurde.

    Tiegsti H. war sehr jung in die Bundesrepublik gekommen und hatte ausschließlich in Flüchtlingsheimen mit geduldetem Aufenthalt gelebt. Neben ihrer Muttersprache Tigrinja sprach sie fließend Deutsch und Arabisch. Zuletzt lebte sie im Flüchtlingsheim am Niederstedter Weg in Bad Homburg.

    Sie wurde krank und kam in psychiatrische Behandlung. Nachdem sie versucht hatte, im Heim Feuer zu legen, wurde sie im Köpperner Waldkrankenhaus (Psychiatrische Klinik) vorübergehend stationär aufgenommen.

    Als das Heim in Bad Homburg geschlossen werden sollte und ihre Verlegung in das Containerlager Drei Hasen in Oberursel anstand, wehrte sie sich dagegen, denn sie hatte dort schon einmal gelebt und wollte auf keinen Fall dorthin zurück.

    Das Lager Drei Hasen besteht aus ca. 100 Stahlkisten, in denen 165 Flüchtlinge aus Eritrea, Pakistan und China untergebracht sind. Obwohl SPD und CDU im Bad Homburger Kreistag vereinbart hatten, das Lager aufzulösen, wurde der Vertrag mit der Betreiberfirma im Jahre 2011 wieder verlängert.

FRat Hessen;

Polizei Oberursel;

Taunus Zeitung 16.7.10;

FR 14.6.11; Pro Asyl 20.6.11

 

13. Juli 10

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Gegen Abend erscheinen in der Kieler Flüchtlingsunterkunft sechs Personen, um Huda Adnan und ihre Tochter Tabarek abzuholen. Es sind Mitarbeiter vom Landesamt für Ausländerangelegenheiten und der Ausländerbehörde, Ärzte und Sanitäter sowie eine Dolmetscherin. Sie überwältigen die bettelnde, weinende und schreiende Mutter, indem sie sie auf den Boden werfen und mit Knien und Füßen Kopf und Rücken niederdrücken. Sie biegen ihre Arme auf den Rücken und legen der Frau, die nur mit einem T-Shirt und einer Schlafhose bekleidet ist, Metall-Handschellen an. Die 8-jährige Tabarek, die an schwerer Epilepsie leidet und mehrfach behindert ist, wird – getrennt von der Mutter – in einem Rettungswagen weggefahren. Auch sie schreit und weint nach der Mutter.

    Weder die Mitarbeitenden der Unterkunft noch das Sozialamt, der Rechtsanwalt oder die behandelnden Ärzte sind von dieser Aktion informiert. Mutter und Tochter sollen nach Schweden zurückgeschoben werden.

    In den vergangenen Monaten war das Kind mehrfach als Notfall in die Universitätsklinik Kiel eingeliefert worden. Auf dem Weg zur Fähre sind Mutter und Kind stundenlang voneinander getrennt, obwohl die Mutter die einzige Person ist, mit der Tabarek überhaupt kommunizieren kann.

    Auf dem Weg nach Travemünde fahren die Wagen hintereinander. Im Kleinbus des Landesamtes sitzt die Mutter, der inzwischen die Metall-Handschellen durch Kabelbinder ersetzt wurden. Davor fährt der Krankenwagen mit ihrer Tochter. Bei einer kurzen Pause darf Frau Adnan zu Tabarek in den Wagen. Da ihre Hände immer noch auf dem Rücken gefesselt sind, gibt sie ihrem Kind das Kuscheltier mit den Zähnen. Jetzt nimmt ihr der anwesende Arzt endlich die Plastikbänder ab.

    Auf der Fähre nach Schweden darf sie ohne Fesseln mit ihrer Tochter in einer von Polizei bewachten Kajüte sein. Tabarek leidet unter großen Schmerzen, sie hat ein Bein gebrochen. Die Mutter erleidet einen Schwächeanfall.

    Nach der Ankunft in Schweden kommt die Tochter direkt in ein Krankenhaus.

    Frau Adnan war im Jahre 2007 aus dem Irak nach Schweden geflohen, wo ihr Asylantrag abgelehnt worden war. Aus Angst vor der Abschiebung flüchtete sie im Dezember 2009 in die Bundesrepublik und ersuchte erneut um Asyl, was ihr im

Rahmen des Dublin-II-Abkommens nicht gewährt worden war.

Nordelbische Ev.-Luth. Kirche 19.7.10;

FRat SH 20.7.10; Diakonie SH 20.7.10;

taz 20.7.10; taz-nord 23.7.10;

ndr 28.7.10;

Gegenwind 265 Okt. 10

 

13. Juli 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Ein Syrer aus dem Landkreis Harz, der als Abschiebegefangener gebracht wird, fügt sich schwere Schnittverletzungen am Bauch zu, so daß die Abschie

bung abgebrochen wird. Er sollte nach Damaskus ausgeflogen werden.

Spiegel15.6.12;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010-2011

 

14. Juli 10

 

Das Landgericht Augsburg entscheidet im Klageverfahren gegen die Ablehnung des Asylantrags und spricht dem Flüchtling Ziad A. damit den Anspruch auf Zuerkennung des Abschiebeverbotes (oder auf die Zuerkennung eines Flüchtlingsausweises) zu. Das Ausweisungsverfahren wird eingestellt und eine Aufenthaltserlaubnis nach § 60 Abs. 2 AufenthG erteilt.

    Damit geht für den 37-jährigen Kurden aus Syrien ein achtjähriger Rechtsstreit zu Ende, in dessen Verlauf er zu drei Freiheitsstrafen verurteilt wurde und schwer erkrankte.

    Ziad A. war 2001 aus Syrien geflohen und hatte im Januar 2002 in der Bundesrepublik einen Antrag auf Asyl gestellt. Seine Frau lebt in Hannover. Aufgrund fehlender Heiratspapiere verweigerten die Behörden den Zusammenzug des nur nach muslimischem Ritus verehelichten Paares.

    Schon im Jahre 2002 erfolgte eine Verurteilung von Herrn A. wegen "wiederholtem Verstoß gegen räumliche Beschränkungen" (Residenzpflicht) zu 10 Tagessätzen je 10 Euro, die wenig später auf 50 Tagessätze erhöht wurden. Im März 2004 erfolgte eine Verurteilung wegen "unerlaubtem Aufenthalt ohne Paß" zu drei Monaten Haft mit dreijähriger Bewährung. Anlaß dafür war der Vorwurf der Ausländerbehörde, Ziad P. würde sich nicht hinreichend um Papiere bemühen, die für seine Abschiebung nötig seien. Im Mai 2006 wurde er wegen desselben "Delikts" erneut verurteilt. Nach der Ablehnung der Berufung und der Revision durch das Oberlandesgericht München erfolgte eine Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten, die er ab 5. April 2007 in der JVA Kempten absitzen sollte.

    Während der Haft erstellte die Ausländerbehörde Kempten einen Ausweisungsbescheid. Die Ausweisung wurde damit begründet, daß Ziad A. immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt komme (Residenzpflichtverstoß, Aufenthalt ohne Paß) und sich zukünftig auch nicht an die Gesetze halten werde.

    Am 28.10.08 und am 11.11.08 wurde Ziad A. zum dritten Mal wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Paß angeklagt und diesmal zu vier Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt.

    Ziad A. der als Landesvorsitzender der kurdischen Exilpartei politisch aktiv ist, weiß, daß auch der syrische Staat ein

Interesse an seiner Rückkehr hat. Denn als sein Bruder nach Syrien reiste, wurde er von den Behörden festgehalten und nach den Aktivitäten von Ziad A. befragt.

    Die Angst vor Abschiebung, die Trennung von seiner Frau und die Kriminalisierung durch deutsche Gerichte haben Ziad A. seelisch krank gemacht. Er begab sich in psychotherapeutische Behandlung. Zwei ärztliche Gutachten belegten eine

Posttraumatische Belastungsstörung, schwere Depressionen und Suizidalität und mündeten in der Aussage, daß Ziad A. weder reise- noch haftfähig sei. Anfang 2010 wurde er – aufgrund deutlicher Verschlechterung seines Gesundheitszustandes – in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.

    Trotz der Gutachten von mindestens drei FachärztInnen bestellte das Amtsgericht Kempten einen Amtsarzt, der die Haftfähigkeit bestätigte. Am 15. Februar wurde Ziad A. von der Polizei aus der Klinik geholt und in die JVA Hannover gebracht. Dort kam er umgehend in die psychiatrische Abteilung, wo er – aufgrund erheblicher Suizid-Gefährdung – mehrfach und über mehrere Tage in einen besonderen Haftraum verlegt wurde. Auch der verantwortliche Psychiater in der JVA, Herr Dr. W., empfahl dringend eine vorzeitige Entlassung und eine Aussetzung der Haftstrafe. Trotz alledem wurde Ziad A. nur wenige Tage vor dem regulären Ende der Haftstrafe entlassen.

    Im Oktober lebt Ziad A. mit seiner Frau und dem im April 2009 geborenen Kind in Hannover.

FRat NieSa 13.10.10

 

17. Juli 10

 

Bundesland Sachsen. Im Flüchtlingsheim Langburkersdorf bei Neustadt entsteht gegen 23.00 Uhr ein Feuer in einem unbewohnten Zimmer. Da zwei Bewohner den Brand frühzeitig entdecken, können sie alle 15 BewohnerInnen des Traktes wecken, so daß diese unverletzt ins Freie kommen.

    Die Feuerwehren aus Langburkersdorf, Neustadt, Polenz und Rugiswalde bekommen das Feuer schnell unter Kontrolle und können so ein Übergreifen der Flammen auf andere Zimmer verhindern.

    Ein Heimbewohner wird wegen des Verdachts der Brandstiftung vorübergehend festgenommen.

SäZ 21.7.10

 

19. Juli 10

 

Abschiebegefängnis Hannover-Langenhagen. Von vier Abschiebegefangenen, die am 16. Juli einen Hunger- und Durststreik begannen, kommt ein Mann ins Krankenhaus.

    Die Mitgefangenen beenden den Streik aufgrund der großen körperlichen Strapazen.

FRat NieSa

 

21. Juli 10

 

In Hamburg schluckt ein arabischer Flüchtling in Selbsttötungsabsicht Tabletten. Danach läuft er auf die Hauptverkehrsstraße, und es kann nur knapp verhindert werden, daß er überfahren wird.

    Am 27. September begeht er einen zweiten Suizidversuch.

Ein Therapeut und seine Anwältin unterstützen ihn in dem Bemühen, einen sicheren Aufenthaltsstatus zu bekommen.

Antirassistische Initiative Berlin

 

24. Juli 10

 

Zeitz in Sachsen-Anhalt. Auf offener Straße werden eine Nigerianerin und ihr 5-jähriger Sohn von drei Jugendlichen rassistisch beschimpft. Während zwei Jugendliche auf sie zulaufen, wirft ein dritter einen Stein, der knapp neben ihnen zu Boden fällt.

    In Panik flüchtet die 35-Jährige später zu Freunden in eine andere Stadt, erstattet Anzeige und stellt auch einen Umverteilungsantrag. Nachdem dieser abgelehnt wird, ist sie gezwungen, wieder in Zeitz zu leben.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

26. Juli 10

 

Halberstadt in Sachsen-Anhalt. In der Nähe eines NP-Marktes wird ein indischer Flüchtling von mehreren Rechten angegriffen. Sie pöbeln "Ausländer raus!" und schlagen und treten auf den 28-Jährigen ein. Es gelingt ihm, die Polizei zu rufen, die noch vor Ort einen 40-jährigen Angreifer vorläufig festnehmen kann.

    Der Inder muß seine Verletzungen ambulant im Krankenhaus behandeln lassen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt Nr. 31/2010

 

27. Juli 10

 

Nordrhein-Westfalen. Die Ausländerbehörde Essen schiebt die sechsköpfige kurdische Großfamilie Hasan nach Syrien ab. Schon am Flughafen Damaskus werden der 26-jährige Hamza Hasan und sein 43 Jahre alter Cousin Khalid Hasan von syrischen Polizisten verhaftet.

    Die Eltern hatten vor über zwei Jahrzehnten in der Bundesrepublik Asyl beantragt. Sie konnten ihre Angaben, aus dem Libanon zu kommen, nicht aufrechterhalten und offenbarten schließlich ihre syrische Herkunft. Von den Abgeschobenen sind Hamza und Mariam – beide 21 Jahre alt – und der ein Jahr ältere Imad Hasan in Deutschland geboren.

    Nach 29 Tagen Haft in verschiedenen Gefängnissen wird Hamza Hasan entlassen. Ihm wurden mit Hinweis auf seine aus Deutschland stammenden Akten Rechtsbrüche, die er angeblich in der BRD begangen haben soll, vorgeworfen. Eine Haftstrafe wegen Diebstahls, zu der er tatsächlich verurteilt wurde, die aber zur Bewährung ausgesetzt ist, sollte er in syrischer Haft absitzen. Fraglich bleibt, woher die syrischen Behörden diese Information haben.

    Nach Auskunft der Bundesregierung ist Khalid Hasan auch im September noch in Haft.

Kurdwatch 8.8.10; Kurdwatch 7.9.10;

jW 26.10.10; BT DS 17/3365

 

4. August 10

 

Flughafen Hamburg. Der staatenlose Herr K. soll nach Mailand ausgeflogen werden. Er ist allerdings völlig mittellos und weiß nicht, wie er bargeldlos zu seiner Familie nach Rom kommen soll.

Abschiebebeobachtung HH 2010

 

7. August 10

 

Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Als ein 29 Jahre alter Asylbewerber aus Niger nach einer Feier mit Freunden am Morgen um 4.50 Uhr die Gaststätte "Feldschlößchen" verlassen hat, trifft er auf eine Gruppe von mehr als einem Dutzend einschlägig bekannten Neonazis. Er wird rassistisch angepöbelt, und plötzlich gehen vier Männer auf ihn zu und beginnen, ihn mit Faustschlägen zu traktieren. Unter Anfeuerungsrufen der Gruppe schlägt ein Mann mit einem Holzstock zu. Der Angegriffene geht zu Boden und wird jetzt mit Füßen getreten. Eine junge Frau, die ihm helfen will, wird aus der Gruppe der Angreifer heraus bespuckt. Als sie stolpert und zu Boden fällt, wird auch sie getreten. "Warum willst du denn dem Nigger helfen?" wird ihr entgegengehalten.

    Von den beiden diensthabenden Securities des "Feldschlößchen" mischt sich nur einer schlichtend ein – der Zweite, daneben Stehende, sagt zu der jungen Frau, als sie Polizei und Krankenwagen ordert, daß sie nicht den Krankenwagen zu rufen bräuchte, da der Mann am Boden "ja noch atme".

    Als die Polizei eintrifft, haben die Täter den Ort bereits verlassen – und auch der verletzte Flüchtling ist bereits auf dem Wege ins Krankenhaus. Dort werden eine Platzwunde am Kopf, eine Verletzung am Arm und Hämatome am ganzen Körper ambulant versorgt.

    Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und gefährlicher Körperverletzung.

MDZ 9.8.10;

Alternatives Bündnis Sachsen-Anhalt Süd 14.8.10;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt;

Alternatives Bündnis Sachsen-Anhalt Süd 19.8.10

 

7. August 10

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ein 6-jähriger Junge ertrinkt in dem Feuerlöschteich, der sich auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft in der Rostocker Satower Straße befindet.

    Bereits um 19.00 Uhr hatten die tschetschenischen Eltern des Kindes nach ihm gesucht und um 20 Uhr den Wachdienst des Heimes informiert. Daraufhin leitet die Polizei eine Suchaktion unter Beteiligung der Schutz- und Kriminalpolizei, von zwei Fährtenhunden und einem Hubschrauber ein.

    Als ein Loch in der Umzäunung des Feuerlöschteiches und eine Veränderung der Algen an der Wasseroberfläche bemerkt wird, werden Polizeitaucher angefordert. Um 1.15 Uhr bergen sie den leblosen Jungen.

Der Prignitzer – SVZ – 8.8.10;

OZ 8.8.10; ddp 8.8.10; OZ 13.8.10

 

10. August 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine 27 Jahre alte Frau aus Niedersachsen wird mit ihren zwei kleinen Kindern nach Peking abgeschoben. Dem Mann und Vater fehlen angeblich die erforderlichen Papiere, so daß die Familie durch die Abschiebung getrennt ist.

    Die Frau weint ununterbrochen, denn sie fürchtet Repressalien in China, weil sie dort einer Minderheit angehört.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010-2011

 

13. August 10

 

Bundesland Thüringen. Zwei irakische Jugendliche im Alter von 16 und 18 Jahren werden in der Erfurter Straßenbahn der Linie 3 zwischen Kranichfelder- und Blücherstraße von zwei bis fünf deutschen Männern angepöbelt und von zweien dann gezielt angegriffen.

    An der Haltestelle Blücherstraße versuchen die 25 und 27 Jahre alten Täter, einen der beiden Iraker aus der Bahn zu ziehen. Als dies nicht gelingt und die Angegriffenen per Handy die Polizei rufen, entfernen sich die Täter in Richtung Wiesenhügel.

    Nach kurzer Zeit werden sie von der Polizei festgenommen. Sie sind alkoholisiert und zudem als Diebe und Schläger polizeibekannt.

    Der 18-jährige Iraker muß seine leichten Verletzungen behandeln lassen.

ddp 15.8.10;

Polizei Erfurt 8.3.11

 

21. August 10

 

Bundesland Brandenburg. Im Flüchtlingsheim Waßmannsdorf löst sich im Flur des dritten und obersten Stockwerkes eine Fläche von drei Quadratmetern Deckenputz, bricht herunter und verletzt einen Bewohner an Kopf und Schulter.

    Es leben zur Zeit 137 Flüchtlinge in dieser ehemaligen Kaserne der DDR-Grenztruppen, die neuerdings unter Denkmalschutz gestellt ist. Der Zustand des über 50 Jahre alten Gebäudes ist sehr schlecht. Flur und Zimmer sind voller Wasserflecken, die zeigen, daß der Regen durch die Decken dringt und die Wände herunterläuft. In den Zimmerecken blüht schwarzer Schimmel, die Fenster sind undicht, die Wände feucht. Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert eine Kündi-gung des Betreibervertrages mit der verantwortlichen Firma K&S und eine dezentrale Unterbringung der Menschen in Wohnungen.

FRat Brbg 23.8.10;

Welt 23.8.10; jW 24.8.10;

rbb Nachrichten 25.8.10

 

28. August 10

 

Sechs Flüchtlinge, die entsprechend dem Dublin-II-Abkommen aus verschiedenen europäischen Ländern nach Griechenland zurückgeschoben wurden, werden nach einem 13-tägigen Hungerstreik vor dem Gebäude des griechischen UNHCR in Athen und nach einer Anhörung in einem Krankenhaus als politische Flüchtlinge anerkannt.

    Unter ihnen befindet sich der 28 Jahre alte Seyed Rouhollah Raufi Kalachayeh, der vor eineinhalb Jahren aus der Bundesrepublik zurückgeschoben wurde und seither obdachlos in Athen lebte. Ein anderer Hungerstreikender wartete seit neun Jahren auf eine Anhörung zu seinem Asylverfahren.

Netzwerk Welcome to Europe 29.8.10;

Antirassistische Initiative Berlin

 

31. August 10

 

Bundesland Niedersachsen. In Duderstadt wird eine Bosnierin ohne gültige Papiere aufgegriffen. Sie ist Romni und alleinerziehende Mutter von sechs Kindern im Alter von zwei bis 16 Jahren, die alle bei ihr sind. Auf Veranlassung des Landkreises Göttingen und auf Beschluß des Amtsgerichts Duderstadt wird sie in Abschiebehaft genommen. Ihre Kinder bleiben sich selbst überlassen, bzw. werden von anderen Roma in Obhut genommen.

    Erst vier Wochen später, am 30. September, wird der Abschiebehaft-Beschluß vom Landgericht Göttingen wieder aufgehoben.

    Die Frau ist jetzt zwar wieder mit ihren Kindern zusammen, jedoch ohne Bleibe und ohne Unterstützung. Die Familie lebt die nächsten drei Wochen in einem Zelt auf dem Schützenplatz – bei schlechtem Wetter unter einer Brücke in der Nähe.

    Ausländerrechtlich fühlt sich weder die Stadt Göttingen noch der Landkreis Göttingen für die Familie zuständig.

    Erst als die völlig erschöpfte Frau einen Rechtsanwalt findet, kann dieser einen Beschluß für die ausländerrechtliche Zuständigkeit erwirken. Trotzdem verweigert das Sozialamt der Stadt Göttingen den sieben Personen die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, und zwar mit der Begründung, die Stadt sei nicht zuständig, sondern der Landkreis.

    Durch ein Eilverfahren vor dem Sozialgericht Hildesheim wird entschieden, daß die Familie in einer Obdachlosenunterkunft in Göttingen untergebracht wird und daß ihr die notwenigen Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung gestellt werden.

    Die Frau bekommt einen Wertgutschein in Höhe von 100 Euro und einen Schlüssel für die Unterkunft, der allerdings nicht paßt. Da es Freitagnachmittag ist, findet sich weder ein Hausmeister noch ein Mitarbeiter des Sozialamtes, so daß die Unterkunft nicht betreten werden kann. Der anwesende Dolmetscher nimmt die Frau und die Kinder mit zu sich nach Hause, damit sie nicht wieder im Freien übernachten müssen.

    Aufgrund der weiterhin bestehenden Verweigerungshaltung des Göttinger Sozialamtes bedarf es erneut eines Eilbeschlusses des Sozialgerichts Hildesheim, daß die Familie untergebracht wird.

    Die Bosnierin bekommt erneut einen Schlüssel, dieser paßt wieder nicht. Es ist wieder Feierabend und kein Behördenmit-arbeiter ist zu erreichen. Durch Zufall gelingt es, die Tür zu öffnen, so daß die Familie endlich eine trockene Unter kunft hat.

    Zwei Kinder haben ernsthaft medizinische Probleme. Das älteste Kind hat wahrscheinlich Epilepsie, der zweitälteste Sohn kommt ins Krankenhaus, nachdem die "Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen" überhaupt erst einmal einen Besuch in einer Arzt-Praxis sicherstellen konnte. Der Sohn soll notoperiert werden.

    Nach der Anhörung der Bosnierin vor der Ausländerbehörde des Landkreises am 26. Oktober 10 wird sie mit ihren Kindern nach Friedland umverteilt. Das verschärft ihre Situation erneut, weil sich ihr Sohn an diesem Tage einer mehr-

stündigen Operation unterziehen muß, und sie in seiner Nähe sein will.

    Am nächsten Tag darf sie wieder nach Göttingen zurückkehren. Das Sozialamt erklärt sich erneut für nicht zuständig, so daß der Rechtsanwalt das dritte Eilverfahren anstrengen muß, damit die Familie eine Unterkunft in Göttingen bekommt. Da das Sozialamt der Familie keine Versorgungsleistungen erbracht hat, und es bereits wieder ein Freitagnachmittag ist, an dem die Behörde geschlossen hat, stehen die sieben Personen ohne jeglichen Euro da. Erst aufgrund langwieriger Versuche des Rechtsanwalts, bei der Stadt Göttingen, der Feuerwehr und dem Ordnungsamt Verantwortliche des Sozialamtes zu finden, um sie in die Pflicht zu nehmen, erklärt sich der Leiter des Amtes bereit, einen Betrag von 50 Euro in die Kanzlei zu bringen.

Bernd Waldmann-Stocker – Rechtsanwalt;

HNA 3.11.10

 

2. September 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In den frühen Morgenstunden verschaffen sich bewaffnete Polizisten mit Hunden zu einer Bochumer Wohnung des Flüchtlingsheimes in der Krachtstraße Zutritt. Sie nehmen eine alleinerziehende Romni und ihre drei minderjährigen Söhne mit, um sie nach Serbien abzuschieben. Die Abschiebung der seit 24 Jahren in der Bundesrepublik lebenden Frau erfolgt ohne vorherige Ankündigung.

    Die Kinder im Alter von sechs, zehn und 17 Jahren sind alle in der Bundesrepublik geboren. Die beiden jüngeren Jungen befinden sich seit 2009 kontinuierlich in psychotherapeutischer Behandlung aufgrund multipler Traumatisierungen. Ein älterer, inzwischen volljähriger Bruder der insgesamt acht Geschwister befindet sich seit 2008 in Psychotherapie.

    Ein Eilantrag der rechtlichen Vertretung der Familie wird nach wenigen Stunden vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen abgelehnt, so daß die Familie gegen 13.30 Uhr nach Serbien ausgeflogen wird.

Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum

 

5. September 10

 

Halle in Sachsen-Anhalt. Als sieben junge Männer morgens um 2.30 Uhr die Diskothek "Turm" besuchen wollen, kommen ihnen 20 bis 30 Männer entgegen, die das Gebäude verlassen wollen. Aus dieser großen Gruppe heraus beginnt ein Mann mit rassistischen Beleidigungen. Nach verbalen Auseinandersetzungen und Rempeleien entsteht eine Schlägerei, während der der 22 Jahre alte syrische Flüchtling Mohanned I. von einem Angreifer mit vier Messerstichen – einen davon in den Hals – niedergestreckt wird. Durch die stark blutenden Wunden erleidet er einen derartig hohen Blutverlust, daß er das Bewußtsein verliert. Freunde fahren den Verletzten in die Bergmannstrost-Kliniken, wo er sofort notoperiert wird.

    Während die ÄrztInnen um das Leben des Syrers kämpfen, gehen die Auseinandersetzungen vor der Diskothek weiter und entwickeln sich zu einer Massenschlägerei auf dem Friedemann-Bach-Platz, an der bis zu 43 Personen teilnehmen. Türken, Syrer, Kurden und Iraker wehren sich gegen deutsche Provokateure. Pflastersteine fliegen, Fensterscheiben splittern und Gully-Deckel werden als Wurfgeschosse genutzt. Einige der Angreifer werden der rechten Szene zugeordnet – sie tragen einschlägige Tätowierungen. "Deutschland, Deutschland" und "Sieg Heil!" wird gebrüllt. Nach dem Eintreffen der Polizei, die die Schlägerei schließlich beendet, gibt es weder Festnahmen noch Befragungen von ZeugInnen. Ausschließlich die Personalien werden notiert.

    Erst zwei Tage nach dem Geschehen wird ein 21-jähriger Tatverdächtiger aus Halle festgenommen. Er bleibt in Haft mit dem Vorwurf des versuchten Totschlags.

    Mohanned I., der sich auch nach einer Woche noch im künstlichen Koma befindet, wird ein zweites Mal operiert.

    Infolge der schweren Verletzungen erleidet er einen Hirninfarkt, der Störungen seiner Bewegungsabläufe und eine Schädigung des Sprachzentrums hervorruft. Er wird sein Leben lang unter den Folgen des Überfalls leiden müssen.

MDZ 6.9.10; MDZ 7.9.10;

MDZ 9.9.10; MDZ 10.9.10; LVZ 11.9.10;

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

7. September 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Der 28 Jahre alte Flüchtling Ahmad P. soll – nach abgelehntem Asyl und drei Wochen Abschiebehaft – nach Afghanistan abgeschoben werden. Er befindet sich in der Maschine der Safi Airways, die um 20.30 Uhr starten soll. Wenige Minuten vor dem Start flüchtet er aus dem Flugzeug und flieht in lebensgefährdender Absicht zu Fuß über das Rollfeld des größten deutschen Flughafens. Bundespolizisten stellen ihn nur wenig später.

    Ahmad P. ist Deserteur der afghanischen Armee und hatte im Jahre 2008 einen Asylantrag gestellt, der kurze Zeit später abgelehnt worden war. Er lebte in Passau und hatte größte Ängste vor einer Abschiebung. Seinem Bruder sagte er, daß er sich umbringen werde, wenn er zurück müsse.

    Am 17. September erfolgt schließlich seine Abschiebung mit dem Flug FG 706 der Ariana Afghan Airlines nach Afghanistan.

FRat Bayern 17.9.10;

jW 18.9.10; FRat Bayern 21.9.10;

taz 22.9.10; WAZ 9.12.10;

Spiegel 25.7.12;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010-2011

 

11. September 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Raum Aachen kontrolliert die Bundespolizei einen syrischen Staatsangehörigen, der mit einem Kraftfahrzeug von den Niederlanden unerlaubt eingereist ist. Da er sich weigert, das Fahrzeug zu verlassen, wird er mit körperlicher Gewalt herausgezogen, wobei er leichte Verletzungen erleidet, die anschließend ärztlich versorgt werden müssen.

    Ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz sowie gegen das Betäubungsmittelgesetz wird eingeleitet.

BT DS 17/5561

 

18. September 10

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. In der Nacht wird ein afrikanischer Flüchtling bei Boizenburg von zwei Nazis mit

einer Bierflasche gegen den Kopf niedergeschlagen. Auch als er bewußtlos am Boden liegt, treten die Täter weiter auf ihn ein.

    Die Nazis flüchten schließlich, als ein PKW vorbeifährt. Der Afrikaner schleppt sich blutend in das zwei Kilometer entfernt liegende Lager Horst. Hier informiert er die Wachleute, die die Polizei und Sanitäter ordern. Erst am nächsten Tag – nachdem er seine Aussage in Boizenburg gemacht hat und nachdem Anzeige erstattet wurde – kommt er ins Krankenhaus, in dem er vier Tage lang zur Behandlung bleibt.

indymedia 26.9.10;

LOBBI

 

20. September 10

 

Bundesland Hessen. Vier Flüchtlinge aus dem Iran beginnen einen öffentlichen Hungerstreik vor dem Rathaus in Kassel. Sie sind alle vor ca. 10 Jahren in die Bundesrepublik geflüchtet und hatten Asyl beantragt, was ihnen allen verwehrt wurde. Sie protestieren mit dieser Aktion gegen die sehr schlechten Lebensbedingungen, unter denen sie als jahrelang geduldete Flüchtlinge zu leiden haben. Sie protestieren auch gegen ihre über Jahre drohende Abschiebung in das "Unrechtsregime der Mullahs".

    Am 12. Tag des Hungerstreiks wird der 30 Jahre alte Abbas Tadrisy mit Kreislaufkollaps ins Elisabeth-Krankenhaus eingeliefert. Für ihn würde eine Abschiebung in den Iran akute Lebensgefahr bedeuten, denn sein Name und sein Foto waren auf einem Titel des Magazins "stern". Unter dem Motto "Wir haben abgeschworen" hatte er sich so von der islamischen Religion gelöst. Zudem ist er Mitglied im Zentralrat der Ex-Muslime. Er ist werdender Vater, denn seine Freundin ist im siebten Monat schwanger.

    Am 15. Hungerstreik-Tag werden die 44-jährige Zahra Mahreganfa wegen bedrohlicher Kreislaufschwäche und der 38 Jahre alte Hadi Africiabi mit starken Bauchschmerzen und akuter Schwäche ins Krankenhaus eingeliefert. Während Hadi Africiabi nach der Behandlung die Klinik am nächsten Tag wieder verlassen kann, muß Zahra Mahreganfa einige Tage länger bleiben. Ein vierter Hungerstreikender beendet seine Teilnahme an der Aktion wegen gesundheitlicher Probleme.

    Am 4. Oktober beenden die Flüchtlinge ihre Protestaktion wie geplant. Sie haben über 1000 Unterschriften gesammelt und einer größeren Öffentlichkeit ihre Situation deutlich machen können.

HNA 24.9.10; HNA 25.9.10;

www.nordhessische.de 29.9.10; HNA 29.9.10;

www.nordhessische.de 1.10.10;

Protestbrief der Kasseler Flüchtlinge 3.10.10;

HNA 4.10.10

 

21. September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Als ein junger afghanischer Flüchtling erneut einen gelben Paß bekommt, der bedeutet, daß er noch etliche Monate in diesem Lager bleiben muß, wirft er sich gegen eine Glastür, um sich zu zerstören. Dabei verletzt er sich schwer und wird eventuell einen Finger verlieren. Stark blutend kommt er ins Krankenhaus.

indymedia.de 23.9.10

 

22. September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Der afghanische Flüchtling Alireza Samadi beendet einen 12-tägigen Hungerstreik.

    Der 26-Jährige war während der ersten Tage des Hungerstreiks für eine Nacht im Integrativen Gesundheitszentrum Boizenburg, kam dann aber wieder zurück ins Lager und setzte den Hungerstreik fort. Am 16. September verschlechterte sich sein Gesundheitszustand deutlich. Einem gerufenen Arzt gegenüber verweigerte er die Aufnahme von Essen und die Annahme von Infusionen. Daraufhin wurde er am selben Tag zwangsweise in die Psychiatrie des Krankenhauses Schwerin (vermutlich Carl-Friedrich-Flemming-Klinik) eingewiesen, aber noch am selben Tag wieder entlassen, da er auch dort die Aufnahme von Essen und Infusionen verweigerte.

    An einem der folgenden Tage meldet sich Alireza Samadi aufgrund seines angeschlagenen Gesundheitszustandes und auf Anraten von UnterstützerInnen, die selbst im Lager untergebracht sind, beim dortigen Medizinischen Dienst, um sich untersuchen und behandeln zu lassen. Die Antwort dort: "Was wollen Sie, wir werden Sie morgen nach Afghanistan abschieben"

    Als ihm im Dezember von seiner Rechtsanwältin mitgeteilt wird, daß die Ausländerbehörde ihn über Hamburg nach Norwegen zurückschieben will, bricht er völlig zusammen. Er wird als nicht flugfähig, suizidgefährdet, schwer depressiv und mit der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung in einer psychiatrische Klinik in Hamburg untergebracht und hier auch die nächsten Monate behandelt.

(siehe weiter 7. Juni 12)

taz nord 17.9.10; FRat HH 18.9.10;

SVZ 20.9.10; HM 20.9.10; ndr 20.9.10;

indymedia.de 23.9.10;

dadp 23.9.10; SVZ 23.9.10; ND 23.9.10; FRat 24.9.10;

FRat HH 1.10.10; Spiegel 4/2011

 

22. September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Das Ehepaar E. aus Somalia wird von einer Krankenschwester des Medizinischen Dienstes mit den Worten "You are crazy, you are an idiot, Scheiße" beschimpft. Der Grund dafür ist, daß die 20-jährige Frau E. am Tag zuvor aufgrund ihrer schon länger andauernden gesundheitlichen Beschwerden mit Hilfe von UnterstützerInnen zu einer gynäkologischen Praxis nach Boizenburg gebracht worden war. Sie hatte vorher schon mehrmals erfolglos beim Medizinischen Dienst um eine Überweisung in eine Facharztpraxis gebeten, jedoch nur den "Rat" von den Angestellten bekommen, viel Wasser zu trinken und Schmerzmittel zu nehmen.

    In der Boizenburger Praxis war festgestellt worden, daß die seit 13 Wochen schwangere Frau in einer Klinik stationär behandelt werden müsse. Sie solle am nächsten Tag – also heute – vom Lager aus ins Krankenhaus gebracht werden.

    Als Frau und Herr E. heute der Aufforderung nachkommen und sich beim Medizinischen Dienst melden, werden sie – wie oben beschrieben – beleidigt. Sie erstatten Anzeige gegen die Krankenschwester.

    Schließlich kommt Frau E. an diesem Tag noch ins Krankenhaus Hagenow und wird hier eine Woche lang behandelt.

indymedia 23.9.10; FRat HH 3.1.11

 

24. September 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft der Stadt Borken brennt es um 1.45 Uhr an mehreren Stellen im Erdgeschoß. Da zu dieser Zeit keine weiteren Personen im Gebäude sind, wird niemand verletzt. Die Polizei ermittelt einen 49 Jahre alten Iraner als mutmaßlichen Brandstifter.

Polizei Borken 24.9.10

 

25. September 10

 

JVA Volkstedt im Bundesland Sachsen-Anhalt. Ein Abschiebegefangener wird stationär in die psychiatrische Abteilung der Helios Klinik Hettstedt verlegt, nachdem er angegeben hat, in selbsttötender Absicht eine Überdosis eines ihm verordneten Medikamentes zu sich genommen zu haben. Er befindet sich seit 45 Tagen in Abschiebehaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Der afghanische Flüchtling Herr E. leidet unter den Verletzungsfolgen von Folter. Sein Knie ist entzündet und stark angeschwollen. Es besteht die Gefahr einer sich ausbreitenden Infektion. Der Medizinische Dienst des Lagers verschreibt ihm ausschließlich Paracetamol gegen die Schmerzen.

FRat HH 10.9.10

 

September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Der 25 Jahre alte Herr S. aus Afghanistan leidet unter einer schweren Form der Schuppenflechte. Dieses hatte bereits ein Hautarzt in Hamburg diagnostiziert und von einer Verlegung nach Horst abgeraten.

    Der Medizinische Dienst im Lager überweist Herrn S. an das Universitätsklinikum Eppendorf. Da aber die Kostenübernahme nicht geklärt wird, kommt der Patient nach einer Nacht wieder zurück ins Lager. Er müsse mit der Weiterbehandlung warten, bis er wieder nach Hamburg zurückverlegt sei, wird ihm mitgeteilt.

    In Horst bekommt er ausschließlich Paracetamol gegen die Schmerzen und Salben, die wirkungslos bleiben.

FRat HH 10.9.10

 

September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Herr Sch. wurde bei einem Bombenanschlag in Afghanistan an Hüfte, Schulter und Kopf schwer verletzt. Jetzt leidet der 23-Jährige unter starken Schmerzen in Schulter und Kopf und berichtet, daß er jeden Morgen mit Blut im Mund aufwache. Dieses würde von Tag zu Tag mehr werden. Er hat bereits 5 - 6 mal beim Medizinischen Dienst nach einer Behandlung gefragt, bekommt aber lediglich Paracetamol gegen die Schmerzen.

    Er solle sich gedulden, bis er wieder nach Hamburg zurückverlegt wird, was in zwei Monaten sein wird.

FRat HH 10.9.10

 

September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Frau F. hat Nierensteine, wodurch sich starke Schmerzen im Rückenbereich entwickelt haben. Vom Medizinischen Dienst des Lagers werden ihr Paracetamol-Tabletten gegeben, die ihr zusätzlich Magenprobleme bescheren.

FRat HH 10.9.10

 

September 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Hier lebt eine Familie mit zwei kleinen Kindern, von denen ein Junge schwer behindert ist und bereits fünf Ope-rationen hinter sich hat. Weitere OPs sind geplant, die aller-dings nicht stattfinden können, solange die Familie in diesem Lager sein mußt.

indymedia.de 21.9.10

 

Herbst 10

 

Ein schwer traumatisierter Flüchtling erreicht die Bundesrepublik und beantragt Asyl. Seine Flucht in einem kleinen Boot über das Mittelmeer hätte ihn beinahe das Leben gekostet.

    In dem 12 Meter langen, mit 82 Personen völlig überfüllten Schlauchboot befanden sich Flüchtlinge aus Eritrea, Äthiopien, Nigeria und Somalia – davon 25 Frauen, zwei von ihnen waren schwanger. Sie waren am 28. Juli 09 in Tripolis gestartet, doch schon am nächsten Tag war das Benzin zu Ende und das Boot wurde manövrierunfähig. Auch das Trinkwasser war viel zu knapp.

    Am 3. August 09 meldeten sich die Bootsflüchtlinge über ein Satelliten-Telefon bei ihren Fluchthelfern in Tripolis und berichteten: "Wir treiben, einer nach dem andern stirbt! Wir

sind in der Nähe von Malta, schickt uns Hilfe!" Eine Kontaktperson auf Malta – ein Flüchtling aus Eritrea – wurde alarmiert, und dieser versuchte mehrmals, die Polizei und Küstenwache auf die Katastrophe hinzuweisen. Er wurde nicht angehört und letztlich unter Bedrohungen weggejagt.

    Am 14. August 09 wurde – von Angehörigen informiert – der Kölner Flüchtlingsrat aktiv und informierte den maltesischen Justiz-Innenminister.

    Mindestens zehn Schiffe fuhren an dem Schlauchboot vorbei, ohne etwas zur Rettung der Flüchtlinge zu unternehmen. In ihrer Verzweiflung sprangen einige Flüchtlinge ins Meer und schwammen auf die Schiffe zu, um Hilfe zu holen. Ein Flüchtling schaffte es sogar, auf eines dieser Schiffe zu klettern, wurde von der Mannschaft jedoch ins Wasser zurückgestoßen. "Nur ein Fischer hat uns irgendwann etwas Brot und ein paar Flaschen Wasser rübergeworfen."

    Als maltesische Marinesoldaten mit einem Beiboot an dem Schlauchboot anlegten, fanden sie noch fünf lebende Personen vor. Anstatt die völlig geschwächten Menschen zu retten, gaben sie ihnen Wasser, Brot und Schwimmwesten. Dann füllten sie Benzin nach und setzten einen der Flüchtlinge an den Motor. Als dieser zusammenbrach, setzten sie einen anderen Mann dort hin. Dann starteten die Soldaten den Motor, weil die Flüchtlinge schlichtweg zu schwach dazu waren. Dieses Beispiel der unterlassenen Hilfeleistung durch staatliche Organe wurde von einem Hubschrauber der "Grenzschutzagentur" FRONTEX fotografisch dokumentiert.

    Nachdem die Soldaten die Flüchtlinge verlassen hatten, trieben sie das Schlauchboot vor sich her – in Richtung Lampedusa.

    Am 20. August 09 erhielt der italienische Zoll in Messina die Nachricht von der maltesischen Marine, daß sich ein Schlauchboot mit fünf Personen, das sie seit einigen Tagen beobachteten, jetzt im italienischen Hoheitsgebiet befände. Es sei ca. 19 Seemeilen von Lampedusa entfernt.

    Nach 23 Tagen Irrfahrt und Treiben auf dem Meer, nach dem qualvollen Sterben von 77 Mitfahrenden landeten noch zwei Männer, zwei männliche Jugendliche und eine Frau aus Eritrea an der italienischen Küste an. Ein Jugendlicher und die Frau wurden umgehend nach Sizilien ins Krankenhaus geflogen.

    Unter den Bootsflüchtlingen befand sich auch der 20-jährige Bruder Abel von Gergishu Yohannes aus Eritrea, der die Fahrt nicht überlebte.

    Schon am 11. August 09 hatte Gergishu Yohannes von Deutschland aus mit Nachforschungen über den Verbleib des Bootes begonnen.

    Nach Bekanntwerden des Dramas besuchte sie die Überlebenden im Krankenhaus und in einem Internierungslager auf Sizilien. In monatelanger Kleinarbeit beschaffte sie in neun Ländern in Afrika und Europa 54 Vollmachten. Es gelang ihr, 1.317 Angehörige und FreundInnen der Toten aus Afrika, Australien, Kanada, USA und Europa in einer Interessengemeinschaft zusammenzubringen.

    Sie forderten in einem Brief an den Rat der Europäischen Kommission für Menschenrechte konsequente Aufklärung der Katastrophe, Zugang zu den Überwachungsdaten und Feststellung der Verantwortlichen. Zitat: "Ihr Leben hätte gerettet werden können, wenn die Flüchtlinge als Menschen betrachtet worden wären und nicht als 'illegale afrikanische Immigranten'."

    Mit Vollmachten der Angehörigen und FreundInnen verklagte Gergishu Yohannes den italienischen Staat wegen unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge in 72 Fällen. Diese Klage liegt auch zwei Jahre später noch bei der Staatsanwaltschaft im sizilianischen Agrigento, ohne daß Gergishu Yohannes irgend etwas über den Fortgang gehört und erfahren hat: "absolut gar nichts", sagt sie in einem Zeitungsinterview.

    Am 8. September 12 verleiht die Stiftung Pro Asyl ihr den Menschenrechtspreis für ihr Engagement.

ND 22.8.09; meltingpot 27.8.09;

borderline Jahresbericht 2009;

WOZ 8.7.10; taz 7.10.11;

Familien und Freunde der betroffenen Flüchtlinge;

ND 27.9.12;

Antirassistische Initiative Berlin

 

Herbst 10

 

Der 21 Jahre alte afghanische Flüchtling H. G. wird über München nach Budapest ausgeflogen, weil er in Ungarn als Asylbewerber registriert ist.

    Er wird umgehend inhaftiert und kommt für die nächsten drei Monate in das Gefängnis von Nyírbátor, einer Kleinstadt nahe der rumänischen und ukrainischen Grenze.

    Er beschreibt die Haftbedingungen als katastrophal. Neben häufiger Mißhandlungen seitens der Aufseher bekommen die Gefangenen stark sedierende Psychopharmaka. "Sie gehen von Zelle zu Zelle mit einem Tablett voller Pillen ..... Die Pillen machen, dass du aussiehst wie ein Zombie, und dein Gesicht bewegt sich nicht mehr." Wenn die Gefangenen sich weigern, die Pillen zu schlucken, dann drohen Schläge, bis sie es schließlich tun.

    Nach seiner Entlassung lebt er bis Februar 2011 in einem trostlosen Lager am Rande der Stadt.

Ungarn 2012

 

3. Oktober 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In Duisburg-Baerl kommt es um 1.30 Uhr im Flüchtlingsheim in der Voßbuschstraße zu einem Brand im Sanitärbereich. Menschen kommen nicht zu Schaden.

Polizei Duisburg 3.10.10

 

6. Oktober 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine vierköpfige Familie aus Rheinland-Pfalz soll nach Belgrad abgeschoben werden. Der Vater kommt direkt aus der Abschiebehaft; die Mutter und die beiden kleinen Kinder können nicht gebracht werden, weil sie zum Zeitpunkt der Abholung nicht anwesend waren.

    Es wird beschlossen, den Mann ohne seine Familie abzuschieben. Nach seinen Aussagen ist seine Frau psychisch krank und sei außerstande, die Kinder zu versorgen. Per Eilantrag

entscheidet das Verwaltungsgericht, die Abschiebung des Vaters auszusetzen und die Abschiebehaft aufzuheben, um die Familie zusammenzuführen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010-2011

 

7. Oktober 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. In den Rückführungsräumen der Bundespolizei befindet sich eine 70 Jahre alte Irakerin. Sie soll im Rahmen einer Dublin-II-Rückführung nach Lyon in Frankreich ausgeflogen werden. Die Frau macht einen kranken und verwahrlosten Eindruck und nimmt Medikamente gegen hohen Blutdruck ein. Da keine Flugtauglichkeitsbescheinigung vorliegt, wird ein Arzt, der an einem anderen Fall eingesetzt ist, zu Rate gezogen. Er untersucht die Frau und stellt einen zu hohen Blutdruck und einen zu hohen Blutzuckerwert fest. Die Rückschiebung wird daraufhin abgebrochen.

    Auf Nachfrage erklärt das Regierungspräsidium Darmstadt, daß der zuständigen Zentralen Ausländerbehörde Gießen die Erkrankung der Irakerin nicht bekannt sei.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010-2011

 

9. Oktober 10

 

Bundesland Bayern. Auf einem Parkplatz bei Feucht werden der 22 Jahre alte Syrer C. D. und der 23-jährige E. F. – ebenfalls aus Syrien – von der Polizei festgenommen. Obwohl die beiden Flüchtlinge Asyl erbitten, kommen sie in die JVA Nürnberg in Abschiebehaft.

    Nach dem Dublin-II-Abkommen sollen sie nach Italien zurückgeschoben werden.

    Im März 2011 – nach fünfeinhalb Monaten Gefangenschaft – kommen die beiden Flüchtlinge frei und werden in die Erstaufnahmeeinrichtung Zirndorf eingewiesen.

    Auf Vorhaltungen über die Unverhältnismäßigkeit der Haftdauer erklärt der zuständige Sachbearbeiter, daß die Flüchtlinge selbstverschuldet ihre Haft verlängert haben, da sie den Rechtsweg eingeschlagen hätten.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2011

 

14. Oktober 10

 

Bundesland Niedersachsen. Das Amtsgericht Northeim stellt ein Strafverfahren gegen den 32 Jahre alten Ghassan El Zuhairy ein. Das Vergehen, dessen der Iraker sich schuldig gemacht hat, sind Besuche seiner Ehefrau im Landkreis Dessau – entgegen der Erlaubnis der Ausländerbehörde und somit vierfache Residenzpflichtverletzungen.

    Ghassan El Zuhairy war im Jahre 2002 in die Bundesrepublik geflüchtet und hatte Asyl beantragt – seine Frau kam Ende 2009 nach Deutschland. Da die beiden ausschließlich nach irakischem Ritual getraut waren, wurden sie in verschiedenen Bundesländern untergebracht. Im Januar 2010 erfolgte ihre Heirat nach muslimischem Recht – eine standesamtliche Heirat war und ist aufgrund fehlender Papiere nicht möglich.

    In den Jahren ihres Aufenthalts hatte Ghassan El Zuhairy immer wieder Anträge zum Verlassen des Landkreises gestellt, um seine Frau zu besuchen. Sie wurden von der Ausländerbehörde abgelehnt, weil eine Heiratsurkunde nicht vorgelegt werden konnte.

    Wegen Geringfügigkeit und weil Herrn El Zuhairy die Fahrten hätten genehmigt werden müssen, spricht ihn das Gericht frei.

FRat NieSa 1.9.10;

HNA 3.9.10;

FRat NieSa 15.10.10;

HAZ 15.10.10

 

21. Oktober 10

 

Flughafen Hamburg. Der Inder Herr S. soll nach Delhi abgeschoben werden. Er ist absolut mittellos, hat auch kein Gepäck und sein Heimatdorf liegt ca. 900 Kilometer von Delhi entfernt.

Abschiebebeobachtung HH 2010

 

Oktober 10

 

Bundesland Bayern. Im Neuburger Flüchtlingslager lebt ein gehbehinderter Iraker, der sich entweder nur mit Krücken oder im Rollstuhl fortbewegen kann. Sein Zimmer mißt 14 Quadratmeter, ein Waschbecken gibt es nicht, und der Weg zu den Duschen ist für den Enddreißiger schwer zu bewerkstelligen. Einen Behindertenausweis hat der Flüchtling nicht bekommen.

    Das Essen läßt er sich in der Regel von Mitbewohnern bringen. Das ändert sich, als der Winter beginnt. Jetzt verlangt der Lagerleiter, daß Herr Rafik sich das Essen selber abholt. Das ist bei Schnee und Glatteis für den Flüchtling fast un

möglich.

    Erst Ende März 2011 bekommt der Mann einen Behindertenausweis und kann damit im Umkreis von 50 km kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Sein Essen allerdings – das muß er sich weiterhin an der Essensausgabe persönlich (!) abholen.

AA 21.10.10; DW Ingolstadt;

Agnes Krumwiede – Bündnis 90/Die Grünen

 

Oktober 10

 

Der 17 Jahre alte Milad X. aus Afghanistan erreicht nach einer zweijährigen Odyssee Frankfurt am Main und ist von den erlebten Geschehnissen schwer traumatisiert.

    Nach der Flucht durch Pakistan, den Iran und die Türkei wurde er im Spätsommer 2009 in Griechenland festgenommen und im Flüchtlingsknast Pagani auf der Insel Lesbos gefangen gehalten. Zehn Wochen lang saß er zusammen mit 83 meist minderjährigen Flüchtlingen in einer völlig überfüllten Zelle, bis die Gefangenen gegen die katastrophalen Lebensbedingungen protestierten und Decken und Matratzen anzündeten.

    Jetzt erst wurde Milad X. entlassen – ohne irgendwelche Hilfsangebote für Jugendliche zu erhalten. Es gelang ihm, mit dem Schiff nach Athen zu kommen, wo er Zeuge rassistischer Übergriffe wurde. Auf der Fähre nach Italien wurde er festgenommen, wurde nach Griechenland zurückgebracht und saß dort wieder acht Wochen lang im Gefängnis. Seine Entlassung erfolgte hier erst nach einer "weiteren schweren Selbstverletzung".

    In Mazedonien wurde er wieder festgenommen und kam erneut mehrere Monate in Haft. Im Februar 2010 erfolgte seine Festnahme in Ungarn, wo er auch Zeuge von Mißhandlungen anderer jugendlicher Flüchtlinge durch die ungarische Polizei wurde.

    Er stellte hier einen Asylantrag, nachdem ihm mehrmonatige Haft und die Rückschiebung nach Griechenland angedroht wurden. Die Altersfeststellung erfolgte durch Röntgen des Schlüsselbeines. Aufgrund seiner Minderjährigkeit wurde er nach Bicske überstellt und anschließend mehrere Tage in Isolation gehalten. Die Lebensbedingungen waren hier sehr schlecht, und es gab wenig Essen.

    Milad X. floh weiter, und es gelang ihm tatsächlich, nach Norwegen zu kommen, seinem eigentlichen Ziel, denn hier lebt seine Tante. Als er nach Ungarn abgeschoben werden sollte, flüchtete er nach Schweden und stellte hier einen erneuten Asylantrag.

    Schließlich erreicht er im Oktober 2010 Frankfurt und findet hier in einer Jugendeinrichtung für minderjährige Flüchtlinge Unterkunft. Auch jetzt droht ihm wieder die Rück

schiebung nach Ungarn. Da in den dortigen Akten sein Alter – entgegen der ersten Eintragung – jetzt auf 30 Jahre (!) festgelegt wurde, prophezeien ungarische Menschenrechtsorganisationen, daß ihn – sollte er rückgeschoben werden – ein mehrmonatiger Gefängnisaufenthalt erwarte.

    Nachdem die Überstellungsfrist nach Ungarn verstrichen ist, wird sein Asylantrag in der Bundesrepublik geprüft.

Pro Asyl – Tag des Flüchtlings 2011;

Bundesfachverband für UMF 18.4.11; Ungarn 2012

 

Oktober 10

 

Bundesland Bayern. Der 21 Jahre alte Flüchtling Ali X. aus Afghanistan wird nach knapp 5-monatigem Deutschland-Aufenthalt – entsprechend dem Dublin-II-Abkommen – über München nach Ungarn zurückgeschoben. Dort kommt er für drei Monate ins Gefängnis von Nyirbàtor, einem Ort nahe der Grenze zur Ukaine. Die Lebensbedingungen sind hier katastrophal. Nicht nur, daß er und seine Mitgefangenen regelmäßig von den Schließern mißhandelt werden, sie werden auch gezwungen, stark sedierende Psychopharmaka zu schlucken. "Sie gehen von Zelle zu Zelle mit einem Tablett voller Pillen ..... Die Pillen machen, daß du aussiehst wie ein Zombie und dein Gesicht bewegt sich nicht mehr."

BV für UmF 18.4.11;

Welcome to Europe Netzwerk

 

Anfang November 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. In der Kleiderkammer wird eine Bewohnerin aus Bosnien-Herzegowina von Angestellten des Lagers am Kinn festgehalten und ins Gesicht geschlagen. danach wird ihr der Arm umgedreht. Sie muß die erlittenen Verletzungen in einem Krankenhaus in Hamburg behandeln lassen.

    Drei Wochen später will die Frau Anzeige bei Polizeibeamten in der Erstaufnahmeeinrichtung erstatten. Sie wird zwar angehört, aber die Anzeige wird nicht aufgenommen – ihr wird lediglich gesagt, daß mit den Verantwortlichen gesprochen würde.

FRat HH 18.11.10;

FRat HH 3.1.11

 

4. November 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Bei einer Fahrscheinkontrolle in der S-Bahn von Wuppertal-Oberbarmen nach Wuppertal-Hauptbahnhof wird ein Marokkaner überprüft, der keinen Fahrschein bei sich hat. Als die Bundespolizisten die Identität anzweifeln, erleidet der Mann einen epileptischen Anfall. Er kommt per Rettungswagen ins Krankenhaus.

    Kurze Zeit später erscheinen die Beamten im Krankenhaus und nehmen ihn fest, weil gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und wegen Abschiebung Haftbefehle vorliegen. Der Mann kommt am nächsten Tag in die Justizvollzugsanstalt.

Polizei Sankt Augustin 4.11.10

 

5. November 10

 

Bundesland Bayern. Morgens um halb acht erscheint die Polizei in der Regensburger Wohnung einer Flüchtlingsfamilie und nimmt die Mutter in Abschiebehaft. Die 15-jährige Tochter und der 19-jährige Sohn bleiben allein zurück. Die Abschiebung in die russische Kaukasus-Republik Dagestan ist für den 11. November geplant.

    Mittels einer Eilpetition an den Bayerischen Landtag, die die Mitglieder der Regensburger Bürgerinitiative Asyl formulieren und aufgrund großer Unterstützung der MitschülerInnen und LehrerInnen der Tochter und des Arbeitgebers und der KollegInnen der Mutter wird die Abschiebung am 10. November zunächst ausgesetzt.

    Am 24. November entscheiden die Abgeordneten des Petitionsausschusses parteiübergreifend einstimmig, die Aufenthaltsentscheidung an die Härtefallkommission abzugeben, was bedeutet, daß Mutter und Tochter mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Bleiberecht erhalten werden.

    Grund für diese Regelung ist die Tatsache, daß die Familie als "gut integriert" gilt und somit ein Bleiberecht bekommen sollte. Die verwitwete Psychologin hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag, der Sohn eine Lehre begonnen und die Tochter gilt als hochbegabt und ist u.a. Streitschlichterin in der Schule.

    Nach einer Entscheidung der Innenministerkonferenz in Hamburg vom 1. November sollen Jugendliche, die in der Bundesrepublik zur Schule gehen und als integriert gelten, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

jW 12.11.10;

taz 15.11.10;

FRat Bayern 22.11.10;

Wochenblatt 23.11.10;

br online 25.11.10

 

11. November 10

 

Dem Berliner Anwalt eines Vietnamesen gelingt es, mit der Ausländerbehörde eine Vereinbarung zu treffen, die verhindert, daß sein Mandant – entgegen der eigentlichen Planung – nach Vietnam abgeschoben wird.

    Die Vereinbarung besteht darin, daß der Vietnamese "freiwillig" nach Tschechien ausreist – die Ausländerbehörde im

Gegenzug "zeitnah" über mehrere ältere Ausweisungsverfügungen entscheidet.

    Der Vietnamese – der Ende 30 ist - hat in Tschechien einen Aufenthalt. Um zu seiner in Deutschland lebenden Freundin und ihrem gemeinsamen Baby zu kommen, hatte er über seinen Rechtsanwalt mehrmals eine sogenannte Betretenserlaubnis beantragt. Da die Entscheidungen der Behörde allerdings auf sich warten ließen, war er mehrere Male ohne Erlaubnis zu seiner Familie in die BRD gefahren. Wegen dieser "illegalen Einreisen" kam er im Frühsommer in Abschiebehaft nach Berlin-Köpenick und sollte jetzt am 29. November zusammen mit vielen anderen VietnamesInnen nach Vietnam abgeschoben werden.

    Die vereinbarte "zeitnahe" Bearbeitung der Befristungsanträge bezüglich der älteren Ausweisungsverfügungen durch die Ausländerbehörde ist auch im Februar 2011 – trotz mehrfacher Mahnschreiben des Rechtsanwalts – noch nicht erfolgt.

MAZ 30.11.10;

Dr. Ralf-Peter Fiedler – Rechtsanwalt

 

12. November 10

 

Das Bremer Amtsgericht entscheidet die sofortige Freilassung eines 25 Jahre alten Abschiebegefangenen aus Indien. Damit kommt der schwerkranke Herzpatient nach sechs Monaten aus der Haft frei und kann sich am 29. November einer Herz-Operation unterziehen.

    Der Mann leidet unter einer Aortenklappen-Insuffizienz, die den Herzmuskel verändert hat und die Sauerstoff-Versorgung nicht mehr ausreichend gewährleistet. Trotzdem plante die Bremer Ausländerbehörde seine Abschiebung. Als ein kardiologisches Gutachten die Todesgefahr während des langen Abschiebefluges mit 1 zu 5 einschätzte, erklärte der zuständige Polizeiarzt den Mann für "reisefähig".

    Die Rechtsanwältin Christine Graebsch zog einen zweiten Herz-Spezialisten, Dr. Peter Harfmann, zu Rate. Dieser forderte nach Studium der Krankenakte die sofortige Operation des Inders. Ende Oktober lehnte die Ausländerbehörde dieses

weiterhin ab und zwar mit der Begründung, daß die Einschätzung des Arztes "nur aus schriftlichen Unterlagen gewonnen" sei.

    Daraufhin untersuchte Dr. Harfmann den Abschiebegefangenen vor Ort im Polizeipräsidium Bremen und kam zu dem Schluß, daß eine Operation "dringend" geboten sei und ein Langstreckenflug ein 20-prozentiges Risiko für eine "lebensgefährliche Verschlechterung" berge.

    Da auch dieses Gutachten von der Ausländerbehörde mit dem Kommentar, der Inder sei haft- und reisefähig, beantwortet wurde, reichte die Rechtsanwältin die Klage vor Gericht ein.

    Der Innensenator Ulrich Mäurer muß auf Intervention der Grünen in der Bürgerschaft eingestehen, daß das zweite Gutachten des Dr. Harfmann in der Ausländerbehörde zurückgehalten wurde und somit nicht dem Polizeiarzt zukam. Der entsprechende Mitarbeiter der Behörde, der diesen "gravierenden" Fehler gemacht hatte, wird seiner Aufgaben enthoben.

    Im März 2011 lebt der Inder in einem Heim in Huchting. Nach seiner Reha-Maßnahme teilt er sich das Zimmer mit zwei weiteren Männern. Bis zur nächsten Bushaltestelle sind es vom Heim aus 20 Minuten Fußweg. Für den Herzkranken, der noch nicht wieder Treppen steigen darf, sind somit Einkauf und Arztbesuche extreme Belastungsproben. Er hat den Umzug in eine Einzimmerwohnung beantragt.

taz 29.11.10; taz 1.12.10;

radio bremen 4.12.10;

 taz 6.12.10; WK 6.12.10;

www.scharf-links.de 6.12.10;

taz 17.3.11

 

13. November 10

 

Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst in Mecklenburg-Vorpommern. Der 2-jährige Sohn eines afghanischen Flüchtlings erleidet einen schweren epileptiformen Anfall. Der Vater bittet einen Angestellten, umgehend einen Arzt zu holen, weil er Angst um das Leben seines Kindes hat. Der Angestellte verweigert dies mit dem Hinweis darauf, daß am Montag, also zwei Tage später, der Medizinische Dienst des Lagers besucht werden kann.

FRat HH 18.11.10

 

14. November 10

 

Bundesland Thüringen. Die 25 Jahre alte Irakerin Nama Selo bringt im Suhler Krankenhaus ein Mädchen zur Welt. Sie ist Bewohnerin des Flüchtlingslagers Zella Mehlis, muß getrennt vom Kindesvater leben und bekam in den letzten vier Monaten keinen Cent Bargeld ausgezahlt. Rüde Bemerkung eines Behördenmitarbeiters: sie werde ja sowieso abgeschoben.

jW 20.11.10;

jW 21.12.10

 

14. November 10

 

Landkreis Eichstätt im Bundesland Bayern. Eine 18-jährige Frau aus Afghanistan und ein 21 Jahre alter Iraker, die im Flüchtlingsheim Denkendorf wohnen, kommen aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes in ein Krankenhaus.

    Die beiden gehören zu den 25 BewohnerInnen, die seit dem 9. November die Annahme von Essenspaketen boykottieren und aufgrund mangelnder Lebensmittel gar nichts mehr gegessen hatten.

    Die BewohnerInnen fordern: "Wir wollen Bargeld statt Essenspakete, Bewegungsfreiheit und eine menschenwürdige Wohnung, statt in diesem Lager zu wohnen. Wir wollen, daß man uns mit Anstand und Respekt behandelt, nicht so wie die Lagerleiterin in Denkendorf oder das Landratsamt Eichstätt."

    Am 19. November beschließen 200 Flüchtlinge des Augsburger Flüchtlingslagers, sich dem Boykott und den Forderungen anzuschließen und am 22. November beginnen ca. 250 Flüchtlinge in Augsburg einen Hungerstreik.

FRat Bayern 15.11.10; Radio IN 15.11.10;

MM 15.11.10;.de 15.11.10;

MbZ 15.11.10;

FRat Bayern 16.11.10; taz 18.11.10;

FRat Bayern  20.11.10; FRat Bayern 23.11.10;

FR 24.11.10

 

16. November 10

 

Bundesland Bayern - Oberfranken. In einem Badezimmer des Flüchtlingslagers Aub in der Hauptstraße 1 versucht ein iranischer Bewohner in selbsttötender Absicht, sich an beiden Handgelenken die Pulsadern durchzuschneiden. Er wird von MitbewohnerInnen gefunden, die erste Hilfe leisten und den Krankenwagen rufen.

    Der Verletzte kommt ins Krankenhaus, wo die offenen Wunden genäht und versorgt werden. Nach über zwei Wochen wird er wieder entlassen.

Ashkan Khorasani - Mitbewohner

 

17. November 10

 

Bundesland Brandenburg. In einer Potsdamer Straßenbahn beschimpft ein Rassist einen Flüchtling aus Kenia mit den Worten: "Du Nigger, was machst Du in Deutschland". Nachdem er ihn bespuckt hat, fordert er ihn auf, die Straßenbahn zu verlassen, um sich zu prügeln.

VS-Bericht Brbg

 

29. November 10

 

Vom Berliner Flughafen Schönefeld startet eine Maschine der russischen Fluggesellschaft Aeroflot, die über einen Zwischenstop in Moskau 46 VietnamesInnen nach Hanoi ausfliegt. Die Flüchtlinge kommen direkt aus der Abschiebehaft in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Eisenhüttenstadt.

    Unter ihnen befindet sich der 23 Jahre alte Nguyen X., für den mit der Abschiebung eine fünfjährige Odyssee endet. Losgeschickt als ältester Sohn einer armen Bauernfamilie wurde er schon auf der Flucht nach Europa von der Flucht-helfer-Organisation betrogen. Von Moskau aus ging der Weg zu Fuß weiter nach West-Europa – über ein Jahr lang – mit Hunger und Kälte und in Begleitung von wechselnden Schleppern. Er erlebte, wie eine Frau aus seiner Gruppe von mehreren Schleppern vergewaltigt wurde und wie einem Flüchtling beide Beine abfroren. In der Ukraine kam Nguyen X. wegen illegaler Einreise für zwei Monate ins Gefängnis, in Polen wurde er von den Schleppern in einem Erdbunker gefangen gehalten, um von seinen Eltern in Vietnam noch mehr Geld zu erpressen. Als diese nicht zahlten, weil sie nicht zahlen konnten, verschuldete Nguyen X. sich persönlich und wurde nach vier Monaten freigelassen.

    Um diese hohen Summen letztlich zurückzahlen zu können, begann der Mann zu stehlen, und als die Delikte sich summierten, kam er für zwei Jahre ins Gefängnis.

    Hier infizierte er sich mit Hepatitis-C. Die Ausländerbehörde rechtfertigt die Abschiebung des Infizierten mit dem Argument, daß die Krankheit noch nicht ausgebrochen sei. Fakt ist jedoch, daß Nguyen X. sich bei Ausbruch der Erkrankung in Vietnam die teuren Medikamente nicht leisten kann. "Als einfacher Bauer hat er dort nicht die Möglichkeit, sich behandeln zu lassen, und würde sterben", kommentiert der Jesuiten-Pater Ludger Hillebrand.

ND 9.11.10; taz 11.11.10;

TS 27.11.10;

MAZ 30.11.10; TS 30.11.10;

TS 6.12.10; taz 11.12.10; FRat Brbg

 

November 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Remscheider Flüchtlingsheim lebt ein alleinstehender Flüchtling, der offensichtlich schwere psychische Probleme hat. Er ist zeitweilig orientierungslos, verwirrt und liegt öfter krank auf dem Flur der Flüchtlingsunterkunft. MitbewohnerInnen bringen ihn dann

immer wieder in sein Zimmer zurück. Sie haben mehrmals die Hausmeister gebeten, einen Arzt oder Krankenwagen zu rufen, was diese aber nicht getan haben.

Karawane – Wuppertal

Aufruf zur Demo am 13.11.10

 

November 10

 

Landkreis Eichsfeld in Thüringen. Im Flüchtlingslager Breitenworbis lebt Ilham Celilov mit seiner Frau und ihren drei Kindern. Durch eine Bombenexplosion in Aserbaidschan hat Herr Celilov ein Bein verloren, wodurch er jetzt im Lager große Probleme hat. Die Prothese paßt nicht, so daß der Beinstumpf mittlerweile schwarz geworden ist. Die Kosten für eine neue Prothese und für eine Operation übernimmt das Sozialamt nicht. Nichts ist in diesem Lager behindertengerecht. 

    Für Herrn Celilov ist es beschämend, wenn er – auch vor Kinderaugen – sich in der Gemeinschaftsdusche auf einem Bein hüpfend bewegen muß. Zum Einkaufen muß er – wie alle anderen – kilometerweit laufen.

jW 21.11.10

 

2. Dezember 10

 

Bundesland Hamburg. Nachdem der Rom Miroslav Redzepovic (Redepovic) erfährt, daß seine Abschiebung für den 8. Dezember geplant ist, versucht sich der 22-jährige Abschiebegefangene in der JVA Billwerder die Pulsadern zu öffnen. Als dies nicht gelingt, knüpft er Schnürsenkel zusammen, um sich in seiner Zelle zu erhängen.

    Bei der Verteilung des Mittagessens wird er "noch atmend" gefunden und kommt unter Beobachtung in einen besonderen Haftraum. Am nächsten Tag erfolgt seine Verlegung in die psychiatrische Klinik Hamburg-Ochsenzoll.

    Miroslav Redzepovic war am 16. November in der Hamburger Wohnung seiner Tante festgenommen worden und saß seither in Abschiebehaft. Der 16. November war der achte Todestag seines Vaters, der sich im Jahre 2002 im Syker Rathaus aus Protest gegen die menschenverachtende Behandlung seiner Familie durch die deutschen Behörden selbst verbrannt hatte. Zwei Jahre später wurde seine Witwe mit fünf minderjährigen Kindern nach Serbien abgeschoben. Miroslav war mit seinen 14 Jahren der Älteste.

    In Serbien wurde er Opfer antiziganistischer Übergriffe. Er wurde mehrmals zusammengeschlagen – nach seinen Angaben auch von der Polizei. Seit knapp eineinhalb Monaten befand er sich wieder in Hamburg.

    Trotz zwischenzeitlicher Verlängerung der Abschiebehaft wird Miroslav Redzepovic Anfang Januar 2011 aus der Haft entlassen.

    Von da an bekommt er eine psychiatrische Behandlung, die seine psychische Situation wieder etwas stabilisiert. Mit der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen und durch die amtsärztliche Bescheinigung, daß er "flugtauglich" sei, ist er erneut von Abschiebung bedroht.

    Erst Anfang Februar 2014 werden Miroslav Redzepovic durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Abschiebehindernisse gemäß § 60 Abs. 7. AufenthG zugebilligt. Sein Rechtsanwalt hatte gerichtlich erwirken können, daß ein unabhängiges psychologisches Gutachten erstellt wird, in dem die gesundheitszerstörenden Folgen einer Retraumatisierung durch Abschiebung nach Serbien belegt wurden.

    Nach 18 Jahren Deutschland-Aufenthalt ist das Damoklesschwert einer drohenden Abschiebung erstmals gebannt und für Miroslav Redzepovic ein Zustand erreicht, aus dem endlich Sicherheit erwachsen kann.

(siehe auch: 15. November 02)

 

taz 8.12.10;

Gruppe Roma Soli Bremen 9.12.10; FRat HH 9.12.10;

ND 11.12.10; WK 13.12.10; taz 6.1.11;

Hamburgische Bürgerschaft DS 19/8120;

Hamburgische Bürgerschaft DS 20/469; taz 29.3.12;

Schattenblick 5.4.12;

FRat NieSa 5.3.14

 

6. Dezember 10

 

Flughafen Frankfurt am Main. Auf Veranlassung der Stadtverwaltung Hameln in Niedersachsen soll ein Vater mit seinen zwei minderjährigen Kindern nach Belgrad abgeschoben werden. Die Mutter ist schwerkrank und befindet sich auf unabsehbare Zeit im Krankenhaus.

    Eine Stunde vor dem Abflug erhält die Bundespolizei eine Fax-Mitteilung vom Verwaltungsgericht Hannover mit der Aufforderung, die Abschiebung abzubrechen.

    Auf Nachfragen erklärt das Innenministerium Niedersachsen, daß die seitens der Klinik abgegebenen Erklärungen zum Zustand der Mutter den Anforderungen eines ärztlichen Attestes nicht entsprochen hätten und daß Aussagen eines Arztes nicht wahrheitsgemäß waren.

    Vier Wochen später wird die Familie gemeinsam nach Serbien abgeschoben.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2010-2011

 

7. Dezember 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die 48 Jahre alte Romni Servete L. aus Heinsberg wird – einen Tag nach ihrer Festnahme – über den Flughafen Düsseldorf in den Kosovo abgeschoben. Dies geschieht, nachdem ein Amtsarzt seine vor drei Tagen gestellte Diagnose der Reiseunfähigkeit revidierte und Frau L. für reisefähig in ärztlicher Begleitung festschrieb. Dies geschieht trotz des NRW-Innenminister-Erlasses, der vom 1. Dezember bis Ende März 2011 einen Abschiebestop für Roma und andere Minderheiten in den Kosovo festlegt.

    Frau L. war am 3. Dezember bei ihrem Versuch, ihre Duldung verlängern zu lassen, festgenommen und dem Haftrichter in Geilenkirchen vorgeführt worden. Die erfolgte Abschiebung ist demnach rechtswidrig.

    Frau L. war vor 20 Jahren aus dem Kosovo in die BRD geflohen. 18 Jahre lebte sie in Heinsberg – ständig mit Kettenduldungen. Sie ist kriegstraumatisiert und herzkrank. Durch den jahrelangen Ausreisedruck, den die deutschen Behörden

ausübten, verstärkten sich Depressionen und Panikattacken. Amtsärztliche Untersuchungen bestätigen ihre Reiseunfähigkeit.

    Drei Tage nach ihrer Abschiebung wird ihren beiden jüngsten 18 und 19 Jahre alten Töchtern von der Ausländerbehörde Heinsberg mitgeteilt, daß sie einer "freiwilligen" Ausreise zustimmen sollten, andernfalls würde ihre Abschiebung am 10. Januar 11 stattfinden.

    Dem Verein Forschungsgesellschaft Flucht und Migration gelingt es, die Rechtswidrigkeit der Abschiebung von Frau L. zu skandalisieren, so daß sie vor allem wegen des geltenden Abschiebungsstops voraussichtlich im März 2011 in die Bundesrepublik zurückkehren kann. Auch die beiden Töchter kann die Ausländerbehörde nicht mehr wie geplant abschieben.

Dennoch hält die Ausländerbehörde daran fest, Frau L. nach ihrer Rückkehr nur eine Duldung für vier Monate zu erteilen und sie danach erneut abzuschieben, wenn es nicht gelingt, dauerhafte Abschiebehindernisse geltend zu machen. Auch die beiden Töchter müssen erst ihre Integrationsbemühungen nachweisen, um längerfristig der Abschiebung zu entgehen.

FFM 10.12.10; AsZ 14.2.11;

RP 12.2.11; RP 18.2.11;

FFM - Eva Weber

 

7. Dezember 10

 

Bundesland Rheinland-Pfalz. In Mayen wird morgens um 5.00 Uhr die Roma-Familie Tahiri aus dem Schlaf gerissen. Den Eheleuten Ismet und Borka Tahiri und dem 14-jährigen Sohn Avdil wird 30 Minuten Zeit gegeben, die Sachen zu packen. Dann geht es zum Flughafen Düsseldorf, von wo sie mit vielen anderen Roma in den Kosovo abgeschoben werden. Unter ihrer Jacke trägt Borka Tahiri noch den Schlafanzug, als sie in Prishtina ankommen. Mit 220 Euro ist die Familie hier völlig auf sich selbst gestellt.

    Die 47 Jahre alte Borka Tahiri ist schwer kriegstraumatisiert und leidet seit ihrer Flucht aus Mitrovica (im Kosovo) an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Seit 12 Jahren lebte die Familie in der Bundesrepublik, und seit Jahren war Frau Tahiri in ständiger fachärztlicher Behandlung und unterzog sich mit Unterstützung der Caritas Mayen einer speziellen Trauma-Therapie. In einem nervenärztlichen Attest vom 18. November wird festgestellt, daß sie nicht reisefähig ist.

    Weil Frau Tahiri nach der Abschiebung – aufgrund ihrer Traumatisierung – auf keinen Fall wieder nach Mitrovica zurückkehren kann, fährt die Familie nach Süd-Serbien, wo andere Familienangehörige in großem Verbund und in absoluter Armut leben.

    Mit der Abschiebung erfolgt der unmittelbare Abbruch der psychiatrischen Behandlung von Frau Tahiri, zudem gehen die Medikamente zu Ende und es ist kein Geld für einen Arzt da.

    Kurz nach dem Jahreswechsel bricht Frau Tahiri zusammen und fällt aufgrund einer Hirnblutung ins Koma. Im Krankenhaus Kragujevac erliegt sie am 7. Januar 11 ihrem Leiden.

    Nach Bekanntwerden ihres Todes stellt ihr Rechtsanwalt folgende Fragen: Wieso gab es keine fachärztliche Untersuchung unmittelbar vor der Abschiebung? Warum gab es keine Fachärzte und Hilfsorganisationen in Prishtina? Warum hat sich Rheinland-Pfalz nicht dem von Nordrhein-Westfalen beschlossenen Abschiebestop für Roma angeschlossen? Warum gab es keinen Abschiebeschutz für den 14-jährigen Avdil, denn nach dem Beschluß der Innenministerkonferenz vom 18. November sollten geduldete, aber integrierte Jugendliche bis zu ihrem 18. Lebensjahr bleiben dürfen?

    Aufgrund der laut werdenden Kritik äußert sich der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Karl-Heinz Bruch, in der Presse

über die "nicht glückliche Handlungsweise insgesamt" und erwähnt die eventuelle Möglichkeit einer Rückführung von Vater und Sohn. Zwei Wochen nach dem Tod von Borka Tahiri erklärt die Landesregierung, daß Vater und Sohn nach einer Rückkehr ein humanitäres Aufenthaltsrecht erhalten. Gleichzeitig wird die Übernahme der Rückreisekosten verwei-gert. Erst nachdem die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl die Kosten übernimmt, dürfen die beiden Ende März wieder einreisen.

Jens Diekmann – Rechtsanwalt 7.1.11;

Pro Asyl 10.1.11; Rheinzeitung 11.1.11;

FR 12.1.11; taz 13.1.11; jW 15.1.11;

swr "Zur Sache" 20.1.11;

FRat NRW Januar 2011;

Pro Asyl 1.4.11; Spiegel 14.6.11

 

7. Dezember 10

 

Bundesland Sachsen. Im Bereich der Ortschaft Lengefeld stellen Bundespolizisten elf irakische und einen iranischen Flüchtling. Nach ihren eigenen Angaben sind sie in dem präparierten Laderaum eines Lastkraftwagens von der Türkei über Griechenland in die BRD gefahren worden.

    Ein irakischer Flüchtling muß aufgrund seines Erschöpfungszustandes in einer Klinik behandelt werden.

BT DS 17/5561

 

9. Dezember 10

 

Bundesland Bayern. Die 26 Jahre alte Amina F. aus Aserbaidschan bekommt die Ablehnung auf ihren Brief von der Ausländerbehörde, in dem sie eine Reiseerlaubnis zum Behandlungszentrum für Folteropfer exilio in Lindau beantragt hatte. Dort sollte ein ausführliches Fachgutachten über ihre Traumatisierung erstellt werden.

    Frau F. ist in ihrer Kindheit in Aserbaidschan entführt und sexuell mißbraucht worden und leidet seither unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die sich unter anderem durch dissoziative Krampfanfälle äußert. Sie ist psychisch schwer krank und suizidgefährdet. Mit dem Gutachten von exilio will sie die Wiederaufnahme ihres Asylverfahrens aus gesundheitlichen Gründen begründen.

    Der Fachbeamte der Erlanger Ausländerbehörde Herr M. verweigert die Reiseerlaubnis, fordert Frau F. jedoch auf, eine amtsärztliche Bestätigung ihrer uneingeschränkten Reise- und Flugtauglichkeit (!) für ihre Fahrt nach Lindau (!) selbst beizubringen.

    Die Abschiebung von Frau F. ist behördlicherseits geplant. In einem Teil ihrer Ausweisungsbegründung stellt Herr M. sie als "notorische Straftäterin" dar, die eine "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit" sei. Diese Äußerungen basieren auf Strafen, die vor Jahren –  als Frau F. das Taschengeld behördlicherseits komplett gestrichen worden war – aufgrund unbezahlter Babynahrung und Zigaretten verhängt wurden und vor allem auf der eventuell anstehenden Strafe wegen "illegaler" Wiedereinreise in die BRD.  (siehe auch: 21. August 07 und 12. Juli 11)

    Amina F. war bereits am 26. September 05 erstmals in die BRD eingereist, um Asyl zu beantragen. Nach Ablehnung des Antrags war sie nach Finnland geflüchtet, wurde entsprechend dem Dublin-II-Abkommen nach Deutschland zurückgeschoben, war dann "freiwillig" nach Aserbaidschan ausgereist und kam im November 2007 zurück in die Bundesrepublik.

    Im April 2009 wird sie festgenommen und bricht am 30. April 09 vor dem Haftrichter zusammen. Die Polizei bringt sie ins Krankenhaus, von wo aus sie in die Krankenabteilung der JVA Aichach verlegt wird. Der Anstaltsarzt stellt eine einfache Flugtauglichkeitsbescheinigung aus, sie bekommt eine Beruhi

gungsspritze (Tavor) und wird dann in Begleitung von Bundespolizisten und einem Arzt abgeschoben.

    Kurz darauf gelingt ihr die erneute Einreise in die BRD, und sie wird wieder festgenommen. Schließlich diagnostiziert ein Gutacher, daß sie durch ihre häufigen Anfälle, die z.T. über eine Stunde anhalten, haftunfähig ist, so daß sie entlassen werden muß.

    Später gelingt es den Betreuerinnen von Frau F., den Umzug nach Nürnberg zu erwirken, so daß sie jetzt fachärztlich behandelt werden kann.

    Am 16. November 11 spricht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Abschiebeverbot gemäß § 60
Abs.7 S. 1 AufenthG aus.

Gemeinsame Presseerklärung am 29.11.11:

FRat Bayern, ai-Ortsgruppe Erlangen,

Ausländerbeirat Erlangen,

Internationales Frauencafé Nürnberg,

Flüchtlingsunterstützung Erlangen,

Ehrenamtliche Flüchtlingsbetreuung Erlangen;

Radio Z 29.11.11; Erlanger Nachrichten 30.11.11;

Internationales Frauencafé Nürnberg 15.12.11;

NN 14.1.12; jW 20.1.12;

Alternativer Menschenrechtsbericht 2011;

Internationales Frauencafé Nürnberg

 

13. Dezember 10

 

Bundesland Hessen. Die Polizei umstellt das Frauenhaus in Kassel, nimmt eine 27 Jahre alte Kurdin fest und bringt sie in die JVA Kaufungen. Ihre beiden Kinder, ein 7-jähriges Mädchen und ein 8-jähriger Sohn, bleiben zunächst zurück.

    In einer weiteren Aktion am nächsten Tag werden die Kinder abgeholt und zusammen mit ihrer Mutter über Frankfurt in die Türkei ausgeflogen.

    Dies geschieht, obwohl sowohl der Polizei als auch den Behörden bekannt ist, daß die Frau einen Asylfolgeantrag gestellt hat.

    Die Kurdin war als 17-Jährige von ihrer Familie gezwungen worden, unter falschem Namen in die Bundesrepublik einzureisen und einen von der Familie ausgesuchten Mann nach muslimischem Recht zu heiraten. Nachdem sie sich jetzt von diesem gewalttätigen Mann getrennt hatte, wurde sie mit Bedrohungen – sowohl von ihrer Familie, als auch von der des Mannes – so sehr unter Druck gesetzt, daß sie Schutz im Frauenhaus suchte.

    Auch klärte sie die Ausländerbehörde Uelzen über ihre falsche Identität auf. Die Folge war eine Strafanzeige wegen Betrugs und Urkundenfälschung und wegen der Einreise unter falschem Namen vor zehn Jahren, ein Haftbefehl und schließlich die Einleitung ihrer Abschiebung.

HNA 17.12.10; indymedia 16.12.10;

Frauenhaus Kassel 16.12.10;

Autonomes Ref. für Frauen und Geschlechterpolitik;

www.nordhessische.de 21.12.10

 

13. Dezember 10

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Ein 66 Jahre alter Russe, der unter chronischer Schizophrenie leidet, wird aus der Haft heraus abgeschoben. Er ist in keiner Weise medikamentell eingestellt und demzufolge völlig desolat und ohne Orientierung.

    Bereits im Jahre 2009 hatten Ärzte in einem bayerischen Krankenhaus ihn für reisefähig erklärt, allerdings erst nach längerer psychiatrischer Behandlung in einem Krankenhaus und Sicherstellung, daß der Betroffene bei Ankunft einer ärztlichen Behandlung zugeführt wird. Zu dem gleichen Urteil waren jetzt der Polizeiärztliche Dienst in Berlin und ein externer Facharzt gekommen. Aus "Fürsorgegründen" hatten sie allerdings empfohlen, "die Ausreise auf dem Luftweg durchzu-

führen". Damit stellt der Polizeiärztliche Dienst bedenkenlos die Flug- und Reisefähigkeit fest und ignoriert die schwere psychische Erkrankung des Mannes.

    Die Rechtsanwältin des Kranken, die schon einmal dafür gesorgt hatte, daß er aus der Abschiebehaft in Berlin entlassen werden mußte, weil die Abschiebehaftanordnung für rechts-widrig erklärt wurde, erwirkt auch jetzt nach der Abschiebung das gleiche Ergebnis: am 21. März 11 erklärt das Landgericht Berlin die Abschiebung für rechtswidrig.

TS 12.12.10; BM 13.12.10;

TS 15.12.10;ND 15.12.10;

Beate Böhler – Rechtsanwältin

 

17. Dezember 10

 

Bundesland Niedersachsen. Gegen 5.00 Uhr morgens wird dem Autobahnpolizeikommissariat Ahlhorn ein Verkehrsunfall auf der Bundesautobahn Nr. 1 in der Gemeinde Bakum bei Kilometer 175 gemeldet. Die Beamten finden vor Ort einen beschädigten VW LT 35 mit französischem Kennzeichen. Das Fahrzeug war rechts von der Fahrbahn abgekommen, hatte mehrere Verkehrsschilder überfahren und war im Seitenraum zum Stillstand gekommen. Das Fahrerhaus ist leer.

    Als die Beamten die Türen des Laderaums öffnen, entdecken sie 15 männliche Personen, von denen zwölf im Alter von 15 bis 17 Jahren sind. Einige können sich mit dünnen Decken vor der Kälte schützen – ansonsten sitzen sie auf provisorischen Sitzgelegenheiten und auf dem nackten Boden. Bis auf wenige persönliche Gegenstände haben sie keine Gepäckstücke dabei. Sie geben an, aus Afghanistan zu kommen.

    Sie werden nach Braunschweig zur Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefahren.

Polizei Cloppenburg 17.12.10;

NWZ 18.12.10; OlVZ 20.12.10

 

22. Dezember 10

 

Flüchtlingslager Zella-Mehlis im Bundesland Thüringen. Polizeibeamte klopfen an die Tür des Zimmers einer aserbaidschanischen Flüchtlingsfamilie und fordern den 40 Jahre alten Polat Ahmedov auf, ein Papier zu unterschreiben, das er nicht versteht. Dann werden die Eheleute gedrängt, mit ihrem 4-jährigen Sohn und der 11 Monate alten Tochter in eine andere Wohneinheit des Heimes umzuziehen. Dort gibt es jedoch weder eine Toilette noch eine funktionierende Elektrik.

    Dieser plötzliche "Umzug" ist das Ergebnis des Versuches der Familie, für die inzwischen chronisch kranken Kinder eine andere Unterkunft zu bekommen. Bereits drei Monate nach Ankunft in diesem Lager bekamen sie chronischen Husten und die Kinder auch häufiges Erbrechen, Unwohlsein und Kopfschmerzen. Ein Arzt hatte der Familie ein Attest ausgestellt, daß ein Abklingen der gefährlichen Symptome allein in einer separaten Wohnung und nicht in den unhygienischen und schimmelpilzbelasteten Zimmern des Flüchtlingslagers möglich ist. Anstatt nun die Familie über die Weihnachtstage in einem Hotel unterzubringen, wird sie – wie oben beschrieben – innerhalb des Lagers nur umgesetzt.

jW 27.12.10

 

30. Dezember 10

 

Ibbenbüren in Niedersachsen. Um 3.00 Uhr morgens werfen drei Personen leere Flaschen gegen die Hauswände des Flüchtlingslagers in der Werthmühlenstraße – dabei rufen sie beleidigende Parolen. Dann schieben sie ein Fahrrad vor das Gelände und treten mehrmals darauf herum. Als sie entdeckt werden, laufen sie davon.

Polizei Steinfurt 30.12.10

 

Dezember 10

 

Bundesland Nordrhein Westfalen. Im Flüchtlingsheim des sauerländischen Brilon lebt die kurdische Familie M. Ihr sieben Monate altes Baby ist schwer herzkrank. Ein Schlauch windet sich aus dem Strampler und führt zu einem Apparat, der den Herzschlag mit Pieptönen anzeigt. Die Mutter des Kindes ist durch die derzeitigen Lebensbedingungen in diesem Lager an Depressionen erkrankt.

    Herr M. zeigt ein Foto von einer Kakerlake auf seinem Teppich: "Die kommen abends, wenn wir unsere Matratzen ausrollen."

RP 13.12.10

 

Dezember 10

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der minderjährige Mohammed X. wird nach 45 Tagen Gefangenschaft in der JVA Büren entsprechend dem Dublin-II-Abkommen nach Ungarn abgeschoben.

    Mohammed X. war 13 Jahre alt, als sich seine Eltern entschlossen, dem Terror einer kriminellen Bande zu entfliehen und ihr Dorf in der ostafghanischen Provinz Ghazni zu verlassen. Ihr Ziel war Deutschland. Doch schon an der türkischen Grenze wurden die Eltern und die ältere Schwester von in die Luft schießenden Grenzpolizisten festgenommen – Mohammed X. gelang die Flucht.

    Es sollte vier Jahre dauern, bis er seine Eltern in Deutschland wiedersieht. Auf dem Wege nach Norden wurde der Minderjährige in fast jedem Land, das er erreichte, festgenommen. Er hatte Gefängnis-Aufenthalte in Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich, Holland und Deutschland. In Holland traf er einen Mann aus seinem Heimatdorf, der ihm berichtete, daß seine Eltern inzwischen in einem Flüchtlingslager in Eisenhüttenstadt leben würden.

    Auch nach seiner Abschiebung aus der JVA Büren kommt Mohammed X. in Ungarn wieder ins Gefängnis, aus dem er erst nach fünf Monaten freigelassen wird.

    Von dem Geld seines Vaters kauft er sich ein Zug-Ticket und reist über Österreich nach Deutschland ein. In Göttingen wird er erneut festgenommen und kommt in Haft. Allein durch einen von der Kirche bezahlten Anwalt gelingt es, seine Freilassung zu erwirken, so daß er einige Zeit später mit seinen Eltern in einem Brandenburger Flüchtlingslager zusammenleben kann.

TS 2.10.11

 

 

 

 

In den Jahren 2009 und 2010

 

Nach Auskunft der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE kam es in Syrien zu fünf Fällen von Inhaftierungen von abgeschobenen Flüchtlingen, wobei 14 Personen betroffen waren. Die Haftdauer betrug zwischen drei Tagen und dreieinhalb Monaten.

BT DS 17/3365

 

 

Im Jahre 2010

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Als eine Asylbewerberin aus Schweden nach einem Deutschlandbesuch die Fähre nach Schweden wieder betreten will, wird sie von der Bundespolizei gestoppt. Mit der Begründung, daß sie sich illegal im Lande befände, muß sie zurückbleiben, während ihr schwedischer Lebenspartner mit dem gemeinsamen 1-jährigen Kind die Fähre betreten darf.

    Auf Geheiß der Polizei wird sie in ein Flüchtlingsheim gebracht, muß sich bei der Ausländerbehörde melden, erhält eine Duldung, beantragt ihre freiwillige Ausreise nach Schweden und muß das Ende des Rückkehrverfahrens abwarten. Als ihr gesagt wird, daß dieses bis zu sechs Monate dauern kann, ist sie schockiert.

    Durch Unterstützung des Flüchtlingsrates gelingt es dann immerhin schon nach sechs Wochen, daß die Frau den Weg nehmen kann, den sie sowieso gehen wollte: auf die Fähre nach Schweden. Jetzt allerdings in Begleitung von Polizeibeamten.

Human Place 2/10 6.7.10

 

 

Im Jahre 2010

 

Ein Flüchtling aus Algerien versucht sich zu töten, indem er sich die Pulsadern aufschneidet.

    Der Mann, der unter den Folgen schwerster Mißhandlungen in Algerien leidet, hatte wochenlang bei seinem Arzt um eine Überweisung in die Psychiatrie gebeten. Diese war ihm bisher verwehrt worden.

Antirassistische Initiative Berlin

 

 

Im Jahre 2010

 

Flughafen Hamburg. Um 6.15 Uhr wird ein afghanischer Flüchtling von Polizei-Beamten angebracht, der im Auftrag der Ausländerbehörde Rostock um 7.00 Uhr über Prag nach Athen entsprechend dem Dublin-II-Verfahren zurückgeflogen werden soll. Der Gefangene wird durchsucht, und ihm wird der Bescheid seiner Rückschiebung übergeben, der jedoch nicht in einer ihm verständlichen Sprache abgefaßt ist.

    Seine Kleidung ist in sehr schlechtem Zustand, und er zeigt den Anwesenden Ekzeme an Händen und Beinen, er beginnt zu zittern und fängt an zu weinen – wendet sich dann beschämt von den Beamten ab.

    Als die Beamten ihn auffordern, ihnen zu folgen, weigert er sich und sagt immer wieder "No no good!". Nach einigen Überredungsversuchen bricht der leitende Beamte der Bundespolizei die Rückschiebung ab und informiert die zuständige Ausländerbehörde Rostock. Diese beharrt allerdings weiterhin auf der Rückschiebung des Afghanen. Da die Flughafen-Polizei dieses nicht ohne entsprechende Zwangsmaßnahmen durchsetzen könne, ordnet der verantwortliche Beamte die Rückfahrt des Flüchtlings nach Mecklenburg-Vorpommern an.

    Drei Tage später wird derselbe Mann – diesmal an Händen und Füßen gefesselt – von Polizeibeamten in den Abfertigungsbereich hereingetragen. Er ist barfuß, er zittert am ganzen Körper, und er hat die Augen geschlossen.

    Die Ekzeme an seinen Händen und Beinen sind mit roter Tinktur getränkt. Die Beamten, die ihn bringen, legen ihn im Durchsuchungsraum auf dem Fußboden ab – er hat weiterhin die Augen geschlossen und rührt sich nicht.

    Die Beamten legen der Bundespolizei ärztliche Atteste vor, die den Mann als völlig gesund und flugreisetauglich bezeichnen.

    Trotzdem bricht der leitende Beamte der Bundespolizei die Rückschiebungsmaßnahme ein zweites Mal ab, und der Afghane wird – immer noch barfuß und gefesselt – in den Polizeiwagen zurückgetragen und nach Mecklenburg-Vorpommern zurückgebracht.

Abschiebebeobachtung HH 2010;

Welt 15.8.11

 

 

Im Jahre 2010

 

Flughafen Hamburg. Ein syrischer Flüchtling soll in einem zweiten Versuch nach sechsjährigem Aufenthalt in Deutschland in Begleitung von drei Beamten und einem Arzt nach Damaskus ausgeflogen werden.

    Vor dem Flug sitzt er mit einem Beamten im Rauchzimmer und erklärt, daß er eine Frau mit zwei Kindern hinterlasse, und daß er sterben wird, wenn er abgeschoben würde.

    Der Beamte der Bundespolizei erklärt ihm – offensichtlich in der Absicht, den stark zitternden Mann nicht noch weiter aufzuregen – daß ihm nichts passieren kann, daß er jederzeit über die Deutsche Botschaft in Syrien ein Visum bekommen könne, daß er jederzeit zu seiner Familie zurückkommen könne, weil seine Akte nach der Abschiebung "geschlossen" würde – dies allerdings nur, wenn er auf dem Flug "kein Theater" machen würde.

    Der Syrer glaubt den Lügen des Beamten mit keinem Wort und sagt zu ihm auf der Fahrt zum Flugzeug: "Du fliegst mit und hälst Deine Hand ins Wasser, ich halte meine Hand ins Feuer." Der Beamte lacht daraufhin, der Syrer schüttelt den Kopf und sagt: "Du verstehst nichts."

    Der Beamte will erklärt haben, ob es sich um ein syrisches Sprichwort handelt. Der Syrer schüttelt nur stumm den Kopf.

    Dann wird er pünktlich und planmäßig ausgeflogen.

Abschiebebeobachtung HH 2010;

Welt 15.8.11

 

 

Im Jahre 2010

 

Flughafen Hamburg. Es ist der zweite Versuch, einen Flüchtling aus dem Irak abzuschieben. Da er beim ersten Abschiebungsversuch passiven Widerstand leistete, begleiten ihn jetzt zwei Beamte der Bundespolizei. Die Abschiebungsbeobachterin vermerkt: "Der Betroffene macht den Eindruck, als wenn er unter Drogen stünde."

    Ein Beamter sagt laut auf dem Flur: "Ach wenn der nicht will – ich kenne Griffe, die tun richtig weh. Und dann klappt das schon!" Dann bringt er den Gefangenen im Polizeigriff ins Flugzeug, obwohl dieser völlig ruhig ist.

Abschiebebeobachtung HH 2010

 

 

Im Jahre 2010

 

Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick. Durch Verschlucken von Kleinteilen (Kunststoff), oberflächliche Schnittverletzungen oder Selbstausübung stumpfer Gewalt (Tür/Wand/Gitter) haben sich sieben Gefangene verletzt.

(Drei Selbstverletzungen sind bereits dokumentiert)

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Bayern befanden sich 48 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon waren vier Personen jünger als 16 Jahre alt.

    Zwei minderjährige Flüchtlinge waren länger als drei Monate und ein Jugendlicher war länger als sechs Monate in Gefangenschaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Abschiebegefängnis Berlin-Köpenick befanden sich acht minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Brandenburg befanden sich fünf minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

In Bremen befand sich ein minderjähriger Flüchtling in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

In Hamburg befanden sich drei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

    Ein minderjähriger Flüchtling war länger als drei Monate in Gefangenschaft.

(Eine Inhaftierung ist bereits dokumentiert)

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Hessen befanden sich fünf minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern befanden sich drei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Niedersachsen befanden sich sieben minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Nordrhein-Westfalen befanden sich zwei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Rheinland-Pfalz befand sich ein minderjähriger Flüchtlinge in Abschiebehaft. Dieser war länger als drei Monate in Gefangenschaft.

BT DS 17/10596;

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Saarland befanden sich zwei minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – sie waren beide jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Im Bundesland Sachsen befanden sich 20 minderjährige Flüchtlinge in Abschiebehaft – davon war eine Person jünger als 16 Jahre alt.

BT DS 17/10597

 

 

Im Jahre 2010

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Neun jugendliche Flüchtlinge werden von der Bundespolizei festgenommen und kommen ins Abschiebegefängnis Rendsburg. Drei Jugendliche sind aus Afghanistan, jeweils ein Jugendlicher kommt aus Somalia, dem Iran, Palästina, dem Irak, Algerien und von der Elfenbeinküste (Côte d'Ivoire).

    Acht von ihnen werden in ein europäisches Drittland abgeschoben (Norwegen, Italien, Belgien, Niederlande, Österreich, Irland) – ein Jugendlicher wird nach Einlegen einer Haftbeschwerde entlassen und nach § 42 SGB VII Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz in einer Jugendhilfeeinrichtung untergebracht.

Der Schlepper Nr. 53 Herbst 2010

Der Schlepper Nr. 55/56 Juli 2011;

BT DS 17/10597