zur Hauptseite                                               Zusammenfassung  2013

Kürzel-Erklärung

Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und
ihre tödlichen Folgen 
2013

 

2. Januar 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In dem Flüchtlingsheim von Vockerode verletzt sich selbst ein 25 Jahre alter irakischer Flüchtling und droht dann, die Wohnnung eines anderen Bewohners abzubrennen.

    Den vom Wachdienst gerufenen PolizibeamtInnen gelingt es zu verhindern, daß der Mann seine Drohung in die Tat umsetzt. Er wird ins Krankenhaus gebracht.

MDZ 3.1.13

 

6. Januar 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Auf dem Bahnhof Bitterfeld werden um die Mittagszeit drei Flüchtlinge von Bundespolizisten angehalten und nach ihren Papieren gefragt. Noch bevor diese ihre Papiere bereit haben, werden sie in aller Öffentlichkeit bäuchlings auf den Boden gezwungen, fotografiert und gedemütigt. Danach dürfen sie weitergehen.

Flüchtlingsinitiative Wittenberg und

Karawane – Wittenberg 27.3.13

 

9. Januar 13

 

Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Oumarou Hamani Ousman wartet seit 13.00 Uhr im Bahnhof auf seinen Zug, der um 14.11 Uhr vom Gleis 5 in Richtung Bitterfeld abfahren soll. In dieser Zeit halten sich auch zwei Bundespolizisten dort auf. Als Herr Ousman kurz vor der Abfahrt die Waggontür öffnet, bemerkt er, daß die beiden Beamten ebenfalls in den Zug einsteigen. Einige Minuten später fordern sie ihn auf, seine Papiere zu zeigen. Als er nach der Begründung fragt, kommt die Antwort "Kontrolle der Bundespolizei".

    Im selben Moment bringen die Polizisten ihn zu Boden und fesseln seine Hände so heftig, daß er starke Schmerzen bekommt.

    In Bitterfeld angekommen erwartet ihn ein Polizeiauto, mit dem er nach Dessau gefahren wird. Er hört, wie die Beamten diskutieren, was sie als Grund für eine Anzeige gegen ihn nennen sollten. Als sie sich für eine Beleidigungsklage entscheiden, antwortet er, daß sie lügen.

    Im Dessauer Polizeirevier wird Herrn Ousman Blut abgenommen, um den Alkoholgehalt festzustellen. Als der Festgenommene protestiert und nach den Namen der Beamten fragt, bekommt er zunächst gar keine Anwort. Es bedarf der Anweisung des Vorgesetzten der Polizisten, daß sie ihre Dienstnummern herausgeben.

    Als Herr Ousman schließlich nach Bitterfeld zurückkommt, bemerkt er, daß seine Hände blutig sind.

    Oumarou Hamani Ousman lebt seit über 10 Jahren in der Bundesrepublik und fast ebenso lange im Lager Friedersdorf. Er ist einer der Sprecher der Flüchtlingsinitiative, die die menschenverachtenden Lebensbedingungen in dem Lager öffentlich gemacht hat.

    Eineinhalb Tage vor diesem polizeilichen Angriff hatte die Demonstration zum 8. Todestag von Oury Jalloh in Dessau stattgefunden. (siehe auch: 8. September 13)

Flüchtlingsinitiative Wittenberg und

Karawane – Wittenberg 27.3.13

 

9. Januar 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein georgischer Abschiebegefangener bricht am 3. Tag seines Hunger- und Durststreiks bewußtlos zusammen. Trotz der Bitte des Seelsorgers wird er nicht ins Krankenhaus gebracht, sondern am nächsten Tag nach Polen zurückgeschoben. Er befand sich insgesamt 29 Tage in Abschiebungshaft.

Mike Koch –  Rabbiner im Abschiebegefängnis

 

9. Januar 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. In einem Zimmer im zweiten Stock des Magdeburger Flüchtlingsheimes Grusonstraße entsteht um 22.45 Uhr ein Feuer. Der Bewohner, ein 29 Jahre alter Iraner, ist nicht anwesend.

    Einem durch den Feuermelder alarmierten Wachmann gelingt es relativ schnell, das Feuer zu löschen – jedoch erleidet er dabei eine Rauchgasvergiftung.

    Die Feuerwehr stellt später fest, daß eine Matratze in Brand geraten war.

Polizei Magdeburg 10.1.13;

VM 10.1.13

 

12. Januar 13

 

Bundesland Bayern – Landkreis Bayreuth. Zehn unbekannte, teilweise vermummte und mit Strickmützen bekleidete Personen dringen in die Flüchtlingsunterkunft Fichtelberg ein und skandieren rassistische Parolen.

    Nach Alarmierung der Polizei durch BewohnerInnen und NachbarInnen flüchten die Personen und fahren mit zwei PKWs davon.

    Bereits im Dezember 2012 waren zwei Personen auf das Gelände vorgedrungen und hatten ebenfalls Parolen gegrölt.

    Die "Aktionsgruppe Bayreuth" und das ebenfalls neonazistische "Freie Netz Süd" hatten seit Dezember per Internet gegen die Unterkunft gehetzt.

aida-archiv.de;

BT DS 18/203

 

15. Januar 13

 

Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Um 18.20 Uhr klingeln Polizisten im Auftrag der Ausländerbehörde an einer Wohnung in der Podewilsstraße. Anwesend sind drei Männer, von denen einer sagt, daß er seine Papiere aus der Küche holen müsse. Dort springt der 28-Jährige aus dem Fenster der im ersten Stock gelegenen Wohnung und schlägt im Innenhof auf. Mit Verletzungen am Bein bringen ihn Rettungskräfte der Feuerwehr zur stationären Behandlung in eine Klinik.

    Es stellt sich heraus, daß gegen ihn eine Ausweisungsverfügung besteht und er zur Festnahme ausgeschrieben ist.

Polizei Berlin 16.1.13

 

15. Januar 13

 

Zentrale Rückführungsstelle der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt. Im Warteraum befindet sich ein ghanaischer Flüchtling, der bei dem Versuch, seine Duldung verlängern zu lassen, heute morgen in der Ausländerbehörde festgenommen wurde. Er hat keinerlei Gepäck bei sich, lediglich 15 Euro Bargeld.  Er berichtet, daß er seit drei Jahren in der Bundesrepublik ist und einen 3-jährigen Sohn habe. Er wird dann nach Accra ausgeflogen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

25. Januar 13

 

Kamenz im Bundesland Sachsen. Unbekannte zünden in der Macherstraße an einem leerstehenden Gebäudeteil der Flüchtlingsunterkunft um 1.30 Uhr Silvesterknaller. Die Bewohne-

rInnen werden durch die Explosionen aus dem Schlaf ge-schreckt. Außer Schmauchspuren an drei Fensterrahmen und dem Rahmen einer Tür sind keine weiteren Sachschäden entstanden. Das Dezernat Staatsschutz wird in die Ermittlungen der Kriminalpolizei mit eingebunden.

Polizei Görlitz;

BT DS 18/203

 

29. Januar 13

 

Bundesland Sachsen. Auf dem Gelände der Chemnitzer Flüchtlingsunterkunft in der Oberfrohnaer Straße zünden drei Personen gegen 1.00 Uhr einen Müllcontainer an und werfen mit den Rufen von "verfassungsfeindlichen Parolen" Dosen gegen die Fenster. Eine Person wird verletzt.

Polizei Chemnitz 29.1.13;

Staatsministerium des Inneren

 

29. Januar 13

 

Berlin. Während einer angemeldeten Kundgebung vor der sudanesischen Botschaft am Kurfürstendamm kommt es zu einem gewaltsamen Polizeieinsatz, bei dem mindestens drei Flüchtlinge aus dem Sudan durch Schläge und Tritte verletzt werden. Dann werden die Männer in Handschellen gelegt und festgenommen.

    Im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke müssen sich alle nackt ausziehen, durchsuchen und erkennungsdienstlich behandeln lassen. Einer der Verletzten hat einen Nasenbeinbruch erlitten. Ein anderer muß seine Prellungen an Knie und Arm ärztlich behandeln lassen.

ReachOut

 

30. Januar 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Morgens um 6.05 Uhr dringen mit eigenem Schlüssel vier Beamte der Magdeburger Ausländerbehörde, vier Angestellte des städtischen Ordnungsdien

stes und zwei Polizisten in ein Zimmer des Flüchtlingsheims Grusonstraße ein. Eine sechsköpfige Familie wird aus dem Schlaf gerissen – sie soll umgehend nach Armenien abgeschoben werden. Der Abschiebebeschluß ist mit heutigem Datum versehen und die Familie wird völlig überrumpelt.

    Die 32-jährige Mutter der vier Kinder bricht zusammen und kommt mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus. Ihrem Mann wird Telefonieren untersagt. Die Beamten legen dem 30-Jährigen Hand- und Fußfesseln an, um ihn mit den Kindern im Alter von 6 bis 14 Jahren zum Flughafen zu transportieren. Obwohl er die Beamten bittet, ihm – mit Rücksicht auf die anwesenden Kinder – die Schellen abzunehmen, bleibt er während der gesamten Fahrt nach Berlin gefesselt.

    Erst nachdem die Mutter der Kinder versucht hat, sich im Krankenhaus mit einer Schere die Pulsadern zu öffnen und der Anwalt telefonisch interveniert, wird die Abschiebung abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt sind die Kinder mit dem Vater bereits am Flughafen Berlin-Schönefeld im Check-in-Bereich.

    Die Familie war 2005 in die Bundesrepublik gekommen, weil sie in Armenien als Angehörige der yezidischen Minderheit verfolgt und mit dem Tode bedroht war.

    Die Mutter leidet unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Seit ihrer Flucht lebten Eltern und Kinder ununterbrochen in einem Lager.

Karawane – Wittenberg;

MDZ 1.2.13; MDZ 3.2.13; jW 5.2.13;

Flüchtlingsinitiative Wittenberg

 

 

 

30. Januar 13

 

Bundesland Saarland. In der Landesaufnahmestelle in Lebach werden einem russischen Ehepaar bei eisiger Kälte und ohne Vorwarnung Strom und Heizung ausgestellt.

    Ziel dieser Disziplinierungsmaßnahme der Lagerverwaltung ist es, das Ehepaar zum Umzug in eine andere Wohnung innerhalb der Unterkunft zu zwingen, weil die derzeitige Behausung von Schimmel befallen ist. Da die Eheleute aber befürchten, daß die zukünftige Wohnung in einem noch schlimmeren Zustand ist, verweigerten sie sich der mündlichen Aufforderung einer Angestellten.

    In ihrer Not rufen sie die Polizei, die dafür sorgt, daß Strom und Heizung wieder angestellt werden.

    Nach kurzer Zeit erfolgt allerdings erneut die Abstellung, und die Eheleute sitzen wieder im Dunkeln und im Kalten. Daran ändert auch der Brief eines Rechtsanwaltes nichts, der der Verwaltung eine Frist bis zum 7. Februar setzt. Erst durch Beantragung einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Saarlouis wird nach Intervention des Gerichtes der Strom am 8. Februar um 16.00 Uhr wieder angestellt.

FRat Saarland 12.2.13;

Saarbrücker Ztg 13.2.13

 

 

 

31. Januar 13

 

Bundesland Bayern – Oberfranken. Gegen Mittag befindet sich der 23 Jahre alte Afghane Nasratullah P. aus der Kulmbacher Flüchtlingsunterkunft in 30 Metern Höhe an dem Schornstein einer alten Spinnerei nahe des Zentralen Omnibusbahnhofs. Er droht sich hinunterzustürzen. Sein Asylantrag ist abgelehnt worden, er ist verzweifelt und hat Todesangst wegen der drohenden Abschiebung.
    Der Mann hat in Afghanistan in den Jahren 2008 und 2009 mit den amerikanischen Soldaten zusammengearbeitet und bekam danach "Probleme" mit Al Qaida.

    Insgesamt 50 Rettungskräfte von Polizei, Feuerwehr, Bayerischem Roten Kreuz und der Bergwacht treffen ein. Ein Sprungkissen wird aufgebaut, und von einer ausgefahrenen Drehleiter aus verhandeln Spezialisten mit dem jungen Mann. In die Verhandlungen sind auch der Oberbürgermeister Henry Schramm und eine Vertreterin des Ausländeramtes vor Ort mit eingebunden. Nach einer Stunde Ungewißheit läßt sich der Flüchtling umstimmen, so daß er um 12.55 Uhr am Spinnerei-Schlot herunterklettert. Er kommt zur ärztlichen Behandlung ins Krankenhaus.

    Zwei Jahre später hat sich die Lebensperspektive von Nasratullah P. deutlich verbessert, denn durch tatkräftige Unterstützung bekommt er nach einem Praktikum eine Azubi-Stelle in einer Baufirma. Die Firma unterstützt ihn auch bei der Suche nach Deutsch-Kursen und einer Unterkunft außerhalb des Heimes. Während der 3-jährigen Ausbildung ist er zunächst vor Abschiebung geschützt.

main-netz.de 31.1.13;

infranken.de 31.1.13;

br 1.2.13; NBK 17.12.14

 

Anfang Februar 13

 

Landkreis Fürstenfeldbruck in Bayern. Als ein afghanisches Ehepaar mit zwei Kindern aus der Flüchtlingsunterkunft in Gröbenzell zur Rückschiebung nach Italien abgeholt werden soll, fügt sich der Ehemann und Vater selbst Verletzungen zu.

    Die Abschiebung entsprechend dem Dublin-II-Verfahren wird vorerst ausgesetzt.

merkur-online.de 28.2.13

 

1. Februar 13

 

Ein Asylbewerber aus Bangladesh soll in der Berliner Charité zwangsweise einer Altersfeststellung unterzogen werden. Er wehrt sich gegen die geplante Magnetresonanztomographie (MRT), indem er – laut Polizeiangaben - Flaschen um sich wirft, das Personal mit einem Messer bedroht und versucht, sich selbst mit einem abgeschlagenen Flaschenhals die Pulsadern aufzuschneiden.

    Um 14.30 Uhr setzt die Polizei Reizgas gegen ihn ein und bringt ihn in die geschlossene Psychiatrie.

    Nach Aussage des Leiters der Rechtsmedizin Prof. M. Tsokos werden in Berlin jährlich zwischen 100 und 120 zwangsweise Altersfeststellungen vorgenommen. Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen, wenn psychisch labile Flüchtlinge sich der MRT-Untersuchung in der sehr engen und lauten Röhre unterziehen müssen.

TS 1.2.13;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

11. Februar 13

 

Bundesland Brandenburg. Eine georgische Gefangene aus dem Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt schneidet sich in selbstverletzender Art auf dem Weg nach Berlin den Arm auf.

    Nach ärztlicher Versorgung wird sie in das Abschiebegefängnis Köpenick gebracht und von dort aus einige Tage später nach Litauen abgeschoben.

Mike Koch –  Rabbiner im Abschiebegefängnis

 

16. Februar 13

 

Göttingen in Niedersachsen. Drei Tage vor ihrer geplanten Abschiebung nach Serbien versucht die 22 Jahre alte Djeljana Shaqiri, aus dem Fenster zu springen, und kann gerade noch rechtzeitig von ihrem Onkel daran gehindert werden. Anschließend kommt sie in die psychiatrische Fachklinik Asklepios in Göttingen.

     Die Abschiebung für sie und ihren zwei Jahre jüngeren Bruder Emran, die für den 19. Februar geplant ist, wird vorerst ausgesetzt und für den 14. März vorbereitet.

    Am 12. März ruft der Leiter der Ausländerbehörde des Landkreises Göttingen die behandelnde Ärztin in der Klinik an und fordert sie auf, von der Patientin eine Schweigepflichtentbindung unterschreiben zu lassen. Er droht, wenn bis 10.00 Uhr keine Rückmeldung vorläge, dann würde die Polizei die Patientin aus der Klinik herausholen. Djeljana Shaqiri würde dann einem Flughafenarzt vorgeführt werden, der sicherlich Reisefähigkeit bescheinigen würde – zudem wäre eine Ärztin bei der Abschiebung dabei.

    Trotz dieser Drohgebärden storniert der Landkreis selbst die Abschiebung aufgrund eines Eilantrags von Emran Shaqiri. Dabei handelt es sich um einen Änderungsantrag nach § 80VII VwGO, weil sich die Sachlage zu seinen Gunsten geändert hat.

    Djeljana Shaqiri war als Kleinkind im Jahre 1993 mit ihren Eltern aus dem Kosovo geflohen, ihr Bruder Emran wurde noch im selben Jahr in Deutschland geboren. Seit 20 Jahren lebt die Familie in Duderstadt mit unsicherem Aufenthalt und jahrelanger krankmachender Angst vor Abschiebungen. Auch jetzt erhalten die Geschwister wieder eine Duldung.

    Emrans Frau erwartet im Mai ein Baby, die Ärzte diagnostizierten bei ihr eine Risiko-Schwangerschaft.

AK Asyl Göttingen 11.3.13;

FRat NieSa 12.3.13;

HAZ 12.3.13

 

19. Februar 13

 

Gifhorn in Niedersachsen. Als die 13-jährige Milica Toskic sich morgens um 6.35 Uhr die Zähne putzt, klopft es an der Tür, und auf ihre Frage wird geantwortet: "Eine Frau braucht Hilfe." Als sie öffnet, stürmen Polizisten, ein Mitarbeiter des Landkreises und ein Arzt die kleine Wohnung und fordern sowohl Milica als auch ihre Mutter auf, ihre Sachen zu packen und sich der Abschiebung nach Serbien nicht zu widersetzen.

    Der Arzt zwingt die 13-Jährige, ein Beruhigungsmittel zu schlucken, ohne die medizinische Verträglichkeit zu überprüfen. Circa sechs weitere Polizeibeamte haben den Wohnblock umstellt.

    Milica ruft in ihrer Verzweiflung eine Mitarbeiterin der Kirchengemeinde, Frau W., an und fleht um Hilfe. Das Gespräch wird abrupt unterbrochen, und die Angerufene hört nur noch Schreie und Gepolter.

    15 Minuten nach dem ersten Klopfen an der Wohnungstür steht Frau W. mit ihrem Mann in der menschenleeren Wohnung. Es sieht aus wie nach "einem gewaltigen Überfall .... die Wohnung ist ein Ort der Verwüstung", schreibt sie später. Milica und ihre Mutter Danijela Toskic sind weg. "Nur noch Spuren im Schnee (Autoreifen, Fußspuren) .... Es herrscht eine unheimliche Stille".

    Um 9.45 Uhr meldet sich Milica erneut bei ihr. Sie befindet sich jetzt auf der Polizeiwache in Gifhorn. Sie muß sich ständig übergeben, seitdem sie das Beruhigungsmittel schluckte. Zehn Minuten nach dem Gespräch wird sie mit ihrer Mutter von Beamten aus Hannover abgeholt, nach Berlin gebracht und um 13.00 Uhr Richtung Serbien ausgeflogen.

    Durch die Morddrohungen ihres gewalttätigen Vaters gegen sie und ihre Mutter ist Milica stark suizidgefährdet. Seit Januar befand sie sich in psychologischer Betreuung – auch zur Erstellung eines Gutachtens. Die weitere Therapie sollte im März 2013 angeschlossen werden und wäre vom Landkreis Gifhorn bezahlt worden. In dem Attest der Wolfsburger Fachärztin vom 15. Januar mit der Überschrift "Drohende Abschiebung, schwere gesundheitliche Störungen" wird eine "ernsthafte psychische Erkrankung" diagnostiziert, "deren Behandlung keinen Aufschub duldet".

    Der nach der Abschiebung laut werdenden Kritik entgegnet der Landkreis, daß dieses Attest für eine Duldung nicht ausreichend gewesen sei – es wäre ein Gutachten nötig gewesen.

    Am 20. Februar meldet sich Milica erneut und erzählt, daß sie von ihrer Großmutter irgendwo bei Bekannten versteckt worden sei und große Angst vor dem Vater hätte. Sie berichtet auch, daß sie sich am Berliner Flughafen komplett ausziehen mußten und untersucht wurden. Ihre Mutter wurde von einer Beamtin mit den Worten "Du Arsch" angeschrien und hin und her gestoßen, so daß die 39-Jährige fiel und sich verletzte. Sie mußte ärztlich versorgt werden.

St.-Alfred-Kirchengemeinde Gifhorn;

WoAZ 21.2.13

 

23. Februar 13

 

Lüchow im Bundesland Niedersachsen. Nachts um 3.30 Uhr wird die Roma-Familie Osmani aus dem Schlaf gerissen. Ein Vertreter der Ausländerbehörde und zehn Polizeibeamte geben Vasvija Osmani und ihren 7- und 13-jährigen Söhnen eineinhalb Stunden Zeit, um ihre Sachen zu packen. Dann werden sie abgeführt und in den Kosovo abgeschoben. Dadurch ist die Familie getrennt, denn Herr Seiki Osmani ist noch nicht betroffen, weil der 16-jährige Sohn bei Freunden übernachtet und nicht ohne einen Elternteil in der BRD zurückbleiben soll.

    Die Abschiebung geschieht überfallartig ohne schriftliche Ankündigung und ohne amtsärztliche Stellungnahme zur Reisefähigkeit der schwer traumatisierten Frau. Die letzte amtsärztliche Einschätzung ist von Ende 2011 und lautet "nicht reisefähig". Umfangreiche fachärztliche Stellungnahmen bescheinigen die Krankheit der Frau, die Klage wegen der Anerkennung der Traumatisierung als Abschiebehindernis ist noch nicht entschieden. Die Abschiebung geschieht am Wochenende, so daß kein Rechtsbeistand, kein Gericht, kein Arzt, keine Behörde und kein Flüchtlingsrat erreichbar sind – sogar die sonst übliche Abschiebebeobachtung am Flughafen wurde umgangen. Es gab keine Verabschiedung nach 16 Jahren Deutschland-Aufenthalt.

    Aufgrund der laut werdenden öffentlichen Kritik zu Zeiten der neu gegründeten rot-grünen Landesregierung und durch die Einforderung des von Rot-Grün angekündigten "Paradigmenwechsels in der Abschiebepraxis" gelingt es dem Unterstüt-

zungskreis, daß das Innenministerium die Wiedereinreise von Vasvija Osmani und ihren beiden Söhnen einleitet. Sieben Monate nach der Abschiebung, am 20. Oktober, kehren sie nach Lüchow-Dannenberg zurück.

AK Asyl u. Bleiberecht Lüchow-Dannenberg 25.2.13;

FRat NieSa 25.2.13; taz 25.2.13;

ND 12.3.13;

ndr – regional 20.10.13;

wendland-net.de 20.10.13;

taz 24.10.13

 

24. Februar 13

 

Bundesland Baden-Württemberg. Um 10.26 Uhr geht eine Brandmeldung bei der Feuerwehr Kornwestheim ein. Als die Rettungskräfte das Flüchtlingsheim in der Villeneuvestraße erreichen, brennt bereits ein Zimmer in der 2. Etage.

    Das Gebäude wird geräumt und das brennende Bett schnell gelöscht. Der 25-jährige Bewohner des Zimmers kommt mit Verdacht auf eine Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus. Als Ursache des Feuers wird eine defekte Heizdecke genannt.

Ludwigsburger Kreiszeitung 24.2.13;

Feuerwehr Kornwestheim.de

 

26. Februar 13

 

Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern. Auf der Ausländerbehörde in der August-Bebel-Straße eskaliert die Situation, als ein algerischer Asylbewerber aus Angst vor seiner Abschiebung in Panik gerät. Er zieht aus der Jackentasche eine Flasche Brandbeschleuniger und droht, das Mobiliar und sich selbst in Brand zu setzen.

    Durch deeskalierendes Einwirken der MitarbeiterInnen der Kreisverwaltung gelingt es, den Mann zu beruhigen, so daß er sich schließlich freiwillig in die Psychiatrische Klinik der Universität Rostock nach Gehlsdorf fahren läßt.

OZ 26.2.13; OZ 27.2.13

 

26. Februar 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Am Abend vor seiner geplanten Abschiebung schneidet sich ein 21 Jahre alter algerischer Gefangener den linken Arm auf. Nach der ärztlichen Versorgung der Wunde im Krankenhaus schneidet er sich auf dem Rücktransport erneut den Arm auf und kommt wieder ins Krankenhaus. Danach wird er ins Gefängnis zurückgebracht und darf erst nach dreitägiger Isolation zu den anderen Gefangenen zurück. Am 15. März erfolgt seine Abschiebung über Frankfurt am Main nach Algerien.

Initiative gegen Abschiebehaft Berlin;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

27. Februar 13

 

Villingen in Baden-Württemberg. Als die Feuerwehr nach einem Notruf um 22.20 Uhr in der Obereschacher Straße 11 eintrifft, treten dicke Rauchwolken an der Rückseite des Flüchtlingsheimes aus. Ein Zimmer im vierten Obergeschoß brennt, und auch die gesamte Etage ist mit Rauch erfüllt.

    Von den ca. 80 Personen, die evakuiert werden, sind zwei Personen vom Qualm in ihrem Zimmer eingeschlossen, so daß sie über eine Drehleiter gerettet werden müssen. Insgesamt sechs Personen – im Alter zwischen 20 und 35 Jahren - kommen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung in die umliegenden Kliniken in Villingen, Schwenningen, Rottweil, Donaueschingen und Spaichingen.

    Bis gegen 23.00 Uhr gelingt es den Feuerwehren aus Villingen und Schwenningen, den Brand zu löschen. Um die teils leicht bekleideten Evakuierten kümmern sich circa 40 Personen des Roten Kreuzes und der Malteser, die mit 15 Fahrzeugen, vier Notärzten und fünf Rettungswagen angerückt sind. Da die dritte und vierte Etage des Gebäudes durch den Brand und die Löscharbeiten unbewohnbar sind, kommen die Flüchtlinge in leerstehenden Räumen des Erdgeschosses unter.

    Gegen Abend sind fünf Verletzte aus den Krankenhäusern entlassen – eine Person befindet sich noch auf der Intensiv-Station.

    Kriminalpolizei, Kriminaltechniker und ein Brandsachverständiger suchen in den nächsten Tagen nach der Brandursache, die auch Anfang März noch völlig unklar ist.

Polizei Villingen-Schwenningen 28.2.13;

Schwarzwälder Bote 28.2.13;

SK 1.3.13

 

1. März 13

 

In der Berliner Flüchtlingsunterkunft Rognitzstraße 8 versucht ein 38 Jahre alter Tunesier während der Durchsetzung seiner Abschiebung, seinen Unterarm mit einem Messer zu verletzen.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

2. März 13

 

Plauen im Bundesland Sachsen. Ein 45 Jahre alter Asylbewerber aus dem Kosovo klettert um die Mittagszeit auf einen Baukran der Baustelle am ehemaligen Horten-Kaufhaus. In 38 Meter Höhe, unterhalb der Krankanzel, klammert er sich an das Metallgitter und droht, sich in die Tiefe zu stürzen.

    Erst nachdem die Polizei und eine Notärztin das Kriseninterventionsteam anfordern, gelingt es zwei Stunden später, den Mann von seinem Vorhaben abzubringen. Er ist jedoch inzwischen so stark unterkühlt, daß ihn Höhenretter der Berufsfeuerwehr bergen müssen. Anschließend kommt er in die geschlossene Psychiatrie des Klinikums Plauen.

    Der Grund für diese Verzweiflungstat ist nicht nur seine anstehende Abschiebung, sondern auch das ihm verwehrte Umgangsrecht mit seinem Kind, das bei seiner geschiedenen Frau lebt.

Polizei Sachsen 3.3.13;

shortnews.de 3.3.13; Welt 5.3.13

 

7. März 13

 

Hof im Bundesland Bayern. Morgens um 6.45 Uhr erscheinen zwei Bewohnerinnen des Flüchtlingslagers Am Schollenteich im Büro des Hausverwalters und berichten, daß Hamed Samii sich nicht mehr melde. Ein Angestellter öffnet daraufhin die Tür zu dem Zimmer und findet den 28-jährigen Asylbewerber tot im Bett liegend.

    Hamed Samii hatte am 10. Juni 11 politisches Asyl in der Bundesrepublik beantragt und lebte seit Anfang August 2011 in Hof. Er befand sich in ärztlicher Behandlung bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der allerdings kein Persisch spricht. Wegen psychischer Probleme wurde Hamed Samii mit Antidepressiva behandelt. Über seinen Asylantrag wurde bisher noch nicht entschieden.

    Bemerkenswert ist es, daß Mitarbeiter des Generalkonsulats der Islamischen Republik Iran in München vom Hausverwalter des Heimes die Herausgabe der persönlichen Gegenstände verlangen und das auch geschieht. Dieses in anderen Bundesländern nicht übliche Verfahren, daß Persönliches von verstorbenen Flüchtlingen den Vertretern des Verfolgerlandes ausgehändigt wird, korrigiert das Sozialministerium am 20. März durch "Hinweise zur Vorgehensweise" in zukünftigen Fällen.

    Ebenfalls auf Veranlassung des Konsulats wird der Leichnam des Verstorbenen mit dem Flugzeug nach Teheran ausgeflogen.

    Am 26. März gibt die Staatsanwaltschaft Hof bekannt, daß nach den vorläufigen Befunden der Obduktion von einer Medikamentenüberdosierung als Todesursache auszugehen sei.

united4iran-bayern.de 8.3.13;

Mainpost 12.3.13; SD 13.3.13;

FrP 14.3.13; br 14.3.13; StA Hof 26.3.13;

LT DS Bayern 16/16507

 

8. März 13

 

Bundesland Baden-Württemberg – Refugees-Revolution-Bus-Tour. Die beiden Busse der Tour erreichen am 10. Tag die Landesaufnahmestelle (LASt) in Karlsruhe. Nach einer Kundgebung mit AktivistInnen der Region wird auf dem Gelände der persönliche Kontakt mit Asylsuchenden aus der Unterkunft gesucht. Als dann nach dem Verlassen des Lagers die AktivistInnen versuchen, kurzfristig die Durlacher Allee zu blockieren, erfolgt ein brutaler Polizeieinsatz. Die BeamtInnen schlagen mit Teleskop-Schlagstöcken wahllos auf die Menschen ein und stürmen mit Hunden ohne Maulkorb durch die Menge.

    Mehrere Menschen werden verletzt, von denen zwei zur Behandlung ins Krankenhaus müssen. Ein zufällig anwesen

der Rentner wird von der Polizei bewußtlos geschlagen und kommt ebenfalls ins Krankenhaus.

    Mit der Bus-Tour über eine Strecke von 3000 Kilometern durch 22 deutsche Städte wollen die AktivistInnen auf die vielfältigen Proteste der Flüchtlinge und die unsäglichen Lebensbedingungen für Flüchtlinge in der BRD hinweisen. Die zwei Kleinbusse waren am 26. Februar am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg vom Flüchtlingscamp aus gestartet. Flüchtlingsunterkunfte in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg sind von den AktivistInnen bereits besucht worden.

(siehe auch: 10. März 13 und 18. März 13)

Initiative Grenzenlos und Libertäre Gruppe Karlsruhe 9.3.13;

jW 11.3.13

 

9. März 13

 

Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt. Ein 22-jähriger Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Harbke wird gegen 2.00 Uhr vom Hausmeister und einigen Mitbewohnern aus seinem brennenden Zimmer gerettet. Der junge Mann indischer Herkunft kommt anschließend mit schweren Brandverletzungen in eine Spezialklinik nach Halle.

    Nach ersten Erkenntnissen vermuten die Ermittler, daß der Flüchtling das Feuer selbst verursacht haben könnte.

MDZ 9.3.13; VM 9.3.13;

VM 10.3.13

 

9. März 13

 

Gröditz im Landkreis Meißen – Bundesland Sachsen. Um 4.30 Uhr wird ein Silvesterböller, der von außen auf einem Fensterbrett der Flüchtlingsunterkunft abgelegt ist, gezündet. Das Fenster wird beschädigt, aber die Flüchtlinge – vornehmlich aus der Russischen Föderation stammend – kommen mit dem Schrecken davon.

    In der Nacht zuvor hatte eine Bewohnerin drei vermummte Männer im Keller des Hauses entdeckt und sie aufgefordert, das Haus zu verlassen. Einige Minuten später waren diese jedoch wieder zurückgekommen und hatten erneut versucht, ins Haus zu gelangen. Da der Zugang jetzt verschlossen war, beschädigten sie die Haustür, riefen rassistische Parolen, bedrohten die BewohnerInnen und kündigten weitere Sachschäden an.

    Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) der Polizeidirektion Leipzig übernimmt die Untersuchungen und kann die drei Täter im Alter von 22, 24 und 28 Jahren im April ermitteln.

RAA Sachsen (Polizei Dresden);

StA Dresden 5.4.13;

BT DS 18/203

 

10. März 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen – Refugees-Revolution-Bus-Tour. In der Flüchtlingsunterkunft Köln-Ehrenfeld in der Geißelstraße, der 12. Station der Bus-Tour, verteilen FlüchtlingsaktivistInnen und UnterstützerInnen Flyer, auf denen zu einer Kundgebung vor dem Kölner Dom eingeladen wird.

    Als sie das Gelände verlassen, ist die Straße mit Polizeiwagen zugestellt und ca. 50 Beamte erwarten sie. Es soll einer der Sicherheitsbeamten der Adlerwache die Beamten gerufen haben.

    Nachdem sich die beiden Gruppen kurz gegenüberstehen und die AktivistInnen politische Parolen rufen, zieht einer der Beamten einen Flüchtling aus seiner Gruppe heraus und fragt ihn nach seinen Papieren. Als er nicht antwortet, wird er gegen einen Mannschaftswagen gedrückt, woraufhin die Umstehenden mit empörten Rufen reagieren. Sofort kommen von allen Seiten BeamtInnen, um die AktivistInnen auseinanderzutreiben. Dies geht mit einer derartigen Gewalt von Seiten der Polizei zu, daß einige UnterstützerInnen die BeamtInnen zur Ruhe mahnen. Zwei Polizeihunde, die Maulkörbe tragen, bellen unaufhörlich und dienen den Hundeführerinnen dazu, den Menschen Angst zu machen und sie von der Straße zu treiben. Andere Menschen werden in Würgegriff genommen, sie werden auf den Boden geworfen und niedergehalten, mit Schlagstöcken traktiert und mit Pfefferspray direkt ins Gesicht gespritzt. Einer der Flüchtlinge, der durch den Spray starke Augenschmerzen bekommt und dessen Gesicht zuschwillt, wird festgenommen. Eine Erste-Hilfe-Leistung von einem Sanitäter der UnterstützerInnen wird verweigert: "Der Krankenwagen kommt gleich", sagt einer der Polizisten.

    Als FotografInnen und JournalistInnen erscheinen, bilden die BeamtInnen Ketten, um ihnen die Sicht zu nehmen, oder halten direkt die Hände vor die Kameras. Trotzdem ist auf einem Videomitschnitt zu sehen, wie neun (!) BeamtInnen auf einen am Boden liegenden Unterstützer einwirken. Es wird auch beobachtet, daß eine Beamtin einen am Boden liegenden Flüchtling immer wieder mit dem Fuß tritt und ein Kollege von ihr ihm mit der Faust in den Bauch schlägt. Schließlich schleifen zwei Beamte den bewußtlosen Mann über das Pflaster zu ihrem Wagen. Sie packen ihn nur an den Ellenbogen der auf dem Rücken mit Handschellen gefesselten Arme, so daß diese maximal nach oben gedrückt sind und halten so den Oberkörper über dem Betonboden. Dann ziehen sie ihn den Bürgersteig entlang – die Knie und Füße schleifen über den Boden. Er trägt nur noch einen Schuh.

    19 AktivistInnen werden schließlich festgenommen, insgesamt werden drei Personen verletzt, der bewußtlose Flüchtling kommt ins Krankenhaus und später zurück in die Polizeistation. Erst am nächsten Tag gegen 14.00 Uhr werden die letzten zwei Flüchtlinge freigelassen.

    Alle TeilnehmerInnen der Bus-Tour bekommen Anzeigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, Landfriedensbruch und Hausfriedensbruch. Drei unabhängige Unterstützer, die die Geschehnisse in der Geißelstraße zufällig beobachteten, erstatten gegen die Polizei Anzeige wegen Körperverletzung im Amt.

(siehe auch: 8. März 13 und 18. März 13)

KStA 10.3.13; ND 11.3.13;

refugeesrevolution.blogsport.de 11.3.13;

blog.zeit.de/stoerungsmelder 13.3.13

 

14. März 13

 

Landkreis Ansbach im Bundesland Bayern. Morgens um 6.00 Uhr erscheinen Polizisten im Flüchtlingsheim der Kleinstadt Windsbach und fordern den 34 Jahre alten tschetschenischen Flüchtling Herrn X. auf, für sich, seine zwei Söhne im Alter von 11 und 12 Jahren und für die 6-jährige Tochter die Sachen zu packen. Danach werden sie mit einem Polizeitransporter nach Polen gebracht.

    Zwei kleinere Kinder, ein 3-jähriger Sohn und eine 2-jährige Tochter, sind bei Bekannten, weil seine schwangere Frau am Vortag einen Schwächeanfall erlitt, die Treppe stürzte und ins Ansbacher Bezirkskrankenhaus eingeliefert worden war. Damit ist die Familie getrennt.

    Frau X. ist im sechsten Monat schwanger und hat aufgrund ihrer Erlebnisse in Tschetschenien schwere psychische Probleme. Als sie im Krankenhaus zwei Polizisten auf sich zukommen sieht, reißt sie sich den Infusionsschlauch aus dem Arm, verläßt das Bett und flieht auf den Flur, die Treppe hinunter ins nächste Stockwerk. Sie findet keinen Ausgang und wird von den Krankenschwestern zurück in ihr Zimmer gebracht. Die Polizisten wollen die 28-Jährige mitnehmen, um auch sie nach Polen abzuschieben. Ein Arzt mischt sich ein, bis die Beamten schließlich gehen.

    Schon am 17. Januar hatte der Landkreis Ansbach versucht, die Familie abzuschieben. Die schwer traumatisierte Frau X., die schon mehrmals versucht hatte, sich zu töten, erlitt einen Zusammenbruch und wurde in die Psychiatrie einge

liefert.

    Mitten in der Nacht erreicht der Polizeitransporter aus Bayern die Kleinstadt Ketrzyn im Nordosten Polens. Vor einem dreistöckigen kasernenartigen Gebäude hält der Wagen an: Die Fenstern sind vergittert, und das Gelände ist von einem meterhohen Zaun umgeben. In diesem Gefängnis werden Herr X. und die Kinder die nächsten acht Wochen verbringen müssen. Sie sind 23 Stunden eingesperrt – eine Stunde am Tag dürfen sie auf den Hof.

    Anfang April versucht die Ausländerbehörde erneut, Frau X. nach Polen abzuschieben. Sie soll mit den kleinen Kindern, die inzwischen bei einer deutschen Pflegefamilie leben, in einen Ort gefahren werden, der 500 Kilometer von ihrem Mann und den drei älteren Kindern entfernt liegt. Wiederum gelingt es den ÄrztInnen, sie vor der Abschiebung zu schützen. Frau X. bleibt weiterhin im Ansbacher Bezirkskrankenhaus und wird psychiatrisch behandelt.

    Die Familie stammt aus einer tschetschenischen Kleinstadt, nahe der Grenze zu Inguschetien. Da der Cousin von Herrn X. sich den Dschihadisten angeschlossen hat und schon lange gegen die russische Besatzungsmacht und deren Kopf Kadyrow kämpft, kam auch Familie X. ins Visier des tschetschenischen Sicherheitsapparates. Immer häufiger bekamen sie "Besuch", wurden verhört und geschlagen. Im Sommer 2010 wurde Herr X. von bewaffneten und uniformierten Männern an einen abgelegenen Ort gebracht, gefesselt und auf eine Pritsche gelegt. Dann bohrten sie ihm Drähte in die Zehen und setzten seinen Körper unter Strom. Die Folterer, die sich als Angehörige des russischen Geheimdienstes ausgaben, wollten den Aufenthaltsort seines Cousins wissen. Nach der Tortur wurde Herr X. weggefahren und irgendwo auf ein Feld geworfen. Weil er nicht mehr laufen konnte, kroch er auf allen Vieren nach Hause.

    In der nächsten Nacht standen maskierte Männer in Uniform in seinem Lehmhaus und zwangen ihn und seine Frau, sich auf den Boden zu legen. Dann wurden sie beschimpft und geschlagen.

    Herr X. floh nach Inguschetien und Kasachstan, kam jedoch immer wieder zu seiner Familie zurück, da die Militärs weiterhin die Familie in Angst und Schrecken versetzten, seine Frau schlugen und auch vor dem Säugling keinen Halt machten.

    Im August 2012 hatten sie soviel Geld gespart und zusammengeliehen, daß sie sich die Bustickets nach Moskau kaufen konnten. Von dort gelangten sie über Weißrußland nach Polen und stellten einen Asylantrag, um nicht gleich an der Grenze abgewiesen zu werden. Ihr Ziel war Deutschland, denn die Anerkennungsrate in Polen für tschetschenische Flüchtlinge ist äußerst gering und die Wahrscheinlichkeit hoch, nach Rußland abgeschoben zu werden.

    Sie reisten weiter nach Berlin und stellten auch hier einen Antrag auf politisches Asyl, der nach vier Monaten – im Dezember 2012 – abgelehnt wurde. Begründung: Nach dem Dublin-II-Abkommen ist die BRD nicht zuständig.

    Nach achtwöchiger Gefangenschaft im polnischen "Verwahrzentrum" bei Ketrzyn wird Herr X. mit seinen drei Kindern am 11. Mai in einem Krankenwagen nach Warschau gefahren. Der 11-jährige Sohn, der an einer Lungenentzündung erkrankt ist, wird im Krankenhaus ausgeladen, denn er muß noch weiter stationär behandelt werden.

    In einem umzäunten und bewachten Flüchtlingslager, das 30 Kilometer von Warschau entfernt in dem Ort Debak liegt, bekommen Herr X. und die Kinder ein Zimmer zum Wohnen.

    Am 3. Juni, zweieinhalb Monate nach der Trennung der Familie, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gegenüber der Presse, daß es bei seiner Entscheidung bleibe: Deutschland sei nicht zuständig.

    Aufgrund der scharfen Kritik an dem behördlichen Vorgehen gegen die Familie, aufgrund der positiven Entscheidung des Petitionsausschusses des Bayerischen Landtags und aufgrund der vielen Stimmen, die sich für die Rückkehr von Vater und Kindern in die Bundesrepublik einsetzten, wird das Asylverfahren von Frau X. schließlich in Deutschland durchgeführt.

    Am 5. Juli kehren Herr X. und die Kinder aus Polen nach Windsbach zurück. Am 8. Juli entbindet Frau X. einen gesunden Jungen. Am 12. Juli werden Mutter und Kind aus der Klinik entlassen.

FRat Bayern 11.4.13;

AZ München 11.4.13; br 17.4.13;

 Zeit 6.6.13; FRat Bayern 27.6.13;

 br 12.7.13

 

18. März 13

 

Neumünster in Schleswig-Holstein – Refugees-Revolution-Bus-Tour. Schon bei ihrer Anreise zum Erstaufnahmelager für Flüchtlinge werden sowohl die beiden Tour-Busse als auch UnterstützerInnen aus Lübeck und Kiel von vollbesetzten Polizeifahrzeugen verfolgt. Als die AktivistInnen gegen 15.00 Uhr das Lager Am Haart erreichen, hält die Polizei sowohl den Innen- wie auch den Außenbereich des Geländes mit einem massiven Aufgebot an BeamtInnen in Kampfausrüstungen besetzt.

    Es dürfen nur drei Personen das Lager betreten und mit BewohnerInnen sprechen – und das auch nur in Begleitung von SozialarbeiterInnen. Die ca. 50 Menschen vor der Polizeikette suchen daraufhin den Kontakt mit den BewohnerInnen durch Rufe von Parolen, mit Transparenten, Samba-Rhythmen und Lautsprecher-Durchsagen.

    Als die kleine Delegation nach einer Stunde das Lagergelände wieder verläßt, beginnt ein minutenlanger Gewaltexzeß der Polizei, weil AktivistInnen inzwischen vom Bürgersteig auf die Straße gegangen sind. Die Polizei traktiert die Menschen mit Faustschlägen, Tritten und Pfefferspray. Mindestens vier Personen werden verletzt, von denen zwei im Krankenhaus behandelt werden müssen. Sechs AktivistInnen werden unter dem Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstrekkungsbeamte festgenommen.

    Gegen 18.00 Uhr findet eine Kundgebung vor dem 1. Neumünsteraner Polizeirevier statt, in dem sich noch die Festgenommenen befinden. Eine Stunde später und nach weiteren Provokationen der Polizei werden die Gefangenen dann freigelassen.

Rote Hilfe Kiel 18.3.13;

refugeesrevolution.blogsport.de 18.3.13

 

20. März 13

 

Flughafen Frankfurt am Main. Eine alleinerziehende Mutter mit zwei, ein und drei Jahre alten Kindern soll im Auftrag der Kreisverwaltung Montabaur (Rheinland-Pfalz) nach Serbien abgeschoben werden. Die Frau gehört der Roma-Minderheit an – sie ist im 5. Monat schwanger. Sie macht einen verwirrten Eindruck, und die Kinder befinden sich in einem sehr vernachlässigten Zustand. Die sie begleitende Ärztin berichtet, daß die Mutter nicht in der Lage gewesen sei, die Kinder selbständig anzuziehen. Auch mußten ihr zwei Beamte helfen, notwendige Kleidung und Dinge in zwei große Kartons zu packen.

    Auch die Flughafenbeobachterin, die mit ihr redet, kommt zu dem Schluß, daß die Frau unter gravierender psychischer Belastung leidet und nicht in der Lage zu sein scheint, für ihre Kinder zu sorgen. Sie hat große Angst vor einer Rückkehr nach Serbien, weil dort ihr getrennt lebender Ehemann ist, der mit ihr gewalttägig umgegangen ist.

    Sie bekommt von der Abschiebungsbeobachterin insgesamt zweimal 50 Euro Bargeld, damit sie in Serbien ihren Heimatort erreichen kann. Sie ist völlig verzweifelt und bricht im Bus vor dem Abflug zusammen – dann erfolgt die Abschiebung.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

22. März 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Am Tag seiner geplanten Abschiebung schluckt ein 43 Jahre alter Gefangener aus Nigeria diverse Geldstücke. Er kommt in die stationäre Psychiatrie Hedwigshöhe und wird von dort aus nach einigen Tagen aus der Haft entlassen.  .

Mike Koch –  Rabbiner im Abschiebegefängnis;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

26. März 13

 

In der Zentralen Rückführungsstelle der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt berichtet der 20 Jahre alte Herr A. aus Guinea von Schmerzen im Brust-/Bauchbereich, derentwegen er schon eine Woche lang im Krankenhaus gelegen habe. Jetzt habe er Angst, daß er nach seiner Rückschiebung nach Italien keine medizinische Versorgung mehr bekommen könnte. Der Krankenhaus-Aufenthalt und auch die mindestens vierwöchige Abschiebehaft, die er angibt, gehen aus seinen Akten nicht hervor. Er soll jetzt im Auftrag der Ausländerbehörde Halberstadt in Begleitung von zwei Bundespolizisten und einem Arzt ausgeflogen werden. Er hat kein Geld bei sich, sondern nur eine kleine Plstiktüte mit Lebensmitteln. Auf dem Weg zum Flugzeug wird seine Rückschiebung aufgrund passiven Widerstands abgebrochen.

    Am 24. April 13 wird er in Begleitung von drei Bundespolizisten und einem Arzt nach Rom ausgeflogen. Der Gefangene hat wiederum kein Geld bei sich, sondern nur eine kleine Plastiktüte mit Lebensmitteln.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

29. März 13

 

Landkreis Straubing-Bogen im Bundesland Bayern. Ein alkoholisierter 28 Jahre alter Mann greift vormittags am Bogener Bahnhof eine Gruppe afrikanischer AsylbewerberInnen an: einen Mann, eine schwangere Frau und ein kleines Kind. Alle drei Personen kommen verletzt ins Krankenhaus. Während die Frau und das Kind ambulant behandelt werden, muß der Mann mit Verletzungen an Kopf und Oberarm stationär aufgenommen werden.

    Der Täter, der zuvor auch eine andere Person zusammengeschlagen und mit Füßen gegen den Kopf getreten hat, wird vorläufig festgenommen – und nach der Ausnüchterung wieder entlassen.

PNP 3.4.13

 

30. März 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Auf ihrem Heimweg an diesem Ostersamstag treffen drei Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Vockerode gegen 18.00 Uhr auf mehrere alkoholisierte Männer, die sie mit Rufen wie "Neger" und "dreckige Ausländer" beleidigen. Als die Provokateure die ersten Bierflaschen werfen, beginnen die Flüchtlinge zu laufen, werden aber von den Tätern verfolgt. Es gelingt ihnen, in einem der Blocks des Lagers Schutz zu finden. Nach ca. 20 Minuten verlassen sie den Block und gehen in ihre eigenen Zimmer, die sich in anderen Blocks befinden. Von hier aus beobachten sie ein weißes Auto, das an der Sparkasse parkt, und mehrere wartende Männer, die maskiert sind. Einige umkreisen die Wohnblocks mit Fahrrädern, während der Fahrer im Auto wartet.

    Kurz danach skandieren die Angreifer erneut rassistische Parolen (u.a. "Ihr kommt hierher, um unser Geld zu holen"). Während ein Mann am Eingang wartet, dringen zwei Mittäter ins Haus vor. Im ersten Stock treten sie eine Wohnungstür ein und schlagen auf zwei Bewohner des Zimmers ein. Dann drohen sie: "Im Sommer werden wir hier alles kaputt schlagen!"

    Jetzt verlassen weitere BewohnerInnen die Häuser, um den Angegriffenen zur Hilfe zu kommen und eine Flucht der Angreifer zu verhindern. Es sammeln sich ca. 50 der 200 BewohnerInnen des Lagers im Freien.

    Ein Notruf, der um 19.50 Uhr bei der Polizei von Gräfenhainichen registriert wird, setzt acht bis zehn Beamte in Bewegung, die nach einer halben Stunde an der Flüchtlingsunterkunft eintreffen. Kurz vorher erscheint auch der Wachschutz der Wohnanlage, der auf mehrfaches dringendes Klingeln durch die BewohnerInnen bisher nicht reagiert hatte.

    Die Täter im Alter von 17, 24 und 27 Jahren, die alle aus dem Landkreis Wittenberg stammen, werden von der Polizei zunächst beiseite genommen.

    Ein Beamter fotografiert die eingetretene Tür und dazu auch den Flüchtling, der Aussagen zum Geschehen gemacht hat. Als dieser fragt, warum er fotografiert werde, bekommt er keine Antwort.

    Die Täter sind weiterhin aggressiv, und einer versetzt einem Bewohner vor den Augen der Polizei einen Faustschlag ins Gesicht. Die Polizei fordert daraufhin das Opfer (!) auf, ruhig zu bleiben.


    Später kommen der 24 und der 27 Jahre alte Täter in Verhinderungsgewahrsam, und der 17-Jährige wird einem Erziehungsberechtigten übergeben. Gegen alle drei leitet der Staatsschutz Ermittlungen wegen Volksverhetzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und Körperverletzung ein.

    Nach dem "Umzug" der Flüchtlinge aus der ehemaligen Kaserne in Möhlau nach Vockerode Ende Dezember 2012 bildet sich im Ort eine Bürgerinitiative, die u.a. fordert, die Zahl "der Ausländer auf ein erträgliches Maß zu reduzieren". Auch meldet die örtliche NPD im Zwei-Wochen-Takt Infostände an, und oft genug halten sich Nazis in der Nähe des Heimes in provokanter Art auf. Die Flüchtlinge befinden sich in einem permanenten Angstzustand

(siehe auch: 9. Mai 13, 10. Mai 13 und 4. Juni 13)

Flüchtlingsinitiative Wittenberg 31.3.13;

LVZ 1.4.13;

MDZ 2.4.13

 

30. März 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 35 Jahre alter Gefangener aus Bosnien-Herzegovina schluckt verschiedene Geldmünzen. Er wird – im Gegensatz zu seinem Mitgefangenen (siehe 22. Februar 13) – nicht aus der Abschiebehaft entlassen.

Mike Koch –  Rabbiner im Abschiebegefängnis;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

30. März 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Ein 38 Jahre alter Gefangener aus der Türkei schluckt verschiedene Geldmünzen. Er wird – im Gegensatz zu seinem Mitgefangenen (siehe 22. Februar 13) – nicht aus der Abschiebehaft entlassen.

Mike Koch –  Rabbiner im Abschiebegefängnis;

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

4. April 13

 

Bundesland Baden-Württemberg. Im Abschiebetrakt der JVA Mannheim entzündet ein 20 Jahre alter marokkanischer Gefangener seine Matratze und setzt damit die Zelle in Brand. Nach der Auslösung des Feueralarms um 2.00 Uhr wird der komplette Zellentrakt evakuiert.

    Zwei JVA-Beschäftigte, der Marokkaner und ein 19-jähriger Zelleninsasse kommen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung in Mannheimer Krankenhäuser. Während drei Personen schnell wieder entlassen werden, befindet sich der 20-Jährige auch am 5. April weiterhin in stationärer Behandlung.

Polizei Mannheim 4.4.13;

Welt 4.4.13; WiK 5.4.13

 

5. April 13

 

Landkreis Esslingen in Baden-Württemberg. In der Flüchtlingsunterkunft Aichtal-Grötzingen näht sich ein iranischer Bewohner die Lippen zusammen. Der 28-Jährige protestiert damit gegen seinen abgelehnten Asylantrag, gegen die drohende Abschiebung und gegen die Lebensbedingungen in dem Lager. Er lebt mit sechs Männern in einem Zimmer und muß sich mit 28 Personen die Küche teilen.

    Am 6. April befindet er sich in der Psychiatrie – die Fäden sind aus seinen Lippen entfernt.

    Ein halbes Jahr später hat sich an seiner Wohnsituation nichts geändert.

StZ 5.4.13; StZ 6.4.13;

StZ 6.9.13

 

5. April 13

Bundesland Niedersachsen. Im Braunschweiger Aufnahmelager für Flüchtlinge in Kralenriede wird um 4.30 Uhr ein Feueralarm ausgelöst. Im Erdgeschoß brennt das Zimmer eines 24-jährigen Bewohners. Als sich das Feuer ausbreitet, versperren Rauch und Hitze den BewohnerInnen in den oberen Stockwerken den Fluchtweg. Von den insgesamt 71 Personen, die evakuiert werden, retten die Feuerwehrleute mindestens 10 Erwachsene und Kinder mit Drehleitern. Vier Personen erleiden Rauchgasvergiftungen, und ein Mann verletzt sich beim Versuch, sich mit einem Bettlaken aus dem Fenster abzuseilen. Wegen der eisigen Temperaturen stellt die Verkehrs-AG einen Bus zum Aufwärmen für die Evakuierten zur Verfügung. Insgesamt sind 40 Feuerwehrleute im Einsatz und Rettungswagen aus Wolfsburg, Salzgitter, Gifhorn und Peine.

    Da das Haus nach dem Löschen nicht mehr bewohnbar ist, werden die Flüchtlinge in Wohn-Containern auf dem ehemaligen Kasernen-Gelände untergebracht.

BrZ 5.4.13; Welt 5.4.13;

Polizei Braunschweig 5.4.13

 

16. April 13

 

Flüchtlingsunterkunft Copernikusstraße im sächsischen Zwickau. Um 1.30 Uhr wecken Beamte der Bundespolizei durch lautes Klopfen an der Zimmertür die afghanische Familie Nuri. Der 34 Jahre alte Baijan Nuri und seine Frau werden aufgefordert, ihre Sachen zu packen, denn sie sollen zusammen mit ihren 1, 4 und 5 Jahre alten Kindern nach Italien zurückgeschoben werden. Dies geschieht ohne Vorankündigung und ohne anwesenden Dolmetscher.

    Ohne zu verstehen, was mit ihnen geschieht, werden die Flüchtlinge körperlich untersucht ("bis unter die Fingernägel") und dann aufgefordert, in zwei vor dem Containerbau wartende Polizeitransporter einzusteigen.

    Um 3.30 gerät der Wagen, in dem sich Frau Nuri befindet, auf der Autobahn in einen Unfall mit zwei anderen Fahrzeugen. Frau Nuri wird verletzt ins Krankenhaus Meißen eingeliefert. Ihre Familie kommt zurück nach Zwickau.

    Als Frau Nuri am folgenden Tag entlassen wird, bekommt sie zwar das Fahrgeld, ist aber als Analphabetin in einer unbekannten Umgebung und ohne Deutschkenntnisse völlig hilflos und durch die versuchte Abschiebung immer noch unter Schock.

    In Italien hatte sich Familie Nuri nur drei Tage lang aufgehalten, bis sie aus dem völlig überfüllten Auffanglager in die Bundesrepublik weitergeflüchtet war.

    Der Flüchtlingsrat Sachsen kritisiert die Tatsache, daß die Familie entsprechend dem Dublin-II-Abkommen zurückgeschoben werden sollte, zumal die Praxis zeigt, daß italienweit nicht genügend Unterkünfte vorhanden sind und der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, wenn Flüchtlinge keinen Platz in staatlichen Heimen finden.

FRat Sachsen 17.4.13;

NP 1.8.13; NP 8.8.13

 

16. April 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Gegen 21.40 Uhr werden fünf afghanische Flüchtlinge vor einem Supermarkt in Greifswald von fünf deutschen Männern bedrängt und rassistisch beleidigt. Zwei Flüchtlingen wird mit Fäusten ins Gesicht geschlagen, wodurch sie verletzt werden. Einem anderen Flüchtling wird mit einem Messer der Reifen seines Fahrrades aufgestochen.

    Als die Afghanen flüchten und sich verstecken, verfolgen sie drei der Angreifer mit Fahrrädern bis zu ihrer Unterkunft. Dann verschwinden diese.

    Die Flüchtlinge rufen über den Wachdienst des Heimes die Polizei, der es allerdings nicht gelingt, die Täter in der näheren Umgebung zu stellen. Weil politische Motive für den Angriff nicht ausgeschlossen werden können, nimmt auch der Staatsschutz der Kriminalpolizeiinspektion Anklam die Ermittlungen auf.

    Am 28. April 14 müssen sich vier Greifswalder Männer wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht verantworten. Der Hauptbetroffene jedoch und somit der wichtigste Zeuge des Überfalls hatte einige Zeit vor dem Gerichtstermin eine Ausreise-Aufforderung erhalten und ist demzufolge außer Landes.

    Einem weiteren Zeugen droht am Abend direkt nach seiner Aussage vor Gericht die Rückschiebung nach Schweden. Der 19-Jährige versucht deshalb aus dem Fenster zu springen, was verhindert werden kann. Er kommt zur stationären Behandlung in die Psychiatrie. In Schweden droht ihm die Abschiebung in das Land, das er bereits als Kind verlassen mußte.

    Das Gericht verurteilt den 28 Jahre alten Ronny B. wegen gefährlicher Körperverletzung zu 10 Monaten Haft, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Der 32-jährige Michael M. bekommt wegen der Sachbeschädigung am Fahrrad eine Verurteilung zur Zahlung von 40 Tagessätzen zu je 20 Euro – allerdings wird seine Strafe wegen einer weiteren Körperverletzung zu insgesamt sieben Monaten Haft auf Bewährung festgelegt. Für die beiden anderen Angeklagten endet der Prozeß mit Freisprüchen.

Polizei Neubrandenburg 18.4.13;

LOBBI 30.4.14; LOBBI 28.5.14; LOBBI

 

17. April 13

 

Bundesland Bayern. Auf der Autobahn im Bereich der Ausfahrt Passau-Süd in Richtung Regensburg werden zwei Männer, zwei Frauen, ein Jugendlicher und drei Kleinkinder von der Passauer Polizei aufgenommen, weil sie zu Fuß auf dem Standstreifen unterwegs sind. Es stellt sich heraus, daß sie afghanische Staatsangehörige sind, die sich allerdings nicht mit entsprechenden Papieren ausweisen können.

    Unter ihnen befindet sich das Ehepaar X. mit den sieben und acht Jahre alten Kinder. Frau X. wird mit den Kindern in einer Pension in Passau untergebracht, ihr Mann kommt in die JVA Nürnberg in Haft.

    Sie sind seit sechs Monaten unterwegs. Den Iran, wo sie bis zum Tod der Eltern von Herrn X. gelebt hatten, verließen sie zu Fuß. Ihr Weg führte über die Türkei, Griechenland und von dort zu Fuß nach Mazedonien. In Ungarn wurden sie behördlich registriert. Da ihnen die Situation dort lebensbedrohlich erschien, beschlossen sie weiterzuflüchten. Dabei wurde ihr 10-jähriger Sohn von den Fluchthelfern getrennt von ihnen in einem anderen Wagen untergebracht, so daß er vorerst verschwunden schien.

    Am 8. Mai stellt heraus, daß der 10-jährige Sohn in Österreich registriert ist, jedoch nicht in die Bundesrepublik einreisen darf.

    Sowohl Österreich als auch Deutschland bereiten die Rückführung der Familie nach Ungarn vor, die am 11. Juni stattfinden soll. Durch eine Petition beim Deutschen Bundestag, in der auf den schlechten gesundheitlichen Zustand von Herrn X. hingewiesen wird, und durch die bestätigte Reiseunfähigkeit von Frau X. wird die Rückführung zunächst storniert.

    Zu keinem Zeitpunkt wird die Zusammenführung der Familie in Deutschland in Erwägung gezogen.

    Nachdem Frau X. von der Polizei in einem Krankenhaus vorgeführt wird und die Oberärztin aufgrund von Blutwerten die Reisefähigkeit bestätigt, wird die Rückführung auf den 23. Juni geplant – die Überstellung des Sohnes aus Österreich soll einen Tag später stattfinden. Herr X. befindet sich mittlerweile in der JVA München.

    Am 21. Juni taucht Frau X. mit den beiden Kindern unter. Auf Weisung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 28. Juni übt die Bundesrepublik ab sofort ihr Selbsteintrittsrecht aus. Das Asylverfahren kann jetzt in Deutschland durchgeführt werden, der Sohn kommt umgehend zu seinen Eltern und Herr X. aus der Haft freigelassen.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2013

 

18. April 13

 

Monheim in Nordrhein-Westfalen. Gegen 13.45 Uhr gelingt es Rettungskräften der Feuerwehr, einen jungen Algerier mit einem Rettungskorb vom Dach der viergeschossigen Flüchtlingsunterkunft Danziger Straße zu bergen. Die letzten Stunden hatte er hier barfuß und nur dünn bekleidet auf dem First des Satteldaches gesessen, mit dem Rücken zu einem Schornstein. Er drohte, sich hinunter zu stürzen. Ein Sprungkissen, Rettungswagen und ein Notarzt waren für diesen Fall vor Ort.

    Der von Mitbewohnern als "nett und unauffällig" beschriebene Algerier befindet sich seit längerem wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung. Seine behandelnde Psychologin ist es auch, die ihn zur Aufgabe seines Vorhabens überredet. Er kommt in eine psychiatrische Klinik.

    Gegen 10.30 Uhr war er mit einem irakischen Bewohner des Heimes in Streit geraten, der dahin eskalierte, daß er seinem Kontrahenten mit einer Eisenstange auf den Kopf schlug. Danach war er auf das Dach geklettert.

    Am nächsten Tag sind weder der Iraker noch der Algerier vernehmungsfähig.

RP 18.4.13;

RP 19.4.13

 

19. April 13

 

Neustadt im Bundesland Sachsen. In der Kirschallee wird ein 42-jähriger Asylbewerber aus Tunesien von drei Männern angehalten, die ihn auffordern, sein Bargeld herauszugeben. Als er ca. 200 Euro übergeben hat, fordern die Täter weiteres Geld – dann schlagen sie auf ihn ein und sprühen ihm Reizgas ins Gesicht.

    Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.

Polizei Dresden 27.3.14;

BT DS 18/203

 

20. April 13

 

Neustadt-Langburkersdorf im Bundesland Sachsen. Morgens um 1.00 Uhr beobachten BewohnerInnen des Flüchtlingsheimes an der Kirschallee drei Männer auf dem Gelände, die mehrere Benzinkanister mit sich tragen. Sie informieren den Wachdienst, der wiederum die Polizei alarmiert.

    Als die Beamten eintreffen, können sie die Verdächtigen noch stellen und durchsuchen. Sie finden einen Schlagring und ein Messer und nehmen die Männer fest. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ), das politisch motivierte Straftaten verfolgt, übernimmt die Ermittlungen.

    Es wird bekannt, daß die ErmittlerInnen Brandstiftung als Motiv bald ausschließen und stattdessen eher ein "Beziehungsproblem zwischen den festgenommenen Männern und den ausländischen Bewohnern" sehen.

SäZ 24.4.13;

Polizei Leipzig

 

22. April 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als die 19 Jahre alte Binta C. aus Guinea in Begleitung ihrer Deutschlehrerin um 10.00 Uhr im Bochumer Rathaus ihre Duldung verlängern lassen will, stehen plötzlich vier Frauen und zwei Männer im Halbkreis hinter ihnen. Einer der Männer fordert sie auf, sich zu erheben. Dann tritt er den Stuhl unter ihr weg, dreht ihr die Hände auf den Rücken und legt ihr Handschellen an. In dieser Fesselung wird sie durch das Großraumbüro und den Wartesaal geführt und schließlich in eine der JVA-Zellen des Bochumer Gerichts gebracht – dann wird sie dem Haftrichter vorgeführt. Das Gericht entscheidet entsprechend dem Antrag der Ausländerbehörde, so daß sie umgehend in die JVA Büren in Abschiebehaft gebracht wird.

    Sollte Binta C. nach Spanien zurückgeschoben werden, gerät sie in Lebensgefahr. Nicht nur, weil sie aus einem Bordell geflüchtet war, sondern weil sie beim Bundeskriminalamt (BKA) gegen ihre Peiniger (Menschenhändlerring) ausgesagt hat. In ihrer Ausweglosigkeit übergießt sich Binta C. am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft mit kochendem Wasser und erleidet Verbrennungen II. und III. Grades am Oberkörper.

    Binta C. wurde schon als Kind und Jugendliche in Guinea schwer mißhandelt. Nach dem Tod ihres Vaters mußte sie mit ihrer Mutter bei ihrem Onkel leben. Von diesem wurde sie genital verstümmelt und jahrelang mißbraucht.

    Sie flüchtete aus dieser Familie und lebte lange Zeit als Obdachlose auf den Straßen. Im Alter von 16 Jahren lernte sie eine Frau kennen, die ihr einen Job in einer europäischen Boutique versprach. Tatsächlich geriet sie in die Hände eines Menschenhändlerringes, durch den sie über Marokko bis nach Spanien gelangte. In Madrid wurde sie an ein Bordell verkauft und versklavt. Mit Hilfe eines Freiers gelang ihr im Frühjahr 2012 die Flucht in die Bundesrepublik.

    Nach dem Besuch einer Förderklasse in einer Bochumer Hauptschule konnte Binta C. im Februar 2013 an das Alice-Salomon-Berufskolleg überwechseln.

    Sie besuchte den Unterricht täglich, auch noch, als sie vor lauter Angst vor Abschiebung bei Freundinnen oder Lehrerinnen übernachten mußte. Die Ausbildung gab ihr Sicherheit, Bodenhaftung und viel Hoffnung.

    Bereits am 13. Januar war ihre Rückschiebung nach Spanien geplant. Um 4.00 Uhr morgens erschienen vier Frauen und zwei Männer der Ausländerbehörde in ihrem Wohnheim. Einer der Männer riß sie um, warf sie auf den Boden, drückte sein Knie in ihren Rücken und fesselte ihre Hände rücklings. Binta C. bat darum, sich anziehen zu dürfen, was ihr zunächst verweigert wurde – aber auf die Toilette durfte sie gehen. Dort gelang es ihr trotz Fesselung eine Flasche Haarshampoo auszutrinken. Während der Fahrt zum Flughafen wurde sie zunehmend apathischer, mußte sich erbrechen, und die Beamten ohrfeigten sie, um sie bei Bewußtsein zu halten. Erst die Bundespolizisten am Düsseldorfer Flughafen riefen einen Notarzt, der sie ins Krankenhaus brachte. Ihre Entlassung aus der Abschiebehaft erfolgte dann erst am 5. Februar.

    Seit ihrer jetzigen Festnahme wandelt sich die anfängliche Empörung ihrer Mitschülerinnen des Alice-Salomon-Berufskollegs in pure Energie. Bis zum Nachmittag sammeln die SchülerInnen 800 Unterschriften und übergeben sie lautstark im Bochumer Rathaus den Verantwortlichen. Die Schülersprecherin informiert die Presse, die Sozialarbeiterin die Abgeordneten. Vor allem die stundenlangen Interventionen des Landtagsabgeordneten Serdar Yüksel und des Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer, die positive Entscheidung des Petitionsausschusses und die Unterstützung durch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft können erwirken, daß die Stadt Bochum die Abschiebung von Binta C. am

24. April aussetzt. Um 19.45 Uhr kommt sie frei. Am nächsten Tag wird sie im Krankenhaus zunächst akut versorgt und dann auch stationär aufgenommen.

    Am 30. April läuft die Rückübernahmeerklärung der spanischen Behörden aus, so daß das Asylverfahren in der Bundesrepublik stattfinden könnte.

    Binta C. bleibt bis zum 8. Mai zur Behandlung ihrer Verbrühungsverletzungen im Universitätsklinikum Bergmannsheil.

    Mitte Mai bekommt sie ohne weitere Anhörung die "Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft" (§ 60 Abs. 1 AufenthG), die ihr zunächst drei Jahre den Aufenthalt sichert: Sie kann arbeiten, studieren oder reisen, wohin sie möchte.

WAZ 25.4.13;

WAZ 26.4.13;

Stadt Bochum Vorlage Nr. 20131017;

Ruhr Nachrichten 3.5.13;

Ruhr Nachrichten 8.5.13;

WAZ 14.5.13;

Bericht der Betroffenen

 

22. April 13

 

Landkreis Börde in Sachsen-Anhalt. Die Flüchtlingsunterkunft in Harbke wird in der Nacht von Unbekannten mit Steinen angegriffen. Ein Stein zerschlägt die Fensterscheibe eines von einem Syrer bewohnten Zimmers. Verletzt wird niemand.

    Dieser Angriff ist der vierte oder fünfte innerhalb weniger Wochen. Es wurden Fenster eingeworfen, und an die Hauswände wurden Hakenkreuze gesprüht.

    Die ca. 100 BewohnerInnen sind diesen Attacken von Rechtsextremen in dem mitten im Wald gelegenen Heim – weitab von der nächsten Polizeistation – schutzlos ausgeliefert.

MDZ 26.4.13

 

25. April 13

 

Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Der 33 Jahre alte Flüchtling Cosmo Saizon aus Benin stirbt im Krankenhaus Bitterfeld.

    Cosmo Saizon lebte in der Gemeinschaftsunterkunft Friedersdorf und hatte in den letzten Wochen zunehmend unter Halsschmerzen und Fieber gelitten. Am 19. April bat er die Heimleitung, einen Arzt zu rufen. Dieser verschrieb ihm ein Antibiotikum und ein fiebersenkendes Mittel – eine körperliche Untersuchung fand laut Aussagen der MitbewohnerInnen durch diesen Arzt nicht statt.

    Obwohl Cosmo Saizon die Medikamente nach Anordnung täglich einnahm, ging es ihm immer schlechter. Als er seinen Geruchssinn verlor, bat er am 23. April erneut darum, einen Arzt zu rufen. Dieser Notarzt äußerte vor Ort, daß Cosmo

Saizon schon längst hätte im Krankenhaus behandelt werden müssen, dann veranlaßte er die sofortige Einweisung.

    Freunde von Cosmo Saizon, die ihn am 26. April im Krankenhaus besuchen wollen, weil sie ihn telefonisch nicht erreichen können, werden abgewiesen und erhalten auch keine Nachricht über seinen Tod.

    Erst als UnterstützerInnen am 30. April eine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Dessau stellen, erfahren sie, daß Cosmo Saizon bereits vor fünf Tagen gestorben ist.

    Drei Monate nach seinem Tod gibt die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau nähere Details und die Obduktionsbefunde bekannt: Cosmo Saizon sei nach der Einlieferung in das Bitterfelder Gesundheitszentrum an einem Abzeß am Unterleib operiert und am 25. April tot im Bad seines Krankenzimmers gefunden worden. Todesursache sei eine Herzmuskel-Entzündung, die ein Herzversagen verursachte, und weiter: "Die OP hatte nichts mit dem Herzen zu tun." – ergo sei der Patient eines "natürlichen" Todes gestorben.

    Aufgrund der tödlich verlaufenden Erkrankung von Cosmo Saizon war die medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erneut heftig kritisiert worden, wonach Flüchtlingen nur im Notfall eine Behandlung zusteht. Noch gefährlicher wird es allerdings für den Patienten, wenn ein Arzt diesen Notfall nicht erkennt.

    Cosmo Saizon war nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik ab September 2012 zunächst in der ZAST Halberstadt untergebracht, bis er in die weit abgelegene Gemeinschaftsunterkunft Friedersdorf nach Bitterfeld übersiedeln mußte.

Antirassistisches Netzwerk LSA 1.5.13;

MDZ 3.5.13; MDZ 4.5.13; MDZ 10.5.13;

MDZ 25.6.13; mdr 5.8.13

 

30. April 13

 

Wartburgkreis in Thüringen. Gegen 13.00 Uhr wird ein 33 Jahre alter Flüchtling aus dem Irak von dem ICE 1559 erfaßt und tödlich verletzt.

    Er ist Bewohner des Flüchtlingsheimes Gerstungen Am Berg 1 und stirbt auf dem inoffiziellen Weg über die Gleisanlagen, den die BewohnerInnen seit Jahren nutzen, um von dem weit abgelegenen Heim schneller ins Dorf zu kommen. Der offizielle Weg wäre ca. einen halben Kilometer länger.

    Daß der Tod des Flüchtlings erst 10 Tage nach dem Vorfall überhaupt und erst nach Nachfragen des Flüchtlingsrates bekannt wird, "sei dem sensiblen Umgang mit Informationen aus der Gemeinschaftsunterkunft geschuldet", so die Stadträtin.

The VOICE 30.4.13;

TA 10.5.13

 

30. April 13

 

Flughafen Frankfurt am Main. Im Rahmen einer Dublin-Maßnahme soll der afghanische Flüchtling Herr D. im Auftrag des Landeskriminalamtes Niedersachsen aus der Abschiebehaft heraus nach Budapest rückgeschoben werden.

    Beim Eintreffen am Flughafen fällt sowohl der Bundespolizei als auch der Abschiebungsbeobachterin auf, daß die rechte Wange des Mannes sehr dick ist und auch das rechte Auge stark zugeschwollen ist. Er klagt über unerträgliche Schmerzen und hält sich ständig ein feuchtes Tuch vors Gesicht.

    Aufgrund dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung bricht die Bundespolizei die Abschiebung ab.

    Auf Nachfrage wird gesagt, daß dieser Zustand in der Justizvollzugsanstalt bekannt sei, die Beamten ihm allerdings Schmerzmittel und Kühlkissen gegeben haben.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

Erste Woche im Mai 13

 

Bundesland Sachsen. In dem Leipziger Flüchtlingslager Schönefeld Ost, Torgauer Straße, stirbt der 34 Jahre alte Hashim Yasbek in seinem Zimmer.

    Niemand bemerkt es, und niemand vermißt den Flüchtling. Auch als BewohnerInnen den immer stärker werdenden Leichengeruch bei der Heimverwaltung melden und auch als sie sich später über Madenbefall und Fliegenschwärme beschweren, erfolgt keine Reaktion der Security-Firma A&S LAVAL, die das Haus betreibt.

    Erst eineinhalb Monate später, als sich die BewohnerInnen an einen deutschen Bekannten wenden und dieser aktiv wird, öffnen am 13. Juni Mitarbeiter der Verwaltung endlich das Zimmer und finden den Toten.

    Hashim Yasbek war vor zehn Jahren in die Bundesrepublik gekommen und mußte seither das trostlose Dasein eines Geduldeten in einem Heim ertragen – ohne Aussicht auf eine konkrete Lebensperspektive. Letztendlich war er drogenabhängig und die Überdosis eines Heroingemisches führte – laut Obduktionsbericht – zu seinem Tod.

    Die BewohnerInnen sammeln Spenden, so daß es gelingt, die 2600 Euro aufzubringen, um die Überführung des Leichnams nach Beirut zu finanzieren.

    Durch die öffentliche Empörung über die Zustände im Heim wird unter anderem bekannt, daß für die 395 im Haus lebenden Flüchtlinge und Geduldeten exakt 2,2 Sozialarbeitsstellen existieren, die die Stadt bezahlt. Laut Mitteldeutschem Rundfunk zahlt die Stadt in fünf Monaten 190.000 Euro an die Firma A&S LAVAL GmbH für die Unterbringung der Flüchtlinge – im selben Zeitraum gibt diese private Sicherheitsfirma für die Reinigung des 20.000 Quadratmeter großen Areals 126 Euro aus.

    Die Firma A&S LAVAL GmbH wird betrieben von dem ehemaligen Leipziger Polizeichef und Generalmajor der DDR, Gerhard Straßenburg, und dem ehemaligen Politik-Offizier der Volkspolizei, Bernd P. In Tochtergesellschaften der Firma werden die alten Stasi/VoPo-Bekanntschaften weiter fortgesetzt.

    Das Heim sollte wegen des hohen Schädlingsbefalls und der sonstigen unhygienischen und unwürdigen Zustände bereits im Jahre 2012 geschlossen werden. Laut offizieller Begründung fehlten allerdings die Ersatzquartiere.

LVZ 14.8.13; news.de 14.8.13; SäZ 14.8.13;

mdr "Exakt" 14.8.13; DNN 15.8.13;

jW 16.8.13; mdr "Exakt" 21.8.13; Bild 23.8.13

 

9. Mai 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Um 2.14 Uhr dringen vier Neonazis in das Flüchtlingsheim Vockerode ein, klingeln willkürlich an den Türen und beschimpfen die BewohnerInnen mit "Arschloch", "Fuck you" und ähnlichem.

    Die vom Sicherheitsdienst gerufenen Polizisten fordern die Eindringlinge auf, das Gebäude zu verlassen, jedoch eine Stunde später erscheinen sie erneut und beleidigen die BewohnerInnen in gleicher Weise. Die Beschimpfungen müssen sich die Flüchtlinge in dieser Nacht über insgesamt eineinhalb Stunden anhören.

    Wieder wird die Polizei gerufen, und erneut werden die Rassisten aufgefordert, das Gelände zu verlassen.

(siehe auch: 30. März 13, 10. Mai 13 und 4. Juni 13)

Refugee Comite Wittenberg (LSA) 10.5.13

 

9. Mai 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Einen Tag vor seiner geplanten Abschiebung randaliert ein 34 Jahre alter Gefangener aus dem Kongo und verletzt sich durch Schläge ins Gesicht.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

10. Mai 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt. Vor dem Flüchtlingsheim in Vockerode beleidigt ein 32 Jahre alter Fußgänger einen 38-jährigen Flüchtling mit rassistischen Äußerungen. Als der Flüchtling daraufhin auf den Bürgersteig tritt, wird er von dem Provokateur geschlagen.

    Ein Wachmann, der die Situation entschärfen will und dazwischen geht, wird von einem anderen Bewohner des Heimes mit einem Gegenstand angegriffen und am Arm verletzt.

    Beamte des Polizeilichen Staatsschutzes Sachsen-Anhalt Ost nehmen die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung auf.

(siehe auch: 30. März 13, 9. Mai 13 und 4. Juni 13)

MDZ 10.5.13;

FR 10.5.13

 

10. Mai 13

 

Zentrale Rückführungsstelle der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt. Eine syrische Familie mit drei minderjährigen Kindern soll entsprechend dem Dublin-Verfahren nach Rom zurückgeschoben werden. Die Mutter klagt über Herz- und Kopfschmerzen, und der Vater ist sehr apathisch und wirkt hilflos. Da die Eltern weder Deutsch noch Englisch sprechen, vermittelt der 16-jährige Sohn zwischen ihnen und der Bundespolizei. Er beschreibt, daß nicht nur die Mutter krank sei, sondern auch daß der Vater an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide. Nach dem Vorschlag der BeamtInnen der Bundespolizei, die Frau ins Krankenhaus zu fahren und den Mann mit den Kindern nach Italien zu fliegen, weigern sich alle vehement, dem Flug zuzustimmen. Die Abschiebung wird abgebrochen und die Ausländerbehörde Landau ordnet an, daß die Familie zurückkommen solle.

    Da die Familie natürlich keine Fahrkarten für die Rückfahrt hat, bringt die Abschiebungsbeobachterin sie zum Kirchlichen Sozialdienst, damit dieser bei der Beschaffung der Zugfahrkarten behilflich ist. Die Syrerin bricht zusammen und fällt zu Boden, sie kann sich kaum verständlich machen. Aus eigener Kraft fällt ihr das Laufen sehr schwer. Sie beschreibt, daß ihr schwindlig ist, daß sie starke Ohrenschmerzen hat, und zeigt auf Flüssigkeit, die aus ihrem Ohr läuft. Der Mann ist weiterhin apathisch, und der jüngere Sohn weint ununterbrochen. Sie bekommen die Fahrkarten und können zurück zu ihrem Wohnort.

    Hinsichtlich der Frage, warum die Polizei die Familie nicht zu ihrem Wohnort zurückgefahren hat, antwortet das zuständige Ministerium, daß die Dienstfahrtrichtlinie des Landes eine Mitnahme in solchen Fällen nicht vorsehe. Ausnahmen seien ausschließlich, wenn die Personen zurück in die Haft kämen.

    Die Betroffenen seien verpflichtet, sich eigenständig wieder an ihren Wohnort zu begeben. Erst auf Nachfragen bei der Bundespolizei oder der Abschiebungsbeobachtung könnten sie Fahrgeld bekommen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

14. Mai 13

 

Bundesland Baden-Württemberg. Im Aufenthaltsraum der Flüchtlingsunterkunft in Friedrichshafen am Wachirweg entwickelt sich zwischen 4.00 und 5.00 Uhr ein Feuer, das sich schnell ausbreitet, der Dachstuhl steht innerhalb kurzer Zeit in Flammen. Die 21 im Hause schlafenden Männer erwachen durch beißenden Rauch, klirrende Fenster oder durch die Rufe der Mitbewohner. Vielen in der ersten Etage ist der Weg durch die Flammen versperrt, so daß sie aus den Fenstern springen. Sechs Männer kommen mit leichteren Verletzungen wie Prellungen und Schnitten an Händen und Beinen, aber auch mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung in die umliegenden Krankenhäuser. Nach medizinischer Versorgung können sie alle wieder entlassen werden.

    Die Feuerwehr, die mit 16 Fahrzeugen und 60 Rettungskräften nach dem Feueralarm um 5.13 Uhr ausrückte, kann die Zerstörung der ersten Etage nur schwer eindämmen. Ob das Haus demnächst wieder bewohnbar ist, bleibt zunächst ungeklärt.

    Zur Klärung der Brandursache wird sowohl vom Landeskriminalamt als auch von der Häfler Kripo in alle Richtungen ermittelt.

SK 14.5.13; SK 15.5.13;

schwäbische.de 16.5.13

 

15. Mai 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft der Gemeinde Raesfeld im Kreis Borken unternimmt ein Bewohner einen Suizidversuch und kommt mit schwersten Verbrennungen in eine Hamburger Spezialklinik. Anfang Juni erliegt er seinen schweren Verletzungen.

    Bemerkenswert ist die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde Raesfeld: Während die Öffentlichkeit über die hohen Kosten informiert wird, die der Gemeinde von der Klinik in Rechnung gestellt werden, werden zu dem Flüchtling selbst aus "Datenschutzgründen" keinerlei Informationen herausgegeben.

DoZ 4.6.13; DoZ 11.6.13;

Gemeinde Raesfeld 16.10.13

 

15. Mai 13

 

Bundesland Sachsen. Nahe der deutsch-tschechischen Grenze auf der Raststätte "Am Heidenholz" der Bundesautobahn 17 werden zwei wahrscheinlich syrische Flüchtlinge in einen LKW von der Polizei festgestellt. Sie haben einen Schwächeanfall erlitten.

    Der Fahrer des LKW wird am 13. November durch das Amtsgericht Pirna gemäß § 96 Absatz 2 Nr. 5 des Aufenthaltsgesetzes (Fluchthilfe) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.

BT DS 18/743

 

17. Mai 13

 

Landkreis Passau im Bundesland Bayern. Um kurz vor 1.00 Uhr entsteht ein Brand im Büro der Heimleitung der Flüchtlingsunterkunft in Breitenberg. Ein 19 Jahre alter Bewohner aus Sierra-Leone, der aus einem Fenster der ersten Etage springt, zieht sich eine schwere Beinverletzung zu. Zwei weitere Afrikaner im Alter von 22 und 27 Jahren erleiden Rauchgasvergiftungen. Auch sie werden in ein Krankenhaus gebracht. Insgesamt werden sieben von den derzeit 25 anwesenden Personen verletzt.

    Nach Löschung des Brandes ist das Gebäude zunächst nicht mehr bewohnbar, und die Flüchtlinge werden nach einem Not-Quartier in der Schul-Turnhalle auf andere Unterkünfte in Hauzenberg, Passau und Vilshofen verteilt.

    Wegen des Verdachts auf Brandstiftung erfolgt die vorläufige Festnahme eines Bewohners.

    Auch zehn Tage nach dem Brand sind eventuelle Täter noch nicht ermittelt.

Polizei Niederbayern 17.5.13;

PNP 17.5.13; trp1.de 17.5.13;

trp1.de 27.6.13

 

18. Mai 13

 

Regensburg in Bayern. Eine 46 Jahre alte alleinstehende Romni aus Serbien versucht, sich in ihrer Unterkunft in der Grunewaldstraße mit Wodka und einer großen Menge (30-40 Tabletten) eines Antidepressivums (Amitriptylin) umzubringen. Als den MitbewohnerInnen ihre Apathie auffällt, schlagen sie Alarm, so daß die Frau ins Universitätsklinikum Regensburg kommt, wo sie zwei Tage lang intensiv-medizinisch betreut werden muß.

    Der Grund für ihre Verzweiflungstat ist die drohende Abschiebung nach Serbien, da auch der Asylfolgeantrag abgelehnt ist. Sie wurde dort von ihrem Ehemann verprügelt, vergewaltigt und letztlich auch an Zuhälter verkauft.

    Am 23. August schluckt die Frau erneut viel Alkohol und eine größere Menge Tabletten und kommt auf die Intensiv-Station des St.-Josef-Krankenhauses.

    Anfang Dezember – die Frau hat das Bezirkskrankenhaus gerade vor einer Woche auf eigenen Wunsch verlassen – da händigt ihr die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde eine Grenzübertrittsbescheinigung aus und fordert sie auf, innerhalb einer Woche das Land zu verlassen und umgehend eine Busfahrkarte vorzulegen.

    Daraufhin versucht die Frau am 9. Dezember, sich erneut mit Alkohol und Medikamenten zu vergiften und schneidet sich zudem die Handgelenke auf. Sie kommt ins Krankenhaus auf die Intensiv-Station und wird anschließend wieder ins Bezirksklinikum auf die geschlossene Station verlegt.

MbZ 5.12.13; MbZ 6.12.13;

Regensburger Flüchtlingsforum

 

20. Mai 13

 

Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt im Bundesland Brandenburg. Ein kurdischer Gefangener nimmt eine Überdosis Schlaftabletten zu sich und kommt ins Krankenhaus. Einige Tage später wird er zusammen mit seiner Familie abgeschoben.

lagerwatcheisen – Chronik (BewohnerInnen der ZAST)

 

28. Mai 13

 

Bundesland Brandenburg. Im sogenannten Männerhaus der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Eisenhüttenstadt erhängt sich der 20 Jahre alte Djamaa Isu (Juma A.) – Flüchtling aus dem Tschad. Die Wiederbelebungsversuche von Betreuungspersonal und Notarzt bleiben erfolglos. Der Arzt stellt um 17.50 Uhr den Tod fest.

    Mitarbeiter einer diakonischen Beratungsstelle und Freunde von Djamaa Isu berichten über große psychische Probleme, die ihn plagten. Er sei kaum noch aus seinem Zimmer gekommen, war psychisch "auffällig" und habe seinen Suizid ankündigt. Diese Tatsache nimmt der Flüchtlingsrat Brandenburg zum Anlaß zu fragen, warum weder das Betreuungspersonal noch der medizinische Fachdienst der Einrichtung das Verhalten bemerkten bzw. eine entsprechende psychologische Versorgung eingeleitet haben.

    Djamaa Isu lebte erst seit dem 22. März in der Einrichtung. Er war über Italien in die Bundesrepublik gekommen und dann von Karlsruhe nach Eisenhüttenstadt zugewiesen worden. Seine Rückschiebung im Rahmen des Dublin-II-Abkommens war für den 30. Mai vorgesehen.

    Es wird bekannt, daß er auf seinem Weg durch die Bundesrepublik in Dresden Opfer eines rassistischen Angriffs wurde.

    Drei Tage vor seinem Tod hatte Djamaa Isu noch mit anderen Flüchtlingen in Berlin für das Grundrecht auf Asyl demonstriert.

    Am 3. Juni demonstrieren ca. 130 Flüchtlinge und UnterstützerInnen mit einem Trauer- und Protestmarsch gegen die Residenzpflicht, gegen drohende Abschiebungen und für bessere Gesundheitsversorgung, gesünderes Essen und sauberere Sanitäranlagen.

    Im September des Jahres nimmt erstmals ein Psychologe seinen Dienst in der Einrichtung auf – er wird vorerst einmal die Woche für acht Stunden den BewohnerInnen zur Verfügung stehen.

Innenministerium Brandenburg 29.5.13;

ND 29.5.13; BeZ 29.5.13;

FRat BB 29.5.13;

 jW 30.5.13; MAZ 31.5.13;

epd 2.6.13; Welt 3.6.13; ND 4.6.13;

Pro Asyl 22.6.13; BeZ 27.9.13

 

28. Mai 13

 

Bundesland Sachsen. Nachts um 2.00 Uhr werden die 35-jährige Shengjul K. und ihre 11-jährige Tochter Chala in ihrer Chemnitzer Wohnung von PolizistInnen geweckt und in barschem, autoritärem Ton aufgefordert, ihre Koffer zu packen. Die schwangere Shengjul K. bekommt heftige Panikattacken und beginnt, sich selbst zu verletzen: Sie reißt sich Haare aus, kratzt ihre Haut mit den Fingernägeln auf, schlägt sich selbst ins Gesicht und schreit in völliger Panik. Sie ist nicht mehr in der Lage zu gehen und sowieso überhaupt nicht mehr fähig, die notwendigen Dinge einzupacken.

    Mutter und Kind werden zur Polizeistation nach Leipzig, dann zum Flughafen Baden-Baden gebracht und von hier aus zusammen mit einigen Dutzend anderen Flüchtlingen per Charter-Flugzeug nach Serbien bzw. Mazedonien ausgeflogen.

    Auf dem Flughafen Skopje wird Shengjul K. einem Polizeiverhör unterzogen, durch das sie – nach über 20 Stunden Abschiebungsdauer – in völliger Erschöpfung zusammenbricht und direkt in ein Krankenhaus gebracht werden muß.

    Im Jahre 2010 hatten Mutter und Tochter Mazedonien verlassen müssen, weil sie durch die Gewaltausübungen des Ex-Ehemannes und durch die Morddrohungen der männlichen Mitglieder seiner Familie akut gefährdet waren.

    In der Bundesrepublik wurde der Asylantrag abgelehnt, so daß sich die psychische Situation von Shengjul K. durch die Abschiebeandrohungen deutlich verschlechterte. Wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung mit Depressionen, Angstattacken und mehrfachen Suizidandrohungen kam sie Mitte Februar 2013 stationär in die Psychiatrie des Park-Klinikums Leipzig. Hier beging sie selbstverletzende Handlungen – sie schnitt sich mehrfach in die Hand und trank Schampoo.

    Als sie am 18. April 13 vom Gesundheitsamt kam, wo ihre Flugfähigkeit entschieden wurde, nahm sie eine Überdosis Tabletten zu sich.

    Sie wurde mehrmals stationär und teilstationär behandelt und konnte ihren Alltag nur mit entsprechenden Psychopharmaka bewältigen.

    Als Shengjul K. sich im Dezember 2012 mit ihrem deutschen Lebensgefährten verlobte und die Heirat vorbereitet wurde, weigerte sich die Ausländerbehörde Chemnitz, das einzig noch fehlende Papier – eine Kopie des Reisepasses – zur Verfügung zu stellen, so daß die Ehe in Deutschland nicht geschlossen werden konnte.

    Shengjul K. und ihre Tochter sind nach der Abschiebung obdachlos, ohne ausreichende Mittel für medizinische Versorgung und müssen sich zudem noch vor den anhaltenden familiären Bedrohungen und Verfolgungen verstecken. Nur aufgrund von privaten Spenden aus Deutschland ist es möglich, eine halbwegs sichere Unterkunft zu mieten.

    Obwohl es bereits im Juli 2013 gelingt, die Ehe in Mazedonien zu schließen, und obwohl der gemeinsame Sohn im Dezember geboren wird, scheitert die Rückkehr der Familie an den behördlichen Verschleppungen der Arbeitsvorgänge – sowohl in Deutschland als auch in Mazedonien. Weil die Aufhebung der Einreisesperre und die Herausgabe der Pässe durch mazedonische Behörden nicht funktioniert, kann der Antrag auf Familienzusammenführung bei der Deutschen Botschaft nicht gestellt werden. Shengjul K. darf erst 14 Monate nach der rechtswidrigen Abschiebung im Juli 2014 mit ihre beiden Kindern nach Deutschland zurückkommen.

Bon Courage 18.8.14;

Bon Courage

 

29. Mai 13

 

Bundesland Bayern. Der 30 Jahre alte politische Flüchtling Sahak N. wird an das armenische Regime ausgeliefert und kommt dort umgehend ins Gefängnis.

    Die Auslieferung basiert auf dem Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 12. März, das sich auf die Recherchen der Deutschen Botschaft in Eriwan beruft. Die Botschaft hätte keinerlei Belege für die oppositionelle Tätigkeit N.s, wohl aber einen Hinweis auf eine Straftat gefunden: Man sei im Internet auf einen Artikel über Visa-Betrügereien gestoßen. Zwar sei Sahak N. dort gar nicht erwähnt, aber sein Name erschiene in einem Leserkommentar im anschließenden Blog. Das Oberlandesgericht im Urteil:

"... die Auslieferung des Verfolgten (werde) nicht aufgrund beabsichtigter politischer Verfolgung betrieben."

    Dies steht in direktem Widerspruch zu den Aussagen von Sahak N. Er hatte sich vor den Präsidentschaftswahlen aktiv für den Kandidaten Levon Ter-Petrosian engagiert und nach dessen Wahlniederlage im Februar 2008 auf den Straßen Eriwans Flugblätter verteilt, in denen Manipulationen und Wahlfälschungen benannt wurden.

    Sein Vater Suren N., ein bekannter Wissenschaftler in Armenien, beschreibt in einem Offenen Brief, daß sein Sohn während der Wahlproteste zwischen Januar und März 2008 in Eriwan den Transport und die Verpflegung der DemonstrantInnen mitübernommen habe. Zehn Menschen seien bei den Unruhen ums Leben gekommen. Auch Suren N. wurde mehrfach vom Innenministerium vorgeladen, und die armenischen Beamten haben ihn und seiner Familie "offen gedroht". Schließlich entschloß sich die Familie, außer Landes zu gehen. Suren N. lebt mittlerweile in Georgien, und sein Sohn Sahak N. war im Jahre 2008 in die Bundesrepublik geflüchtet.

Noch während seines laufenden Asylverfahrens stellte Armenien im Jahr 2011 einen Auslieferungsantrag an die Bundesrepublik, woraufhin Sahak N. einige Wochen lang in Auslieferungshaft genommen wurde. Da Armenien die erforderlichen Beweise für den Vorwurf Visa-Betrug nicht vorlegen konnte, mußte er wieder entlassen werden.

    Wenig später wurde die Auslieferung erneut beantragt, diesmal mit den entsprechenden angeblichen Beweisen und mehreren vermeintlichen ZeugInnen-Aussagen.

    Seine Ehefrau Irina Sch. wandte sich im April mit Petitionen an den Bayerischen Landtag und den Deutschen Bundestag. Diese sind zum Zeitpunkt der Auslieferung noch nicht entschieden.

    Es wird bekannt, unter welchen Bedingungen Sahak N. nach der Auslieferung lebt. Er befindet sich – zusammen mit 20 anderen Gefangenen – in einer 20 Quadratmeter großen Zelle, in der fünf Doppelstock-Betten stehen mit insgesamt 10 Schlafplätzen. Der Raum hat keine Frischluftzufuhr – die Toilette besteht aus einem Loch im Fußboden. Die Gefangenen dürfen einmal im Monat für eine Minute duschen.

    In den wenigen Telefonaten mit seiner Ehefrau, die ihm erlaubt werden, klagt Sahak N. über Schmerzen und Lungenprobleme.

    Aufgeschreckt durch die Medienberichte in der Bundesrepublik erscheinen Mitarbeiter der Deutschen Botschaft im Gefängnis – woraufhin Sahak N. Mitte August 2013 gezwungen wird, eine Erklärung zu unterschreiben, wonach die Haftbedingungen in Ordnung seien. Erst daraufhin wird seine Lebenssituation im Gefängnis verbessert.

jW 13.4.13;

MbZ 21.7.13;

 regensburg-digital.de 29.7.13;

Deutsch Türkisches Journal 21.1.2014

 

30. Mai 13

 

Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt. Der 31 Jahre alte Nigerianer Adams Bagna bricht während eines Asthma-Anfalls auf dem Flur der Flüchtlingsunterkunft Bernburg zusammen. Wiederbelebungsversuche des gerufenen Rettungsdienstes bleiben erfolglos.

    Im vergangenen Herbst protestierten BewohnerInnen verschiedener Flüchtlingslager in Sachsen-Anhalt wegen der gesundheitsgefährdenden Zustände. Das Lager Bernburg am Teichweg stand und steht vor allem wegen des intensiven Schimmelbefalls der Räume und der ausgeprägten Kakerlaken-Plage in der Kritik. Wegen des häufigen Einsatzes von Schädlingsbekämpfungsmitteln, aber auch wegen des Schimmelbefalls klagten schon viele BewohnerInnen über Atembeschwerden.

    Da jetzt der Asthmatiker Adams Bagna in diesem Heim stirbt, liegt für viele MitbewohnerInnen die Vermutung nahe, daß er Opfer des gesundheitsschädigenden "Raumklimas" geworden ist.

    Ein hinzugerufener Arzt urteilt, daß er eines "natürlichen" Todes gestorben sei und deshalb keine Obduktion angeordnet werden müßte. Woran genau er gestorben ist, das kann der Arzt gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung jedoch nicht sagen.

    Adams Bagna war engagiertes Mitglied des Heimbeirates, der erst im März diesen Jahres gegründet worden war, nachdem im Herbst die Mißstände bekannt geworden waren.

MDZ 5.6.13;

no lager halle 6.6.13;

Antirassistische Vernetzung Sachsen-Anhalt 7.6.13

 

31. Mai 13

 

Landkreis Ansbach in Bayern. In der Flüchtlingsunterkunft von Wassertrüdingen am Bahnhofsplatz 1 wird ein Flüchtling von zwei deutschen Männern massiv bedroht (''Was tust Du hier? Das ist nicht Dein Haus. Wenn ich Dich nochmal sehe, bringe ich Dich um!''). Der Bedrohte erstattet daraufhin Anzeige – und im Oktober 2014 kommt es zu einer Gerichtsverhandlung.

Polizei Nürnberg 25.2.14;

StA Ansbach 20.8.14;

BT DS 18/203

 

Ende Mai 13

 

Landkreis Ansbach im Bundesland Bayern. In der psychiatrischen Station des Bezirkskrankenhauses befindet sich ein Flüchtling aus Äthiopien, der versuchte, sich in Abschiebehaft umzubringen.

Zeit 6.6.13

 

3. Juni 13

 

Balingen-Frommern in Baden-Württemberg. In der städtischen Flüchtlingsunterkunft Balinger Straße 11 entsteht ein Brand im Zimmer eines 24 Jahre alten Inders. Er alarmiert um 23.15 Uhr die Feuerwehr, doch als diese eintrifft, hat das Feuer vom ersten Stock bereits auf den Dachstuhl übergegriffen.

    Alle fünf Männer, die zur Zeit im Hause, sind kommen unverletzt ins Freie.

    Ein Brandsachverständiger, der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Hechingen zu den Ermittlungen hinzugezogen

wird, stellt als Ursache des Feuers die Überlastung einer Mehrfachsteckdose fest.

Polizei Balingen 3.6.13;

Schwarzwälder Bote 4.6.13;

SK 4.6.13; Polizei Balingen 4.6.13

 

4. Juni 13

 

Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Ein 23 Jahre alter Flüchtling aus Mali wird um 1.20 Uhr mit schweren Gesichtsverletzungen vor der Flüchtlingsunterkunft in Vockerode aufgefunden. Er  muß im Krankenhaus auf der Intensiv-Station behandelt werden.

    Die Polizei sucht Menschen, die aus einem mit laufendem Motor vor Ort stehenden PKW lauthals Parolen riefen.

    Da ein politisches Motiv nicht ausgeschlossen werden kann, übernimmt der Staatsschutz die Ermittlungen.

(siehe auch: 30. März 13, 9. Mai 13 und 10. Mai 13)

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

4. Juni 13

 

Bundesland Bayern. In der JVA Nürnberg fügt sich der Gefangene Herr I. mit einer Rasierklinge lange, tiefe und stark blutende Schnitte in beiden Beinen zu.

    Der Deserteur aus der syrischen Armee war am 7. Mai 13 gegen 10.50 Uhr auf der Autobahn A3 an der Rastanlage Rottal-Ost von der Polizei aufgegriffen und festgenommen worden.

    Er war am 15. Juli 12 aus Syrien geflüchtet und versuchte seither, nach Magdeburg in Sachsen-Anhalt zu kommen, wo seine Schwester seit neun Jahren lebt. Sowohl sie als auch ihr Mann sind in Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit.

    In der Haftbegründung zur Festsetzung von Herrn I. steht u.a.: "Da Gefahr in Verzug besteht - der Betroffene würde im Fall seiner Freilassung mangels sozialer Bindungen in der Bundesrepublik sofort untertauchen und sich dem weiteren Verfahren entziehen - mußte diese Anordnung getroffen werden."

    Ein Eilantrag des Rechtsanwalts, in dem eine Posttraumatische Belastungsstörung und die enge Bindung zu seiner Schwester aufgeführt sind, wird abgelehnt, weil ihn eine Anstaltsärztin der JVA Nürnberg als flug- und reisefähig bezeichnet hat. Er soll nach Bulgarien zurückgeschoben werden, weil er dort auf seinem Fluchtweg behördlich registriert wurde.

    Beamte holen Herrn I. in der Früh des 6. Juni aus der Krankenabteilung der JVA Nürnberg ab und bringen ihn zum Flughafen. Hier wird überraschenderweise der Flug storniert. Begründung der Bundespolizei Freyung: "Aufgrund vorhergehender Selbstverletzung des Schüblings konnte keine unbegleitete Rückführung per Luft erfolgen. Hierbei wird nun zeitnah eine begleitete Rückführung nach Bulgarien angestrebt."

    Letztlich kann erreicht werden, daß das Asylverfahren des Herrn I. durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt wird.

Alternativer Menschenrechtsbericht 2013

 

5. Juni 13

 

Bundesland Brandenburg. Im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt versucht ein somalischer Gefangener sich zu erhängen. Seinen Mitgefangenen gelingt es dann, das Seil durchzuschneiden. Der Mann kommt ins Krankenhaus. Was danach mit ihm passiert, bleibt unklar, weil er nicht ins Gefängnis zurückgebracht wurde.

lagerwatcheisen – Chronik (BewohnerInnen aus der ZAST)

 

7. Juni 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Auf seinem Heimweg wird ein Flüchtling aus Honduras in der Rostocker Innenstadt aus einem Auto heraus angegriffen.

    Zunächst versperrt ihm der PKW seinen Weg. Dann stürmen zwei Personen heraus, beschimpfen ihn und schlagen und treten auf ihn ein. Seine Hämatome und Prellungen im Gesicht werden im Krankenhaus ambulant versorgt.

    Die Täter sind auch im März 2014 noch nicht ermittelt.

LOBBI

 

9. Juni 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ein 25 Jahre alter Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Neklade bei Bergen auf Rügen wird bei einem Einkauf von einem Mann beschimpft, beleidigt und ins Gesicht geschlagen. Als er mit seinem Handy die Polizei rufen will, nimmt der Täter es ihm aus der Hand und schlägt ihm erneut ins Gesicht.

Infoportal MV 20.6.13

 

13. Juni 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Zwei Flüchtlinge aus Ghana befinden sich kurz nach Mitternacht auf der linken Straßenseite ihres Weges von Bergen zu ihrer Unterkunft nach Neklade, als sie von einem Motorrad überholt werden. Hinter ihnen fährt langsam ein silberner Mercedes. Dann heult der Motor auf, und der Wagen fährt auf sie zu. Die 18 und 46 Jahre alten Ghanaer können sich nur noch mit einem Sprung in den Seitengraben retten.

    Dann rennen sie zurück in Richtung Bergen zu einem nahegelegenen Supermarkt, um aus der Dunkelheit herauszukommen. Die Fahrzeuge verfolgen sie bis dorthin und drehen dann ab. Die Fahrer sind nicht zu erkennen, weil sie Tücher vor Mund und Nase haben.

    Die Geschädigten erstatten Anzeige wegen des Verdachts des gefährlichen Eingriffes in den Straßenverkehr, versuchter Körperverletzung und Nötigung. Der polizeiliche Staatsschutz übernimmt die Ermittlungen, weil von einer politisch motivierten Straftat ausgegangen wird.

    Andere Bewohner des Flüchtlingsheims Neklade berichten von ähnlichen Übergriffen, wenn sie sich auf den öffentlichen Straßen bewegen. Dazu ein Vertreter des Polizeipräsidiums Neubrandenburg: "Aufgrund der Umstände gehen wir davon aus, dass es sich bei dem Angriff um eine ausländerfeindliche Tat handelt. Es handelt sich jedoch um einen Einzelfall."

(siehe hierzu: 9. Juni 13).

    Bergens Stadtpräsident Eike Bunge (CDU) macht die Opfer zu Tätern durch den Kommentar: "Ich verurteile jede Art von Gewalt, auch gegenüber unseren ausländischen Mitbürgern. Allerdings gab es auch schon die eine oder andere Beschwerde über das Verhalten der Flüchtlinge."

Polizei Neubrandenburg 14.6.13;

Infoportal MV 20.6.13

 

13. Juni 13

 

La Ceiba in Honduras. Der 42 Jahre alte Victor Osório Turcios stirbt um 18.50 Uhr im Krankenhaus Atlántida an einem Herzinfarkt. Dies geschieht, nachdem das Medikament Marcumar, das ihm deutsche Polizisten vor zehn Monaten und 25 Tagen am Flughafen Frankfurt bei seiner Abschiebung zugesteckt hatten, ausgegangen war. Er hatte das Mittel, das die Blutgerinnung in seinem Körper verhindern soll, seit knapp drei Wochen nicht mehr einnehmen können, weil es dieses Medikament in Honduras nicht gibt – und er zudem nicht darüber informiert war, unter welchem Namen er ein enstprechendes Mittel erwerben könnte.

    Victor Osório Turcios war am 18. Juli 12 abgeschoben worden, obwohl ihm knapp ein Jahr zuvor in der Hamburger Asklepios-Klinik während einer Not-Operation eine künstliche Aortenklappe im Herzen eingesetzt worden war. PatientInnen, die eine derartige künstliche Herzklappe aus Karbon tragen, müssen lebenslang Antigerinnungsmittel zu sich nehmen, um die Bildung von Blutgerinseln (Thromben) zu verhindern – ansonsten besteht Lebensgefahr.

    Der Sachbearbeiter P. des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) war allerdings zu der Entscheidung gekommen, daß "... angesichts der Behandlungsmöglichkeiten" im Herkunftsland nicht davon ausgegangen werden könne, daß sich der Gesundheitszustand von Herrn Turcios bei einer Rückkehr "wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtert". Diese "Behandlungsmöglichkeiten" in dem zweitärmsten Land Lateinamerikas, in dem die Hälfte der EinwohnerInnen von weniger als einem Euro pro Tag lebt, wo auf 1000 Personen 0,7 Krankenhausbetten kommen und die einzige praktizierende Kardiologin in La Ceiba für eine Sprechstunde 50 Euro nimmt, führten dazu, daß Victor Osório Turcios zwar ab und zu im Krankenhaus sein Blut untersuchen lassen konnte – ärztliche Beratung aber auch hier zu teuer war, so daß er keine individuelle fachliche Anweisung für die Dosierung des Mittels hatte.

    Erst als es ihm immer schlechter ging, er vor Schmerzen kaum liegen konnte und seine Lunge voll Wasser lief, brachten ihn sein Bruder und Bekannte in das öffentliche Krankenhaus Atlántida.

    Victor Osório Turcios war im Jahre 2007 seinem Zwillingsbruder Denis nach Hamburg gefolgt, um aus einem Leben voller Gewalt und Gewalttaten zu entkommen und in Sicherheit leben zu können. Sie lebten drei Jahre in Hamburg, hatten Arbeit, eine Wohnung – sogar eine Krankenversicherung. Sie hatten allerdings keine gültigen Aufenthaltspapiere.

    Am 4. Oktober 10 stellte Victor Osório Turcios im mecklenburgischen Nostorf einen Asylantrag und begründete ihn mit der Gefahr, die nach einer Rückkehr für ihn besteht. Er war mit seinem Bruder nach dem Tod der Eltern im Alter von 12 Jahren in die kriminelle und gewalttätige Bande "Barrio 18" aufgenommen worden: man komme schnell in solch eine Bande hinein, aber man komme nicht mehr lebend raus.

    Nach der Ablehnung des Asylantrags lebte Victor Osório Turcios einige Monate ohne Papiere wieder in Hamburg, bis er am 17. August 11 zusammenbrach und in der Asklepios-Klinik am Herzen operiert werden mußte.

    Der Anwalt Claudius Brenneisen bewirkte am 6. Juni 12 die Wiederaufnahme seines Asylverfahrens. Während der Antrag noch bearbeitet wurde, stellte ein Amtsarzt die Flugtauglichkeit von Herrn Turcios fest, buchte das Landesamt für Innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern einen Flug nach Tegucigalpa (Economyclass für 976,83 Euro) und bestellte für den 18. Juli, den Tag der Abschiebung, ein Lunchpaket. Der Anwalt bekam exakt am Tage der Abschiebung den ablehnenden Bescheid, so daß er juristisch nicht mehr reagieren konnte.

Zeit Magazin Nr 3 – 16.1.15

 

17. Juni 13

 

Refugee-Strike-Camp am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Der 24-jährige Kreuzberger Oguz A. überquert gegen 19.30 Uhr den Platz mit seinem sechs Wochen alten Baby im Kinderwagen und seinem Vater an der Seite. Nach einem Wortwechsel mit einigen Flüchtlingen zieht er ein Messer und sticht auf einen 27-jährigen Sudanesen ein. Dann flieht er und läßt den Kinderwagen zurück.

    MitbewohnerInnen des Camps verfolgen den Täter und umringen den Kinderwagen. Als Polizisten das Baby und hinzukommende Verwandte des Täters wegfahren wollen, legen sich die CampbewohnerInnen in den Weg.

    Der niedergestochene Sudanese kommt mit einer tiefen Fleischwunde an der Brust und einer Lungenverletzung ins Krankenhaus.

    Polizeiliche Verstärkung kommt, und die nunmehr ca. 250 Beamten setzen Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Flüchtlinge ein. Der Tumult wird noch größer, als ca. 20 Bekannte des Täters die Flüchtlinge weiter bedrohen.

    Gegen 22.00 Uhr sind ca. 300 FlüchtlingsunterstützerInnen hinzugekommen. Neun Personen werden festgenommen – mehrere Festgenommene sind verletzt. Ein Mann wird von einem Polizeihund in die Hand gebissen.

    ZeugInnen berichten, daß sich auch einige Polizisten rassistisch geäußert hätten: "Die Schwarzen sind alle gleich", "Ihr seid das Problem".

    Am nächsten Tag ziehen über 800 Menschen in einer Solidaritätsdemonstration vom Oranienplatz zum Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke.

    Am 30. Januar 14 steht der Täter, ein vorbestrafter Ex-Rocker, wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Er hätte sich durch ein "Zischeln" einiger Flüchtlinge provozieren lassen, fühlte sich "in seiner Ehre" verletzt und sei dann ausgerastet. Er wollte allerdings den Sudanesen nicht töten, sondern diesen am Arm verletzen. Er wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt.

asylstrikeberlin.wordpress.com 18.6.13;

taz 19.6.13; jW 20.6.13;

TS 16.1.14; TS 30.1.14

 

19. Juni 13

 

Güstrow-Dettmannsdorf im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Unbekannte Täter bringen gegen 2.00 Uhr nachts Feuerwerkskörper in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingsunterkunft Glasewitzer Chaussee zur Explosion.

    Das geschieht zwei Tage, nachdem die ersten 50 Flüchtlinge aus Tschetschenien in die neue Unterkunft eingezogen sind. Die Böller beschädigen den PKW eines Wachmannes.

    Am 22. Juni werden die Familien im Heim erneut durch zwei Detonationen von Böllern erschreckt. Auch diesmal verursachen die Täter Sachschaden am Asphalt.

    Im Vorfeld der Eröffnung des Flüchtlingsheimes war bereits im März ein Buttersäureanschlag auf das Haus verübt worden. Im April hatten vermummte Jugendliche hunderte Aufkleber mit rechtsradikalen und rassistischen Parolen verteilt. Der Wohnsitz des Bürgermeisters Arne Schuldt (parteilos) war mit "Lichtenhagen kommt wieder" besprayt worden. Gegen eine NPD-Demonstration waren aber auch hunderte Menschen bei einem Friedensfest auf die Straße gegangen. (siehe auch: 12. Oktober 13)

SVZ 23.3.13;

ndr 1 Radio MV 18.6.13;

Polizei Rostock 19.6.13;

NK 25.6.13;

BT DS 18/203

 

20. Juni 13

 

Auf dem Berliner Flughafen Tegel verteilen ca. 50 DemonstrantInnen Informationszettel an die Passagiere, die mit der nächsten Maschine der Air-Berlin nach Budapest fliegen wollen. Aus dem Text geht hervor, daß mit diesem Flugzeug der 27 Jahre alte Usman Manir entsprechend dem Dublin-II-Abkommen nach Ungarn zurückgeschoben werden soll.

    Als die Türen der Maschine geschlossen sind, und die Passagiere sich anschnallen sollen, bleibt eine Person stehen und übergibt dem Steward einen Zettel, auf dem steht, daß er sich nicht setzen wird, solange der Abschiebegefangene im Flugzeug ist. Es ist der Kanadier François-Xavier Sarrazin, der eines der Flugblätter gelesen hat und die Abschiebung verhindern will. Zweimal wird er ermahnt, sich zu setzen, ein Passagier pöbelt ihn an – dann stoppt der Kapitän die Maschine. Die Türen öffnen sich, und Polizisten führen ihn und Usman Manir ab. Letzterer wird in die Abschiebehaft nach Eisenhüttenstadt zurückgebracht.

    Die DemonstrantInnen, die sich gegen eine Personenkontrolle durch die Polizei am Flughafen verwehren, werden mit Pfefferspray und Faustschlägen angegangen.

    Usman Manir befindet sich seit seiner Einreise in die Bundesrepublik am 4. Mai in Abschiebehaft. Sein Asylbegehren, das er unmittelbar nach Festnahme stellte, wurde von den Bundespolizisten nicht zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) weitergeleitet.

    Im Jahre 2012 mußte Usman Manir vor den Taliban aus Pakistan fliehen, erlebte in Griechenland polizeiliche Gewalt und rassistische Angriffe, floh weiter über Serbien und stellte schließlich in Ungarn einen Asylantrag. Als er dort in einem Flüchtlingsheim von Jugendlichen angegriffen und schwer verletzt wurde, floh er erneut und wurde schließlich im sächsischen Pirna von Bundespolizisten festgenommen.

    Er ist körperlich schwer angeschlagen und leidet seit den Mißhandlungen unter starken Kopfschmerzen, Tinnitus und Schmerzen im Ohr. Eine Psychologin attestiert eine posttraumatische Belastungsstörung, Schlafstörungen und Depressionen – zudem äußere er "starke Todessehnsucht".

    Mitte Juli droht erneut die Rückschiebung nach Ungarn. Ein Amtsarzt schreibt in einem Gutachten, daß Usman Manir "flug- und reisetauglich" sei und daß mit einer Gegenwehr bei der Abschiebung nicht zu rechnen sei. "Hierzu", heißt es weiter, "bedarf es zusätzlicher außenstehender Motivation, die dann auch auf dem Hintergrund eines 'Asylmißbrauchs' zu prüfen wäre."

    Ab 12. Juli beteiligt sich Usman Manir an dem Hunger- und Durststreik der Gefangenen in Eisenhüttenstadt.

    Am 25. Juli stoppt das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die für heute geplante Abschiebung, so daß Usman Manier nach 50 Tagen rechtswidriger Abschiebehaft jetzt aus dem Krankenhaus und aus der Abschiebehaft entlassen wird.

taz 21.6.13; taz 24.6.13;

taz 3.7.13; taz 10.7.13; ND 12.7.13;

FRat Brbg 17.7.13; Welt 23.7.13; BeZ 24.7.13;

FRat Brbg 25.7.13; ND 25.7.13;

PNN 26.7.13

 

20. Juni 13

 

Bundesland Thüringen – Gotha. Ein syrischer Flüchtling wird von drei Personen beschimpft, geschlagen, gestoßen und mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. EineR der TäterInnen wird dem Strafrichter vorgeführt.

LT DS Thüringen 5/7882

 

21. Juni 13

 

Bundesland Brandenburg. In der Flüchtlingsunterkunft Fürstenwalde in der Langewahler Straße fügt sich ein 21 Jahre alter Marokkaner am Oberkörper selbst Verletzungen zu.

    Als er die gegen 0.50 Uhr gerufenen Polizisten wahrnimmt, versucht er erneut, sich zu verletzen. Um weitere Selbstverletzungen zu verhindern und eine notärztliche Behandlung zu ermöglichen, wird der Mann von den Beamten mit Handfesseln fixiert. Nach einer medizinischen Erstversorgung kommt er dann in Polizeibegleitung ins örtliche Krankenhaus.

Polizei Brandenburg 21.6.13

 

24. Juni 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ins Haus der Mission in Glasow bei Pasewalk stürmen gegen 0.30 Uhr 16 bis 20 PolizeibeamtInnen, um den Flüchtling Masoud K. festzunehmen und abzuschieben. Dabei attackieren sie ihn derart heftig, daß er einen Kreislaufkollaps erleidet und ins Pasewalker Krankenhaus gebracht werden muß.

    Der gläubige Christ hatte den Iran aus Angst vor Verfolgung verlassen müssen und war zunächst nach Zypern geflüchtet. Er mußte aber weiter fliehen, als ihm dort die Abschiebung drohte. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Asylantrag – diesmal aus formalrechtlichen Gründen – ab.

    Die Festnahme war für den 23. Juni geplant, denn am 24. Juni sollte Herr K. bereits im Flugzeug sitzen.

    Mit der Begründung, daß es sich bei der Mission um einen "privaten Verein" handele und nicht um eine kirchliche Einrichtung und somit nicht um ein Kirchen-Asyl, hatte das Amtsgericht Pasewalk den Polizeieinsatz juristisch abgesichert.

ndr 7.4.13;

ndr 28.6.13;

ino.blogsport.de 29.6.13

 

25. Juni 13

 

Bundesland Bayern. In den vergangenen vier Tagen ihres Hungerstreiks und zwei Tage nach Beginn des Durststreiks sind bereits zehn Flüchtlinge ins Krankenhaus gekommen, damit sie aufgrund von akut drohenden und eingetretenen Kollabierungen medizinisch behandelt werden können.

    50 bis 70 Flüchtlinge aus Bangladesh, Pakistan, Syrien, Afghanistan und anderen Ländern, die alle in Bayern untergebracht sind, hatten sich nach einer Demonstration durch die Münchener Innenstadt am 22. Juni auf dem Rindermarkt niedergelassen und beschlossen, mit einem Hungerstreik gegen ihre derzeitigen Lebensbedingungen zu protestieren. Sie fordern die bayerische Staatsregierung auf, die Residenzpflicht, die Essenspakete und das Arbeitsverbot aufzuheben – auch die Unterbringung in den Flüchtlingslagern soll beendet werden. Vor allem aber fordern sie die sofortige Anerkennung als politisch Verfolgte nach Artikel 16a des Grundgesetzes.

    Die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) reagiert auf die Verzweiflungsaktion der Flüchtlinge mit folgenden Worten: "Hierzulande ist Politik nicht erpressbar, wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann."

    Aufgrund der Dringlichkeit und Lebensgefahr der fest entschlossenen Durststreikenden beruft Münchens Oberbürgermeister Christian Uhde (SPD) einen Krisenstab ein, in dem Sozial- und Gesundheitsreferat, Jugendamt, Polizei und die Regierung Oberbayerns vertreten sind. Der Krisenstab läßt zwei Zelte auf dem Rindermarkt zur Betreuung der Streikenden aufbauen: ein Schlaf- und ein Aufenthaltszelt, in dem auch die Rettungskräfte die Streikenden versorgen können. Das

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat inzwischen zugesagt, die Asylanträge innerhalb von 14 Tagen "zu prüfen".

    In der kommenden Nacht zum 26. Juni werden sieben weitere Flüchtlinge in Kliniken gebracht.

    Nachdem die Streikenden in einer "letzten Nachricht" mitteilen, daß sie "keinen Schritt zurückweichen", bis ihre Forderung erfüllt ist, ordnet Uhde an, daß medizinische Rettungskräfte jederzeit Zutritt zum Camp haben müssen. Sollte sich dem jemand in den Weg stellen, dann wäre das eine Straftat, und die Polizei würde medizinische Versorgung durchsetzen, so Uhde. Schwierig wird es für die Rettungskräfte, als bekannt wird, daß einige Flüchtlinge Patientenverfügungen unterschrieben haben, in denen sie lebensrettende Maßnahmen nicht wünschen.

    In der Nacht zum 28. Juni kommen weitere drei Durst-Streikende ins Krankenhaus – zwei von ihnen müssen wiederbelebt werden.

    Insgesamt 12 Streikende lehnen jetzt jegliche medizinische Versorgung ab: "Entweder unsere Forderungen werden erfüllt, oder es gibt Holger Meins (Hungerstreik-Toter der RAF, ARI) und Bobby Sands (Hungerstreik-Toter der IRA, ARI) auf den Straßen von München."

    Am Nachmittag lenken die Streikenden ein und gestatten, daß ein geschwächter Mann aus dem Camp getragen werden darf, um ins Krankenhaus gebracht zu werden. Weitere 15 Streikende kollabieren und werden mit Lungen- und Nierenproblemen in Kliniken gebracht, einer erleidet beinahe einen Herzinfarkt.

    Zudem wird an diesem Nachmittag ein Mann aus der Abschiebehaft in München-Stadelheim zu seiner Frau und seinen sieben und neun Jahre alten Kindern ins Hungerstreik-Camp gebracht. Der 12-jährige Sohn der Familie ist bereits nach Österreich abgeschoben – soll aber in den nächsten Tagen zurückgebracht werden. Das Asylverfahren für die Familie wird dann in der Bundesrepublik durchgeführt werden.

    Nachdem Ministerpräsident Seehofer sowohl den bayerischen Innenminister und die Sozialministerin als auch Münchens Oberbürgermeister zu einem Krisentreffen eingeladen hatte und daraufhin am nächsten Tag, am Samstag, dem 29. Juni, Hans-Jochen Vogel (SPD) und der ehemalige CSU-Politiker Alois Glück als Vermittler ins Hungerstreik-Camp geschickt werden, und diese Vermittlungsversuche zu keinem für die Flüchtlinge gewünschten Ergebnis führen, erklären diese, daß sie weiterstreiken werden.

    Um 5.00 Uhr des nächsten Morgens fährt die Polizei mit 350 Einsatzkräften auf, sperrt den Rindermarkt großräumig ab und beginnt mit der Räumung des Camps. Zunächst müssen die BeamtInnen eine ca. 50-köpfige Sitzblockade von UnterstützerInnen auflösen. Dabei werden 13 Personen festgenommen und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beleidigung angezeigt.

    Dann beginnen die Beamten mit dem Wegtransport der Hungerstreikenden – dabei wird gegen 10 Personen, so die Polizei, "unmittelbarer Zwang angewendet".

    Flüchtlinge berichten, daß sie im Polizeipräsidium angegriffen, geschlagen und getreten worden seien. Auch seien sie gezwungen worden, sich nackt auszuziehen, und hätten dort trotz Lebensgefahr keinerlei medizinische Versorgung bekommen.

    Insgesamt werden nach der Räumung des Camps 44 PatientInnen in 12 Krankenhäuser verteilt.

    Nach Beendigung des Streiks sagt der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, den Flüchtlingen eine schnelle Prüfung ihrer Anträge zu. Mehrere seien schon positiv entschieden worden – 13 Anträge seien noch offen, weil sie erst ab März gestellt wurden. Zehn AsylbewerberInnen klagen derzeit gegen die Bescheide des Bundesamtes, und bei mehreren Fällen seien andere EU-Staaten für die Asylverfahren zuständig. Hier prüfe das Bundesamt, ob die Verfahren in der Bundesrepublik bearbeitet werden können.

(siehe auch: 24. August 13; 29. August 13; 1. September 13; 2. September 13; 9. Oktober 13 und den Text "Non-Citizens im Jahre 2013")

AZ München 23.6.13;

AZ München 24.6.13; AZ München 25.6.13;

AZ München 26.6.13; AZ München 27.6.13;

AZ München 28.6.13; AZ München 29.6.13;

AZ München 30.6.13; Polizei München 30.6.13

 

10. Juli 13

 

Bundesland Brandenburg. Im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt verletzt sich der 21 Jahre alte georgische Gefangene Gigi G. mit zahlreichen Schnitten einer Rasierklinge an Armen und Bauch. Als er versucht, sich die Halsschlagader aufzuschneiden, wird er vom Wachpersonal überwältigt und kommt ins Krankenhaus.

    Gigi G. war im September 2012 in die Bundesrepublik geflüchtet, weil er aufgrund seiner politischen Aktivitäten in Georgien staatlich verfolgt wurde. Er leidet unter Klaustrophobie und einer Posttraumatischen Belastungsstörung und bekommt in Haft keinerlei psychotherapeutische Betreuung bzw. Behandlung.

    Als er am 15. Juli vom Krankenhaus – gegen den Willen des behandelnden Arztes – zurück in das Gefängnis gebracht wird, schließt er sich dem Hungerstreik der Gefangenen an.

(siehe dort: 19. Juli 13)

ND 12.7.13;

Netzwerk Lager Eisenhüttenstadt 14.7.13;

MOZ 15.7.13; BeZ 15.7.13;

Netzwerk Lager Eisenhüttenstadt 16.7.13;

 

11. Juli 13

 

In der Zentralen Rückführungsstelle der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt befindet sich ein 30 Jahre alter Tunesier, der im Auftrag der Ausländerbehörde Gießen in Begleitung von zwei Bundespolizisten und einer Ärztin nach Rom ausgeflogen werden soll. Er ist suizidgefährdet, denn er hatte bereits in der Abschiebehaft versucht, eine Rasierklinge zu schlucken.

    Die Rückschiebung wird abgebrochen, weil der Mann im Bus auf dem Weg zum Flugzeug schreit und tobt und sich vehement weigert zu fliegen.

    Der Sozialarbeiter in der Abschiebungshaft bestätigt später, daß der Rückschiebungsbescheid zwar am 10. Juli in der Haftanstalt angekommen ist, dieser dem Gefangenen aber nicht ausgehändigt wurde.

    Der Tunesier wird am 28. August 13 mit einem Charter-Flug nach Rom ausgeflogen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

15. Juli 13

 

Wandlitz in Brandenburg. Morgens um 5.00 Uhr halten drei Polizeiautos mit einem Vertreter der Ausländerbehörde Barnim vor der Flüchtlingsunterkunft Wandlitz. Der 40 Jahre alte Tschetschene Zelman A. und seine Kinder, die 12-jährige Linda, der 10-jährige Magomed, der 15 Jahre alte Magabi und der 16-jährige Mayrbek müssen ihre Sachen packen und in die Polizeiautos steigen. Über den Flughafen Berlin-Tegel werden sie nach einem halben Jahr Deutschland-Aufenthalt entsprechend dem Dublin-II-Abkommen nach Polen zurückgeschoben. Da Frau Zaina B., die Mutter der Kinder, derzeit im Bernauer Krankenhaus liegt, ist durch die Abschiebung die Familie getrennt.

    Der Gesundheitszustand von Zaina B., die gerade eine Operation hinter sich hat, verschlechtert sich dramatisch – sie erleidet einen Zusammenbruch. Für die nächsten sechs Wochen bleibt sie wegen Suizidalität und Epilepsie in stationärer Behandlung. Sie leidet unter der Trennung von ihren Kindern und ihrem Mann, die in einem Heim des polnischen Ortes Grupa der Gemeinde Gragacz in der Woiwodschaft Kujawien-Pommern - 600 Kilometer entfernt – untergebracht sind.

    Die Empörung der Menschen in Wandlitz über die Abschiebung ist groß, und über 1000 Menschen unterschreiben eine Petition an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), in der sie die Rückkehr der Abgeschobenen fordern.

    Am 27. August versucht die Ausländerbehörde Barnim, Zaina B. aus dem Krankenhaus herauszuholen und abzuschieben. Allein durch den engagierten Einsatz des medizinischen Personals kann dieses verhindert werden.

    Die Familie lebte bis 1999 in Grosny, bis zu Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges eine Granate in die Wohnung einschlug und das dritte Kind in seiner Wiege starb – der Vater und der älteste Sohn wurden an den Augen verletzt.

    Ab dem Jahre 2011 war Herr A. mehrmals zu Verhören geholt worden, weil ihm wegen der Augenverletzung unterstellt wurde, auf der "falschen" Seite gekämpft zu haben. Im November 2012 flüchtete die Familie schließlich ins Ausland, weil sie immer mehr bedroht wurde.

    Nachdem ihre Asylanträge in Polen abgelehnt waren und auch die Bedrohung durch tschetschenische Gruppierungen immer konkreter wurde, reisten sie weiter in die Bundesrepublik, um hier Sicherheit zu finden.

    Anfang September entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), daß das Asylverfahren der Familie in der Bundesrepublik durchgeführt wird. Damit steht der Rückkehr der Abgeschobenen nichts mehr im Wege. Ende Oktober ist die Familie in Wandlitz wieder vereint.

FRat Brbg 16.7.13;

Verbindungsgruppe Bernau;

Barnimer Kampagne "Light me Amadeu",

Kreisjugendkonvent Barnim 17.7.13;

ND 26.7.13; TS 28.8.13;

FRat Brbg  28.8.13; TS 7.9.13;

Runder Tisch für Toleranz 11.9.13;

FRat Brbg 12.9.13;

mut-gegen-rechte-gewalt.de

 

15. Juli 13

 

Heiligenhaus in Nordrhein-Westfalen. Die 85 BewohnerInnen sollen heute ihre derzeitige Unterkunft verlassen und in eine ehemalige Schule übersiedeln. Die Nachricht, daß das Container-Lager heute geräumt wird, bekamen sie vor vier Tagen. Obwohl die Unterkunft seit 1997 nicht mehr saniert wurde und die BewohnerInnen sich seit Jahren über die maroden und verschimmelten Räume beschweren und obwohl der Bürgermeister Heinisch noch vor wenigen Wochen äußerte, daß dort alles in Ordnung sei und sich der städtische Hausmeister um technische Probleme kümmern würde, soll jetzt die Räumung wegen akuter Einsturzgefahr im Hau-Ruck-Verfahren vollzogen werden.

    Die BewohnerInnen möchten vor ihrem Auszug die neue Unterkunft anschauen. Für das Verhandlungsgespräch mit dem Hausmeister der Anlage und dem Sozialarbeiter haben sie FlüchtlingsaktivistInnen eingeladen, von denen sie sich Unterstützung erhoffen. Sozialarbeiter und Hausmeister gehen zum Teil schreiend auf die BewohnerInnen und Gäste zu, sie bedrohen sie und versuchen, sie zu vereinzeln. Der Hausmeister beruft sich schließlich auf sein Hausrecht und fordert die Gäste auf, das Gelände zu verlassen. Als diese dem nicht folgen, ruft er die Polizei.

    Die eintreffenden BeamtInnen nehmen nach und nach und mit Gewalt alle UnterstützerInnen in Haft – zudem auch einen der Bewohner. Die leitende Beamtin droht nun mit gewaltsamer Räumung der Anlage. Es wird Strom, Wasser und Gas abgestellt, und am Abend ist die Räumung vollzogen.

    In der neuen Unterkunft leben die Menschen mit bis zu sieben Personen in einem Raum. Es gibt nur eine (!) Dusche und vier (!) Toiletten für 85 Personen. Angeblich ist dies eine Zwischenlösung, denn die alte Containeranlage soll abgerissen und durch eine neue ersetzt werden.

linksunten.indymedio.org 16.7.13;

RP 16.7.13;

Karawane – Wuppertal 19.7.13

 

19. Juli 13

 

Bundesland Brandenburg. Aus dem Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt wird der vierte hungerdurststreikende Gefangene, ein Georgier, in ein Krankenhaus gebracht.

    Am 12. Juli hatten von den insgesamt 13 einsitzenden Gefangenen 11 Personen einen Hungerstreik begonnen. Es sind die Männer Ismet M. (20), Gigi G. (21), Giorgie M. (24), Giorgi C. (25), Usman Manir (27), Kotscha K. (28), Wachtang D. (30), John Etto A. (30), Satnam Singh D. (31), Genadi K. (33), sowie als einzige Frau die 25 Jahre alte Elina I.

    Sie sind aus Georgien, Nigeria, Pakistan und Albanien und protestieren gegen die Haft, gegen Abschiebungen, gegen fehlende psychologische und medizinische Betreuung (zwei Männer leiden unter Tuberkulose). Sie fordern zudem einen fairen Zugang zum Asylverfahren, weil einigen nach dem Dublin-II-Abkommen die Rückschiebung nach Polen oder Ungarn droht.

    Es wird auch bekannt, daß Flüchtlinge in Verfahren des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt, die oft weniger als 15 Minuten dauern, zu Haft- oder Geldstrafen wegen illegaler Einreise verurteilt werden. In den Urteilen ist von "Asyltouristen" die Rede, die zu einem "Heer der Illegalen" gehören.

    Ab 15. Juli verschärften drei Personen ihren Protest, indem sie auch keine Flüssigkeit mehr zu sich nahmen. 

    Ab 16. Juli befanden sich noch drei Georgier und ein Pakistani im Hunger- bzw. Durststreik. Aufgrund ihrer körperlichen Schwäche kam zuerst der 21 Jahre alte suizidgefährdete Gigi G. wieder in stationäre Behandlung – danach sukzessive die anderen drei. (siehe auch: 10. Juli 13)

Den zwei zuerst aus dem Krankenhaus entlassenen Georgiern bietet das Innenministerium Gespräche mit einer Psychologin in Gegenwart eines Dolmetschers im Abschiebegefängnis an.

    Der Pakistani Usman Manir wird am 25. Juli aus der Abschiebehaft entlassen und kommt in die Zentrale Erstaufnahmestelle Brandenburg, die auf demselben Gelände liegt wie die Abschiebehaft. Damit wird seine für diesen Tag vorgesehene Abschiebung zunächst gestoppt. Anschließend wird er entsprechend dem bundesweiten Verteilungsschlüssel in eine Berliner Unterkunft weitervermittelt.

(siehe auch: 20. Juni 13)

    Um 4.00 Uhr des 25. Juli erscheinen zwei Polizeibeamte und ein Mann in Zivil (vermutlich ein Arzt) im Zimmer des 33 Jahre alte Genadi K., hindern ihn am Schreien, holen ihn trotz seines schlechten Gesundheitszustandes aus dem Krankenhaus und bringen ihn zum Flughafen Frankfurt am Main. Im Flugzeug wird ihm Klebeband über den Mund geklebt ("They put me a scotch on my mouth and a white sack"), den anderen Passagieren wird erklärt, daß er krank sei und alles in Ordnung wäre. In ärztlicher Begleitung erfolgt seine Abschiebung über Moskau nach Tiflis (Georgien). Er hat weder Bargeld noch ein Telefon bei sich, und sein Heimatort liegt 600 Kilometer von Tiflis entfernt.

Netzwerk Lager Eisenhüttenstadt 14.7.13;

taz 14.7.13; BM 14.7.13;

rbb 15.7.13; MOZ 15.7.13; BeZ 15.7.13;

MAZ 15.7.13; ND 16.7.13;

Netzwerk Lager Eisenhüttenstadt 16.7.13; rbb 19.7.13;

rbb 20.7.13; ND 20.7.13; BeZ 22.7.13

ND 23.7.13; BM 24.7.13; BeZ 25.7.13;

 rbb 26.7.13; BM 26.7.13; FRat Brbg 26.7.13;

ND 29.7.13

 

19. Juli 13

 

Burg bei Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Gegen 22.00 Uhr fährt ein weißer PKW mit zwei männlichen Personen an die Auffahrt der hiesigen Flüchtlingsunterkunft. Der Fahrer fragt einen Zeugen, ob denn in dem Gebäude "Afrikaner" leben würden. Als der Zeuge dies bejaht, fährt der Wagen von außen an den hinteren Teil des Gebäudes – es klirren Scheiben und der Wagen fährt davon.

    Die vom Wachschutz alarmierte Polizei stellt fest, daß zwei Fensterscheiben eingeschlagen wurden.

    Gegen den Beifahrer, einen Minderjährigen, erhebt die Staatsanwaltschaft Stendal Anklage wegen Sachbeschädigung.

StA Stenda 27.2.14l;

Polizei Magdeburg 10.3.14;

BT DS 18/203

 

21. Juli 13

 

Bad Buchau in Baden-Württemberg. Als ein Bewohner des an der Hauptstraße gelegenen Flüchtlingsheims kurz vor 1.00 Uhr Brandgeruch und Rauch bemerkt, alarmiert er per Notruf die Rettungsstelle in Biberach und weckt die anderen im Hause schlafenden Erwachsenen und Kinder.

    Das Feuer ist in einem unbewohnten Zimmer im Erdgeschoß des dreigeschossigen Gebäudes ausgebrochen. Das hier gelagerte Bau- und Renovierungsmaterial brennt, und dichter Rauch gelangt ins Treppenhaus und ins Freie. Später wird festgestellt, daß die Tür des Raumes aufgebrochen worden ist.

    Die meisten der 30 BewohnerInnen gelangen rechtzeitig und unverletzt ins Freie. Eine Familie mit Kindern muß allerdings von Rettungskräften mit Atemschutzgeräten geborgen werden. Einige Menschen werden noch vor Ort wegen Rauchgasvergiftung behandelt.

    Die Feuerwehr kann den Brand schnell löschen, so daß nach dem Einsatz von Drucklüftern das Haus wieder rauchfrei ist und die BewohnerInnen nach ca. zwei Stunden in ihre Zimmer zurückkehren können.

    Die neu gebildete Ermittlungsgruppe, in der Brandermittler, Kriminaltechniker und Brandsachverständige des Landeskriminalamtes zusammenarbeiten, kommt fünf Tage später zu dem Ergebnis, daß es sich entweder um fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung handeln müsse.

Polizei Biberach 21.7.13; SchwZ 21.7.13;

Polizei Biberach 22.7.13; SchwZ 22.7.13;

Polizei Biberach 23.7.13;

Polizei Biberach 26.7.13

 

21. Juli 13

 

Bundesland Thüringen. Früh an diesem Sonntagmorgen attakkieren zwei Männer die Flüchtlingsunterkunft in Arnstadt. Sie sind Zeitsoldaten der Bundeswehr – allerdings in Zivil. Sie entzünden Feuerwerkskörper und lassen sie im Hinterhof explodieren.

    Als einer der Bewohner die 23 und 24 Jahre alten angetrunkenen Männer auffordert, dies zu unterlassen, beleidigen sie ihn rassistisch und zeigen mehrmals den "Hitlergruß". Dann zünden sie weitere Pyrotechnik. Einer zerstört mit einer Holzlatte die am Eingangsbereich angebrachte Videokamera.

    Die gerufene Polizei kann die Täter in der Nähe festnehmen und leitet Ermittlungen wegen Volksverhetzung und Sachbeschädigung ein. Auch die Bundeswehr leitet disziplinarische Maßnahmen gegen die Täter ein.

    Beide Täter werden noch im laufenden Jahr zu Geldstrafen verurteilt. Während der Soldat, der die Kamera zerstörte, eine Strafe von 5000 Euro erhält, legt sein Kumpan Einspruch ein. Am 6. Februar 14 spricht ihn das Amtsgericht frei, weil nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob er den "Hitlergruß" gezeigt hat. Mit dem Freispruch ist seine berufliche Laufbahn bei der Bundeswehr gewährleistet, die er später als Berufssoldat weiterführen will.

jW 23.7.13; ND 23.7.13;

RP 23.7.13; ND 24.7.13; AA 24.7.13;

Ostthüringer Ztg 6.2.14;

LT DS Thüringen 5/7882

 

24. Juli 13

 

Mittelmeer – östliche Ägäis. Ein kleines Boot mit elf Flüchtlingen ist auf dem knapp fünf Kilometer weiten Weg von der türkischen Bodrum-Halbinsel zur griechischen Insel Kos, als es zunächst von einer kleinen, dann von einer großen Welle zum Kentern gebracht wird. Bis auf einen Familienvater kommen alle Insassen ums Leben.

    Der Körper der 21-jährigen Nazlieh Semmo wird erst vier Tage nach dem Unglück am Strand gefunden.

    Die syrische Kurdin war auf dem Weg nach Deutschland – sie wollte in Hamburg bei ihrer Tante Nazlieh und ihrem Onkel Nazmi leben und studieren. Diese hatten alle von der Ausländerbehörde geforderten Bedingungen erfüllt, um der Nichte die Einreise und den Aufenthalt zu ermöglichen. Sie hatten sich selbstverständlich bereiterklärt, alle entstehenden Kosten für sie zu übernehmen. Nazlieh Semmo ihrerseits konnte das Abiturzeugnis, einen 1000 Stunden umfassenden Deutschkurs und eine formelle Zulassung zum Hamburger Studienkolleg vorlegen. Der Einreise stand nichts weiter im Wege als die derzeit geschlossene Deutsche Botschaft in Damaskus.

    Nazlieh Semmo fuhr also in die Türkei und stellte bei der Deutschen Botschaft in Ankara einen Antrag auf ein Visum. Dieses wurde mit folgender Begründung abgelehnt: "Es bestehen hier Zweifel an der erfolgreichen Aufnahme und Absolvierung Ihres sich möglicherweise anschließenden Studiums. Der Antrag muß daher abgelehnt werden .... Dieser Bescheid wurde maschinell erstellt."

    Auch nach mehrfacher Nachfrage einer Journalistin des Norddeutschen Rundfunks nahm das Auswärtige Amt zu dieser "Begründung" nicht konkret Stellung.

    Die Entscheidung der MitarbeiterInnen der Deutschen Botschaft in Ankara ist besonders bemerkenswert vor dem Hintergrund, daß die Bundesrepublik derzeit 5000 syrischen Kriegsflüchtlingen einen direkten Aufenthalt mit eigener Wohnung, Arbeitserlaubnis und Sprachkurs zugesichert hat.

ndr info 24.10.13;

Kathrin Erdmann - Journalistin

 

25. Juli 13

 

Bundesland Sachsen-Anhalt, Flüchtlingsunterkunft Harbke im Landkreis Börde. Ein Flüchtling aus Vietnam tötet sich selbst, indem er bei einer nahe gelegenen Bahnstrecke auf die Gleise tritt und von einem Zug überrollt wird.

    Der 42-jährige Mann lebte seit ca. zwei Jahren in dem Lager und war sehr isoliert und zurückgezogen. Mitbewohner berichten, daß er offensichtlich auch mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte – er war deswegen in ärztlicher Behandlung.

Karawane Halle;

Polizei Magdeburg 17.12.14

 

26. Juli 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. In der Bielefelder Straßenbahn "Sparrenburg-Express", die für feierliche Anlässe mietbar ist, sind seit Stunden ca. 60 Personen, überwiegend alkoholisiert und vermutlich mehrheitlich Angehörige eines örtlichen Sportvereins, unterwegs.

    Die Lieder, die gesungen werden, machen deutlich, daß etliche der Feiernden einer rechtsradikalen Gesinnung anhängen. Auch werden von einigen auf die Rufe "Sieg!" die Antworten "Heil!" skandiert.

    An der Endhaltestelle Bielefeld-Senne/Sennestadt steht gegen 21.00 Uhr der 16-jährige Flüchtling M. O. aus Guinea, der sich das Handy von seinem Freund ausleiht, um die Party-Straßenbahn zu fotografieren.

    Der Rechtsextremist T. W. fühlt sich dadurch provoziert, steigt aus der Bahn aus und geht auf den Jugendlichen zu. "Was willst Du hier, Neger? Geh zurück nach Afrika", sagt er sinngemäß und wirft sein Bierglas nach ihm, spuckt dann in seine Richtung aus. Dann wird er allerdings von seinen Kumpanen von einem direkten körperlichen Angriff abgehalten, indem sie ihn festhalten und auf ihn einreden ("Mach Dir doch nicht die Finger dreckig!").

    Als die Polizei erscheint, flüchtet T. W. in ein Waldstück, kann dann aber durch einen Diensthund gestellt werden.

    T. W. kommt wegen versuchter schwerer Körperverletzung und Beleidigung vor Gericht. Am 3. Februar 14 verurteilt ihn das Bielefelder Amtsgericht zu neun Monaten Haft ohne Bewährung – bei seinen sonstigen Vorstrafen wird die Bewährung widerrufen.

    M. O., der zwar keine körperlichen Verletzungen erlitten hat, aber seit dem Angriff unter Schlafstörungen, Bedrohungs- und Verfolgungsängsten leidet, wird eine Entschädigung von 300 Euro zugesprochen.

Wohngemeinschaften e.V.

 

1. August 13

 

Bundesland Bayern. Ein 16-jähriger Flüchtling aus Afghanistan wird aus der Abschiebungshaft in der JVA München entlassen. Am 5. August erfolgt entsprechend dem Dublin-II-Verfahren seine Rückschiebung per Flug in die Slowakei.

    Am 12. Oktober 13 entscheidet das Landgericht München, daß die 34-tägige Abschiebehaft rechtswidrig war. Die Begründung für die Entscheidung ist nicht die Minderjährigkeit des Flüchtlings, sondern der angegebene Haftgrund, daß er sich den deutschen Behörden entziehen wollte. Dies sei nicht nachweisbar, weil er schon bei seiner Verhaftung am 28. Juni im Zug EN 490 aus Österreich kommend angab, daß er zu seinem Onkel nach Hamburg wolle.

Landgericht München 12.10.13

 

5. August 13

 

Hansestadt Hamburg. Morgens um 3.00 Uhr wird der 35 Jahre alte Douglas Toure aus seiner Unterkunft in Sieversstücken herausgeholt und zum Flughafen gebracht. Er ist noch im Besitz einer Duldung – aber die Zeit, seine Anwältin zu informieren, gibt es nicht. Er wird nach Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) ausgeflogen.

    Der Mann lebt seit 19 Jahren in der Bundesrepublik und ist schwer psychisch krank. Er leidet unter Störungen der Gedächtnisfunktion, die eine Verlangsamung formaler Denkabläufe und eine Antriebshemmung verursachen und an einer chronifizierten depressiven Erkrankung. Aus diesem Grunde war er nicht in der Lage, sein Asylverfahren allein zu führen. Im Jahre 2012 wurde ihm vom Gericht ein Vormund gestellt.

    Seine Rechtsanwältin Sigrid Töpfer erklärt nach dieser geheimen, staatlich veranlaßten Verschleppung ihres Mandanten: "Er ist an der Elfenbeinküste nicht überlebensfähig."

    Allein aufgrund der Spenden von UnterstützerInnen in Hamburg gelingt es einer seiner Halbschwestern in Abijan, ihm eine kleine Wohnung zu vermitteln.

    Zu seiner Familie hat er kaum Kontakt, denn er wurde bereits als Jugendlicher von seinem Vater vertrieben.

taz 29.8.13;

FRat Hamburg 19.12.13;

Sigrid Töpfer – Rechtsanwältin

 

5. August 13

 

Bundesland Bayern. Morgens um 7.00 Uhr klettert der 31 Jahre alte syrische Asylbewerber Abdullatif A. auf einen Kran der Baustelle Wolfsratshauser Straße / Boschetsrieder Straße in München-Sendling und setzt sich auf den Ausleger des Krans. Er droht, sich aus 27 Metern Höhe herunterzustürzen, wenn seine Frau und seine sieben Kinder nicht nach Deutschland einreisen dürfen. Er wirft Kopien der Kinderpässe in die Tiefe, um seiner Forderung Nachdruck zu verschaffen.

    Zeitgleich befindet sich seine Familie in der Deutschen Botschaft in Kairo, wo ein Visum zur Einreise beantragt wurde.

    Rettungskräfte von Polizei und Feuerwehr, auch Psychologen und Dolmetscher verhandeln mit ihm – ergebnislos. Die Temperatur steigt auf 30 Grad, aber der Mann verweigert auch die Annahme von Wasser. Dadurch erhöht sich die Gefahr eines Kreislaufzusammenbruchs.

    Für die Kontaktaufnahme mit dem Mann stellt die Münchener Feuerwehr eine Hebevorrichtung zur Verfügung. Als sich Beamte nähern, verletzt der Syrer sich mit einer Rasierklinge im Brustbereich. Dieses wiederholt er immer wieder, wenn er glaubt, daß die Beamten ihn herunterholen wollen.

    Erst gegen 23.50 Uhr, nachdem er sich in die Kabine des Krans zurückgezogen hat und auf die Kontaktversuche der Rettungskräfte seit Stunden nicht mehr reagiert, wird er von Beamten eines Sondereinsatzkommandos überwältigt. Um 0.16 Uhr wird er, die Hände auf dem Rücken gefesselt, mit der Hebebühne heruntergebracht. Er hat sich bei der Festnahme heftig gewehrt und wehrt sich jetzt immer noch nach Kräften, aber er zieht sich keine ernsthaften Verletzungen zu.

    Nach 17 Stunden ohne Wasser in sengender Hitze wird er zunächst von einem Notarzt medizinisch versorgt und dann direkt ins Isar-Amper-Klinikum nach München-Haar (Psychiatrie) zur stationären Behandlung gebracht.

    Abdullatif A. ist erst am 19. oder 21. Juli nach Deutschland eingereist. Er kam zunächst in die  Erstaufnahmeeinrichtung an der Baierbrunner Straße und wohnt seit einer Woche in der Unterkunft Bayernkaserne. Seinen Asylantrag stellte er am 31. Juli.

    Am 5. Oktober erklettert er erneut einen Baukran und droht, sich aus 40 Metern Höhe über den Dächern des Münchener Gärtnerplatz-Viertels in die Tiefe zu stürzen. Erneut beginnen Verhandlungsversuche von Rettungskräften und Psychologen – die Feuerwehr positioniert zwei Sprungkissen. Er sitzt am äußersten Ende des Auslegers, und als sich Personen anschicken hochzufahren, klettert er auf die Außenseite, so daß der Kontakt vom Rettungspersonal öfter abgebrochen werden muß.

    Nachdem ihm ein Gespräch mit Vertretern der Ausländerbehörde zugesagt wird, klettert er nach fünf Stunden in Regen und Kälte schließlich freiwillig und alleine wieder hinab. Wieder kommt er in psychologische Betreuung – dieses Mal allerdings freiwillig.

    Seine Frau und seine sieben Kinder befinden sich weiter noch in Kairo und haben bisher immer noch kein Visum für die Einreise in die Bundesrepublik bekommen.

SZ 6.8.13; AA 6.8.13;

AZ München 6.8.13;

RP 5.10.13; KStA 5.10.13;

AZ München 5.10.13;

Focus 8.10.13

 

8. August 13

 

Morsbach in Nordrhein-Westfalen. Nachts um 2.00 Uhr wirft ein 25 Jahre alter Mann einen Chinaböller in die Küche des Flüchtlingsheimes im Schulweg. Niemand wird verletzt. Anschließend bemerken die BewohnerInnen, daß mehrere Satellitenantennen umgeworfen sind.

    Einige Tage zuvor wurde mit einem Luftgewehr auf Rolläden an den Fenstern geschossen, und es wurde auch beobachtet, daß die Rolläden von außen mehrmals rauf und runter bewegt worden waren.

Polizei Gummersbach 19.2.14;

BT DS 18/203

 

16. August 13

 

Landkreis Teltow-Fläming in Brandenburg. Kurz nach Mitternacht werfen Unbekannte einen Brandsatz über die Torzufahrt des Flüchtlingsheims in Luckenwalde. Der Molotow-Cocktail entzündet sich circa 20 Meter vor dem Gebäude und erlischt auf dem Betonboden von selbst. Menschen kommen nicht zu Schaden.

    Trotz sofort eingeleiteter umfangreicher Fahndungsmaßnahmen mit mehreren Funkstreifenwagen, einem Fährtenhund und Mitarbeitern der Anti-Rechtsextremismus-Einheit MEGA gelingt es zunächst nicht, den oder die Täter festzunehmen.

PNN 17.8.13; ND 17.8.13;

TS 17.8.13; MAZ 18.8.13;

BT DS 18/203

 

17. August 13

 

Landkreis Neuburg-Schrobenhausen in Bayern. Kurz vor 15.00 Uhr erreicht der 29 Jahre alte Cliff Oase mit seinem Fahrrad die Ringmeierbucht an der Donau in Neuburg. Er zieht sich aus, schwimmt in Richtung Leopoldineninsel und geht auf halber Strecke plötzlich unter. Taucher finden den Toten eine Dreiviertelstunde später in drei Metern Tiefe.

    "Er braucht nicht mehr abgeschoben zu werden", steht später in einer Traueranzeige, die sein Freund Bernd Duschner in die Zeitung setzt.

    Cliff Oase wuchs als einziges Kind seiner Mutter in einem Dorf des Districts Gulu in Uganda auf. Als er 14 Jahre alt war, wurde er zusammen mit 20 weiteren Jugendlichen von Rebellen entführt. Sie bildeten ihn an Waffen aus und zwangen ihn, bei Kämpfen, Plünderungen und Morden mitzumachen. Nach vier schrecklichen Jahren gelang ihm die Flucht zurück in sein Dorf. Dort fanden ihn seine Verfolger, mißhandelten und fesselten ihn und seine Mutter und steckten ihre Hütte in Brand. Der Jugendliche konnte sich nach draußen retten – seine Mutter verbrannte vor seinen Augen. Cliff konnte ein zweites Mal entkommen und schlug sich bis zur Hauptstadt Kampala durch. Er ernährte sich von Müll oder von Erbetteltem. Ein deutscher Geschäftsmann nahm sich 2003 seiner an und brachte ihn in die Bundesrepublik.

    Hier ging sein Martyrium weiter. Zehn Jahre lang mußte er im Lager Neuburg in einem 14 Quadratmeter großen Zimmer mit immer wieder wechselnden Menschen vor sich hin vegetieren. Ein Deutschkurs wurde ihm nicht genehmigt, zu arbeiten wurde ihm verboten, sogar für eine dringend notwendige psychotherapeutische Behandlung war das zuständige Landratsamt Neuburg nicht bereit, die Kosten zu übernehmen. Außer den obligatorischen 16,11 Euro für Gesundheits- und Körperpflegeartikel bekam er über Jahre hinweg kein Bargeld. Wenn er aufgrund der schweren Antidepressiva, die er zu sich nehmen mußte, die zweimal in der Woche stattfindende Ausgabe der Essenpakete versäumte, dann bekam er gar kein Essen, dann mußte er hungern oder MitbewohnerInnen anbetteln. Einige Male wurde Cliff Oase beim Stehlen von Lebensmitteln erwischt.

    Wegen angeblichen Verkaufs von Kleinstmengen Marihuana im Lager Neuburg – jeweils ein bis fünf Gramm – in den Jahren 2004 / 2005 wurde er zu über drei Jahren Haft verurteilt. Bis zum Schluß hat Cliff Oase diese Vorwürfe bestritten.

    Erst kurz vor seinem Tod genehmigte die Behörde ein "Taschengeld" von 5,11 Euro pro Monat.

    Die Streichung des Bargeldes praktiziert diese Behörde bei Flüchtlingen, denen sie unterstellt, sich nicht genügend um die Beschaffung seiner Abschiebepapiere zu bemühen. Tatsächlich war Cliff Oase mehrmals bei der ugandischen Botschaft, jedoch gelang es ihm nicht, seine Identität nachzuweisen, weil er schlichtweg keine Familienangehörigen mehr hat und sein Heimat-Distrikt ab Mitte der 80er Jahre für mehr als zwei Jahrzehnte Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges zwischen den Truppen der Zentralregierung und Rebellen war. Zehntausende Kinder und Jugendliche wurden zwangsrekrutiert. Es entstanden Konzentrationslager, in die zwischen 1,4 und 1,8 Millionen Menschen der Bevölkerungsgruppen Acholi und Langi deportiert wurden – Tausende starben. Cliff Oase entstammte der Gruppe der Acholi.

    Er litt unter starken Kopfschmerzen, extremen Schlafstörungen und Albträumen. Im Dezember 2012 diagnostizierte Exilio e.V eine "sehr schwere posttraumatische Belastungsstörung" und "depressive Symptomatik in Form von Stimmungseinbrüchen, Antriebsminderung und sozialem Rückzug". Auch die Danuvius Klinik in Neuburg, Fachklinik für psychische Erkrankungen, befürwortet im Februar 2013 ausdrücklich eine Traumatherapie. Das Landratsamt lehnte mit Schreiben vom 25. März 13 erneut eine Kostenübernahme ab.

    Im Gegenteil, die Behörde erhöhte den Druck und forderte Cliff Oase erneut auf, sich schnellstens von der Botschaft von Uganda Papiere ausstellen zu lassen. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide.

    "Vieles weist darauf hin, dass Cliff seinen Tod suchte. Er wußte, für ihn gab es kein Leben, keine Zukunft. Er war "unendlich müde", sagte sein Freund Duschner später in einem Interview. Der Verdacht erhärtet sich nach der Bekanntmachung des Obduktionsberichtes: D er unter schweren Psychopharmaka stehende Cliff Oase war stark alkoholisiert ins Wasser gegangen.

linkezeitung.de 18.5.13;

br 2 "Zündfunk" 28.8.13; DK 2.9..13;

Terre des Hommes ohne Datum;

jW 9.9.13

 

21. August 13

 

Landkreis Kleve in Nordrhein-Westfalen. In der Flüchtlingsunterkunft von Rees droht ein libanesischer Bewohner, sich mit Benzin zu übergießen und anzuzünden, "in der Hoffnung, damit eine positive Veränderung der Lebenssituation für seine Kinder zu erwirken".

    Die Polizei wird informiert, die das Ordnungsamt und einen Arzt hinzuzieht. Der Mediziner veranlaßt die Unterbringung des Flüchtlings in einem Krankenhaus.

    In der Container-Unterkunft für Flüchtlinge gibt es seit langem Unmut und Verzweiflung über die schlechten Lebensbedingungen und die kaum zu ertragenden Demütigungen. "Das hier sind Umstände für Tiere, nicht für Menschen. Es ist eine schreckliche Situation", so die Frau des Libanesen.

WAZ 21.8.13

 

22. August 13

 

Grimma in Sachsen. Um 5.00 Uhr gibt es einen größeren Polizeieinsatz in der Innenstadt am Markt Ecke Brückenstraße. Circa 20 Beamte und MitarbeiterInnen von Polizei und Ausländerbehörde dringen in eine Wohnung ein, um die Eheleute Zolothan Dokueva (42) und Mohamed Gadzhiev (40) mit ihren Söhnen David (3), Chadizad (6), Shahid (14) und der 7-jährigen Tocher Ashab nach Polen zu schaffen. Dies geschieht für die tschetschenische Familie völlig überraschend, weil die schriftliche Ankündigung der Behörde an die Adresse des Heimes gegangen war, in dem die Familie vor zwei Jahren gewohnt hatte.

    Dann wird die Aktion plötzlich unterbrochen, weil festgestellt wird, daß der älteste Sohn Shahid nicht mehr da ist. Auf der Suche nach ihm werden auch die NachbarInnen und deren Kinder in Aufregung und Angst versetzt, weil auch deren Wohnungen polizeilich durchsucht werden.

    Die Kinder werden von den Eltern getrennt, einzeln verhört und nach ihrem flüchtigen Bruder befragt. Als sich schließlich auch noch Herr Gadzhiev weigert, ein Papier zu unterschreiben, deren Inhalt er nicht versteht, wird die Abschiebung abgebrochen, und die BeamtInnen ziehen wieder ab. Zurück bleiben die völlig erschrockenen Eheleute, die sich jetzt auch noch große Sorgen um ihren Ältesten machen. Ein Pfarrer aus dem Muldental bietet der Familie übergangsweise Kirchenasyl an.

    Später wird bekannt, daß Shahid über das Dach des Hauses geflüchtet ist, weil er hoffte, daß die Abschiebung ohne ihn nicht stattfinden dürfe. Der 14-Jährige kommt kurz bei einem Schulfreund unter, kann dort aber nicht bleiben und versteckt sich von da an im Wald. Er hat sehr wenig zu essen und zu trinken, und weil er große Angst vor Entdeckung hat, schläft er fast nicht. Nach sieben Tagen finden ihn Journalisten, denen er ein Interview gibt, und dann verschwindet er wieder im Wald.

    Die Familie ist aus dem Bürgerkrieg in Tschetschenien geflohen, weil sie als Muslime verfolgt wurden. In Polen stellten sie einen Asylantrag und wurden dann für die nächsten sieben Monate in Haft genommen. Durch diesen enormen Streß bekam die im sechsten Monat schwangere Zolothan Dokueva erhebliche körperliche Beschwerden. Ein Arzt kam erst nach drei Tagen, der dann einen Not-Kaiserschnitt anordnete – aber das Kind war bereits im Mutterleib gestorben.

Shahid wurde in Polen von Neonazis mit einem Messer angegriffen, wobei er eine lange Wunde am Bein erlitt.

    Als die Familie in die Nähe der deutsch-polnischen Grenze gebracht wurde, flüchteten sie weiter und stellten in der Bundesrepublik erneut einen Antrag auf Asyl. Seit zwei Jahren leben sie in Grimma.

    Die Ausländerbehörde Borna gibt jetzt bekannt, daß der Asylantrag der Familie in Polen genehmigt wurde und daß sie deshalb zurückgehen müßten. Eine Unterstützungsinitiative formiert sich in Grimma und will der Familie helfen, ihren Wunsch, in Deutschland zu leben zu realisieren.

    Als Anfang September klar wird, daß die Abschiebung auch offiziell ausgesetzt ist, kommt Shahid - 12 Tage nach seinem Verschwinden – zu seinen Eltern zurück.

    Am 9. September um 6.30 Uhr klingeln Beamte erneut an der Tür, um in einem zweiten Anlauf die Rückschiebung der Familie nach Polen durchzusetzen. Um Fluchtversuche zu verhindern, haben sich Polizisten im Umkreis der Wohnung und des Hauses postiert. Zolothan Gadzhiev wird aufgrund ihrer heftigen Gegenwehr in Handschellen aus dem Haus geführt.

    An der Grenze werden sie der polnischen Polizei übergeben. Alle bekommen jetzt Pässe, allerdings bekommen sie keine Unterkunft. Sie fahren nach Warschau und sind vorerst obdachlos und ohne Geld.

muldental-nachrichten.de 23.8.13;

muldental-nachrichten.de 30.8.13; Bild 31.8.13;

muldental-nachrichten.de 3.9.13:

muldental-nachrichten.de 9.9.13

 

24. August 13

 

Bundesland Bayern – Refugee Struggle for Freedom. Es ist der fünfte Tag der zwei Protestmärsche der Flüchtlinge ("Non-Citizens"), als die Gruppe, die von Würzburg nach München unterwegs ist (Route A), gegen 14.40 Uhr in der Nähe von Wolfbach – 10 km südlich von Amberg – von der Polizei gestoppt und eingekesselt wird. Wie auch in den vergangenen Tagen wollen die Beamten Identitätskontrollen bei den circa 35 Personen durchführen.

    Die Protestmärsche richten sich unter anderem explizit gegen die bestehende Residenzpflicht für Flüchtlinge. Auch diejenigen, die dieser Pflicht nachgekommen sind und sich eine Genehmigung der Ausländerbehörde geholt haben, finden folgenden Eintrag auf dem Erlaubnisschein: "... diese Erlaubnis berechtigt nicht zur Teilnahme an einem Protestmarsch oder einer Demonstration und erlischt in diesem Falle". Das Ziel der vielen Polizei-Kontrollen bei diesen Märschen ist, die Protestierenden mit Strafverfolgungen einzuschüchtern und das Demonstrationsrecht ad absurdum zu führen.

    Als die Flüchtlinge und UnterstützerInnen sich der Kontrolle verweigern und sich hinsetzen und einhaken, versuchen die Polizisten, sie mit Gewalt aus der Kette herauszureißen. Dabei werden die Streikenden auch getreten und geschlagen. Drei Flüchtlinge erleiden Verletzungen, ein Flüchtling muß in ein Krankenhaus gebracht werden.

    Es werden insgesamt 14 Menschen mit ungesicherten Aufenthalten und fünf Personen mit sicheren Aufenthalten festgenommen und nach Amberg zur Polizeidirektion in der Kümmersbrucker Str. 1 gebracht.

    Gegen 20.30 Uhr demonstrieren ca. 30 Personen vor der Polizei-Wache und fordern die sofortige Freilassung der Inhaftierten. Ihnen wird auch die Kontaktaufnahme mit dem im Krankenhaus liegenden Mann von der dort anwesenden Polizei verwehrt. Als er noch an diesem Abend entlassen wird, bringen ihn Polizeibeamte umgehend an einen unbekannten Ort. Die Polizei versucht, die Festgenommenen massiv einzuschüchtern: Sie werden an Händen und Füßen gefesselt, und ihnen wird damit gedroht, daß sie ins Gefängnis kämen.

    Am späten Abend werden die Gefangenen freigelassen. Gegen 11 von ihnen ermittelt die Polizei wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, 9 Non-Citizens werden Verstöße gegen die Aufenthaltsbeschränkung (Residenzpflicht) vorgeworfen, und sie werden in die Unterkünfte zurückgebracht, in denen sie gemeldet sind.

(siehe auch: 25. Juni 13; 29. August 13; 1. September 13; 2. September 13; 9. Oktober 13 und den Text "Non-Citizens im Jahre 2013")

refugeestruggle.org;

linksunten.indymedia.org 24.8.13;

Polizei Bayern 24.8.13;

oberpfalznetz.de 25.8.13;

AA 25.8.13

 

24. August 13

 

Bitterfeld im Bundesland Sachsen-Anhalt. Gegen 6.00 Uhr wird das Bitterfelder Protestcamp von fünf deutschen Männern aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld angegriffen. Die Angreifer zwischen 20 und 30 Jahren versuchen, den Stromgenerator zu stehlen, fordern lautstark den Abbau des Camps, beschimpfen die Flüchtlinge, reißen Plakate mit Forderungen der Flüchtlinge herunter, drohen mit Gewalt und damit, das Camp anzuzünden. Sogar als die Polizei wenig später eintrifft, versuchen die Angreifer, in eines der Zelte zu gelangen, werden aber von der Polizei daran gehindert.

    Sie werden jedoch nicht festgenommen, sondern erhalten lediglich Platzverweise. Zwei der Angreifer gelten als extrem rechts; einer von ihnen trägt offen ein SS-Tattoo.

    Bereits vor diesem Angriff gab es Anfeindungen gegen das Camp. So wurden u.a. rassistische Parolen aus vorbeifahrenden Autos gerufen.

    Seit dem 1. August 13 protestieren Flüchtlinge zusammen mit UnterstützerInnen für die freie Wahl von Wohnort und Unterkunft, ein Recht auf Arbeit und die Abschaffung der Residenzpflicht.

    Die Ermittlungen gegen alle Angreifer werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Aus ihrer Sicht war ''ein strafbares Verhalten … im Zuge der Ermittlungen lediglich hinsichtlich eines der Tatverdächtigen festzustellen''. Die Ermittlungen gegen den 31-Jährigen wurden allerdings eingestellt, weil dieser bereits kurze Zeit vorher eine Straftat beging

(Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten) und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Daher wäre ''die Strafe, die er im Fall einer Anklageerhebung und nachfolgenden Verurteilung zu erwarten gehabt hätte, neben der hohen Freiheitsstrafe nicht ins Gewicht gefallen''.

MDZ 24.8.13; mdr 26.8.13;

StA Dessau-Roßlau 5.3.15

 

26. August 13

 

Rheinisch-Bergischer Kreis in Nordrhein-Westfalen. Die Ausländerbehörde in Bergisch Gladbach verfügt die Ausweisung von Deniz B. aus dem Bundesgebiet für die Dauer von 10 Jahren. Zudem hat er sich täglich (!) bei der zuständigen Polizeiwache zu melden und darf das ihm zugewiesene Gebiet nicht verlassen. Im Falle von Zuwiderhandlungen droht Zwangsgeld. Die Behörde bezieht sich dabei auf § 54 Abs. 5 bzw. § 54a des Aufenthaltsgesetzes. Der Antrag von Deniz B. auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wird abgelehnt.

    Der Kurde Deniz B. befindet sich seit 12 Jahren in der Bundesrepublik, und im Jahre 2005 war ihm politisches Asyl zuerkannt worden – er ist heute weder vorbestraft noch einer Straftat angeklagt.

    Allein "Sicherheitsbedenken" von verschiedenen Verfassungsschutz-Behörden und des Bundeskriminalamtes führten dazu. Er soll als "Funktionär" der PKK der "Gebietsleiter" in Hannover gewesen sein. Zudem habe er sich an einer Demonstration zur Freilassung von Abdullah Öcalan und an einem Hungerstreik beteiligt. Das BKA erklärte ihn später zum "Führungskader der Jugendorganisation Komalen Ciwan". Damit war behördlicherseits ein "Unterstützer des internationalen Terrorismus" geschaffen, dessen Ausweisung als "Instrumentarium zur Gefahrenabwehr" unumgänglich sei.

    Weil Deniz B. in der Türkei Folter droht, kann eine Ausweisung nicht vollstreckt werden.

    "Da mir derzeit die Möglichkeit Ihrer Entfernung aus dem Bundesgebiet nicht gegeben ist, schöpfe ich alle mir vom Gesetzgeber gegebenen Mittel aus, die von Ihnen ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit so gering wie möglich zu halten", so Landrat Drux. Oder an anderer Stelle: "Aufgrund der Tatsache, dass Sie sowohl eine Mitgliedschaft als auch eine Unterstützung der PKK nach wie vor abstreiten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Sie auch derzeit entsprechende Förderungen leisten, welche leicht beeinflussbare Jugendliche in die Strukturen der terroristischen Organisation PKK drängt."

    Mit Schreiben vom 20. Januar 14 ordnet die Ausländerbehörde an, daß Deniz B. aus seiner Wohnung in ein Flüchtlingslager bei Rösrath umzieht. Damit versucht die Behörde, ihm die Möglichkeit zu nehmen, "bestehende Kontakte zu Aktivisten und Sympathisanten der PKK/KONGRA GEL weiter zu unterhalten bzw. auszubauen", und ihn noch mehr unter staatliche Kontrolle zu bekommen.

AZADI infodienst Nr. 134;

taz 2.12.14

 

29. August 13

 

Bundesland Bayern – Refugee Struggle for Freedom. Es ist der zehnte Tag der zwei Protestmärsche der Non-Citizens, als die Würzburg-Münchener-Gruppe (Route A) gegen 14.30 Uhr von Polizeikräften bei Allmannshofen eingekesselt wird. Wie fast täglich wollen die 50 BeamtInnen Personenkontrollen durchführen.

    Die ca. 20 Demonstrierenden setzen sich ins Maisfeld und verweigern sich mit Rufen wie "Kein Mensch ist illegal". Dann versuchen die Beamten, einzelne Personen herauszugreifen, wobei einige geschlagen und gewürgt werden; zwei Personen werden festgenommen.

    Schließlich läßt der polizeiliche Einsatzleiter die DemonstrantInnen weiterziehen. Mit etlichen Stunden Verspätung erreicht die Gruppe am Abend ihren Zielort für diesen Tag.

(siehe auch: 25. Juni 13; 24. August 13; 1. September 13;

2. September 13; 9. Oktober 13 und den Text "Non-Citizens im Jahre 2013")

refugeestruggle.org;

AZ 29.8.13; AA 30.8.13

 

29. August 13

 

Wallersdorf im bayerischen Landkreis Dingolfing-Landau. In der Osenstraße bei der Sporthalle nahe der Flüchtlingsunterkunft wird gegen 21.40 Uhr ein 31 Jahre alter Asylbewerber aus Somalia von dem Mitfahrer eines Motorrollers zunächst mit einer Bierflasche beworfen, die ihn allerdings verfehlt. Dann springt der 18-jährige Täter vom Roller, verfolgt ihn und traktiert ihn mit Faustschlägen.

    Der Somalier versucht zu flüchten, verliert aber sein Handy, und als er es aufheben will, schlägt der Täter erneut zu, so daß er jetzt zu Boden geht. Darauf fordert der betrunkene Angreifer seinen gleichaltrigen Komplizen auf dem Motorroller auf, ihn zu "unterstützen". Der Rollerfahrer gibt Gas, fährt auf den sich wieder erhebenden Somalier zu und streift ihn, so daß er erneut zu Boden fällt und sich dabei Verletzungen im Gesicht (u.a. den Abbruch von drei Schneidezähnen), am Oberkörper und am Knie zuzieht. Er kommt mit einem Rettungswagen ins nächstgelegene Krankenhaus.

    Der Haupttäter ist ein 18-jähriger Maler- und Lackierer-Azubi und aufgrund mehrerer Vorstrafen schon polizeibekannt.

    Im Juni 2014 verurteilt ihn das Jugendschöffengericht des Amtsgerichtes Landshut wegen gefährlicher und vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer Strafe von zwei Jahren und vier Monaten Jugendgefängnis. Der Rollerfahrer war zu diesem Zeitpunkt bereits zu drei Wochen Dauerarrest verurteilt worden.

    Die drei Zähne des Opfers sind aufgrund der ungeklärten Kostenübernahme auch ein Jahr nach dem Überfall immer noch nicht gerichtet worden.

Polizei Landau 30.8.13;

Landauer Ztg 5.9.13;

Wochenblatt 9.6.14

 

29. August 13

 

Abschiebegefängnis Köpenick in Berlin. Unmittelbar vor seiner Abschiebung verletzt sich auf der Toilette ein 23 Jahre alter Serbe mit einem Plastikmesser am Unterarm.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

30. August 13

 

Berlin-Hellersdorf. Gegen 21. 00 Uhr werden zwei Flüchtlinge im Bus von einem ca. 25 Jahre alten Mann mit einem spitzen Gegenstand bedroht und körperlich angegriffen.

    Als sie den Bus verlassen und weglaufen, ruft der Täter ihnen etwas nach, was sie nicht verstehen können, was sie aber weiterhin bedrohlich empfinden.

    Am nächten Tag erstatten die Angegriffenen, die in der Carola-Neher-Straße untergebracht sind, Anzeige bei der Polizei.

WuTlog

 

August 13

 

Landkreis Oberallgäu in Bayern. Eine schwangere Frau, die entsprechend dem Asylbewerberleistungsgesetz wegen ihrer gesundheitlichen Beschwerden einen Krankenschein beim Landratsamt Immenstadt beantragt hat, muß tagelang vergeblich darauf warten.

    Schließlich geht es ihr so schlecht, daß sie mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus gebracht werden muß. Das geschieht viel zu spät, und so verliert sie ihr Kind.

Allgäuer Anzeigenblatt 24.8.13

 

1. September 13

 

Bundesland Schleswig-Holstein. Als der Antrag auf Asyl von der Ausländerbehörde Bad Segeberg abgelehnt wird, nimmt die 32 Jahre alte Resmije Bega eine Überdosis Tabletten ein, um sich zu töten. Nach der medizinischen Behandlung kommt sie für zwei Monate in die Psychiatrie nach Rickling und wird hier – auch mit muttersprachlicher Betreuung – therapiert.

    Nach dreijährigem vergeblichen Bemühen um Asyl in Belgien war Frau Bega im April 2013 zusammen mit ihrem Mann Shkelzen Berisha (38) und ihren Söhnen Leotrim (3), Shpetim (10), Kushtrim (15) und Kadri (17) von dort in den Kosovo abgeschoben worden. Sie kehrten in ihr Heimatdorf Qyshk nahe der Stadt Peja zurück und es ging ihnen allen sehr schlecht. Denn Arbeit gibt es dort für Roma nicht, und die Kinder wurden auf der Straße geschlagen und mit Steinen angegriffen.

    Sie überlebten allein durch die finanzielle Unterstützung von Verwandten, die im Ausland leben. Dann geschah es, daß ein Albaner Frau Berisha – in Gegenwart ihres Sohnes Shpetim – auf brutalste Weise vergewaltigte, so daß das Leben dort gar mehr möglich war.

    Die Familie flüchtete deshalb im Juni 2013 in die Bundesrepublik – weiterhin in der Hoffnung, eine Chance auf ein Leben in Sicherheit zu bekommen. Mutter und Sohn sind seit dem Überfall schwer traumatisiert.

    Nach ihrem Aufenthalt in der Psychiatrie bekommen sowohl Frau Bega als auch Shpetim ambulante psychotherapeutische Behandlung. Es dauert fast ein Jahr, bis Frau Bega wieder in der Lage ist, mit ihren Angehörigen zu sprechen. Jedoch kann sie die Anwesenheit ihres Sohnes immer noch nicht ertragen, weil seine Gegenwart sie an die Katastrophe im Kosovo erinnert.

    Im Herbst 2014 droht die Abschiebung des Sohnes Kadri, der 18 Jahre alt wird. Er hat sich in den letzten 12 Monaten die deutsche Sprache selbst beigebracht und ein Praktikum in einer Werkstatt begonnen. Seine Brüder Shpetim und Kushtrim besuchen das Schulzentrum in Bad Segeberg. Sie sprechen nahezu fließend deutsch, wie ihre Lehrerin berichtet. Kushtrim hat den Hauptschulabschluß erreicht und bereitet sich auf den Realschulabschluß vor. Er möchte gerne Sprachen studieren.

    Am 2. Februar 15 entscheidet das Verwaltungsgericht für Frau Beja ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 2 – 7 AufenthG), so daß ihre minderjährigen Kinder auch geschützt sind. Der volljährige Kadri ist bis zu seinem Schulabschluß zunächst auch vor Abschiebung geschützt.

LN 25.11.14;

Migrationsberatung Bad Segeberg

 

1. September 13

 

Bundesland Bayern – Refugee Struggle for Freedom. Am 13. Tag der Non-Citizens-Protestmärsche wird die Bayreuth-München-Gruppe (Route B) kurz nach ihrem Aufbruch im evangelischen Epiphanias-Zentrum in Freising-Lerchenfeld gegen 11.00 Uhr von einem Großaufgebot der Polizei gestoppt (30 Mannschafts- und Streifenwagen). Die Ismaninger Straße ist weiträumig abgesperrt und die ca. 50 DemonstrantInnen sind eng eingekesselt. Sie bilden Ketten und setzen sich: "Wir sind friedlich, was seid Ihr?" Offizielles Ziel der Polizeiaktion ist es, Verstöße gegen die Residenzpflicht festzustellen.

    Spezialkräfte der Polizei (USK = Unterstützungskommando) versuchen jetzt mit viel Gewalt, einzelne Menschen aus der Gruppe herauszuzerren. Einige werden am Hals gepackt, an den Haaren gezogen oder in den Magen getreten.

    Die Protestierenden werden dann kontrolliert und/oder in Handschellen gelegt und festgenommen.

    Bei den EinwohnerInnen des Ortes regt sich Empörung und Protest gegen die Mißhandlungen durch die Polizei. Die Presse wird ausgeschlossen. ÜbersetzerInnen sind nicht vor Ort – die Amtssprache ist Deutsch.

    Ab 12.00 Uhr kommen Notarzt- und Krankenwagen zum Ort, um Verletzte zu behandeln oder in Krankenhäuser zu bringen.

    Um ca. 16.30 Uhr öffnet die Polizei die Blockade – die noch verbliebenen wenigen Non-Citizens setzen den Protestmarsch fort. Die Verhafteten werden in die Freisinger Polizeiwache (Flughafen) gebracht.

    Vor dem Gebäude in der Nordallee 6 sammeln sich gegen 18.15 Uhr über 40 Personen, die die sofortige Freilassung der Gefangenen fordern.

    Um 19.50 Uhr sind noch 12 Personen ohne sicheren Aufenthalt und eine Person mit sicherem Aufenthalt in Haft. Die festgenommenen Non-Citizens werden von der Polizei noch in der Nacht zu ihren Flüchtlingsunterkünften zurückgefahren.

    Mindestens acht Protestierende werden an diesem Tag verletzt, fünf davon so schwer, daß sie ins Krankenhaus gebracht werden. Eine Person muß wegen einer Verletzung an einem Halswirbel und eine zweite wegen schwerer Prellungen an Nacken und Nieren mindestens über Nacht noch im Krankenhaus bleiben.

    Die Polizei leitet gegen mehrere Protestierende Strafverfahren wegen Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz und zehn Verfahren wegen Körperverletzung, Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ein.

(siehe auch: 25. Juni 13; 24. August 13; 29. August 13; 2. September 13; 9. Oktober 13 und den Text "Non-Citizens im Jahre 2013")

refugeestruggle.org;

Polizei Oberbayern Nord 1.9.13;

Pro Asyl 2.9.13; tz 2.9.13;

SZ 3.9.13

 

2. September 13

 

Bundesland Bayern – Refugee Struggle for Freedom. Es ist der 14. Tag der zwei Protestmärsche der Non-Citizens, als die Würzburg-Münchener-Gruppe (Route A) direkt an der Landkreisgrenze zur Stadt München auf der Brücke über die Autobahn A99 in Feldmoching um circa 17.00 Uhr von zwei Hundertschaften der Polizei eingekesselt wird. Auch diesmal sind Spezialkräfte (USK = Unterstützungskommando) dabei: Schwarz gekleidet, mit kugelsicheren Westen, Helmen, Schlagstöcken und Pistolen marschieren sie von beiden Seiten auf die Protestierenden zu.

    Die Flüchtlinge setzen sich auf den Boden, um sie herum bilden UnterstützerInnen eine Menschenkette, um sie vor dem Angriff der Beamten zu schützen. Sprechchöre wie "Wir sind friedlich, was seid Ihr?" oder "Gleiche Rechte für alle!" machen die Absurdität der Situation deutlich. Der Pfarrer Björn Mensing von der Evangelischen Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau, die 77-jährige Bundesverdienstkreuzträgerin Rose Kraus vom Arbeitskreis Asyl, der SPD-Stadtrat Horst Ullman, die Leiterin des Jugendzentrums Dachau Ost, Katharina Seibold, und viele andere Menschen sind dabei, doch es gelingt nicht, die Polizei zum Einhalten zu bringen.

    Da die Protestierenden sich weigern, ihre Identität freiwillig preiszugeben, werden jetzt einzelne mit Gewalt aus der Gruppe herausgezerrt und gerissen und anschließend mit Plastikbindern gefesselt.

    Der Ort des polizeilichen Überfalls ist diesmal so gewählt und so großräumig abgesperrt, daß er von außen nicht einsehbar ist. So werden Protestäußerungen von seiten der Bevölkerung – wie sie gestern noch in Freising stattfanden – von vornherein ausgeschlossen.

    Mindestens drei Personen werden an diesem Tag von der Polizei verletzt. 15 Menschen wird der Verstoß gegen die Residenzpflicht vorgeworfen; sie bleiben in Haft und werden von der Polizei zu ihren Flüchtlingsunterkünften zurückgebracht. Fünf Personen werden wegen der Verweigerung ihrer Personenfeststellung angezeigt, vier Personen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und eine Person wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz.

(siehe auch: 25. Juni 13; 24. August 13; 29. August 13;

1. September 13; 9. Oktober 13 und den Text "Non-Citizens im Jahre 2013")

refugeestruggle.org;

Polizei München 2.9.13;

MM 2.9.13; AZ München 2.9.13;

SZ 3.9.13

 

8. September 13

 

Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. In der Feldstraße der Ortschaft Sandersdorf-Brehna wird der 47 Jahre alte Oumarou Hamani Ousman, Flüchtling aus Niger, vor seiner Haustür von einem Unbekannten mit seinem Fahrrad zum Anhalten gezwungen. Der Angreifer beschimpft und beleidigt ihn mit rassistischen Äußerungen und schlägt ihm ins Gesicht ("Neger, wo hast du die Satellitenschüsselhalterung geklaut?"). Dann versucht der Täter, Herrn Ousman die Halterung zu entreißen, was ihm allerdings aufgrund der deutlichen Gegenwehr nicht gelingt.

    Als der Angreifer plötzlich ein Taschenmesser herauszieht und es Herrn Ousman gegen die Kehle hält, mischt sich ein Hausnachbar ein und alarmiert die Polizei.

    Der Flüchtling kommt mit einer Schwellung am linken Auge davon und erstattet Anzeige.

    Er lebt seit 11 Jahren in der BRD, seit Jahren mit einer Duldung.  (siehe auch: 9. Januar 13)

Karawane Wittenberg;

Bericht des Betroffenen

 

13. September 13

 

Bundesland Bayern. In der JVA München-Stadelheim finden Aufsichtsbeamte den Abschiebegefangenen Ettayebi Bouzalmate gerade noch rechtzeitig, der sich an seinem Gürtel aufgehängt hat.

    Der 30-jährige Marokkaner kommt umgehend ins Krankenhaus, dann zurück in die JVA, wo er von einem Psychiater untersucht wird. Danach erfolgt seine Verlegung in eine Beobachtungszelle, und schließlich wird er in das psychiatrische Krankenhaus Isar-Amper-Klinikum München-Ost in Haar bei München überstellt. Die geplante Abschiebung am 16. September wird storniert.

    Nach seiner Entlassung am 20. September aus dem Krankenhaus in die JVA versucht er erneut, sich zu töten, und kommt wieder in das Klinikum München-Haar.

    Dort erscheinen am 16. Oktober zwei Polizisten, ein Polizeiarzt und zwei Rettungssanitäter des Bayerischen Roten Kreuzes in seinem Zimmer, um ihn zur Abschiebung nach Frankfurt am Main zu bringen.

    Die Beamten bringen den Patienten Ettayebi Bouzalmate gewaltsam zu Boden und legen ihm Hand- und Fußschellen an. Dann wird er auf die Trage der Rettungssanitäter geschnallt und direkt zum Frankfurter Flughafen gefahren. Während der gesamten Fahrt von München nach Frankfurt bleibt er an Händen und Füßen gefesselt, und als sich herausstellt, daß er aus formalen Gründen an diesem Tag nicht abgeschoben werden kann, wird er zurück nach München in die JVA Stadelheim transportiert – weiterhin an Händen und Füßen gefesselt.

    Aus der JVA Stadelheim kommt er erneut in die Psychiatrie nach Haar und wird schließlich durch eine Gerichtsentscheidung aus der Abschiebehaft entlassen.

    Das Innenministerium nimmt dazu gemäß der Aussage der Ausländerbehörde Kleve Stellung und erklärt, daß der Mann durch einen Facharzt "unmittelbar vor Durchführung der Abschiebung" untersucht und für reisefähig befunden wurde. Auch seien die "für den Transport empfohlenen Sicherungsmaßnahmen" durch die Stadt München in Amtshilfe gewährleistet worden

    Ettayebi Bouzalmate hatte im Jahre 2010 in der Bundesrepublik Asyl beantragt, weil er in Marokko aufgrund seiner Homosexualität brutal verfolgt und verprügelt worden war und sein Onkel ihn mit dem Tode bedrohte. Diesen eigentlichen Grund seiner Flucht hatte er im Antrag aus Scham verschwiegen. Stattdessen gab er an, als Moslem zum Christentum konvertiert zu sein, was ihm die Behörden nicht glaubten.

    Nach der Ablehnung seines Asylantrags Anfang Januar 2012 entzog er sich der Behördenkontrolle. Er ging von Hessen nach Bayern und lebte eine Weile in München, bis er bei einer Polizeikontrolle festgenommen wurde und zwei Wochen lang in der JVA Stadelheim einsaß. Entlassen wurde er dann durch das Urteil des Münchner Amtsgerichts, das ihn wegen unerlaubten Aufenthalts zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilte.

    Kurz danach wurde Ettayebi Bouzalmate am Münchner Hauptbahnhof erneut festgenommen, kam diese Mal allerdings in die Abschiebehaft der JVA Stadelheim.

    Ein Amtsarzt, der den Gefangenen untersuchte, warnte vor der "Gefahr suizidaler Handlungen". Nach dem Erhängungsversuch sprechen die hessischen Behörden von  "(para-)suizidaler Handlung", also einer vorgetäuschten Tat, mit der Ettayebi Bouzalmate versuchen wollte, sich der sicheren Abschiebung zu entziehen.

SZ 3.1.14; SZ 26.1.14;

FRat Bayern 10.3.14;

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

16. September 13

 

Visselhövede im Bundesland Niedersachsen. Am frühen Morgen wird ein tschetschenisches Ehepaar mit seinen sechs Kindern im Alter zwischen fünf und 18 Jahren aus ihrer Wohnung herausgeholt und entsprechend dem Dublin-II-Verfahren nach Polen zurückgeschoben. Damit kommt der Familienvater in Lebensgefahr. Der Mann leidet an AIDS und durch die fachärztliche Behandlung durch eine Bremer Ärztin, war ein Fortschreiten der Erkrankung zum Stehen gebracht worden.

    Die Familie kommt, wie viele aus der Bundesrepublik abgeschobenen tschetschenischen Flüchtlinge, in die 1000 Kilometer entfernte Haftanstalt der Kleinstadt Ketrzyn im Nordosten Polens. Zwei Wochen nach der Abschiebung hat der Mann hohes Fieber, ist körperlich sehr schwach und vermutet, daß es an den polnischen Medikamenten liegt, die er jetzt einnehmen muß.

    In Visselhövede befanden sich ab Mai drei tschetschenische Flüchtlingsfamilien. In Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Rotenburg, der Integrationslotsin des Landkreises und mit Hilfe ehrenamtlichen Engagements wurde Deutschunterricht für die schulpflichtigen Kinder, aber auch für die Eltern organisiert, um ihnen den Start in Deutschland zu erleichtern.

    Drei Söhne der jetzt abgeschobenen Familie im Alter von 13, 14 und 15 Jahren hatten intensiv an diesem Unterricht teilgenommen, bis sie plötzlich gar nicht mehr zum Unterricht kamen. Nur auf Nachfragen erfahren die UnterstützerInnen, daß die gesamte Familie bereits in Polen ist.

    Im Januar 2014 befindet sich die Familie wieder in Tschetschenien. Mitglieder einer russischen Organisation hatten die Eheleute mit den Kindern abgeholt und zurückgebracht.

    Sie haben keine Inlandpässe mitbekommen, und eine Neubeantragung ist zu teuer. Ohne das notwendige Geld können sie sich nicht registrieren lassen und haben somit auch keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Dem kranken Familienvater geht es hier wesentlich schlechter.

Rotenburger Rundschau 18.9.13;

Rotenburger Kreiszeitung 18.9.13;

Antirassistische Initiative Berlin

 

17. September 13

 

Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. In einem Waldstück zwischen der Bundesstraße 5 und der Elbe – 200 Meter entfernt von der Landesaufnahmeunterkunft Nostorf-Horst – findet eine Frau beim Pilzesammeln einen bäuchlings liegenden Toten.

    Es stellt sich heraus, daß es sich um einen 32-jährigen Flüchtling aus dem west-afrikanischen Land Mauretanien handelt. Aufgrund der Tablettenreste, die er bei sich hat, und aufgrund der Obduktionsergebnisse wird von einer Selbstvergiftung ausgegangen.

    Der Mann war erst am 22. August in Nostorf-Horst aufgenommen worden, nachdem die Zentrale Ausländerbehörde Dortmund ihn dorthin weitergeleitet hatte. Am 25. August war er im Heim das letzte Mal gesehen worden.

    Nach Auskunft des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Rostock ist der Mann vor mindestens einer Woche gestorben. Der Eintritt des Todes wird demnach zwischen dem 25. August und dem 12. September angenommen.

SVZ 18.9.13;

OZ 19.9.13; NK 19.9.13;

LT DS Mek-Pom 6/2258;

FRat Mek-Pom

 

20. September 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Um 11.30 Uhr entdeckt ein Mitarbeiter der Flüchtlingsunterkunft in Ludwigslust einen brennenden Kinderwagen im Hausflur und löscht das Feuer, so daß nur geringer Sachschaden entsteht.

    Die Polizei schließt zunächst Brandstiftung nicht aus.

Polizei Rostock 20.9.13

 

20. September 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Ein 23 Jahre alter syrischer Flüchtling wird im Rostocker Stadtteil Dierkow von drei Personen angegriffen. Während sie ihn rassistisch beschimpfen, schlagen sie ihm mit Fäusten ins Gesicht, und durch die Treffer eines Schlagstockes geht er zu Boden. Dann stehlen sie ihm 100 Euro Bargeld.

    Aufgrund eines Schädelhirntraumas und Rippenprellungen wird er fünf Tage lang im Krankenhaus behandelt.

    Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl. Nach ihren Erkenntnissen ist nicht von einem ausländerfeindlichen Hintergrund auszugehen.

OZ 22.9.13; LOBBI

 

30. September 13

 

Regensburg im Bundesland Bayern. Ein 30 Jahre alter Bewohner des Flüchtlingsheimes Pattlinger Straße schluckt mehr als 40 Schlaftabletten, um sich zu töten.

    Der um 22.00 Uhr eintreffende Notarzt veranlaßt die umgehende Einweisung des Iraners in das St.-Josef-Krankenhaus, von wo er einen Tag später in das Bezirksklinikum Regensburg verlegt wird. Dort kommt er auf die geschlossene psychiatrische Station. Einer der Gründe für den Selbsttötungsversuch ist die absolute Hoffnungslosigkeit auf eine Veränderung seiner derzeitigen Lebensverhältnisse: Er dürfe nicht arbeiten und auch nicht seine Freunde besuchen, er sehe im Leben keinen Sinn mehr und fühle sich nutzlos, sagt er einer Unterstützerin.

    Am 9. Oktober verletzt er sich erneut. Nachdem er mehr als zwei Stunden im Aufenthaltsraum der Station auf einen Arzt gewartet hat, mit dem er sprechen möchte, dieser aber nicht erscheint, nimmt er die Klinge aus seinem Rasierer und versucht, sich die Pulsadern zu öffnen. Mehr als 15 Personen stürzen auf ihn zu und verhindern Schlimmeres. Einen Arzt hat er auch am nächsten Tag noch nicht sprechen können.

    Bereits Ende April hatte er eine Überdosis Tabletten geschluckt, weil er aus der Flüchtlingsunterkunft Schwandorf nach Regensburg verlegt werden sollte. Wegen seiner damals zweiwöchentlichen Arztbesuche in Regensburg war beschlossen worden, ihn dorthin zu verlegen. Nach der Selbstvergiftung wurde er einige Zeit stationär im Bezirkskrankenhaus Regensburg behandelt.

    Vor sechs Jahren mußte der Mann aus dem Iran flüchten, weil er wegen seiner politischen Aktivitäten bedroht und verfolgt wurde. Nach einem vierjährigen Aufenthalt in Griechenland kam er vor zwei Jahren in die BRD, wo er zunächst in der Flüchtlingsunterkunft in Cham lebte. Seit zehn Monaten ist er jetzt in der Asylunterkunft Regensburg.

Regensburger Flüchtlingsforum

 

Herbst 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Der 30 Jahre alte abgelehnte Asylbewerber A. X. aus der Türkei versucht, sich das Leben zu nehmen, nachdem die Bochumer Ausländerbehörde ihn zur Ausreise aufgefordert hat. Nach vier Jahren Deutschland-Aufenthalt hat die Behörde seine Duldung beendet.

    A. X. kommt in die Psychiatrie und wird erst am 4. Dezember wieder entlassen. Er bleibt in psychotherapeutischer Behandlung und ist vorerst nicht "reisefähig".

    Die Abschiebung ist damit nur verschoben, jedoch nicht aufgehoben.

WAZ 8.12.13

 

Herbst 13

 

Bundesland Bayern. In der Flüchtlingsunterkunft von Erding versucht sich ein syrischer Flüchtling mit Tabletten zu vergiften und zusätzlich das Handgelenk aufzuschneiden.

    Die MitbewohnerInnen alarmieren die Leitstellen, werden jedoch nicht verstanden. Erst als deutsche Nachbarn einen Notarzt rufen, erscheint dieser nach 40 Minuten.

    Die Wohnverhältnisse in dem Container-Lager sind für viele durch Verfolgung, Krieg oder Flucht traumatisierte Flüchtlinge katastrophal. Zehn Männer schlafen, essen und leben auf 40 Quadratmetern je Container. Privatsphäre ist nicht vorhanden, Aufenthaltsräume existieren nicht, nicht einmal Vorhänge verwehren den Blick in die Container. Deutschkurse werden nicht angeboten. Die Menschen haben oft Depressionen, aber psychologische Betreuung findet nicht statt.

    Einem 70-jährigen Syrer wurde von den Sachbearbeitern des Sozialamtes Erding ein Schlafplatz am Boden zugewiesen. Als er nach einem Herzinfarkt aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist die Behördenmitarbeiterin nicht in der Lage, Kontakt zu einem Arzt herzustellen und die lebensnotwendigen Medikamente zu organisieren.

Avaaz.org.de 1.11.13;

facebook.com 10.11.13;

MM 15.11.13

 

7. Oktober 13

 

Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Der Flüchtling H. ist auf dem Weg zum Bahnhof, als er kurz nach 15.00 Uhr von hinten angegriffen und niedergeschlagen wird. Noch während er am Boden liegt, schlägt der Angreifer weiter auf ihn ein. Umstehende ZeugInnen, die H. bittet, die Polizei zu rufen, unternehmen nichts. Stattdessen nähert sich ihm eine junge Familie mit Kind und stiehlt seinen Einkaufsbeutel mit Nahrungsmitteln im Wert von 30 Euro.

    Schließlich sucht er Hilfe bei Angestellten der nahegelegenen Tankstelle, die die Polizei rufen. Diese erscheint erst nach dem zweiten Anruf eine Dreiviertelstunde später.

    Die Beamten glauben H. nicht, daß der Rucksackinhalt des Familienvaters sein gestohlenes Eigentum ist. Da ebenso wie der Dieb auch der Schläger noch in der Nähe ist, kann die Polizei die Personalien feststellen.

    H., der eine schwere Prellung am Knie, eine Muskelzerrung im Arm, ein Schlagtrauma der Lunge und leichtere Prellungen der Rippen erlitten hat, erstattet Anzeige gegen den Täter.

Antifaschistisches Netzwerk LSA 22.10.13

 

9. Oktober 13

 

Berlin – Pariser Platz. Knapp 30 Flüchtlinge ("Non-Citizens") aus Bayern beginnen vor dem Brandenburger Tor einen unbefristeten Hungerstreik. Viele von ihnen haben schon im Juni in München an dem Hunger- und Durststreik und im August an den großen Protest-Märschen teilgenommen.

    Um ihren Forderungen nach Anerkennung als Asylberechtigte mehr Nachdruck zu verschaffen, trafen sie vor zwei Tagen in Berlin ein, um ihren Refugee Struggle for Freedom hier fortzusetzen.

    Schon in der ersten Nacht des Hungerstreikes versucht die Polizei, den Non-Citizens ihre Decken und Isomatten wegzunehmen. Erst der Hinweis auf ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zu dem Berliner Hungerstreik vor einem Jahr, in dem die Richter urteilten, daß sich DemonstrantInnen durch einfache Mittel vor schlechtem Wetter schützen dürfen, bringt die Beamten von der Beschlagnahme ab.

    Trotzdem bleiben Zelte und Schlafsäcke verboten, und die 27 Männer und zwei Frauen sind dem unaufhörlichen Regen und der Kälte relativ ungeschützt ausgesetzt.

    Nachdem am 2. Tag des Hungerstreiks gegen 22.00 Uhr der medizinische Notdienst gerufen werden mußte, weil eine Person ohnmächtig wurde, muß ein zweiter Flüchtling gegen 23.30 Uhr wegen Ohnmacht ins Krankenhaus gebracht werden. In der Nacht wird eine dritte Person wegen ihres kritischen Gesundheitszustandes in ein Krankenhaus eingeliefert.

    In der Nacht zum 4. Tag des Hungerstreiks und zum 6. Tag wird jeweils eine Person ins Krankenhaus gefahren.

    Der 6. Hungerstreiktag ist zugleich der 1. Tag des Durststreiks, den die Non-Citizens auf ihrer Pressekonferenz ankündigen. Aus ihrem Statement an den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt: "Wir wollen unsere grundlegenden Menschenrechte, welche sich in den gleichen Lebensbedingungen wie sie Staatsbürger_innen inne haben, ausdrücken. Weder ihr noch irgendeine andere Person kann uns davon abhalten."

    Gegen 13.00 Uhr kollabiert eine weitere Person und kommt in ein Krankenhaus.

    Die am Pariser Platz ständig präsenten Polizeibeamten beginnen, den Flüchtlingen ihre Taschen und Tüten wegzunehmen, in denen sie trockene Kleidungsstücke vorrätig haben: Kleidung, die nicht direkt zum Schutz am Körper getragen werde, entspräche nicht den Auflagen.

    Am Abend des 2. Tages der Flüssigkeitsverweigerung sind neun Non-Citizens zusammengebrochen und in Krankenhäuser gebracht worden – bis zum folgenden Abend sind es 12 Personen und am 4. Tag des Durststreikes und 9. Hungerstreiktag, dem 17. Oktober, müssen sieben Personen ins Krankenhaus.

    Das anhaltend schlechte Wetter und der fehlende Schutz vor Nässe und Kälte, denn Zelte sind immer noch verboten, vor allem aber die Ignoranz der verantwortlichen PolitikerInnen verschlimmern die gesundheitliche Situation der Hunger- und Durststreikenden massiv.

    Die meisten kehren nach den kurzen Krankenhaus-Aufenthalten wieder zum Pariser Platz zurück und riskieren weiterhin ihr Leben.

    Am 18. Oktober brechen sechs weitere Flüchtlinge zusammen und werden in Krankenhäuser gebracht.

    Nach einem langen Gespräch mit dem Vizepräsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Michael Griesbeck, der Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat, und dem SPD-Politiker Rüdiger Veit, an dessen Ende die GesprächspartnerInnen zusagen, sich für eine Umsetzung der Forderungen in den nächsten drei Monaten einzusetzen, beschließen die Non-Citizens am 19. Oktober, den Hunger- und Durststreik für drei Monate vorerst auszusetzen. Die politischen Forderungen nach Anerkennung der Asylanträge, Abschaffung der Residenzpflicht usw. halten sie weiterhin aufrecht. Sie werden von der evangelischen Kirchengemeinde Heilig-Kreuz-Passion vorübergehend aufgenommen, um sich von den Strapazen der letzten Wochen zu erholen.

(siehe auch: 25. Juni 13; 24. August 13; 29. August 13; 1. September 13; 9. Oktober 13 und den Text "Non-Citizens im Jahre 2013")

refugeestruggle.org;

TS 9.10.13; ND 11.10.13; indymedia.de 15.10.13;

TS 15.10.13; BeZ 17.10.13; TS 19.10.13

 

11. Oktober 13

 

Mittelmeer – südlich der Insel Malta. Sechs Stunden, nachdem der syrische Arzt Mohanad Jammo von seinem Satelliten-Telefon erstmals um Hilfe rief, weil das Flüchtlingsboot zu sinken droht, erscheint ein Flugzeug der maltesischen Armee und wirft Rettungswesten und Schlauchboote ab. Es ist jedoch zu spät, das Boot mit über 450 Flüchtlingen aus Syrien und Palästina an Bord sinkt in die Tiefe. 168 Erwachsene und 100 Kinder ertrinken – unter ihnen sind auch die beiden Söhne (6 Jahre und 9 Monate alt) von Mohanad Jammo.

    143 Überlebende werden nach Malta in das Internierungslager Lyster Barracks in Hal Far nahe der Hauptstadt Valletta gebracht. Hier müssen sie damit rechnen, bis zum April 2014 in Haft zu bleiben, bis ihre Asylanträge bearbeitet sind. 56 Gerettete kommen durch die italienische Marine nach Poreto Empedocle auf Sizilien und besonders Geschwächte per Hubschrauber in ein geschlossenes Auffanglager nach Lampedusa.

    Ein Jahr nach dieser Katastrophe lebt Mohanad Jammo mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in Bad Bergzabern in der Pfalz und berichtet in einer TV-Reportage über die verzweifelten Versuche der Familie, lebend Europa zu erreichen.

    Wegen des Krieges in Syrien hatte das Ehepaar Jammo beschlossen, das Land zu verlassen. Sie fuhren mit ihren drei kleinen Kindern von Aleppo per Auto nach Istanbul. Von hier aus flogen sie ins libysche Misratah, konnten hier aber auch nicht bleiben. Dann kaufte Herr Jammo für umgerechnet 5.300 Euro eine "Schiffsüberfahrt" nach Europa.

    Zwei Stunden nachdem das Flüchtlingsboot vom Strand vom Zouera abgelegt hatte, wurde es von einem – wahrscheinlich libyschen - Militärschiff verfolgt und in den folgenden sechs Stunden immer wieder beschossen. Das Flüchtlingsboot war schließlich schwer beschädigt, so daß Mohanad Jammo ab 11.00 Uhr die italienische Küstenwache über den Notfall informierte.

    Erst beim 3. Anruf wurde ihm mitgeteilt, daß dieses Gebiet nicht unter italienischer Aufsicht sei, sondern unter maltesischer, und es wurde ihm eine Telefonnummer der maltesischen Küstenwache diktiert – er solle dort anrufen.

    Während das Flüchtlingsboot voll Wasser lief, sich zur Seite neigte und die Passagiere in ihrer Panik auf das Oberdeck kletterten, versuchte Mohanad Jammo immer wieder die maltesische Küstenwache zu aktivieren. Gegen 15.00 Uhr wurde ihm mitgeteilt, daß demnächst ein Flugzeug mit Rettungswesten und Schlauchbooten erscheinen würde. Gegen 17.00 Uhr versank das Flüchtlingsboot im Meer.

    Es stellt sich bald heraus, daß die Flüchtlinge hätten gerettet werden können, wenn der Wille dazu da gewesen wäre.

    Zum Zeitpunkt des 1. Notrufs um 13.34 Uhr, der auch an alle in der Gegend befindlichen Schiffe weitergeleitet wurde, bestanden mehrere Möglichkeiten, die Menschen aus dem sinkenden Boot zu retten. 27 Meilen entfernt befand sich die italienische Fregatte "Libra", die innerhalb einer Stunde am Unglücksort hätte sein können, und die italienische Küstenwache aus Lampedusa hätte das havarierte Schiff gegen 15.00 Uhr rechtzeitig erreichen können, um die Menschen zu retten. Stattdessen wurde die Verantwortlichkeit an die maltesische Marine geschoben, die allerdings auch nicht schnell genug Rettungsmaßnahmen einleitete.

Zeit 12.10.13; KStA 12.10.13;

Zeit 13.10.13; FR 13.10.13;

taz 14.10.13; ND 14.10.13;

taz 15.10.13; Spiegel 15.10.13;

UNITED 9.12.13;

zdf:zeit 12.11.14

 

12. Oktober 13

 

Güstrow-Dettmannsdorf in Mecklenburg-Vorpommern. Mehrere Täter werfen gegen 4.30 Uhr zwei brennende Feuerwerkskörper durch ein offenes Klappfenster in den Keller der Flüchtlingsunterkunft Glasewitzer Chaussee. Mindestens ein Brennkörper explodiert in einem Plastik-Wäschekorb, der durch die sich entwickelnde starke Hitze zum Schmelzen gebracht wird. Die starken Rauchschwaden können aufgrund der Beschaffenheit des Kellerraumes nicht weiter ins Haus vordringen. Von den 52 im Hause lebenden Flüchtlingen wird niemand verletzt.

    Auch einen Monat nach dem Anschlag haben Polizei und Staatsschutz die Täter nicht ermittelt.

Polizei Rostock 12.10.13; ND 12.10.13;

NK 13.10.13; SVZ 13.10.13; ndr 1 Radio MV 14.10.13;

dpa 12.11.13;  BT DS 18/203

 

17. Oktober 13

 

Bundesland Bayern. Das Landgericht Traunstein entscheidet die sofortige Entlassung eines 17-jährigen Flüchtlings aus Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), der in der JVA München in Abschiebehaft einsitzt.

    Er war am 12. September 13 aus dem Zug EC 88 aus Italien über Österreich kommend wegen unerlaubter Einreise von BeamtInnen der Bundespolizei Rosenheim festgenommen worden.

    Die Entlassung des Jugendlichen erfolgt aber nicht aufgrund seines Alters, sondern wegen der fehlenden Trennung zu Strafgefangenen.

    Zitat aus dem Urteil: "In der JVA München ist zwar die Trennung von Abschiebungsgefangenen und Strafgefangenen gewährleistet. Es besteht auch die Abteilung für Jugendliche. Jedoch ist nicht gleichzeitig die Unterbringung in einer Jugend

abteilung und die Trennung von Strafgefangenen gewährleistet."

Landgericht Traunstein 17.10.13

 

18. Oktober 13

 

Landkreis Main-Spessart in Bayern. Um 4.45 Uhr meldet ein Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Gemünden bei der Einsatzzentrale der Polizei Unterfranken einen Brand vor dem Flüchtlingsheim. Als die örtlichen Feuerwehren vor Ort eintreffen, brennen und schwelen die Dämmplatten an der Außenfassade, und durch die Kellerfenster zieht der Rauch in das Gebäude. Die BewohnerInnen werden aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Dabei verletzt sich eine Frau, und ein Bewohner erleidet eine leichte Rauchvergiftung. Beide kommen in Krankenhäuser nach Würzburg.

    Die 50 Rettungskräfte können den Brand an der Außenwand schnell löschen, so daß ein Übergreifen auf das Innere des Gebäudes verhindert wird.

    Da am Abend vor dem Brand zwei Personen vor dem Haus gesehen wurden, die zündelten, wird zunächst der Verdacht der Brandstiftung formuliert, zumal ein technischer Defekt als Brandursache ausgeschlossen werden kann.

    Aber auch nach dreiwöchiger Ermittlungstätigkeit hat sich kein konkreter Verdacht manifestiert. Anfang März 2014 werden die polizeilichen Ermittlungen gänzlich eingestellt.

nordbayern.de 18.10.13;

Mainpost 18.10.13;

Polizei Unterfranken 18.10.13;

Mainpost 19.10.13; jW 18.10.13;

Mainpost 21.10.13;

main-netz.de 13.11.13;

 tvtouring.de 5.3.14

 

18. Oktober 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die Essener Flüchtlingsunterkunft in der Straße Im Neerfeld wird mit einer Schleuder beschossen. Drei Tage später erfolgt eine weitere Attacke – durch die Metall-Geschosse wird niemand verletzt.

Pro Asyl 24.10.13;

 BT DS 18/203

 

19. Oktober 13

 

Wehr im Landkreis Waldshut - Baden-Württemberg. In der Obdachlosen- und Flüchtlingsunterkunft Georg-Kerner-Straße löst ein Rauchmelder um 3.15 Uhr Alarm aus. Die aus dem Schlaf geschreckten BewohnerInnen entdecken daraufhin im Erdgeschoß brennende Treppenstufen. Es gelingt ihnen gemeinsam, das Feuer zu löschen. Alle 35 Personen, die derzeit im Hause untergebracht sind, bleiben unverletzt.

    Die ermittelnden BeamtInnen der Kriminalpolizei stellen fest, daß auf der nach oben führenden Holztreppe ein Brandbeschleuniger, vermutlich Benzin, ausgegossen und das Feuer mit Papier entfacht worden war.

    Ein Bewohner berichtet, daß er gegen 3.00 Uhr im Lichtschein eines Bewegungsmelders mehrere Personen gesehen hat, die das Haus durch den Haupteingang betreten hatten.

    Zwei Wochen später meldet die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen, daß diese Aussage des Bewohners aufgrund einer Rekonstruktion nicht stimmen kann, so daß sich die Suche nach Brandstiftern jetzt auch auf die BewohnerInnen selbst ausdehnt. Allerdings heißt es auch: "Die Möglichkeit einer Tatbegehung durch Rechtsradikale aus fremdenfeindlicher Motivation ist nach wie vor Gegenstand der Ermittlungen."

SK 19.10.13; BaZ 20.10.13;

BaZ 21.10.13; SK 21.10.13;

Schwarzwälder Bote 21.10.13; SK 22.10.13;

StA Waldshut-Tiengen 31.10.13; SWP 2.11.13

 

22. Oktober 13

 

Bundesland Bayern. Ein 37 Jahre alter Flüchtling aus Syrien steht auf dem Flachdach des sechsstöckigen Parkhauses in der Münchener Marsstraße und droht, sich hinunterzustürzen. Er hält sich immer wieder ein Messer an den Körper und schreit laut.

    Als PassantInnen ihn um 10.00 Uhr bemerken und Polizei und Feuerwehr alarmieren, werden das Parkhaus und die Straße großräumig abgesperrt. Die Feuerwehr legt Sprungkissen aus, und mittels Dolmetscher und Psychologen wird versucht, Kontakt zu dem Mann aufzunehmen.

    Der Mann ist verzweifelt und fordert einen Reisepaß, um seine Familie nach Deutschland holen zu können, die sich in einem Flüchtlingslager in der Türkei befindet. Um 11.20 Uhr lenkt er ein und wird vorübergehend festgenommen.

    Er erhält eine Anzeige wegen "Nötigung und des Verstoßes gegen seine räumliche Beschränkung" (Residenzpflicht), da er im oberbayerischen Lichtenfels gemeldet ist. Danach wird er wieder entlassen.

AZ München 22.10.13;

MM 23.10.13

 

25. Oktober 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen – Stadtteil Wanheim von Duisburg. Im Treppenhaus des Wohnheims für Flüchtlinge und Spätaussiedler in der Kaiserswerther Straße zünden Unbekannte um 2.45 Uhr eine Nebelkerze. Dadurch entsteht 40 Sekunden lang ein roter Nebel, und die Brandmeldeanlage wird ausgelöst. Zu dieser Zeit werden drei maskierte Personen direkt vor dem Gebäude gesehen, und in unmittelbarer Nähe werden Aufkleber und Graffities der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und des "Nationalen Widerstands Duisburg" entdeckt.

    Die Polizei richtet eine Ermittlungskommission mit 13 BeamtInnen ein.

Opferberatung Rheinland;

Polizei Duisburg 29.10.13;

netzwerk-gegen-rechts.org 10.11.13

 

25. Oktober 13

 

Merseburg in Sachsen-Anhalt. Auf seinem Heimweg wird ein 20-jähriger Flüchtling gegen 18.30 Uhr von drei Männern verfolgt und rassistisch beschimpft. Einer von ihnen schlägt ihm mehrmals mit der Faust ins Gesicht. Als der Angegriffene mit seinem Handy die Polizei rufen will, wird es ihm aus der Hand gerissen und weggeworfen.

    Bevor die Polizei eintrifft, sind die Angreifer verschwunden. Der Flüchtling muß eine Platzwunde an der Lippe und einen Zahnabbruch im Krankenhaus ambulant behandeln lassen.

Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt

 

25. Oktober 13

 

Bundesland Brandenburg. Im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt treten vier Flüchtlinge für drei Tage in einen Hunger- und Durststreik. Sie protestieren damit gegen Gerichtsentscheidungen, in denen ihre Haft bis zu zweieinhalb Monate beantragt und vom Amtsgericht Eisenhüttenstadt bestätigt wurde. Haftgrund: Einreise ohne Erlaubnis.

    Sie waren im "Berlin-Warzawa-Express" auf dem Frankfurter Bahnhof festgenommen worden. Aufgrund eines Verfahrensfehlers des Gerichtes müssen die vier Flüchtlinge am 14. November frei gelassen werden.

lagerwatcheisen – Chronik

 

28.Oktober 13

 

Kleinlangheim, Landkreis Kitzingen im Bundesland Bayern. Gegen 21.00 Uhr werden Flüchtlinge vor ihrer Unterkunft von einem 17-jährigen Deutschen mit den Worten ''Scheiß Kanakken, verpisst euch'' beleidigt. Der 17-Jährige dringt daraufhin mit einem zwei Jahre älteren Freund in die Kellerräume des Gebäudes ein. Dort urinieren sie auf Wäsche und Waschmaschinen der BewohnerInnen.

    Der mittlerweile 18-Jährige wird am 28. Oktober 14 vom Kitzinger Jugendschöffengericht zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung und – jedoch in Bezug auf einen anderen Vorfall – Sachbeschädigung verurteilt. Das Gericht sieht keinen politischen Hintergrund, sondern eine persönliche Auseinandersetzung mit einem Bewohner der Unterkunft als Ursache.

    Das Verfahren gegen den Mittäter, einen Ex-Bundeswehrsoldaten, wurde nach ''Durchführung erzieherischer Maßnahmen'' eingestellt.

StA Würzburg 9.5.14; br.de 28.10.14;

Main Post 17.8.14; Main Post 28.10.14

 

29. Oktober 13

 

Berlin. Als ein 58 Jahre alter Serbe aus seiner Unterkunft in der Landstraße 56 zur Abschiebung abgeholt wird, zerschlägt er eine Glasflasche auf seinem Hinterkopf und verletzt sich anschließend mit einer Scherbe an seinem Hals.

Abgeordnetenhaus Berlin DS 17/13882

 

29. Oktober 13

 

In einer überfallartigen Aktion läßt der Berliner Innensenator Henkel kurz vor dem Wintereintritt 24 Flüchtlinge nach Bosnien-Herzegowina und 25 Menschen nach Serbien abschieben. Die abgelehnten AsylbewerberInnen wurden früh morgens aus ihren Unterkünften geholt und direkt zum Flughafen Schönefeld gefahren. Ein Großteil der Personen gehört der Roma-Minderheit an.

    Unter ihnen ist die Lebensgefährtin eines 62-jährigen Serben, der an der schweren, chronischen und fortgeschrittenen Lungenerkrankung COPD (Chronic Obstructive Pulmonary Desease) leidet. Er ist auf die Sauerstoffzufuhr über ein Beatmungsgerät angewiesen, war sehr lange in stationärer Behandlung und muß betreut werden. Das Paar ist seit 30 Jahren zusammen und hat einen gemeinsamen Sohn von 25 Jahren.

    Da der Sohn in dieser Nacht aus formalen Gründen noch nicht abgeschoben werden kann, pflegt er den Vater, kann aber dadurch keine Arbeit aufnehmen.

taz 31.10.13;

Philip Rusche - Rechtsanwalt

 

31. Oktober  13

 

Flughafen Frankfurt am Main. Im Auftrag der Berliner Ausländerbehörde wird ein Aserbaidschaner nach 12-jährigem Deutschland-Aufenthalt in Arztbegleitung nach Baku abgeschoben. Er wurde der Abschiebebeobachterin als flugunwillig angekündigt und hatte angedroht, sich selbst zu töten. Aufgrund seiner Vergangenheit als Polizist und der aktuell herrschenden Zustände in Aserbaidschan hat er Angst vor politischer Verfolgung, Angst um sein Leben.

    Durch die Abschiebung wird er von seiner Frau und Tochter getrennt, die deutsch-russische Wurzeln haben. Damit ist die Familie getrennt.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

1. November 13

 

Landkreis Ostallgäu im Bundesland Bayern. Ein 27 Jahre alter Asylbewerber befindet sich nachts vom Bahnhof Buchloe auf dem Heimweg, als er auf der Höhe des Langwiesenwegs von drei Männern angesprochen wird. Ohne Vorwarnung treffen ihn Fäuste ins Gesicht, und ein Täter schlägt ihm mit einer Flasche auf den Kopf. Dann nehmen die Angreifer ihrem Opfer sein Geld ab und verschwinden wieder in der Dun

kelheit.

    Der Flüchtling muß die erlittenen Prellungen und eine Platzwunde am Kopf ärztlich behandeln lassen.

Polizei Kaufbeuren 6.11.13

 

7. November 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Kurz nach 23.00 Uhr werden Feuerwerkskörper gegen das Gebäude und einen dazugehörenden Gastank der Essener Flüchtlingsunterkunft in der Worringstraße 244 geworfen. Eine Holztür zur Waschküche gerät in Brand, der von den BewohnerInnen selbst gelöscht werden kann.

    Ein 9-jähriger Junge (Rom) erschrickt sich dermaßen, daß er von Sanitätern ins Krankenhaus gebracht werden muß. Noch ein halbes Jahr später befindet sich der Junge in psychologischer Behandlung.

    Die Täter flüchten in einem hellen PKW. Kriminalpolizei und Staatsschutz nehmen die Ermittlungen auf.

    Bereits am 27. Oktober 13 waren die BewohnerInnen aus einem Auto heraus mit rassistischen Parolen beleidigt worden ("scheiß Asylanten, scheiß Ausländer"). Es besteht der Verdacht, daß es sich bei beiden Vorfällen um dieselben Täter handelt.

WAZ 8.11.13; NRZ 27.11.13;

StA Essen 19.3.14;

 BT DS 18/203;

WAZ 20.3.14

 

8. November 13

 

Hamburg-Volksdorf. In der Flüchtlingsunterkunft am Waldweg bricht gegen 11.00 Uhr im Zimmer eines Bewohners ein Feuer aus, und der dichte Rauch füllt schnell die Flure.

    Die Berufsfeuerwehr Sasel erreicht den Ort nach 15 Minuten, jedoch ist die erforderliche "Löschmannschaft" erst nach 50 Minuten komplett, weil die freiwilligen Feuerwehren aus Volksdorf und Sasel ihren Einsatz aufgrund von Personalmangel absagen müssen und nur die freiwillige Feuerwehr Duvenstedt eintrifft.

    Der Personalmangel für die Feuerwehren in den Außenbezirken von Hamburg besteht seit Jahren, weil der Senat nicht genügend Gelder zur Verfügung stellt. Die Beamten sprechen von "purem Glück", daß in diesem Fall das Feuer relativ schnell gelöscht werden konnte und "nur" eine Bewohnerin mit Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden muß.

HM 9.11.13

 

10. November 13

 

Bundesland Bayern. Frau S. sucht ihren Mann und geht deshalb zu einer Polizeiwache, um Hilfe zu erbitten. Sie wird umgehend festgenommen und kommt in Untersuchungshaft. Ein Strafverfahren wegen illegaler Einreise wird gegen sie eingeleitet und ihre 3-jährige Tochter wird dem Jugendamt übergeben.

    Frau S. ist lebensgefährlich erkrankt, und da eine rettende Operation in ihrem Herkunftsland Kosovo nicht möglich ist, war sie mit ihrem Mann und Kind nach Deutschland gekommen.

    Nach sofortiger Ablehnung ihres Asylgesuchs in der Bundesrepublik war die Familie dann nach Frankreich gefahren und stellte dort erneut einen Asylantrag. Entsprechend dem Dublin-II-Abkommen wurde ihr Ehemann am 30. Oktober nach Deutschland zurückgeschoben, die schwangere Frau S. blieb irrtümlich mit ihrer kleinen Tochter zurück.

    Sie fuhr dann auf eigene Initiative in die Bundesrepublik zurück, um ihren Mann zu suchen, der nach der Rückschiebung in die JVA Stadelheim (Abschiebehaft) gebracht worden war.

    Der kleinen Tochter geht es durch die Trennung von der Mutter sehr schlecht – sie weint unaufhörlich und ruft "von früh bis spät nach ihren Eltern".

    Aufgrund der Intervention des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes kann der Anwalt Michael Sack eine Freilassung des Herrn S. erreichen (Rücknahme des Haftantrags), nachdem auch die Ausländerbehörde im Rahmen des Haftbeschwerdeverfahrens von der Inhaftierung der Frau S. erfahren hat. Das völlig verstörte Kind wird daraufhin am 19. November mit dem Vater zusammengebracht. In einer Gemeinschaftsunterkunft warten die beiden auf die Freilassung der Mutter und Ehefrau. Vier Wochen nach ihrer Verhaftung steht jedoch noch nicht einmal ein Verhandlungstermin fest.

    Eine Frauenärztin hat inzwischen attestiert, daß die Grunderkrankung von Frau S. eine Risiko-Schwangerschaft mit sich bringt.

    Am 19. Dezember wird auch Frau S. aus dem Gefängnis entlassen, so daß die Familie wieder vereint ist.

    Mit Beschluß des Landgerichts Landshut vom 9. Januar 14 wird die Abschiebehaft von Herrn S. nachträglich als rechtswidrig festgestellt, einerseits wegen Mängeln im Haftantrag und andererseits wegen der gemeinsamen Unterbringung mit Strafgefangenen in der JVA Stadelheim, was dem Trennungsgebot widerspricht. Kurze Zeit später wird auch das Verfahren gegen Frau S. wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Info-Brief JRS Dez. 2013;

Michael Sack – Rechtsanwalt;

Jesuiten-Flüchtlingsdienst

 

11. November 13

 

Bundesland Mecklenburg-Vorpommern – Eggesin im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Gegen die Haustür eines Wohnhauses in der Max-Matern-Straße werden in der Nacht Bierflaschen geworfen. Die Scheibe der Tür geht daraufhin zu Bruch. Bereits in der Nacht auf den 7. November wurde mit Bierflaschen die Scheibe der Eingangstür zerstört.

    Hinweise auf die TäterInnen hat die Polizei auch nach einem Jahr nicht.

    Seit Oktober 13 wohnen in dem Haus 22 Flüchtlinge aus (u.a.) Syrien und Rußland. Im Vorfeld des Einzuges der Flüchtlinge hatte die NPD mehrmals zu Protesten gegen die Flüchtlingsunterkunft aufgerufen.

dpa 12.11.13; HAZ 12.11.13; NK 13.11.13 ;

Polizei Neubrandenburg 29.12.14;

BT DS 18/1593

 

12. November 13

 

Landkreis Spree-Neiße in Brandenburg. Mit ca. 40 BeamtInnen und 10 Einsatzfahrzeugen erscheint morgens um 5.00 Uhr die Polizei in der Flüchtlingsunterkunft Forst, um eine tschetschenische Familie und einen anderen Flüchtling abzuholen. Die Menschen werden aus dem Schlaf geweckt und dann – entsprechend dem Dublin-II-Verfahren – nach Polen zurückgeschoben.

    Die 12-jährige Tochter der sechsköpfigen Familie befindet sich seit einem Tag im Cottbusser Carl-Thiem-Klinikum. Der Verdacht auf eine chronische Herzerkrankung soll hier durch spezielle Untersuchungen genauer eingegrenzt werden. Noch bevor diese Untersuchungen durchgeführt werden können – für den 27. November ist ein Ultraschall-Termin anberaumt – wird das Mädchen von der Polizei aus dem Krankenhaus herausgeholt und in Guben mit seinen Eltern zusammengebracht. Danach erfolgt die Rückschiebung über die deutsch-polnische Grenze.

    Die Polizei-Aktion hat insgesamt große Empörung hervorgerufen, zumal auch einige Flüchtlinge, die im Heim wohnen, durch das Gewaltpotential retraumatisiert wurden.

    Die behandelnde Kinderärztin Christiana Schauer-Petrowskaja ist empört: "Das ist ungeheuerlich .... in den ganzen Jahren meiner Tätigkeit .... habe ich so einen Akt der Unmenschlichkeit und Dummheit noch nicht erlebt."

    Die Kliniksprecherin Annegret Hofmann rechtfertigend: "Es gab eine Weiterbehandlungsempfehlung an die polnischen Behörden."

    Die Polizei zu den Vorwürfen des unverhältnismäßigen Personal-Aufgebots: "Die Flüchtlinge sind in einer Notsituation. Da sollten die Kollegen auf alle Fälle gerüstet sein."

LR 14.11.13; LR 20.11.13;

FRat Brbg 4.12.13

 

13. November 13

 

Bundesland Brandenburg. Zwei Asylbewerber werden gegen 20.30 Uhr in der Heidekrautbahn auf der Strecke von Berlin-Karow nach Basdorf von einem Rassisten massiv beleidigt und bedroht, zudem skandiert der Täter den "Hitlergruß".

    Nachdem ZeugInnen den Vorfall der Polizei gemeldet haben, gelingt es schnell, die betroffenen Flüchtlinge, einen 23 und einen 28 Jahre alten Pakistani, zu ermitteln, die das Geschehene bestätigen.

    Danach kann auch der Täter identifiziert werden: Es ist ein 45 Jahre alter Mann aus Barnim. Er wird sich wegen Bedrohung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verantworten müssen.

Polizei Brandenburg 26.11.13;

gegenrede.info 27.11.13

 

14. November 13

 

Berliner Bezirk Kreuzberg. Nachdem Stunden zuvor ein durch Messerstiche in den Rücken schwer verletzter Flüchtling vor der durch Refugees besetzten Gerhardt-Hauptmann-Oberschule in der Ohlauer Straße aufgefunden wurde, rammt ein Sondereinsatz-Kommando der Polizei am frühen Morgen die Eingangstür der Schule auf. Den BewohnerInnen wird befohlen, sich auf den Boden zu legen. Ein Mann aus Marokko, der sich niedergelegt hat, wird jetzt von einem Beamten getreten. Dabei zieht er sich eine Verletzung an der Lippe zu und verliert einen Zahn.

taz 15.11.13

 

19. November 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Als Mitarbeiter der Ausländerbehörde Lippe gegen 1.00 Uhr morgens an einer Zimmertür in der zweiten Etage der Flüchtlingsunterkunft in Lügde erscheinen, und mit dem Bewohner sprechen wollen, springt dieser in Panik aus dem Fenster. Er bricht sich bei dem Fall aus fünf Metern Höhe beide Beine. Der 24-jährige Mohammad Najrul Islam aus Bangladesh, der weder Deutsch noch Englisch versteht, vermutete, daß er nach Ungarn zurückgeschoben werden sollte.

    Tatsächlich soll er erst in zwei Wochen nach Ungarn zurückgeschoben werden – die Behörden-Mitarbeiter suchten einen anderen Bewohner des Heimes in Lügde.

    Mohammad Najrul Islam hatte Bangladesh verlassen müssen, weil er unter Todesdrohungen von seinem Grundstück vertrieben wurde. Er flog zunächst in den Iran. Dann flüchtete er weiter über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien, bis er am 6. Juni 2013 in Ungarn Asyl beantragte. Danach kam er über Österreich in die Bundesrepublik, wo ihn am 23. Juni in Dresden die Polizei aus dem Zug holte.

    Aufgrund seiner schweren Bein-Verletzungen nach dem Fenstersprung und auch wegen seiner Traumatisierungen entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), daß das Asylverfahren in der Bundesrepublik durchgeführt wird.

Lippische Landes-Ztg 14.1.14;

NW 15.1.14;

Lippische Landes-Ztg 15.1.14;

MT 16.1.14

 

21. November 13

 

Bundesland Bayern. Es ist der vierte Tag eines Hunger- und Durststreikes von insgesamt 30 jungen Flüchtlingen aus Somalia – darunter 25 unbegleitete Minderjährige im Alter von 16 beziehungsweise 17 Jahren. Schon in der Nacht mußten vier von ihnen in ein Krankenhaus gebracht werden und im Laufe des Donnerstags weitere fünf Jugendliche.

    Mit ihrer Protestaktion fordern sie, daß sie einerseits aus ihrer derzeitigen Unterbringung in der Bayernkaserne herauskommen und in der Jugendhilfe untergebracht werden, die sie seit Anfang des Jahres eigentlich betreuen sollte. Andererseits protestieren sie gegen die Essenspakete und die zu lange dauernden Asylverfahren. So fordern sie auch die Zusage einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) innerhalb von drei Monaten.

    Insgesamt leben derzeit 142 minderjährige Flüchtlinge im Haus Nr. 58 der Freimanner Kaserne – einige bereits über elf Monate. Für alle BewohnerInnen stehen nur sieben Toiletten zur Verfügung.

dpa 20.11.13; SZ 20.11.13;

SZ 21.11.13

 

21. November 13

 

In der Zentrale Rückführungsstelle der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt befindet sich ein 19 Jahre alter Mann aus Somalia, der der Bundespolizei bereits gefesselt übergeben wurde. Er ist vollkommen teilnahmslos, reagiert nicht auf Fragen, aus seinem Mund kommt Schaum.

    In der Flughafenklinik kann der Arzt keine körperlichen Besonderheiten feststellen, sagt aber mit Blick auf die ausgeprägten Narben am Körper des jungen Mannes, daß er nicht beurteilen könne, wie es mit ihm psychisch aussehe. Dies sei für die Flugtauglichkeit auch nicht relevant.

    Der Somalier wird unter Anwendung unmittelbaren Zwanges zum Flugzeug getragen und in Begleitung von Bundespolizisten nach Rom ausgeflogen. Diese berichten später, daß der Mann während des ganzen Fluges laut geweint und geschrien habe.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

23. November 13

 

Berlin – Köpenick. Gegen 19.20 Uhr klettert ein 32-Jähriger über ein Baugerüst am neuen Flüchtlingsheim in der Salvador-Allende-Straße auf den Balkon einer im zweiten Stock gelegenen Wohnung.

    Ein Wachmann alarmiert die Polizei, und die Beamten können noch zwei Begleiter des Täters am Eingang des Gebäudes festhalten. Gegen einen der beiden liegt ein Haftbefehl wegen Diebstahls vor, so daß er zusammen mit dem Kletterer festgenommen wird.

    Nach erkennungsdienstlichen Maßnahmen wird der 32-Jährige wieder entlassen. Er bekommt eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch.

    Alle drei Männer gehören nach Angaben der Polizei dem "rechten Spektrum" an, so daß ein rechtsextremistisches Motiv nicht ausgeschlossen wird und der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen aufnimmt.

BeZ 24.11.13

 

23. November 13

 

Bundesland Brandenburg. Ein 25 Jahre alter Flüchtling aus Kenia, der mit dem Rad in der Fürstenwalder Innenstadt unterwegs ist, wird von hinten mit einem Motorrad angefahren. Er stürzt zu Boden und kugelt sich dabei den Ellenbogen aus. Der Motorradfahrer und weitere Biker steigen von ihren Maschinen, gehen auf den am Boden Liegenden zu, beschimpfen ihn und treten auf ihn ein.

    Der Kenianer muß seine Verletzungen einige Tage lang im Krankenhaus behandeln lassen.

Opferperspektive

 

26. November 13

 

Wermelskirchen in Nordrhein-Westfalen. Mitarbeiter vom Ausländeramt des rheinisch-bergischen Kreises erscheinen nachts in der Wohnung der Familie Duda. Die Eheleute werden mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt und Mehmet Duda wird abgeführt. Um 7.15 Uhr startet das Flugzeug Richtung Kosovo mit dem 30-Jährigen, der vor 23 Jahren mit seinen Eltern in die BRD geflüchtet war.

    Zurück bleiben seine Frau Xevaheira, der 7-jährige Arijan und der 11-jährige Aslan – damit ist die Familie getrennt.

    Weil Xevaheira Analphabetin ist, wird der kleine Aslan die Familienangelegenheiten in der Zukunft regeln müssen.

    Zum aufenthaltsrechtlichen Verhängnis wurde Mehmet Duda eine körperliche Auseinandersetzung mit einem Deut

schen vor fünf Jahren, die er zusammen mit seinem Bruder Jeton hatte. Beide waren wegen Körperverletzung bestraft worden und haben die Strafe seit langer Zeit abgeleistet. Aufgrund der Sondergesetze für AusländerInnen war mit der Höhe der Strafe auch ein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland in Frage gestellt. Auch die Tatsache, daß beide Eheleute erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, spielte für die Behörden keine Rolle.

    Obwohl auch sein 26 Jahre alter Bruder Jeton eine feste Arbeit hatte, wurde dieser schon am 8. Januar 13 in einer überfallartigen Aktion des Ausländeramtes und der Polizei nachts – kurz nach Beendigung seiner Nachtschicht – in Handschellen gelegt und zusammen mit seiner 6-jährigen Tochter Shiret nach Prishtina abgeschoben. Jeton war mit drei Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik gekommen.

    Es gab viel Solidarität und Unterstützung im Vorfeld der Abschiebung von Mehmet Duda, aber auch die Mahnwachen und Anträge beim Petitionsausschuß und der Härtefallkommission hatten letztlich keinen Erfolg. Mehmet Duda vor seiner Abschiebung: "Wir sind hier voll im Leben integriert, ich habe eine feste Arbeit, mein Sohn ist Mitglied im Kinder- und Jugendparlament, wir engagieren uns in der Kirchengemeinde Hilgen-Neuenhaus, dass jetzt die Familie auseinandergerissen werden soll, ist einfach nur grausam."

    Als Angehörige der Ethnie der Ashkali werden die abgeschobenen Brüder, die über zwei Jahrzehnte in Deutschland lebten, große Probleme haben, im Kosovo Fuß zu fassen und zu überleben.

    Bei der Mahnwache im Gedenken an das Schicksal der Familie Duda – ein Jahr nach der Abschiebung - erinnern die DemonstrantInnen daran, daß bis heute noch immer nicht "für Kinder von Menschen, die den Aufenthaltsstatus der Duldung haben, die UN-Kinderrechtskonvention umgesetzt" ist.

Remscheid-General-Anzeiger 9.1.13;

Remscheid-General-Anzeiger 10.1.13;

RP 2.7.13; AVAAZ.de 30.7.13; RP 27.11.13;

Remscheid-General-Anzeiger 28.11.14

 

26. November 13

 

Landkreis Oberhavel in Brandenburg. Der tschetschenische Flüchtling Herr I. (26) begibt sich mit seiner Frau S. (34) zur Kreis-Ausländerbehörde, um Aufenthaltsformalitäten zu regeln. Ohne Ankündigung wird das Ehepaar dort verhaftet und zur Polizeiinspektion Oranienburg gebracht. Dort wird Frau S. gezwungen – sie ist bekennende Muslima – ihr Kopftuch abzugeben. Ihr psychisch schwerkranker Mann bleibt die Nacht über an Händen und Füßen mit Schellen fixiert. Nach einer Nacht in Einzelzellen erfolgt ihre Rückschiebung entsprechend dem Dublin-II-Abkommen über die deutsch-polnische Grenze und endet für das Paar direkt in der polnischen Haftanstalt Ketrzyn.

    Mitte Januar beginnt Herr I. zusammen mit einem Mitgefangenen Herrn A. einen Hungerstreik für die Freilassung aus dem Gefängnis.

    Herr A. – ebenfalls tschetschenischer Flüchtling, unter Epilepsie leidend und am 16. Dezember aus Prenzlau in Brandenburg zurückgeschoben – sitzt mit seiner Frau, seiner 8-jährigen Tochter Linda und dem 6-jährigen Islam in Haft.

    Am 18. Februar 14 wird das Ehepaar I. überfallartig von maskierten Männern abgeholt, in Handschellen gelegt und über die polnisch-russische Grenze ins 90 Kilometer entfernte Kaliningrad verschleppt.

    Herr I. ist aufgrund der Erlebnisse in Tschetschenien, z.B. die Erschießung seines Vaters durch die Milizen oder seine eigenen Foltererfahrungen, schwer traumatisiert und stark suizidgefährdet. Vom 3. bis 24. September befand er sich noch im Hennigsdorfer Krankenhaus zur psychiatrischen Behandlung. Aufgrund der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung empfahlen die ÄrztInnen die baldige Aufnahme einer gezielten Therapie.

    Stattdessen erstellt ein Amtsarzt im Auftrag der Ausländerbehörde eine Reisefähigkeitsbescheinigung, werden die ärztlichen Gutachten ignoriert, die Rechtsanwältin bewußt nicht informiert, um die Flüchtlinge abschieben zu können.

    Wegen der Zunahme der Flüchtlingszahlen aus Tschetschenien hatte Ende Juli das Brandenburger Innenministerium die Empfehlung des Bundesinnenministeriums an die Ausländerbehörden weitergereicht, in der es heißt: "Vor der Ankündigung von konkreten Überstellungsterminen gegenüber Rückzuführenden abzusehen, um einem Untertauchen vor der Überstellung entgegenwirken zu können."

    Am 3. September 14 rügt das Landgericht Neuruppin das rechtsverletzende Hauruckverfahren der Ausländerbehörde. Der Haftantrag sei ohne Bezug zum Einzelfall gestellt worden und voller Textbausteine und Leerformeln gewesen. Der darauf folgende Haftbeschluß des Amtsgerichts Oranienburg bestätigte den fehlerhaften Antrag und war daher rechtswidrig.

    Im März 2014 befindet sich das Ehepaar A. mit den bei-den Kindern immer noch in dem polnischen Gefängnis. Sie berichten, daß noch 25 weitere Kinder dort gefangengehalten werden.

FRat Brbg 4.12.13; FRat Brbg 18.12.13;

 taz 29.1.14; FRat Brbg 27.1.14; taz 29.1.14;

MOZ 22.2.14; MOZ 23.2.14;

FRat Brbg 5.3.14; FRat Brbg 10.3.14

 

28. November 13

 

In der Zentralen Rückführungsstelle der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt befindet sich ein pakistanischer Flüchtling, der in Handfesseln angebracht wird – er trägt Latschen an den Füßen. Er ist als suizidgefährdet angekündigt und soll in Begleitung von Bundespolizisten nach Budapest ausgeflogen werden. Es ist ihm nicht mitgeteilt worden, daß das jetzt passieren wird.

    Er erzählt der Abschiebungsbeobachterin weinend, daß er in Pakistan von den Taliban, die schon seinen Vater umbrachten, verfolgt wurde. Er habe länger in Griechenland gelebt und sei in einem Camp in Ungarn von anderen Flüchtlingen geschlagen worden.

    Der Flugkapitän weigert sich schließlich, ihn zu befördern, und die Abschiebung wird abgebrochen.

Abschiebungsbeobachtung FFM 2013

 

30. November 13

 

Höxter im Regierungsbezirk Detmold Bundesland Nordrhein-Westfalen. Gegen 22.00 Uhr fährt ein Auto vor die Unterkunft für Flüchtlinge in der Allenbergstraße 2 vor. Zwei bis drei unbekannte Personen steigen aus. Einer von ihnen wirft eine Bierflasche gegen ein Fenster des Gebäudes, wodurch eine Scheibe zu Bruch geht. Niemand wird verletzt.

    Weil keine TäterInnen ermittelt werden können, wird das Verfahren später eingestellt.

Polizei Bielefeld 6.5.2014;

BT DS 18/1593;

LT DS NRW 16/5100

 

3. Dezember 13

 

Landkreis Potsdam-Mittelmark in Brandenburg. Eine dreiköpfige tschetschenische Familie wird unter Androhung von Inhaftierung und Familientrennung zur "freiwilligen" Rückreise nach Polen gezwungen. Sie wird in ihrer Unterkunft in Bad Belzig aufgesucht, im Zimmer festgehalten und der Kontakt zu ihrer Anwältin wird unterbunden.

    Obwohl die schwangere Frau zusammenbricht, erfolgt die Rückschiebung nach dem Dublin-II-Verfahren in polizeilicher "Freiheitsbeschränkung" (Jörg Halles, Chef der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung) unverzüglich über Guben nach Polen. Das geschieht einen Tag vor Inkrafttreten der Schutzfristen, nach denen das Asylverfahren in der BRD hätte geführt werden können.

    Der schwer traumatisierte Ehemann, der schon seit längerem wegen Inhaftierung und Folter stationär behandelt werden mußte, kommt auch in Polen ins Krankenhaus.

    Einige Monate zuvor war ihr 3-jähriges Kind in einem Teich auf dem nicht eingezäunten Nachbargelände zur Flüchtlingsunterkunft ertrunken.

FRat BrBg 4.12.13;

MAZ 5.12.13;

Antirassistische Initiative Berlin

 

4. Dezember 13

 

Mechernich im Kreis Euskirchen in Nordrhein-Westfalen. Als die um 0.30 Uhr alarmierte Feuerwehr die Flüchtlingsunterkunft Elisabethhütte im Ortsteil Roggendorf erreicht, brennt eine Hälfte eines der barackenähnlichen Gebäude bereits lichterloh. Die sechs Personen, die in diesem Teil schliefen, haben sich rechtzeitig retten können.

    Sie waren von einem Mitbewohner geweckt worden, in dessen Zimmer der Brand entstanden war. Dieser Mann, ein Flüchtling aus Bosnien-Herzegowina, versucht nun immer wieder, in das brennende Gebäude zurückzulaufen. Er muß schließlich zu seinem Selbstschutz von der Polizei gefesselt werden. Ein Notarzt kümmert sich um ihn und veranlaßt schließlich, daß er in die Psychiatrie gebracht wird.

    Noch am selben Tag wird er einem Haftrichter vorgeführt, weil er in dringendem Verdacht steht, das Feuer selbst gelegt zu haben, um sich das Leben zu nehmen.

    Die Feuerwehren aus Mechernich, Strempt und Kommern müssen die BewohnerInnen auch aus den angrenzenden Baracken evakuieren, weil die Isolierung dieser in Leichtbauweise erstellten Unterkünfte immer wieder Feuer fängt.

    Da die Siedlung mit 55 BewohnerInnen zur Zeit nicht voll belegt ist, können die Evakuierten in leerstehenden Zimmern unterkommen. (siehe auch: 12. Dezember 13)

KStA 4.12.13

 

8. Dezember 13

 

Landkreis Mettmann in Nordrhein-Westfalen. Als der 44 Jahre alte Ghanaer Kallo Al-Hassan Kanu in der Flüchtlingsunterkunft von Heiligenhaus gegen Mittag zusammenbricht, ruft sein Mitbewohner umgehend die Notruf-Leitstelle mit der Telefonnummer 112 an. Die dort diensthabende Person fragt zunächst nach der Krankheit, die der Patient haben könnte, woraufhin der Anrufer antwortet, daß er das nicht wisse, denn er sei kein Arzt. 15 Minuten später ruft er die Polizei an, die ihm mitteilt, daß sie nicht zuständig sei. Fünf- oder sechsmal wird weiterhin versucht, einen Krankenwagen zu rufen – aber es kommt keiner. Erst als ein anderer Mitbewohner einen Notarzt alarmiert und dieser nach einem kurzen Blick auf den Patienten einen Rettungswagen ordert, wird Kallo Al-Hassan Kanu ins Krankenhaus Niederberg gebracht und kommt um 15.05 Uhr umgehend auf die Intensiv-Station. Dort stirbt er noch am selben Tag.

    Die MitbewohnerInnen und Freunde des Herrn Al-Hassan erhalten die Nachricht von seinem Tod am nächsten Tag durch die Polizei. Sie sind voller Trauer, denn der Verstorbene, den viele "Papa Hassan" nannten, war beliebt – er hat mindestens 12 Jahre in dieser Flüchtlingsunterkunft gelebt.

    Zu der Todesursache des Verstorbenen erhalten die BewohnerInnen keine Informationen, obwohl sie immer wieder danach fragen. Angesichts der katastrophalen hygienischen Zustände im Heim kommt auch die Angst vor anstekkenden Erkrankungen auf.

    Schließlich gehen sie in einer spontanen Demonstration zum Rathhaus und verlangen Auskunft. Auch die unmenschlichen Zustände des Heims in der Ludgerusstraße kommen hier zur Sprache: Für die ca. 80 BewohnerInnen steht eine (!) funktionierende Dusche zur Verfügung, und es gibt viel zu wenige Toiletten. Bis zu 10 Personen und bis zu drei Familien aus unterschiedlichen Herkunftsländern müssen sich ein Zimmer teilen, oft fällt die Heizung aus, an Wochenenden gibt es oft keinen Strom, viele Zimmer sind voller Schimmel.

    Bei diesem Gespräch, das die Flüchtlinge mit dem Stadt-Kämmerer Michael Beck führen, sind fünf Polizisten zugegen, und bei dem Flüchtling, der am häufigsten geredet hat, machen diese anschließend eine Identitätsüberprüfung.

    Später wird bekannt, daß Kallo Al-Hassan Kanu an Bauchspeicheldrüsenkrebs litt und – dem Vernehmen nach – einen Zuckerschock erlitten hat. Die Pressesprecherin des Krankenhauses äußert sich dahin, daß "alles gegen eine ansteckende Krankheit" spricht.

    Zwei Tage nach dem Tod des Flüchtlings nimmt die Staatsanwaltschaft Wuppertal die Ermittlungen auf.

    Auch vier Wochen nach dem Tod ist den BewohnerInnen nicht mitgeteilt worden, woran ihr Freund und Mitbewohner letztlich gestorben ist. Sie erhielten zwar die Mitteilung, daß er bereits beerdigt sei, aber wo er beerdigt wurde, stehe laut Michael Beck unter "Datenschutz".

    So wurde den Menschen, die jahrelang mit ihm zusammengelebt und gewohnt haben, die Möglichkeit genommen, sich würdig von ihm zu verabschieden.

    Da die Mißstände in der ehemaligen Schule durch den Tod von Kallo Al-Hassan Kanu jetzt öffentlich werden, bemüht sich auch die Stadt, eine sogenannte Mängelliste "abzuarbeiten". Es sollen weitere Duschen eingebaut werden, und auch die schimmeligen Wände sind zur Sanierung in Auftrag gegeben.

so_ko_wpt 10.12.13; WAZ 10.12.13;

 linkezeitung.de 11.12.13; RP 11.12.13;

WAZ 20.12.13; Karawane Wuppertal 6.1.14;

Antifaschistisches Bündnis Kreis Mettmann 9.1.14;

WAZ 11.1.14

 

9. Dezember 13

 

Bundesland Niedersachsen. Im Flüchtlingsheim der Oldenburger Gaußstraße schlägt um 11.06 Uhr die Sirene der Brandmeldeanlage Alarm, weil es in einem Zimmer des Erdgeschosses brennt. Als die Feuerwehren eintreffen, schlagen die Flammen bereits aus dem Fenster, und die Scheiben im Umfeld sind geborsten. Rauch hat sich im gesamten Erdgeschoß ausgebreitet. Die 156 hier lebenden BewohnerInnen können sich selbst ins Freie retten – nur ein 18-jähriger Mann aus Afghanistan muß mit einer Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus gebracht werden. Er ist einer von vier Bewohnern des in Brand geratenen Zimmers – seine drei Mitbewohner sind zur Zeit des Feuers nicht im Hause.

    Die insgesamt 34 Rettungskräfte der Feuerwehren Oldenburg, Ofen und Petersfehn können den Brand relativ schnell löschen.

    Da das Erdgeschoß zunächst nicht mehr bewohnbar ist, werden 18 direkt betroffene Flüchtlinge vorübergehend in anderen Gebäudeteilen untergebracht.

    Die vorläufigen Untersuchungen ergeben, daß eine vorsätzliche Brandstiftung und ein technischer Defekt als Brandursache ausgeschlossen werden können.

NWZ 10.12.13;

NWZ 11.12.13

 

10. Dezember 13

 

Morgens um 4.00 Uhr erscheinen MitarbeiterInnen der Hamburger Ausländerbehörde und Ausländerpolizei an der Wohnung einer Roma-Familie. Die Mutter und ihre vier kleinen Kinder – 14 Monate alte Zwillinge und zwei Mädchen im Alter von 3 und 5 Jahren – werden aus dem Schlaf gerissen. Die Mutter wird aufgefordert, umgehend und schnell die Sachen zu packen. Dann erfolgt ihr Transport in einem Bus nach Hannover, wo sie im Rahmen einer Sammelabschiebung mit anderen Roma-Familien aus Norddeutschland nach Belgrad abgeschoben werden sollen.

    Dies geschieht, obwohl der Familienvater derzeit stationär im Krankenhaus ist. Seine Schwester kann ihn dort informieren, so daß er seinen Anwalt kontaktiert, dem es noch gelingt, die Rückholung von Frau und Kindern nach Hamburg zu erwirken, weil die Abschiebung aus vielerlei Gründen nicht rechtens ist.

Landesverband DIE LINKE. 16.12.13;

taz 17.12.13; FRat HH 19.12.13

 

11. Dezember 13

 

Bundesland Brandenburg. Im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt trinkt ein Gefangener aus Afghanistan Shampoo. Er kommt für mehrere Wochen ins Krankenhaus, wo er psychiatrisch behandelt wird.

lagerwatcheisen – Chronik

 

12. Dezember 13

 

Bundesland Nordrhein-Westfalen. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage brennt es in der Flüchtlingsunterkunft Elisabethhütte in Mechernich – Ortsteil Roggendorf. Das Feuer wurde der Rettungsleitstelle gegen 2.00 Uhr gemeldet, und als die Rettungskräfte aus Mechernich, Strempt und Kommern am Ort eintreffen, da brennt schon einer der Wohncontainer lichterloh und kann auch nicht erhalten werden. Auch ein daneben befindlicher Container wird stark beschädigt. Zwei Personen kommen mit Verdacht auf Rauchgasvergiftung ins Kran

kenhaus.

    Die Brandursache kann zunächst nicht benannt werden – der Ausbruch des Brandes wird im Küchenbereich vermutet.

    Die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt in den folgenden Monaten gegen einen 25-jährigen Bewohner, stellt die Ermittlungen jedoch wieder ein, weil sich der Verdacht gegen ihn nicht erhärtet. (siehe auch: 4. Dezember 13)

Polizei Euskirchen 12.12.13;

KStA 12.12.13; express.de 12.12.13;

StA Bonn 24.2.15

 

14. Dezember 13

 

Plauen im Bundesland Sachsen. Als gegen 21.00 Uhr in der Flüchtlingsunterkunft Pausaer Straße die Brandmeldeanlage Alarm schlägt, finden die BewohnerInnen schnell den Ort des Feuers. Es ist das Zimmer eines 35 Jahre alten pakistanischen Flüchtlings, der allerdings die Tür von innen verschlossen hat. NachbarInnen brechen sie auf und versuchen mit vier Feuerlöschern, die brennenden Kleidungsstücke, Möbel und den Fußboden zu löschen. Der Pakistani liegt bewußtlos im Zimmer. Dem inzwischen eingetroffenen Notarzt gelingt die Reanimation, so daß er ins Krankenhaus gebracht werden kann. Er hat eine schwere Rauchgasvergiftung erlitten, jedoch keine Brandverletzungen.

    Eine Woche später schließt die Polizei einen Anschlag als Ursache des Feuers aus, kann aber weiterhin nicht erklären, warum der Brand entstanden ist. Der Pakistani wartet seit vier Jahren in diesem Heim auf seine Asylentscheidung. Er war an diesem Samstagabend stark alkoholisiert.

sachsen-fernsehen.de 15.12.13;

ND 16.12.13; Vogtland-Anzeiger 16.12.13;

FP 20.12.13

 

16. Dezember 13

 

Bad Doberan in Mecklenburg-Vorpommern. In einer Diskothek wird ein Flüchtling von einem Mann zunächst provokant feindselig gemustert und dann in die Richtung seiner drei Kumpane geschubst. Schließlich schlagen alle vier Angreifer auf ihn ein und verletzen ihn dermaßen, daß er drei Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden muß. 

LOBBI

 

17. Dezember 13

 

Bundesland Niedersachsen. Der 34 Jahre alte libanesische Asylbewerber Hussein Charara setzt sich in Hannover vor das Schillerdenkmal in der Georgstraße und verkündet, daß er ab sofort weder Nahrung noch Medikamente zu sich nehmen wird. Der an einer seltenen, schweren und chronisch verlaufenden Magen-Darm-Erkrankung leidende Flüchtling protestiert damit gegen die respektlose Behandlung durch die Behörden.

    Wie alle AsylbewerberInnen unterliegt er den Sondergesetzen, die Arbeitsaufnahme und freie Wohnungswahl fast unmöglich machen. Laut Asylbewerberleistungsgesetz muß er Krankenscheine beim Sozialamt beantragen und dort immer wieder darum betteln, die Behandlung seiner Erkrankung durchführen lassen zu können.

    In der ersten Nacht seiner Protestaktion wird er von Neonazis bedroht. Gegen 2.20 Uhr nähern sich dem Denkmal sieben männliche Personen in dunkler Kleidung und mit Kapuzen oder Mützen anonymisiert. Einige tragen Handschuhe, die mit Quarzsand gefüllt sind, um die Schlagkraft zu erhöhen. Ein Mann setzt sich wie ein Boxer vor dem Kampf einen Mundschutz ein.

    Ein Unterstützer von Hussein Charara ruft von seinem Handy aus die Polizei, so daß ein tatsächlicher Angriff nicht mehr stattfinden kann, weil die Beamten frühzeitig vor

Ort sind.

    Es stellt sich heraus, daß der Mann mit dem Boxer-Mundschutz Patrik K. ist, der als einer der vier Anführer der Gruppierung "Besseres Hannover" gilt – eine Gruppe, die wegen rechtsextremer Aktivitäten vom Innenministerium verbo

ten wurde.

    Nach Gesprächen mit der Migrationsbeauftragten der niedersächsischen Landesregierung und Vertretern der Ausländerbehörde und des Sozialamtes setzt Hussein Charara am vierten Tag um 16.30 Uhr den Hungerstreik vorläufig aus. Die Ausländerbehörde hat ihm schriftlich zugesichert, daß gegen ihn keine "Aufenthalts beendenden Maßnahmen" ergriffen werden würden, bis das Bundesamt für Migration und Flücht-linge (BAMF) über seinen Asylantrag entschieden hat. Weiterhin ist mit dem Sozialamt ein reibungsloserer Ablauf der Krankenscheinausgabe bzw. der Kostenübernahme vereinbart worden.

HAZ 17.12.13; HAZ 18.12.13;

FRat NieSa 19.12.13;

HAZ 20.12.13; FRat NieSa 23.12.13

 

19. Dezember 13

 

Bundesland Bayern. In der Frühe erscheint ein Polizeitrupp in der Flüchtlingsunterkunft des oberfränkischen Kronach bei einer aserbaidschanischen Familie und gibt ihnen 30 Minuten Zeit, ihre Sachen zu packen. Zeitgleich wird ein Sohn aus seiner Klasse der Lucas-Cranach-Schule gezerrt, in ein Auto verfrachtet und danach mit den Eltern, dem 9-jährigen Bruder und der sechs Monate alten Schwester über den Flughafen Frankfurt am Main abgeschoben.

    Mit der Abschiebung werden die vielversprechenden Erfolge einer Therapie des 9-jährigen geistig behinderten Sohnes zunichte gemacht.

    Als die Familie vor drei Jahren in die Bundesrepublik kam, war der Junge schwer traumatisiert. Zudem war er durch die Erlebnisse in Aserbaidschan voller Angst, hatte Panik vor Puppen, Tieren und allem Unbekannten und neuen Situationen. Er konnte keinen Blickkontakt aufnehmen und sich in keiner Weise selbst versorgen.

    "Durch die pädagogische Förderung, die Therapien, die gleichbleibende Gruppenzusammensetzung konnte sich das Kind in seinen Möglichkeiten erstaunlich gut entwickeln", so der Vorsitzende des Vereins Humanitäre Hilfe für Menschen in Not e.V. Tom Sauer. Der Junge habe viel Vertrauen aufbauen können, konnte Blickkontakt zu seinen Mitmenschen aufnehmen, habe gelernt, sich die Hände zu waschen, benötige keine Windeln mehr, könne sich selbständig an- und ausziehen und trage voller Stolz seine Schultasche allein in die Schule.

    Der Verein Humanitäre Hilfe für Menschen in Not ruft zu einer Protestkundgebung am nächsten Tag auf.

infranken.de 20.12.13;

radio-plassenburg.de 21.12.13;

NP 23.12.13

 

19. Dezember 13

 

Der vor drei Jahren aus Deutschland abgeschobene Mustafa El-Haj wird als Soldat der syrischen Armee von gegnerischen Kämpfern gefangen genommen und zusammen mit einer Gruppe Soldaten erschossen. Er stirbt mit 31 Jahren.

    Mustafa El-Haj war nach seiner Abschiebung im Jahre 2010 direkt am Flughafen Damaskus von der Armee zwangsrekrutiert worden.

    14 Jahre vorher war Mustafa El-Haj als unbegleiteter Flüchtling im Alter von 14 Jahren in die Bundesrepublik gekommen und hatte Asyl beantragt. Er lebte bis zu seiner nächtlichen Abschiebung ohne sicheren Aufenthaltstitel in Müllheim im Bundesland Baden-Württemberg.

BaZ 31.1.14

 

23. Dezember 13

 

Bundesland Sachsen. In Dresden-Leuben wird gegen 21.15 Uhr ein 38 Jahre alter russischer Asylbewerber von einem Unbekannten angegriffen. Er hatte gerade einen Supermarkt an der Breitscheidstraße in Richtung Jessener Straße verlassen, als er zwischen den Hausnummern 10 und 12 von dem Täter ohne Vorwarnung niedergeschlagen wurde. Noch am Boden liegend tritt der Angreifer weiter auf ihn ein.

    Der Russe muß mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Polizei Dresden 3.1.14;

Focus 3.1.14;

AFA Dresden 2.4.14

 

23. Dezember 13

 

Bundesland Brandenburg. Im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt verletzt sich ein tunesischer Flüchtling an Kopf und Beinen und "schneidet sich die Venen auf". Nach 5-tägigem Krankenhaus-Aufenthalt erfolgt einige Tage später seine Rückschiebung nach Italien.

lagerwatcheisen – Chronik

 

24. Dezember 13

 

Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in der Motardstraße – Berlin-Spandau. Gegen 17.30 Uhr betreten fünf bis sechs Männer das Zimmer eines 18-jährigen Flüchtlings, schlagen mit Fäusten auf ihn ein, bedrohen und verletzen ihn. Als ihm sein 24 Jahre alter Zimmernachbar zu Hilfe kommt, wird auch dieser attackiert.

    Dann demolieren die Täter die Zimmereinrichtung und flüchten mit dem Handy des 18-Jährigen und dem Portemonnaie des Nachbarn.

    Der 18-Jährige muß mit Schnittverletzungen am Rücken und Abwehrverletzungen an den Händen ins Krankenhaus gebracht werden.

TS 25.12.13

 

27. Dezember 13

 

Landkreis Eichsfeld in Thüringen. In der Nacht wird das Flüchtlingsheim in Breitenworbis von Unbekannten mit Raketen und anderen Feuerwerkskörpern beschossen. Die BewohnerInnen beobachten mehrere Personen in der Einfahrt zum Gelände. Es gelingt ihnen, die Täter zu vertreiben.

    Zuvor waren mehrere BewohnerInnen nach dem Einkaufen auf dem Weg zur Unterkunft von zwei jungen Männern mit einem Auto bedroht worden, indem diese provozierend auf die Flüchtlinge zugefahren waren.

    Das Flüchtlingsheim, das einen Kilometer von Breitenworbis entfernt zwischen Feldern und Agrarbetrieben liegt, war schon Mitte Dezember das Ziel von Angriffen. Bei einem in der Einfahrt geparkten PKW wurden die Reifen zerstochen und die Glaswände der Bushaltestelle des Lagers eingeschlagen.

    Einige Tage später fuhren zwei Autos auf das Gelände. Die Insassen stiegen aus, bewarfen das Gebäude mit Gegenständen und riefen Parolen, die für die BewohnerInnen nicht verständlich waren. Eine Frau allerdings, die vom Fenster aus das Geschehen beobachtete, sagte, daß die Täter in ihre Richtung die Drohung geschrien hätten: "Heute Nacht bist du tot!" Circa 20 BewohnerInnen gelang es schließlich, die AngreiferInnen zu vertreiben.

    Wieder einige Tage später kamen die Täter nachts um 1.30 Uhr über das Feld an die Rückseite der Unterkunft, warfen Steine auf das Gelände und verschwanden dann wieder in der Dunkelheit.

    Anfang Januar 2014 erfolgt ein weiterer Angriff morgens um 6.00 Uhr. Wieder werfen die Täter Dinge gegen das Gebäude und schreien Drohungen und Beleidigungen.

    Von Seiten der Ausländerbeauftragten des Eichsfeldkreises handelt es sich bei den fortlaufenden Angriffen um "dumme Streiche" – der Heimleiter meint sogar, daß die Bedrohung durch die Autofahrer Mitte Dezember ein "Scherz" gewesen sei, den die Flüchtlinge nicht verstanden hätten. Erst die Reaktion der Betroffenen darauf habe die nächtlichen Attacken provoziert. Demzufolge wird auch die elektrische Beleuchtung an der Einfahrt nicht repariert, weshalb weder die Täter noch die Autokennzeichen erkannt werden konnten. Kommentar des Heimleiters nach dem Bericht von The Voice: Die Flüchtlinge hätten sie ja selber irgendwann mal kaputtgemacht.

The Voice 7.2.14;

TLZ 19.2.14

 

27. Dezember 13

 

Bundesland Bayern. Gegen 23.50 Uhr reist ein syrischer Flüchtling mit dem Zug IN 490 von Österreich über Passau nach Deutschland ein. Er ist auf dem Weg nach Schweden zu seiner hochschwangeren Ehefrau. Wegen fehlender Papiere und unerlaubter Einreise erfolgt unmittelbar seine Festnahme.

    Der 24-Jährige hatte bereits vor einer Woche in Österreich einen Asylantrag stellen müssen, weil ansonsten von dort seine Abschiebung drohte. So wird er vom Amtsgericht Passau zu einer vierwöchigen Haft zwecks Rückschiebung nach Österreich verurteilt.

    Diese wird am 23. Januar vom Amtsgericht Mühldorf noch einmal um vier Wochen verlängert, obwohl das Bundesasylamt in Wien eine Wiederaufnahme des Gefangenen bereits am 8. Januar abgelehnt hatte.

    Aufgrund der Beschwerde seiner Anwältin wird der Mann schließlich am 11. Februar aus der Haft entlassen und dem Erstaufnahmelager München zugeteilt.

    Da Entscheidungen des Bundesamtes erfahrungsgemäß sehr lange dauern, ist der Mann offensichtlich ohne entsprechende Papiere Ende Februar zu seiner Frau und seinem Kind weitergereist.

LG Traunstein 19.3.14;

Antirassistische Initiative Berlin

 

27. Dezember 13

 

Breitenworbis im thüringischen Landkreis Eichsfeld. Auf dem Rückweg von ihrem Einkauf werden die BewohnerInnen der Flüchtlingsunterkunft aus einem Auto heraus, das die direkt auf sie zufährt, von zwei jungen Männern provoziert. Nachdem die Angegriffenen Anstalten machen, sich zu wehren, fliehen die AngreiferInnen.

    Am selben Abend erscheinen mehrere Unbekannte in der Einfahrt zum Gelände der Unterkunft und schießen Raketen und andere Feuerwerkskörper auf das Gebäude. Mehrere BewohnerInnen können schließlich die AngreiferInnen vertreiben. Die alarmierte Polizei kann keine TäterInnen mehr feststellen.

    In den folgenden Tagen kommt es insgesamt zu drei wieteren Angriffen, bei denen jeweils aus einer Gruppe Unbekannter heraus Steine und Gegenstände auf das Gebäude geworfen und rassistische Parolen und Drohungen (''Heute Nacht bist Du tot!'') gegrölt werden. Den BewohnerInnen gelingt es immer wieder, die AngreiferInnen zu vertreiben. Die jeweils alarmierte Polizei kann keine TäterInnen mehr feststellen.

    Am 3. Januar werden von BewohnerInnen Unbekannte auf dem Gelände gesehen, die am selben Tag eine Scheibe einer Bushaltestelle in der Nähe zerschlagen.

    Auch ein knappes Jahr nach den Angriffen hat die Polizei noch keine TäterInnen ermitteln können.

MOBIT; The VOICE 2.7.14; jusoseichsfeld.de;

Polizei Nordhausen 18.12.2014;

LT DS Thüringen 5/7882

 

31. Dezember 13

 

Borna in Sachsen. Gegen die Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Berufsschule werden Silvesterraketen und Böller abgeschossen. Verletzt wird niemand.

LVZ 1.1.14;

RAA Sachsen;

BT DS 18/1593

 

 

 

 

Im Jahre 2013

 

Bundesland Brandenburg. Zwei Frauen sollen ohne Vorankündigung aus Luckenwalde abgeschoben werden. Sie erleiden Zusammenbrüche und kommen ins Krankenhaus, wodurch die Abschiebung vorerst verschoben ist.

FRat Brbg 4.12.13

 

 

Im Jahre 2013

 

Nach 10-tägiger Überfahrt landet ein Boot mit 300 Flüchtlingen an Bord aus Ägypten kommend in Lampedusa an. Die Menschen werden in ein mit Stacheldraht abgesperrtes Gelände gebracht und dann einzeln zu einem kleinen Polizeirevier gebracht. Hier sollen sie ihre Fingerabdrücke abgeben.

    Die Behandlung der Menschen ist äußerst brutal. Alle Flüchtlinge werden angeschrien, sie werden geschlagen und getreten – auch vor den Kindern wird kein Halt gemacht. Es gibt nichts zu essen oder zu trinken, und nach ein bis zwei Tagen werden die Menschen ins Nichts entlassen. Der Palästinenser Anas Khalil berichtet von diesen Mißhandlungen, nachdem er mit seiner Frau und seinen Eltern Deutschland erreicht hat.

    Die Familie, die eigentlich aus Palästina ist, hatte bereits sechs Jahre lang in einem Flüchtlingslager in Damaskus gelebt, als sie auch diesen Ort wieder verlassen müssen. Der Wohnraum ist durch den Krieg in Syrien zerstört, und den Bruder bzw. Sohn fanden sie enthauptet vor.

    Sie flüchteten nach Ägypten und dann weiter übers Mittelmeer nach Europa.

Human Places Heft 01 / 2014

 

 

Im Jahre 2012 oder 2013

 

Ein Roma-Ehepaar wird mit seinen drei Kindern um 8.25 Uhr von der zuständigen Ausländerbehörde zum Hamburger Flughafen gebracht. Die Frau hält sich den Leib, bittet auf die Toilette gehen zu dürfen. Sie bricht im Beisein zweier Bewacherinnen dort im Vorraum zusammen und verletzt sich dabei am linken Oberschenkel – es bildet sich ein großes Hämatom.

    Sanitäter der Flughafenfeuerwehr werden gerufen, und die Frau kommt in einen Warteraum, wo sie sich hinlegen kann. Sie selbst schickt ihren Mann und die Kinder aus dem Raum hinaus, denn sie will allein mit der Abschiebungsbeobachterin reden.

    Dieser erzählt sie, daß sie große Angst vor einer Rückkehr in ihr Herkunftsland hat, denn sie sei dort vergewaltigt wor-den und ihr Mann wisse es nicht – und dürfe es auch nicht erfahren.

    Als die Sanitäter erscheinen, gerät die Frau in große Panik: sie hyperventiliert und schreit, daß sie vergewaltigt wurde und daß niemand sie anfassen dürfe.

    Dies hört jetzt ihr Mann, der mit dem jüngsten Kind auf dem Arm immer wieder zu ihr wollte. Auch er bricht jetzt zusammen, die Kinder sind sehr erschrocken, können die Situation nicht einordnen und haben Angst um ihre Eltern.

    "Jetzt verstehe ich, warum meine Frau weg wollte, ich bring ihn um, ich weiß wer es war .... er hat mich und meine Kinder mit einer Pistole bedroht, ich wusste nicht warum, jetzt weiß ich es."

    Auf dem Weg zur Psychiatrie Ochsenzoll kollabiert die Frau erneut, so daß der Rettungswagen stoppen muß, damit sie medizinisch stabilisiert werden kann.

    Dann wird sie im Krankenhaus zur stationären Behandlung aufgenommen. Der Mann und die Kinder werden in ihre Unterkunft zurückgefahren.

Zwischen Abschiebungshaft und

freiwilliger Ausreise 13.1.14

 

 

Im Jahre 2012 oder 2013

 

Flughafen Hamburg. Ein tunesischer Flüchtling wird von Polizeibeamten gegen 5.00 Uhr zum Flughafen gebracht – er hat weder Gepäck noch Geld dabei. Er soll entsprechend dem Dublin-II-Verfahren nach Italien rückgeschoben werden.

    Er betont mehrmals, daß er auf keinen Fall nach Italien zurück wolle – notfalls würde er alles dafür tun, nicht lebend nach Italien zu kommen.

    Daraufhin entscheiden die ihn begleitenden Beamten, ihn zu fesseln. Im Wagen auf dem Weg zum Flugzeug versucht der Tunesier heftig, sich zu widersetzen, er schreit laut und springt auf, um mit dem Kopf an die Decke zu stoßen.

    Die Beamten brechen die Rückschiebung ab. Zwei Wochen später wird der Tunesier mit einem Charterflug nach Italien überstellt.

Zwischen Abschiebungshaft und

freiwilliger Ausreise 13.1.14